Martina Siegwolf
Come on … light my fire
Martina Siegwolf

Come on … light my fire

Vom Umgang mit Institutionen, Systemen und Modellen

Kurzbeschreibung

Workshop 2 Was passt (zu) uns? Ziele und Potenziale unterschiedlicher Kooperationsmodelle Ein traumhaftes Ballkleid, aber leider nur in XXS. Ein edler Wollpullover, der jedoch kratzt. Was tun? Eine zentrale Erfahrung bei Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen ist diese: Zu Beginn existieren beiderseits Vorstellungen und Modelle, die oft nicht zu dem passen, was der andere braucht. Wie gelangt man dennoch zu einer befriedigenden Zusammenarbeit? Können existierende Modelle passgenau gemacht werden, oder sollten die Partner neue maßgeschneiderte Formate entwickeln? Wie passen die unterschiedlichen Modelle zu den beteiligten Akteuren und den Voraussetzungen, die sie mitbringen? In diesem Workshop sprechen wir darüber, wie sich produktive Handlungsräume und neue Ideen für die Zusammenarbeit finden lassen.

Die Institution Schule ist bekanntlich ein System, das in ein zeitliches, personelles und inhaltliches Korsett von Stundentafeln, Lehrplänen, didaktischen und pädagogischen Auffassungen, Zielvorstellungen und Bewertungen eingebunden ist. Auch wenn sich eine Schule als Kulturschule profilieren möchte, sind diese Strukturen tief im System verankert. Ebenso unterliegt das System Kunst und Kultur Spielregeln, Konventionen und Erwartungen, die Kunst- und Kulturschaffende zwar mit ihrer künstlerischen Arbeit zum Teil hinterfragen; trotzdem sind auch sie Bestandteil dieses gesellschaftlich definierten Körpers.

Zwischen diesen beiden Systemen als Schnittstelle vermitteln die Kulturagentinnen und Kulturagenten als eine institutionsunabhängige "freischwebende Instanz", wie es die Kulturagentin Eva Maria Stüting aus Hamburg treffend formuliert. In vielfältiger Weise nehmen sie dabei die Rolle und die Funktion des Beraters, Organisators, des Übersetzers und auch des Mediators ein. Dass eine solche Liaison zwischen Schule und Kunst nicht immer reibungslos verläuft, liegt auf der Hand, denn es begegnen sich unterschiedliche Strukturen, Denk- und Arbeitsweisen, die miteinander kreativ kooperieren und im besten Fall voneinander lernen sollen.

Im Laufe des Workshops wurden verschiedenste Projekte und Perspektiven dieses Prozesses von sechs Kulturagentinnen und Kulturagenten, zwei Kunstschaffenden, vier Lehrkräften und fünf Vertreterinnen und Vertretern von Kulturinstitutionen lebhaft und engagiert verhandelt. Ausgangsbasis der Diskussion waren drei Beiträge. Im ersten Input stellten die Kulturagentin Johanna Niedermüller und die Lehrerin Sandra Weber im Dialog ihr Kooperationsprojekt vor und erläuterten ihre Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden und verschiedenen Institutionen. Den darauf folgenden Vortrag hielt die Kuratorin Theresia Kiefer aus der Perspektive der Kulturinstitution. Sie stellte ein partizipatives, von einem Kunstmuseum initiiertes Projekt im öffentlichen Raum vor, das nicht zum Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen" gehört. Im letzten performativen Beitrag inszenierten die beiden in Hamburg tätigen Kulturagentinnen Eva Maria Stüting und Ruth Zimmer ihre Erfahrungen und Erkenntnisse. In ironisch präziser Weise führten uns die beiden Theaterfrauen das Spannungsfeld ihres Arbeitsbereiches vor Augen.

Praxisbeispiel 1
Kooperation von Schule aus: "LOOK! – Rap Clip Ostheim"

Die Kooperationspartnerinnen Johanna Niedermüller, Kulturagentin im Schulnetzwerk Stuttgart, und Sandra Weber, Musiklehrerin an der Werkrealschule Ostheim, stellten gemeinsam ihr Videoprojekt "LOOK! – Rap Clip Ostheim"1vor. Sie sind ein eingespieltes Duo, das vermitteln ihr Auftritt und ihr dialogischer Vortrag sofort. Dass ihre Zusammenarbeit produktiv war, zeigte auch der Videoclip.

