Stephan Bock
Kultur im Stundenplan - Die Gemeinschaftsschule Rodeberg
Stephan Bock

Kultur im Stundenplan - Die Gemeinschaftsschule Rodeberg

Bundesland

Thüringen

Ort

Rodeberg

Beteiligte Schülerinnen und Schüler

176

Beteiligte Lehrkräfte

23

Kulturagent

Thomas Kümmel

-

Die Gemeinschaftsschule Rodeberg befindet sich in einer kleinen Gemeinde im Unstrut-Hainich-Kreis an der westlichen Landesgrenze Thüringens. Mit Beginn des Schuljahres 2011/2012 wurde aus der Grund- und Regelschule des Ortes die heutige Gemeinschaftsschule Rodeberg. Sie bietet eine gemeinsame, wohnortnahe Beschulung von Klasse 1 bis 10 und in Kooperation mit einem Gymnasium auch bis Klasse 12. Die Schule gehört mit 180 Schülerinnen und Schülern sowie 22 Lehrerinnen und Lehrern zu den kleineren. Sie ist eine offene Ganztagsschule, die im Rahmen des Projekts "Eigenverantwortliche Schule" arbeitet. Ihre Größe, der ländliche Raum und die noch bestehende Umbruchsituation waren eine besondere Herausforderung bei der Umsetzung des Kulturagentenprogramms. Für dessen Entwicklung hatte sich die Schule daher ausreichend Zeit genommen.

Neben den Zielen, Kunst und Kultur für alle Bereiche des Schulalltags zu erschließen und den Schülerinnen und Schülern Erfahrungs- und Gestaltungsräume für das Entdecken und Stärken der eigenen Kreativität und Fantasie zu öffnen, war das Geld – so das ehrliche Eingeständnis der Schulleitung – ein wichtiger Anreiz zur Teilnahme am Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen".

Als Startgeldprojekt wählte man die Entwicklung eines Schullogos, um Identifikation mit der neu entstandenen Gemeinschaftsschule herzustellen und das "Wir-Gefühl" zu stärken. Auch sollte mit dem ersten Projekt herausgefunden werden, welche Arbeits- und Organisationsformen sich bewähren. Das Logo entstand in einem partizipativen Prozess, an dem möglichst alle und nicht nur die begabtesten Schüler beteiligt sein sollten: So gab es aus jeder Klassenstufe von 5 bis 10 drei Entwürfe. Unter Anleitung eines Bildenden Künstlers wurden sie ausgearbeitet und in einem mehrstufigen Abstimmungsprozess erst die Vorentwürfe und dann das endgültige Logo ausgewählt. Es wird seitdem durchgängig von der Schule verwendet.

Eine wichtige Erkenntnis des Startgeldprojektes war, dass in einer solch kleinen Schule das Kulturagentenprogramm auf vielen Schultern ruhen muss. So war schnell klar, dass es eine Aufgabe der gesamten Schule und nicht einzelner Lehrkräfte, Fächer oder Projekte sein sollte.

Kulturfest der Gemeinschaftsschule Rodeberg im Mai 2015, bei dem die Ergebnisse der Kulturstunden präsentiert wurden
Foto: Thomas Kümmel

In kleinen Schritten zum "großen Wurf"

Im Mai 2012 fand eine erste Ideenfindungskonferenz statt, an der neben einigen Lehrkräften auch Schülerinnen und Schüler, Eltern und der Kulturagent teilnahmen. In Kleingruppen ging es zunächst um Wünsche und Träume, noch nicht um konkrete Aktionen und Projekte. Die Eingangsfrage lautete: "Woran kann man in Zukunft erkennen, dass an der Schule mehr Kunst und Kultur Einzug gehalten haben?"

Einen Monat später hat die neu eingerichtete "AG Kultur" in kleinem Kreis aus den Ergebnissen der Ideenfindungskonferenz erste praktische Schlussfolgerungen für wünschenswerte Strukturveränderungen an der Schule gezogen sowie Ansätze für die Weiterentwicklung der Vision diskutiert. Diese Schritte sind weitgehend in Eigeninitiative der Schule entstanden. Der Kulturagent Thomas Kümmel erlebte eine große Selbstständigkeit und war anfangs darüber verwundert, dass er gar nicht so gefragt und in das Kollegium eingebunden war, wie er das an anderen Schulen erlebt hatte.

