Kristin Pröger
Rollenklärung und Selbstmanagement
Kristin Pröger

Rollenklärung und Selbstmanagement

Mit dem Start des Kulturagentenprogramms im Herbst 2011 traten bundesweit 46 Kulturagentinnen und Kulturagenten ihre Arbeit an. Doch was sollte das überhaupt sein – ein Kulturagent? Natürlich gab das Modellprogramm eine Beschreibung der Aufgaben und Ziele vor. Doch was das im Berufsalltag bedeutete, musste zuerst ausgelotet werden. So standen die Kulturagentinnen und Kulturagenten anfangs vor einer Reihe von Fragen: Inwieweit soll ich den Schulen meine eigenen Ideen nahelegen? Oder arbeite ich nur mit dem, was von der Schule selbst kommt? Bin ich für das Projektmanagement verantwortlich? Oder stehe ich lediglich beratend zur Seite und halte mich ansonsten zurück? Gleichzeitig waren sie hoch motiviert, an den Schulen gemeinsam mit den Kulturpartnern richtig viel zu bewegen.

Das Finden der neuen Rolle vollzog sich in einem Kontext, in dem vielfältige Erwartungen von außen an die Kulturagentinnen und Kulturagenten herangetragen wurden. Jede der teilnehmenden Schulen hatte einen individuellen Unterstützungsbedarf, der mit spezifischen Vorstellungen verbunden war. Diese hingen vor allem davon ab, was es in der Schule bereits gab: So hatten beispielsweise einige Lehrkräfte schon mit ausgewählten Kulturpartnern zusammengearbeitet; die Rolle eines Begleiters für den Aufbau eines umfassenden Angebots kultureller Bildung an ihrer Schule war ihnen aber neu. Daher erwarteten viele Schulen von ihren Kulturagentinnen und Kulturagenten zunächst, dass sie das, was zuvor einzelne Kollegen im kleineren Maßstab umgesetzt hatten, nun in größeren Dimensionen durchführen würden – ohne ihren eigenen Anteil und die dafür notwendigen strukturellen Änderungen mitzudenken. Auch manche Kulturpartner gingen zunächst von Kulturagenten als Dienstleistern aus, die ihnen den Weg für ihre "fertigen" Vermittlungsangebote in die Schulen ebnen würden, ohne dass sie selbst mit den Schulen in einen Dialog treten müssten. Auch betrachteten sie die Kulturagentinnen und Kulturagenten häufig nicht als sinnvolle Ergänzung für die eigene Vermittlungsabteilung, sondern mitunter sogar als Konkurrenz.

Um mit derartigen Zuschreibungen und Erwartungshaltungen umgehen zu können, standen die Kulturagentinnen und Kulturagenten vor der Aufgabe, ihre Rollen und Arbeitsbereiche eindeutig zu klären. Das bedeutete zu allererst, die Bedürfnisse und Erwartungen der Schulen und Kulturpartner mit ihrem Auftrag seitens des Programms in Einklang zu bringen. Die Kulturagentinnen und Kulturagenten mussten also so etwas wie eine Standortbestimmung durchführen und ihren Verantwortungsbereich definieren, und zwar in einem Feld, in dem vielfältige, auch wechselnde Ansprüche formuliert wurden. Sie mussten sich dazu auch von ihrer vorherigen beruflichen Tätigkeit abgrenzen. Diejenigen, die vorher selbst als Kunst- oder Kulturschaffende tätig waren, mussten lernen, ihre künstlerische Expertise zwar einzubringen, aber am Ende anderen die Entscheidung über die Ausgestaltung von Projekten zu überlassen. In Thüringen, wo zum Kulturagententeam auch fünf durch das Land abgeordnete Kunstlehrerinnen gehörten, mussten diese einen Außenblick auf das System Schule einnehmen und sich in der neuen Rolle als Kulturagentin von ihren Lehrerkollegen abgrenzen.

Bei der ständigen Positionsbestimmung und Rollenklärung setzten die Qualifizierungsangebote der Länderbüros im Bereich Selbstmanagement an. "Unter Selbstmanagement versteht man das eigene organisierte und zielgerichtete Vorgehen bei der Erledigung von Arbeitsaufgaben und festgesetzten Zielen […]. Einer der ersten und entscheidenden Punkte für ein effektives Selbstmanagement ist die Zielfestlegung. Es folgen die Verhaltensänderung und das konsequente Hinarbeiten auf diese Ziele, um den gewünschten Erfolg und Zufriedenheit über die eigene Leistung zu erreichen."1

Diese Definition macht deutlich, weshalb das Thema "Selbstmanagement" stark mit der individuellen Rollenklärung der Kulturagentinnen und Kulturagenten verknüpft war: Erst wenn die Rolle klar bestimmt ist, lassen sich Arbeitsziele festlegen und in der Folge das professionelle Handeln daraufhin ausrichten. Diese Fähigkeiten – eigene Ziele zu formulieren, sie kontinuierlich verifizieren und anpassen zu können – waren zentral, denn nur so ließen sich die Arbeit in einem derart vielstimmigen Umfeld strukturieren, Erfolge überprüfen und am Ende auch Arbeitszufriedenheit erreichen.