In mehreren Einzelschritten kreierten Jugendliche von April bis Juli 2013 (circa fünf Schulstunden pro Woche) mithilfe eines Videokünstlers, eines Rappers, eines Breakdancers, einer Szenografin und der Lehrkräfte ihren eigenen Musikclip. Sie erhielten so Einblicke in Orte künstlerischer Produktion, sie hatten Begegnungen und machten Erfahrungen mit professionell arbeitenden Kunstschaffenden. Die Stars im Video sind die Jugendlichen selbst mit ihren Fähigkeiten, Wünschen und Sorgen, und so wird der Clip auch zu einer Art "Empowerment" der jungen Menschen. Sie sind nicht Schülerinnen und Schüler, die einen Lehrstoff büffeln, sondern sie nehmen an einem "coolen" Videoclip teil, der es ihnen ermöglicht, sich in einem neuen Kontext und Medium zu erfahren. Ein solches Format stärkt offenkundig ihr Selbstvertrauen und fördert bestenfalls ihre Persönlichkeitsentwicklung. Der Rollenwechsel vom Videoclip-Konsumenten hin zum in der Gruppe kooperierenden Produzenten trägt möglicherweise dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler mit einer veränderten Haltung Videos anschauen und kritischer konsumieren. Aneignung und Auseinandersetzung mit künstlerischen Arbeits- und Lebensweisen und somit auch mit neuen Sichtweisen haben wahrscheinlich ihren Horizont erweitert.

Was ein solches Projekt nicht leisten kann und bestimmt auch nicht leisten will, ist, dass die Schülerinnen und Schüler der Werkrealschule selbständig ein Video schneiden, einen Rap komponieren oder lernen, ein Bühnenbild zu gestalten. Die Auseinandersetzung mit dem Medium bewegt sich affirmativ entlang des Bekannten und eröffnet, der Alters- und Schulstufe angepasst, einen eigenen Umgang mit verschiedenen künstlerischen Ausdrucksweisen.

Ein sehr gelungener Aspekt des Projekts, so Sandra Weber, sei die Premiere im Filmsaal des Stadtmedienzentrums gewesen. Das Werk der Jugendlichen wurde nicht im Schulzimmer oder in der Aula vorgeführt, sondern in einem außerschulischen, öffentlichen Kulturort. Die städtische Institution Stadtmedienzentrum war somit nicht nur Produktionsstätte, sondern auch Kooperationspartner für den öffentlichen Auftritt. Dies habe organisatorisch für die Betreiber zwar eine neue Herausforderung dargestellt, wie Johanna Niedermüller eindrücklich schilderte, denn auf den großen Publikumsandrang, der auch die starke Identifizierung und Partizipation der Eltern mit dem Projekt aufzeigte, sei die städtische Institution nicht vorbereitet gewesen. Auch hier ging es um eine Erweiterung des Einflussbereichs, den die jungen Menschen innerhalb und mit der Institution Schule erlebten und mit ihnen auch alle beteiligten Kooperationspartner. Produktiv wertvoll für das Projekt waren auch die Musikschule, mit der die Schule schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet, sowie die Evangelische Gesellschaft (eva), die ihre Nachmittagsprojekte (Hip-Hop-AG) auf das Projekt hin abstimmte.

Die Kulturagentin und die Lehrerin eröffneten mit dem Videoprojekt "LOOK! – Rap Clip Ostheim" Vernetzung und Austausch zwischen Eltern, Schule und örtlichen Kulturträgern, was ohne das Kulturagentenprogramm sicherlich nicht realisierbar gewesen wäre, denn der kommunikative, vernetzende und vermittelnde Aufwand zwischen den verschiedenen Systemen musste intensiv kultiviert werden. Niedermüllers umfangreiches künstlerisches Netzwerk, das die Kulturagentin als Regisseurin und Schauspieldozentin mitbrachte, sei für das Gelingen des Projekts die Voraussetzung gewesen, meint Weber. Die Kulturagentin übersetzte mit Unterstützung der Lehrerin zwischen verschiedenen Systemen, die sie aus ihrer eigenen künstlerischen Praxis heraus kennt. Auch für die künstlerisch freischaffenden Kooperationspartner wie den Videokünstler, den Rapper, den Breakdancer und die Szenografin nimmt die Kulturagentin eine vermittelnde Rolle zwischen den Systemen Schule, Institutionen, den Kunstschaffenden und künstlerischen Verfahren sowie den schulischen Arbeitsweisen ein.