Abgerundet wurde der Prozess der Ideenfindung durch eine von Thomas Kümmel zum Schuljahresende durchgeführte Befragung unter allen Schülerinnen und Schülern der 3. bis 8. Klasse. Sie lieferte erste Anhaltspunkte für mögliche Themenkomplexe zur kulturellen Profilierung der Schule. Nach diesen Treffen, vielen Gesprächen und Diskussionen in Konferenzen und auch mit der Elternvertretung war die Erkenntnis herangereift, das Programm fest im Unterricht und damit in der Stundentafel zu verankern. Dies wurde in einer Gesamtkonferenz auch einstimmig beschlossen.

Daraus ist ein zweites umfassendes Kunstgeldprojekt entstanden, dessen Vorbereitung und Umsetzung sich über zweieinhalb Jahre erstreckten sollte. Damit umfasste es die verbleibende Programmlaufzeit. In ihm ging es um die Implementierung von Kunst und Kultur im Schulalltag in einem neuen Format, das auch über das Ende des Kulturagentenprogramms hinaus Bestand hat. Herausgekommen sind die "Kulturstunden", die in dieser Form eine Besonderheit in der Schullandschaft darstellen. Auf dem 11. Thüringer Bildungssymposium im Mai 2013 in Erfurt wurde das Konzept der Öffentlichkeit präsentiert.

Kulturstunden zum Budgetieren

Im zweiten Schulhalbjahr 2012/13 wurden die "Kulturstunden" für die Schüler der 3. bis 10. Klassen eingeführt. Diese sind klassen- und jahrgangsübergreifend konzipiert. Der Stundenumfang beträgt in den Klassenstufen 3 bis 6 je eine Wochenstunde und in den Klassenstufen 7 bis 10 je zwei Wochenstunden. Die "Kulturstunden" finden somit vom Grundsatz her wöchentlich statt, können aber auch von den jeweils verantwortlichen Lehrerinnen und Lehrern in Absprache mit den durchführenden Künstlerinnen und Künstlern oder den Kulturpartnern zu längeren Zeiträumen bis hin zu Projekttagen oder -wochenenden zusammengezogen werden.

Die "Kulturstunden" sind so in den Stundenplan integriert, dass reguläre Unterrichtsfächer nicht davon betroffen sind, wenn zum Beispiel ganztägige Maßnahmen daraus entstehen. Beispielsweise war die Schulband einen Tag lang im Tonstudio, oder die Theatergruppe fuhr zur Aufführung nach Erfurt; die jeweils acht Stunden wurden dann mit dem Budget verrechnet. Entsprechend der Vielzahl der Angebote gibt es Organisationsformen, die diesen Stundenpool unterschiedlich nutzen. "Für die Kleinen sind es meistens 45 Minuten; das ist bei Tanz ganz gut und reicht. Aber bei Gestalten lohnt es sich, am Block und über einen längeren Zeitraum, dann aber 14-tägig zu arbeiten." Beim Kulturfest – einer Veranstaltung der gesamten Schule – werden die Ergebnisse der "Kulturstunden" alljährlich präsentiert.

Der Kulturfahrplan der Gemeinschaftsschule Rodeberg sieht vor, dieses neue Format regelmäßig zu evaluieren. So gab es erst eine Testphase, gefolgt von einer zweiten und der abschließenden dritten Phase. Nach jeder Phase wurde nachjustiert, verändert, ergänzt und überarbeitet. Die künstlerischen Angebote haben von Jahr zu Jahr zugenommen; mittlerweile sind es insgesamt 15.

Das Spektrum ist breit gefächert und spiegelt sich auch in den Arbeitstiteln wider. Sie lauten in den Klassenstufen 3 bis 6: Geschichtenlabor, Bühnenbild(n)er, Kunterbunte Welten, Textiles Gestalten, Karibische Folklore, Lesebühne und Saitenspiel. In den Klassenstufen 7 bis 9 heißt es: Körper in Bewegung, Von Druck bis Schattenriss, Vom Papier zur (Buch-)Kunst, Mit Ecken und Kanten, 3D-Objekte, Fotografie, Mode, Quatsch-Comedy-Club, Rockband, Welttheater sowie Lesebühne.

