Kristin Haug
Schwetzingen: Eine Heimat
Kristin Haug

Schwetzingen: Eine Heimat

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Sarah Laue nimmt sich Zeit. Langsam lässt sie die Schülerinnen und Schüler Farbe in die Einweckgläser füllen. Gelb, grün, blau und rot. Dort lösen sich die Farben im Wasser auf, Schlieren bilden sich, farbige Muster tanzen in der Flüssigkeit. Sarah Laue studiert Kunst und ist für fünf Tage an die Comeniusschule in Schwetzingen gekommen, um förderungsbedürftigen Kindern die Welt der Farben zu zeigen.

In der ersten Juliwoche verwandelt sich das Schulgebäude in eine neue Welt. Fünf Tage lang erkunden die Kinder den Raum Schule, Zimmer für Zimmer, Gang für Gang, Hof für Hof. Klatschend laufen sie durch ihren Hort der Bildung, bauen Häuser aus Pappkartons, malen auf langen Papierbahnen bunte Bilder, basteln Hüte, experimentieren mit Farben.

Die Schule ist in Bewegung, sie macht sich auf den Weg in Richtung Kunst und mir ihr Sarah Laue und ihre Kommilitonen. Sie können an der Comeniusschule eine einmalige Erfahrung sammeln: Praxiserfahrung. Die Kulturbeauftragte und die Kulturgruppe der Schule haben Laue mit ihrem Professor Josef Walch für die Projektwoche an die Schule geholt. Seit fast 20 Jahren unterrichtet Walch Didaktik der Kunsterziehung an der renommierten Hochschule für Kunst und Design, an der Burg Giebichenstein in Halle. Walch gründete einst die Kunstinitiative Schwetzingen, die er stellvertretend auch leitet und die nun mit der Comeniusschule kooperiert.

"Ich bin ganz ohne konkrete Erwartungen hergekommen", sagt Sarah Laue. Sie hat sich in eine komplett neue Situation begeben, eine Situation, in der sie nicht so viel planen kann, sondern spontan und intuitiv arbeiten muss. Laue ließ sich von ihrem Gespür leiten und lässt die Schüler auf Tapetenbahnen malen. Doch nicht nur malen dürfen sie, sondern die Farbe auch fühlen, auf das Papier klatschen und darauf achten, wie sich das anhört. Sehr inspirierend sei das gewesen, sagt die Studentin.

Auf vielen Feldern unterwegs

Seit 2013 beteiligt sich die Comeniusschule am Kulturagentenprogramm. Eines der ersten Projekte befasste sich mit dem Thema Raum. "Es herrscht hier großer Wille, Kunst auch nachhaltig in den Unterricht mit aufzunehmen", sagt Kulturagent Nils Hoheußle Ein großes Glück sei es, dass es an der Schule so viele begeisterungsfähige Lehrer gebe, sagt Hoheußle. Er ist Soziologe, Dozent und Grafiker, versteht sich als Öffentlichkeitsarbeiter und Prozessbegleiter und Moderator. Als Kulturagent, sagt er, sei man auf wahnsinnig vielen Feldern unterwegs.

Kulturagent Nils Hoheußle

Für ihn ist es wichtig, nicht nur Lehrerinnen und Lehrer in die Organisation der künstlerischen Projekte einzubinden, sondern auch Eltern und vor allem Schülerinnen und Schüler. Hoheußle möchte in den Schulen, an denen er als Kulturagent tätig ist, Kunst und Kultur fächerübergreifend in den Unterricht einfließen lassen. Offene Konzepte und prozessorientiere Projekte sollen dabei im Vordergrund stehen. So haben etwa die Studenten mit den Schülern und Lehrern in der Projektwoche Ziele aus einem offenen Prozess heraus entwickelt.

Der Kulturagent sagt, es sei wichtig, eine Haltung für kulturelle Bildung an den Schulen aufzubauen. "An einigen Schulen arbeiten ältere Lehrer, die klare Linien haben, an denen sie sich schon seit Jahren orientieren." Für sie sei es manchmal schwer, sich zu öffnen. "Es braucht viel Zeit, weil es an den Schulen so wenig Zeit gibt, etwas ins Rollen zu bringen", sagt Hoheußle. Und um Kunst nachhaltig an Schulen zu verankern, müsse man starre Strukturen ändern und neue Zeitkontingente schaffen. Es sei die Aufgabe des Landes, Signale zu setzen. Vor allem die Lehrerfortbildung sei sehr wichtig.

Der Kulturagent organisiert, vermittelt, hilft, verhandelt. Manchmal sei es nicht leicht zwischen Künstlerinne und Künstlern sowie Lehrerinnen und Lehrern zu stehen. "Da gibt es ganz viele Fettnäpfchen, in die man von beiden Seiten aus treten kann", sagt Hoheußle. Dann muss er in seine Rolle als Mediator treten und erklärt er den Beteiligten die Lage des jeweils anderen.

Eine Finanzierungsfrage

Wie kann man bei solchen Bedingungen nachhaltige Strukturen schaffen? Hoheußle sagt, das sei eine Finanzierungsfrage, die stark an Personen gebunden sei. Der Kulturagent will seine Schulen dazu bringen, dass sie selbstständig Mittel akquirieren. "Ich versuche mich in den vier Jahren selbst abzuschaffen, das ist mein Auftrag", sagt er. "Wenn ich dann gehe und alles läuft von allein, dann habe ich meinen Auftrag erfüllt."

"Den Arbeitskreis, den die Kulturagenten an ihren Schulen aufbauen, der muss leben", sagt er. Es sei gut, wenn sich darin mehrere Personen beteiligten. Dass, wenn ein Lehrer also wegfalle, nicht das ganze Projekt sterbe. Mit der Comeniusschule hat Hoheußle eine Institution gefunden, die anders ist. Es gibt sieben Lehrerinnen und Lehrer in der von ihm gegründeten Arbeitsgruppe, allesamt Sonderpädagogen, die Lust auf Kultur haben und sich Zeit dafür nehmen wollen. Die einen interessieren sich für Musik, die anderen für Filme oder auch für die bildende Kunst.

Fotos: Kristin Haug

Hoheußle sagt, die Lehrerinnen und Lehrer seien es hier gewohnt, spontan auf Dinge zu reagieren. Es herrsche eine große Offenheit im Kollegium. Und das sei wichtig für das Kulturagentenprogramm. Nur wenn es keine allzu starren Strukturen gebe, könnten Dinge verändert werden. Und, wenn das Land den Schulen mehr Zeit für Kunst und Kultur zugestehen würde.

Joseph Walch von der Kulturinitiative Schwetzingen sieht die Comeniusschule auf dem richtigen Weg. "Es gibt bei vielen Schülern eine unglaubliche Neugier und Kreativität", sagt er. Das Ziel sei der Prozess, nicht das sichtbare Ergebnis. Seine Erfolge, sagt der Professor, sehe er wenn die Kinder glücklich sind, wenn sie die Schule nicht mehr als Schule, sondern als Heimat begreifen. Sein Erfolg sei das Lächeln der Kinder.