Die Aura eines Rappers beispielsweise, betonte Niedermüller, könne nicht künstlich hergestellt werden und bewirke bei den jungen Menschen eine Faszination, die sie ins Projekt involviert. Ebenso eröffnete die Szenografin durch ihr unglaubliches Netzwerk Zugänge zu Requisiten und Kostümen aus dem SWR-Fundus und organisierte eine Dreherlaubnis in der Mercedes-Benz-Arena, was für die jungen Menschen ein unvergessliches Erlebnis bleiben wird. Dass die Zusammenarbeit zwischen der Kulturagentin, der Lehrerin und den Kunstschaffenden erfolgreich war, ist auf ein großes Engagement aller Beteiligten zurückzuführen. Wichtig für das Gelingen des Projektes war für Niedermüller und Weber eine intensive Planungsphase, das Delegieren der Aufgaben an die jeweils Zuständigen, die Suche nach geeigneten, offenen und flexiblen Kooperationspartnern und eine gute Absprache zwischen Kulturagentin und Lehrerin.

Das Kulturagentenmodell bietet im Projekt für alle Beteiligten eine Erweiterung ihrer Handlungsbereiche und Begegnungen. Dass für diese Altersgruppe und Schulstufe das Projekt passt und das Format maßgeschneidert ist, vermittelt der Videoclip und die Präsentation der beiden Kooperationspartnerinnen in überzeugender Weise.

In der sich anschließenden Diskussion schilderte die Tänzerin und Choreografin Christina Liakopoyloy vom Nostos Tanztheater Heidelberg ihre Erfahrungen aus einer Kooperation mit einer Mannheimer Realschule zum Thema "Mobbing". Sie betont, dass der zeitliche Rahmen von zwei Monaten für das Projekt zu eng gefasst war, denn die Schülerinnen und Schüler hätten viel Zeit gebraucht, um sich an das Tanzen als Ausdruck eigener Emotion zu gewöhnen. Erst nach vielen Stunden eröffnete sich, so Liakopoyloy, das Tanzen als intensives Erlebnis. Zuvor herrschte die Meinung vor, "Tanzen sei schwul". Als schwierig stellte sich auch die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften heraus. So wäre eine Lehrerin aus Sicht der Tänzerin "abkommandiert" worden, das Projekt zu begleiten, und diese sei der Meinung gewesen, dass die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler das gar nicht könnten. Die Konstellation wie auch das Thema und deren Umsetzung stand in diesem Kulturagentenprojekt unter einem schwierigen Stern. Ich vermute, dass "Design", "Moodboard" und "Schnittmuster" weder zum Stoff noch zum Träger des Kleides passten.

Im Workshop eröffnete sich an diesem Beispiel eine engagierte Diskussion darüber, welche Voraussetzungen für das Gelingen eines Projektes wichtig seien. Sandra Weber argumentierte, dass die Lehrkräfte von starren Lehrplänen der Schule abweichen müssten und dies dank Schwerpunktverteilung möglich sei. Dies bezweifelten jedoch andere Workshopteilnehmende, da jedes Bundesland dies anders handhaben würde. Eva Maria Stüting ergänzte, dass, wenn eine Schule Kulturschule sei, diese auch kontinuierliches Arbeiten und Grenzüberschreitungen ermöglichen sollte, da dies für die Realisierung von Projekten wichtig sei. Wo jedoch ein Konfektionsfehler vorliege, könne nur eine genaue Analyse des "Kleidungsstücks" mit den verschiedensten Kooperationspartnern klären, was jedoch in Bezug auf das Heidelberger Beispiel nicht möglich war, da nur ein Partner bei der Diskussion im Workshop anwesend war.