Die Qual der Wahl

Am Ende des laufenden Schuljahrs überlegen sich die Lehrerinnen und Lehrer, welche Angebote sie – mit oder ohne Kulturpartner – durchführen beziehungsweise begleiten wollen. Es werden Aushänge erstellt, in denen sich die Schülerinnen und Schüler über die Angebote informieren und dann für ein ganzes Schuljahr einwählen können. Der wichtigste Grundsatz lautet: Jede/Jeder darf entscheiden, in welches Angebot sie/er geht. So entstand auch ein Wettbewerb unter den Fächern, und es kam durchaus vor, dass ein Angebot nicht stattfand, weil sich niemand dafür interessierte. Die Lehrkräfte und auch die Kunstschaffenden mussten lernen, damit umzugehen. Dazu gehörte auch, Impulse gegenüber den Schülerinnen und Schülern wie "Du bist jetzt vielleicht nicht der große Tänzer, das ist doch eher nicht dein Ding" zu unterdrücken. Die Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler wird mittlerweile respektiert und akzeptiert, stärkt sie doch deren Motivation.

Vorkenntnisse für die Wahl eines Angebots sind nicht nötig, denn es sollten alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten, auch ganz Neues kennenzulernen: Die Schulleiterin Karola Stadermann begründet es so: "Wie kann jemand wissen, ob er fürs Töpfern oder fürs Tanzen geeignet ist, wenn er es noch nie ausprobiert hat? Das war einer der Gründe, die Angebote mit ins Stundensoll zu integrieren, weil andernfalls nicht alle Schülerinnen und Schüler erreicht werden können. Nicht weil sie das nicht wollen, sondern weil sie sich selber das gar nicht zutrauen oder nicht auf die Idee kommen würden, nachmittags zum Tanzen zu gehen …Wenn sie sich mit etwas auseinandersetzen, machen sie da Fortschritte. Hier sollten sie ermutigt werden, manchmal auch mit liebevollem Druck." Einige blieben über einen längeren Zeitraum bei dem gewählten Fach – teils aus Unsicherheit, teils aus Begeisterung –, andere schauten, in welche Richtung sie sich noch weiterentwickeln möchten und wechselten nach einem Jahr.

Am Anfang war es für viele nicht ganz einfach, sich für etwas zu entscheiden. "Denn künstlerisch tätig zu werden, ist damit verbunden, Persönliches von sich zu zeigen: Man muss sich was trauen. Auf einer Bühne zu stehen ist nicht nur Spaß, dahinter steckt vor allem sehr viel Arbeit und auch Selbstbewusstsein. Um das zu entwickeln, braucht es schon ein wenig Anstoß von außen", meint Stadermann. Natürlich sollten Schülerinnen und Schüler dabei an die Hand genommen und beraten werden.

Für die Schülerinnen und Schüler war dieses Format eine besondere Erfahrung, da durch den klassen- und jahrgangsübergreifenden Ansatz völlig neue Kontakte entstanden. Die Beobachtung der Schülersprecherin Sarah Oberthür: "Seitdem wir das Kulturagentenprojekt haben, hat sich ziemlich viel an der Schule verändert, auch unter den Schülerinnen und Schülern, denn sie sind überall gemischt. Dadurch entstand auch ein besseres Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Klassenstufen."

Das Format wirkte auch in das Kollegium hinein; die Kulturbeauftragte Christina Anhalt freut sich: "Ich habe selten ein so gutes Miteinander unter den Kollegen erlebt … Zwar gibt es immer noch viel zu tun, aber alles läuft schön Hand in Hand, und keiner klinkt sich aus. Alle machen mit und übernehmen Aufgaben, bisweilen auch von einem anderen Kollegen, sodass wirklich kaum jemand alleine dasteht."

Herausforderung Kooperation im ländlichen Raum

Am Anfang war es schwierig, im ländlichen Raum genügend Kulturpartner zu finden. Die Schule hat daher viele Projekte zunächst ohne Kooperationen gestartet. Sie hat bei der Planung auf die Kompetenzen und Interessen des Kollegiums gesetzt und gefragt, wer welche Projekte begleiten möchte. Diese Wahl war nicht an die Fächer gekoppelt, was es ermöglichte, dass beispielsweise die Geografielehrerin mit Affinität zum Kabarett mithilfe des Kulturagenten einen geeigneten Kulturpartner fand.

Die Auswahl der Kulturpartner orientierte sich daran, was die ländliche Region zu bieten hatte. In Zusammenarbeit mit einem Strickwarenhersteller konnte das Thema "Mode" angeboten werden und mit der Begleitung durch eine Töpferin auch das Thema "Keramik". Damit entstand zusätzlich ein positiver Effekt in Bezug auf die spätere Berufswahl der Jugendlichen. Die nächstgrößere Stadt mit einem breiten Angebot an Kulturpartnern ist Erfurt, allerdings 70 Kilometer von der Schule entfernt. So ist neben dem zeitlichen Aufwand die Zusammenarbeit auch mit zusätzlichen Reisekosten verbunden. Also konzentrierte man sich vorrangig auf Kulturpartner in der näheren Umgebung.

