
Hamburg: Eine neue Ära
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Was kann ein Kulturagent in einer Schule bewirken, an der schon alles perfekt organisiert ist und es viele Kunstprojekte gibt? Analysieren, wo man ansetzen und noch etwas verbessern könnte. Wie ein Hamburger Kulturagent eine langjährige Schulveranstaltung modernisierte.
Eine Aula in Hamburg. Ein Abend im Juni. Der Saal ist dunkel. Schüler sind hier und Lehrer und Eltern und Künstler und Schwestern, Brüder, Großeltern. Ein paar Dutzend Mädels haben sich schminken lassen, tragen schicke Kleider. Meist sind die Roben kurz geschnitten, meist sind sie farbenfroh und manchmal, da sind sie bestickt. Das Licht geht aus und auf einen Schlag flimmert eine Video-Installation über ein paar im Raum verteilte Leinwände. Jungs in Turnschuhen schlurfen über Schulflure und laufen Treppen hinunter. Führen Stunts mit ihren Skateboards vor. Und binnen Sekunden verwandelt sich die Aula in einen Showroom.
Mädchen präsentieren ihre Kleider wie auf einer echten Modenschau. Doch sie laufen nicht nur über den Laufsteg. Manchmal stupsen sie sich an. Manchmal bleiben sie stehen. Einmal schütteln sie ihre Haare. Einmal laufen sie unter einem zum Tunnel gespannten Tuch durch. Einige von ihnen schauen sehr ernst. Andere müssen lachen. Manche treten schüchtern auf, andere selbstbewusst. Einige tragen Stöckelschuhe, andere laufen barfuß.
Schon seit 20 Jahren wird an der Stadtteilschule in Hamburg-Farmsen Mode unterrichtet. Der Lehrer David Müller kaufte damals Nähmaschinen und begann Schülerinnen in Modedesign zu unterrichten. Müller begriff Modedesign als weiteres künstlerisches Fach neben Theater, Musik, Kunst und Tanz. Viele Mädchen nahmen das Angebot an und entwarfen ein Kleidungsstück, das sie selbst tragen konnten und präsentierten es am Ende des Schuljahres.
Generationenwechsel
Vor einem Jahr ging Müller in Rente und zwei junge Kolleginnen übernahmen seinen Posten. Kulturagent Matthias Vogel nutzte den Wechsel, um als Kulturagent die Abschlusspräsentation des Mode-Unterrichts zu verfeinern, neue Künstler an die Schule zu bringen und die Veranstaltung zu entstauben. Etwa sollten die Kleider nicht mehr einfach nur durch Laufen präsentiert werden, sondern eingebettet in einer richtigen Performance. Vogel machte sich auf die Suche, stellte den Kontakt zu zwei Performance-Künstlerinnen her, die an Hamburger und Berliner Bühnen inszenieren. Und der Kulturbeauftragte der Schule, Ulrich Schötker, holte einen Künstler an die Schule, der mit den Schülern für die Präsentation ein Bühnenbild entwarf.
Schötker sagt, das Kulturagenten-Programm spiele in Farmsen eine Sonderrolle. "Bei uns passiert eh schon ganz viel. Wir haben das Programm recht schnell für uns gekapert und mit unserer Schulentwicklung verzahnt." Das sei der Schule vor allem zugutegekommen, weil in den vergangenen Jahren rund 70 neue Kolleginnen und Kollegen dazugekommen seien. Der Generationenwechsel sei nicht leicht gewesen.
"Wir hatten das Gefühl, dass wir was anderes aus dieser Veranstaltung machen müssen", sagt Schötker. Für ihn ist Schule mehr als nur Unterricht. "Wie kann man Schulkultur verstärkt mit Unterricht verzahnen?" Ziel müsse es sein, den Schulkalender genau zu planen und die Kollegen an einen Tisch zu holen.
An anderen Schulen, sagt Kulturagent Vogel, sei er stärker in die Realisierung der Projekte eingebunden. Er müsse sich etwa darum kümmern, dass Räume für Projekte verfügbar sind oder um die Freistellung von Lehrern bitten. Doch in Farmsen sei das anders, die Schule sei sehr gut organisiert. In den vergangenen Wochen hätte er wenig an der Schule machen müssen. Ein Wunschzustand. Vogel habe wesentlich beim Förderantrag mitgewirkt, sich den Namen "Farmsen Fashion Week" ausgedacht und in Absprache mit Ulrich Schötker die Performancekünstlerinnen engagiert. Der Kulturbeauftragte der Schule hat zudem einen Modefotografie-Workshop für die Schüler ins Leben gerufen und sich etwas für das Begleitprogramm überlegt. Das war"s. Wie ein Uhrwerk funktionieren die einzelnen Teilchen der Schule. Es gebe sogar eine Kooperation mit einer Friseurschule, deren Azubis den Schülern die Haare stylten.
An die Grenzen ihrer Kapazitäten
Freiwillig hätten Schüler, Lehrer und Künstler am Wochenende geprobt. So eine Veranstaltung, sagt Vogel, bringe die Lehrer an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Wie viel kann Schule leisten? Camilla Feher, eine der beiden Choreographinnen, hat drei Wochenenden lang mit 90 Mädchen und ein paar Jungen die Performance geprobt. Sie habe einige Schüler davon überzeugen müssen, hart zu arbeiten, zusammenzuhalten, um das Neue auf die Bühne zu bringen. Doch niemand habe etwas machen müssen, was er nicht wollte. "Jeder sollte sich wohlfühlen. Und am Ende haben sie verstanden, wie sich alles zusammenfügt", sagt Feher. "Jede Gruppe hatte eigene Bewegungen und Elemente, die sie in ihre Performance eingebaut haben. Und sie waren stolz darauf."
Nach der Performance sitzt Karima Magdanz mit ihren Freunden auf dem Schulhof. Aus der Schule dringt Musik nach draußen, drinnen legen zwei DJs auf. Matthias Vogel wollte eine After-Show-Party. Das müsse schon sein, sagt er. Das gehöre dazu. Magdanz trägt ein lachsfarbenes Kleid. Am Oberkörper sitzt es eng und ist geschnürt und unten hat die Schülerin Hunderte kleiner Stoffstücke an das Kleid genäht. Es sieht aus wie ein Haute-Couture-Werk. Modedesign sei ihr Lieblingsfach, sagt die Schülerin.
Die vergangene Woche habe sie jeden Tag an dem Kleid genäht – bis zu sieben Stunden. Magdanz hat gelernt, Kleider zu entwerfen, sich Schnitte auszudenken, zu nähen. "Das ist meins", sagt sie. Am besten aber sei die Choreographie, das Licht, die Show gewesen. Alles habe gut zusammengepasst. Und aus einer Schul-Präsentation wurde eine Mode-Performance.