Kooperation aus Sicht der Institution: "hack-museumsgARTen"

Theresia Kiefer, Kuratorin am Wilhelm-Hack-Museum, präsentierte in ihrem Beitrag das Urban-Gardening-Projekt "hack-museumsgARTen" in Ludwigshafen. Seit 2012 pflanzen ca. 200 Personen in Kisten und auf Paletten Blumen, Gemüse und Kräuter an und verwandeln den kahlen Platz hinter dem Museum auf einer Fläche von 1.000 qm in eine grüne Oase und in einen Ort der Begegnung und des gemeinsamen Aushandelns. Die Urban-Gardening-Bewegung, die ihre Wurzeln in den 1970er Jahren hat, als New Yorker Bürgerinnen und Bürger mit den "community gardens", den Gemeinschaftsgärten, brachliegende Flächen innerhalb der Stadt kultivierten, stand dem Projekt Pate. Das Wilhelm-Hack-Museum eignete sich diese Strategie an, um die Institution zu öffnen und ein neues Publikum zu involvieren. Die Kunst des Miteinanders steht dabei im Mittelpunkt: "Jeder darf Mitgärtnern: Privatpersonen, Kindergärten, Schulen, Vereine und Gruppen, reich oder arm, groß oder klein"; so wird das Projekt als ein Ort kultureller Gleichstellung und Partizipation auf der Webseite des Museums präsentiert.2Das Projekt startete mit der Einladung an den Künstler Peter Lang, auf dem tristen Vorplatz des Museums in einem Container zu leben und zu arbeiten. Durch Gespräche des Künstlers mit Passantinnen und Passanten wurde klar, so Theresia Kiefer, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich nicht trauten, das Museum zu besuchen. Die Entscheidung, den Museumsvorplatz für Kunstaktionen stärker einzubeziehen, wurde vom Leitungsteam des Museums getragen, woraufhin Kiefer dieses partizipative Community-Projekt in Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern initiierte. Bei der Eröffnung des Gartens herrschte großer Andrang.

Foto: Roland Baege/Forum K&B

Das Projekt wirft viele Fragen in Bezug zu Kooperation, Grenzen und Möglichkeiten des Systems Kunst und Kultur auf: Welche Funktion hat die Institution Museum im Projekt hack-museumsgARTen, und welchen Stellenwert nimmt das Projekt für das Museum ein? Handelt es sich um eine Erweiterung des institutionellen Kunstbegriffs und Selbstverständnisses als öffentlicher Ort der politischen, sozialen, aktivistischen und städtischen Debatte und Partizipation? Hinterfragt es institutionskritisch Produktions-, Präsentations- und Rezeptionskontexte? Für die Kuratorin Theresia Kiefer ist wichtig, dass museale Barrieren durch das Einbeziehen der Bevölkerung überwunden werden. Der Garten sei ein Ort kultureller Gleichstellung: Unter den teilhabenden Gruppen seien Netzwerke entstanden, die über soziale Grenzen hinaus funktionieren, womit das Kunstmuseum in der städtischen Kulturlandschaft eine veränderte Rolle einnehmen könne.

Zur Frage nach Funktion und Rolle von Kulturinstitutionen bei Kooperationen berichtete Constanze Schröder, Leiterin der Museumspädagogik des Stadtmuseums Berlin, über die Ausstellung "BERLINmacher! Porträts – ein Netzwerk". Im Rahmen des Kulturagentenprogramms hat das Museum zusammen mit der Kulturagentin Michaela Schlagenwerth die Hörspiel-AG "So leben wir in Berlin" initiiert. In dieser AG erforschten Jugendliche Orte ihrer Stadt und ihres Alltags. Mit einem Aufnahmegerät haben sie ihre Geschichten festgehalten, die ihr Leben in Berlin beschreiben. Diese Audioarbeiten waren fester Bestandteil der Ausstellungsdramaturgie des Stadtmuseums und somit in die Ausstellung vollwertig integriert. Ein wichtiges Ergebnis einer weiteren erfolgreichen Kooperation zwischen Schule, Museum und Kulturagentin war, dass ein muslimischer Schüler nach Absprache mit seinen Eltern der Sammlung des Museums seinen Beschneidungsumhang schenkte. Er machte damit das Museum zu einem Ort, der mit seiner Identität verbunden ist. Für die Sammlungstätigkeit eines Stadtmuseums bedeute dies, so Schlagenwerth und Schröder, dass sich aus dem Projektverlauf heraus neue Sammlungsinhalte eröffneten und eine neue Besuchergruppe, die sich fortan mit der Institution identifizieren könne, gewonnen wurde.