Der überwiegende Teil der Kooperationspartner sind Einzelkünstlerinnen und -künstler. Thomas Kümmel sieht einen Grund dafür darin, dass große, institutionell geförderte Kulturinstitutionen mit einem festen Programm ähnlich schwerfällige Systeme sind wie die Schulen. "Sie planen lange voraus und sind nicht so schnell vom Kurs abzubringen. Bis die eine gemeinsame Basis und auch eine zeitliche Schiene haben, braucht es seine Zeit, und da sind die vier Jahre Kulturagentenprogramm extrem kurz." Auch wenn mittlerweile ein Annäherungsprozess zu diesen Kulturinstitutionen stattgefunden hat, hängt dessen Entwicklung davon ab, ob das Programm weitergeführt wird.

Die Schule emanzipiert sich

Für die Schule war der Kulturagent in der Startphase absolut unverzichtbar, auch wenn er das anfangs anders wahrnahm. Das betraf vor allem die Bündelung und Strukturierung der zahlreichen Ideen und Ergebnisse, um daraus eine Vision für die Schule, den Kulturfahrplan und die Kunstgeldanträge zu entwickeln und zu formulieren. Mittlerweile ist die Schulleiterin der Meinung, dass sie sich ein Stück weit emanzipiert haben. "Es ist nach wie vor schön", sagt Karola Stadermann, "dass Thomas Kümmel gemeinsam mit uns reflektiert und seine Perspektive von außen anbietet. Das ist wichtig, damit wir nicht in unserem eigenen Saft schmoren – eine Gefahr, die bei kleinen Institutionen recht groß sein kann."

Ein großer Vorteil der Schule liegt darin, dass nicht von Projekt zu Projekt geplant wird, sondern kulturelle Bildung fest in die Stundentafel eingebunden ist. So glaubt Stadermann, " … dass das eine Schule ist, die auf ein Schuljahr bezogen sehr genaue Vorstellungen hat, die gut planbar sind".

Die "AG Kultur" sorgt dafür, dass im engen Austausch mit den Schülerinnen und Schülern immer wieder neue Ideen entstehen. Und auch wenn das gesamte Kollegium mittlerweile in der Lage ist, selbstständig künstlerisch-kreative Angebote zu gestalten und zu begleiten, möchte die Schule nicht auf externe Kunstschaffende und Kulturpartner verzichten. Ohne sie können das Niveau und die Qualität dauerhaft nicht gehalten werden; es braucht immer wieder professionellen Input von außen. Und die Kooperationen tragen auch zur stärkeren Vernetzung der Schule in der Region bei. Dafür benötigt sie aber weiterhin zusätzliche Mittel, deren Akquise paradoxerweise durch die Einbindung der kulturellen Bildung in den Unterricht – auch wenn es bildungspolitisch der sinnvolle Weg ist – erschwert wird, da viele Förderprogramme an außerunterrichtliche Maßnahmen gekoppelt sind.

Unterrichtsentwicklung ist aus Sicht der Schulleiterin ein sehr langer Prozess, der nicht durch kurzfristige Maßnahmen zu beschleunigen ist; insofern sieht sie sich eher am Anfang, was die langfristig messbaren Auswirkungen der "Kulturstunden" betrifft. Allerdings hatte das Kulturagentenprogramm starken Einfluss auf die Organisationsentwicklung der Schule, da es von Beginn an als fester Baustein im Stundenplan konzipiert war und dadurch entsprechende Strukturen, wie die "AG Kultur", entstanden sind. Bei der Personalentwicklung standen zwei Aspekte im Vordergrund: zum einen der Versuch, herauszufinden, welches Potenzial im Kollegium steckt und " … welches man noch herauskitzeln kann". Zum anderen die Hoffnung, durch das Programm – insofern es weitergeführt wird – für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer attraktiv zu sein.

Das Programm war von vornherein so angedacht, Nachhaltigkeit zu erreichen. Das ist an der Gemeinschaftsschule Rodeberg gelungen, weil die Schule die kulturelle Profilierung ­– vorausgesetzt, dass auch weiterhin Finanzmittel akquiriert werden können – mittlerweile auch allein fortsetzen könnte.