Doch auf welcher Ebene sind die Ziele der Kulturagentinnen und Kulturagenten überhaupt angesiedelt? Sie sollen unterstützen und begleiten; ihre Arbeit erscheint daher vor allem an die Ziele anderer gebunden. Das Landesbüro Hamburg beispielsweise hat dafür in seinen persönlichen Beratungen folgende hilfreiche Unterscheidung eingeführt: die Differenzierung von Zielen nach Inhalt, Prozess und Struktur in der Arbeit mit den Schulen. Kulturagenten konnten also beispielsweise darauf fokussieren, bestimmte Inhalte in einer Kooperation zum Thema zu machen; parallel darauf hinwirken, dass Projekte und damit auch Prozesse partizipativer gestaltet werden; und auf der strukturellen Ebene dafür sorgen, dass ein Ort etabliert wird, an dem das Thema "kulturelle Bildung" konstant zwischen verschiedenen Lehrerkollegen verhandelt wird.

Eigene Ziele zu formulieren – dies war vor dem Hintergrund des neuen Ansatzes des Modellprogramms, einen Vermittler zwischen Schule und Kultur zu verorten, und den damit verbundenen hohen Erwartungen an das neue Berufsbild nicht ganz einfach. Es war deshalb umso wichtiger, sich in den Qualifizierungen auch die Grenzen der Rolle eines Kulturagenten bewusst zu machen und sich für die einzelnen Zielbereiche (Inhalt, Prozess, Struktur) realistische Arbeitsziele zu setzen.

Beispiel 1: Organisationsentwicklung

Eine Qualifizierung des Landesbüros Thüringen zum Thema "Organisationsentwicklung" griff beispielsweise diese Herausforderungen auf. Die Referentin Bettina Schäfer von proSchule2 machte mit einem spielerischen Perspektivwechsel durch eine Analyse der schulinternen Strukturen (Schulkonferenzen, Lehrerkonferenzen, Gesamtelternvertretung, Gesamtschülervertretung, Schulleitung, erweiterte Schulleitung, Fachschaften, Jahrgangsteams, Klassenkonferenzen) und durch eine Umfeldanalyse (Schulentwicklungsthemen der Bildungsministerien der Länder, Auflagen der Schulämter, Angebote anderer Stiftungen und Vereine) bewusst, wie komplex das Organisationsgefüge Schule ist.

So wurde deutlich, dass der Kulturfahrplan als ein wesentliches Instrument des Programms lediglich Teil eines viel umfangreicheren Schulprogramms sein kann, das wiederum von konkreten, oft über viele Jahre gewachsenen Schulstrukturen getragen wird und das eine ganze Reihe von Schulentwicklungsthemen miteinander verhandelt. Solche Qualifizierungsveranstaltungen halfen den Kulturagentinnen und Kulturagenten, ihre Wirksamkeit und die der im Programm entwickelten Instrumente besser beurteilen und einordnen, Themen der Schule miteinander in Verbindung setzen und passende Anknüpfungspunkte orten zu können. Qualifizierungen in dieser Form trugen weiterhin dazu bei, dass sich die Kulturagentinnen und Kulturagenten eine professionelle Gelassenheit in Hinblick darauf aneigneten, nicht alles verändern zu können, Abstand zu wahren, in manchen Angelegenheiten loszulassen. In einem Tätigkeitsfeld, das faktisch nie ausgereizt ist, in dem man immer noch mehr einbringen kann, sind dies wichtige und notwendige Eigenschaften, um die eigenen Ressourcen zu achten und Prozesse zu einem Abschluss zu bringen.