In beiden Kulturinstitutionen, in Ludwigshafen wie auch in Berlin, eröffneten partizipative Projekte für die Nutzerinnen und Nutzer neue Einflussbereiche, und die herkömmlichen Handlungsfelder der Museen wurden kritisch hinterfragt. Es bleibt jedoch offen, inwieweit sich die Museums- und Sammlungspraxis beider Museen auch in Zukunft kontinuierlich verändern und weiterschreiben wird. Dennoch ist ein erster Schritt der Involvierung der bisher "museumsfernen" Bevölkerung in museumspolitische Strukturen getan.

Zwei Systeme oder: ein Modell ...

Die Kulturagentinnen Eva Maria Stüting und Ruth Zimmer aus Hamburg (ver-)führten in ihrem sich anschließenden performativ inszenierten Beitrag "Zwei Systeme oder: ein Modell …" den Workshopteilnehmenden pointiert das Rollenspiel zwischen Schule und Kulturinstitution vor Augen. Mit künstlerischen Mitteln stellten die beiden Theaterfrauen ihre Arbeitssituation als Kulturagentinnen vor und reflektierten gleichzeitig die beiden Systeme, in denen sie tätig sind.

 

Lecture-Performance von Eva Maria Stüting und Ruth Zimmer

 

Eva Maria       Ruth
Zwei Systeme   oder: ein Modell

Beide schauen sich an und kleben sich Zuordnungen auf die Stirn:

Kulturinstitution   Schule
Künstlerische Arbeit gibt neue
Lernimpulse und verschafft Zugang
zu individueller Kreativität
   
    Naja, da können meine Schülerinnen
mal toben und Quatsch machen.... im Unterricht.
Ich bin gespannt auf Eure Schüler, auf Eure Vorstellungen und darauf, was wir daraus machen.    
    Ich glaube, Du hast die falschen Vorstellungen: Die 9 ist eigentlich unbeschulbar, und Kevin hat
einen Schulverweis ...
Meine SchülerInnen haben mir rückgemeldet, dass sie nicht verstehen, was Du eigentlich willst...
Dann erklär Du es ihnen doch,
Du bist doch die Lehrerin...
Ich habe eine große Idee...
   
    Das verstehen unsere SchülerInnen nicht, und außerdem passt es nicht in den Lehrplan...
Wir bräuchten einen Bühnenraum,
der komplett zu verdunkeln ist...
   
    Oh, nächste Woche haben wir die Aula nicht, aber im Klassenraum, also im Container, kann man die Fenster abhängen, Stoffreste hab' ich
noch zu Hause....
So kann ich nicht arbeiten...
Wir brauchen vier Monate für Proben im Unterricht, eine Projektwoche und zwei Probenwochenenden, dann
machen wir drei Aufführungen.
   
    Das kriege ich bei der Schulleitung nie durch, und in der Vorhabenwoche machen die Kinder
Sexualkunde... Der Unterricht ist in der ersten bis vierten Stunde, also von 7.55 bis 11.30 Uhr ...
Oh - lass uns um 9.00 Uhr anfangen, dann bin ich auch voll da.    
     
zwei Systeme   zwei Polaritäten
     
Mentalität
Kompetenz
Konzeption
Personal
Räume
Zeit
Finanzen
Prozess
Qualität
Ziele
  Mentalität
Kompetenz
Konzeption
Personal
Räume
Zeit
Finanzen
Prozess
Qualität
Ziele
     
Mentalität:    
offen, neugierig, empathisch   Scheuklappen, eingeengter Blick
Kompetenz:    
künstlerische Kompetenz   Vermittlung, Pädagogik
     
Konzeption:    
individuelle Konzeption   fertige Formen, Stundentafel
     
Personal:    
Freier Künstlerpool   gesetzte Person, Festanstellung
Räume:    
professionelle Arbeitsräume   "besetzte" Räume (mit Unterricht konnotierte Räume, belegte Räume)
Zeit:    
flexible Arbeitszeit   zeitliche Taktung
     
Finanzen:    
Etat, Budget   Null, Low Budget
     
Prozess:    
ergebnissoffen   ergebnisorientiert (Ich weiß, was rauskommen soll)
Qualität:    
Präsentation, Evaluation   Partizipation
     
Ziele:    
gute Show   Bewertung
     
Keine zwei Systeme   ein Modell
     

Beide schauen sich an, nehmen die Zuordnungszettel ab, tauschen die Plätze und kleben die Zettel der jeweils anderen Person auf die Stirn:

Schule

 

Kulturinstitutionen

Ruth:   Eva Maria:
     
Mentalität:    
     
offen, neugierig, empathisch   "Scheuklappen", eingeengter Blick
     
Kompetenz:    
künstlerische Kompetenz   Vermittlung, Pädagogik
     
Konzeption:    
individuelle Konzeption   fertige Formate, Spielplan
     
Personal:    
Kontakte zu freien Künstlern   gesetzte Person, festanstellung
     
Räume:    
professionelle Arbeitsräume:
gut ausgestattete Fachräume
  "besetzte" Räume (alles schon disponiert)
     
Zeit:    
flexible Arbeitszeit: Flexibilität
in der Stundentafel, geschaffene
Freiräume
  zeitliche Taktung
     
Finanzen:    
Etat, Budget: freie Honorargelder, Akquise   Null, Low Budget, keine Kulturförderung
     
Prozess:    
ergebnissoffen   ergebnisorientiert (Hauptsache Präsentation)
     
Qualität:    
Präsentation, Evaluation:
entwickelte Feedbackkultur
  Partizipation
     
Ziele:    
gute Show   gute Show
     


Beide treten einen Schritt nach vorne und die "Kulturagentin" (Brigitte Rottländer-Wolff) kommt dazu und klebt sich ein Schild auf die Brust: Kulturagentin

Ruth: Brigitte: Eva Maria:
Ich bin ein preisgekröntes Künstlerkollektiv mit einer Konzeptidee, aber leider ist kein Budget da, obwohl ich ziemlich berühmt bin..    
    Der Theaterbereich der StS mit
drei engagierten KollegInnen
möchte gerne zusammenarbeiten,
kann sich aber nicht einigen...
  (zum Künstler:) Dein Konzept ist spannend, mit wem würdest Du
denn arbeiten wollen?
 
Konzipiert ist es für die Zusammenarbeit mit Menschen aus dem Stadteil    
  Wie wäre es mit SchülerInnen?  
Ja, warum nicht...    
  (zur Schule:) Wie könntet Ihr
besser konzeptionell arbeiten?
 
    Vielleicht doch mit professioneller
Unterstützung...?
  Könntet Ihr Euch vorstellen,
mit dem Künstlerkollektiv xy
zusammenzuarbeiten?
 
    Du meinst die xy? Die in dem H H
H-Theater aufführen?
  Ja, genau...  
    Könnten wir dann im Theater
aufführen?
  (zum Künstler:) Ich habe eine
Schule, die gerne mit Euch zusammenarbeiten würde.
Könnte die Premiere bei Euch
im Theater sein?
 
Prinzipiell schon, aber leider
haben wir keine Probenzeiten
für die Bühne bekommen ...
  Also, proben könnten wir bei uns
in der Aula ...
  (zum Künstler:) Wie lange
wäre denn die Probenzeit?
 
Wie üblich: acht Wochen am Stück...    
    Hallo? Schule?
  Könntet ihr Euch vorstellen, den Probenprozess über ein halbes Jahr zu strecken?  
Das hängt von den Finanzen ab.
Wir sind nicht gefördert worden ...
   
    Wir haben doch die Honorarmittel
aus der Ganztagsschule
  Ihr würdet einen Honorarvertrag mit monatlichen Abrechnungen bekommen, und ich würde einen Antrag für bezirkliche Sondermittel stellen, der spezielle sozialräumliche Projekte mit Jugendlichen fördert ...  
Das ist ja super, von wie viel SchülerInnen sprechen wir denn?    
    Na, ja: zwei Klassen im Jahrgang 8 und ein Neigungskurs im Jahrgang 9, also 60 SchülerInnen...
UFF...    
  Ihr könntet in drei Projektgruppen arbeiten. In jeder Gruppe begleiten Euch ein oder zwei erfahrene TheaterlehrerInnen. Das Konzept für die Gruppen müsst Ihr gemeinsam mit den LehrerInnen entwickeln...  
Das ist ja super!   Das ist ja super!
    Und wie kommen unsere Schülerinnen mit ins Spiel?
Na, auf deren Geschichten sind wir doch angewiesen. Das ist doch das Konzept...    
    Oh, biografisches Theater, da wollte ich doch gerade eine Fortbildung machen...
  Na, das passiert doch jetzt prozessbegleitend...  
Toll! Toll! Toll!

 

Robbie Williams: "Let Me Entertain You."

 

Dass es sich bei der Zusammenarbeit zwischen Schule und Kulturinstitution um einen lebendigen Organismus handelt, der eine gemeinsame Entwicklung erfährt, verdeutlicht die Lecture-Performance nur zu gut. Diese Prozesse durch moderierte Gespräche zwischen Schule und Kulturinstitution zu unterstützen und dabei die Bedürfnisse beider Seiten zu formulieren, ist Aufgabe der Kulturagentinnen und Kulturagenten. Eine defizitäre Betrachtung von Schule in diesem Zusammenhang ist nicht sinnvoll, denn beide Seiten sind an ihre Strukturen gebunden und sollten einen gemeinsamen Weg finden wollen. Ruth Zimmer und Eva Maria Stüting ergänzen dies mit ihrer Idee einer flexiblen Kulturagentenambulanz, die je nach Bedarf "ausrückt", um das Qualitätsbewusstsein der Kulturschulen maßgeschneidert zu stärken und engagierte Kooperationen mit außerschulischen Kulturpartnern zu befördern. Manche Prozesse brauchen eine längere Begleitung durch eine Kulturagentin/einen Kulturagenten, weswegen Schulen verschiedene Module der Unterstützung zur Verfügung gestellt werden sollten, die zwischen Beratung, Coaching, Projektbegleitung und einem intensiven Format der kulturellen Schulentwicklung differieren können. Dies wären eine sinnvolle Fortentwicklung der bereits erarbeiteten Strukturen und ein Schritt auf dem Weg der Verstetigung.

Zeichnung der "Kulturagentenambulanz" von Sandra Bach, während des Workshops entstanden
Foto: Martina Siegwolf

Aus meiner langjährigen persönlichen Erfahrung als Leiterin für Vermittlung und Bildung am Museum für Gegenwartskunst Basel waren Kooperationen zwischen verschiedenen Institutionen immer dann produktiv, wenn sich zwischen den Partnerinnen und Partnern eine Atmosphäre des gemeinsamen "Feuers" entwickelte und institutionelle Spielregeln unter dieser Wärme wegschmolzen und in einen neuen Aggregatzustand wechseln konnten. Eisig eingespielte Rituale und Wertesysteme können sich so verflüssigen, neue Energien und damit auch Spielformen und Qualitäten sich eröffnen. Solche performativen, iterativen Prozesse in Kooperationen sind oftmals nur schwer zu verordnen, und wohin sie in Zukunft führen, ist meistens nur vage auszumachen. Es lassen sich jedoch erst dann produktive Handlungsräume implementieren, wenn sie reflexiv analysiert werden und die Institutionen und Akteure daraus weiterwachsen und neue Bereiche für sich eröffnen. Dafür müssen aber unbedingt längerfristig finanzielle und personelle Ressourcen geschaffen werden, welche die Projektphasen überdauern. Darin liegt meines Erachtens das Potenzial des Kulturagentenprogramms, weil es auf verschiedenen Ebenen sowohl im System Schule wie auch im System Kunst eine Transformatorenfunktion einnimmt und dabei helfen kann, dass Institutionen sich kreativ weiterentwickeln können. Politische, soziale und gesellschaftliche Relevanz erhalten Initiativen und Modellprojekte aus meiner Sicht jedoch erst dann, wenn sie in der Institutionshierarchie und Wertestruktur einen Platz auf Augenhöhe einnehmen können.

 

 

 

1www.youtube.com/watch?v=BD4Ke9usF00 [11.7.2014].

2www.wilhelmhack.museum/ausstellungen/hack-museumsgarten.html [11.7.2014].