Das komplexe Tätigkeitsprofil der Kulturagentinnen und Kulturagenten setzte außerdem voraus, sich immer wieder auf die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zurückzubesinnen und diese gezielt einzusetzen. In den Qualifizierungen ging es also auch darum, herauszuarbeiten, wo die eigenen Stärken liegen, und sich darüber bewusst zu werden, in welchen Kontexten sie sich als nützlich erweisen. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass manche ihre Stärken nicht als solche erlebten; andere hingegen wurden sich bewusst, dass ihre Stärken – zum Beispiel ein hohes Maß an Kreativität, Flexibilität und Kommunikationsfähigkeit – nicht in allen Kontexten weiterhelfen, beispielsweise dort, wo viel Struktur und Genauigkeit gefragt ist. Grundsätzlich ging es aber in den Qualifizierungen nicht darum, nach Defiziten zu suchen, sondern die Wahrnehmung für das, was man gut kann, zu schärfen. Mit dem Wissen um die eigenen Stärken gingen die Kulturagentinnen und Kulturagenten auch "gestärkt" zurück und konnten ihren Arbeitsalltag selbstbewusst gestalten.3 Derartige Qualifizierungen bewirkten aber selbstverständlich auch, dass die Kulturagentinnen und Kulturagenten ihre eigenen Qualifizierungsbedarfe erkannten und dies zum Anlass nahmen, weitere Fortbildungsangebote anzufragen und innerhalb oder außerhalb des Modellprogramms wahrzunehmen.

In neueren Veröffentlichungen zum Thema wird der Begriff "Selbstmanagement" nicht mehr nur als zielgerichtete Erledigung von Arbeitsaufgaben verstanden, sondern als ein harmonischer Umgang mit sich selbst, welcher die eigenen Grenzen beachtet und den gesamten Arbeitskontext mit einbezieht.4 Auch diesem Begriffsverständnis wurde in den Qualifizierungsangeboten der Länderbüros Rechnung getragen.

Beispiel 2: Ruhemomente

Um die persönlichen Ressourcen in der Rolle als Kulturagent ging es beispielsweise explizit in einer Qualifizierung des Landesbüros Baden-Württemberg mit Doris Lindner, die freiberuflich als Business-Coach tätig ist. Sie bearbeitete folgende Fragestellungen: Wie kann das individuelle Selbstmanagement, aber auch konkret das Zeitmanagement, in einem so komplexen Arbeitsfeld aussehen? Welche Schlüsse lassen sich aus der Selbstbetrachtung der eigenen Arbeit ableiten? Helfen Rituale, den Arbeitsalltag zu strukturieren und zu entlasten? Neben der Rhythmisierung der Arbeitszeit, dem Setzen eigener Gewichtungen im Sinne einer Positionierung gegenüber den verschiedenen "Aufträgen" (vonseiten der Schulen, Kulturpartner, Landesbüros, Geschäftsstelle) wurde in dieser Qualifizierung auch die Bedeutung von Ruhemomenten hervorgehoben. Ruhe wird hier nicht im Sinne von Nichtstun, sondern im Sinne einer bewussten Konzentration und Fokussierung verstanden – sich Zeit nehmen, um auf bestimmte Dinge mit Abstand zu blicken, ohne direkt tätig zu sein. Gibt es keine Ruhemomente, können Unentschlossenheit in Bezug auf die Frage, welche Arbeitsaufgabe als nächste zu erledigen ist, Unbehagen bis hin zu Angst entstehen, das umfangreiche Arbeitspensum nicht zu schaffen.

Die Qualifizierungen bestärkten die Kulturagentinnen und Kulturagenten grundsätzlich darin, Aufgaben und Verantwortung abzugeben. Dies ist als Prozessbegleiter eine entscheidende Fähigkeit: klare Grenzen zwischen der eigenen Zuständigkeit und der der Schulen oder Partner ziehen zu können. Liest man sich die komplette Aufgabenbeschreibung eines Kulturagenten durch, wird schnell deutlich warum: Sie sollen für Schulen und Kooperationspartner ein fester Ansprechpartner sein, den Auf-und Ausbau von Kooperationen unterstützen, Projekte unter künstlerischen Fragestellungen begleiten, Prozesse dokumentieren und vieles mehr. Das alles kann man nicht allein leisten. Bringen sich die Schulen und Partner nicht oder nur wenig ein, wird die Kulturagententätigkeit schnell zu einem "Fass ohne Boden", der Aufgabenberg unüberschaubar, das Stresspensum ungesund. Zudem finden nur durch das "Selbsttun" Lernprozesse statt. Für die Nachhaltigkeit kultureller Bildung an Schule und Kultureinrichtungen war es deshalb wichtig, Aufgaben stufenweise zu übergeben. Am Ende des Modellprogramms sollten schließlich idealerweise beide, Schule und künstlerischer Partner, in der Lage sein, kulturelle Bildungsangebote ohne die Hilfe eines Vermittlers miteinander planen und organisieren zu können.

3. Beispiel: Konflikt und Widerstand

Zum Selbstmanagement gehört auch, was die beiden hier verwendeten Definitionen nicht explizit anführen: der Umgang mit Konflikten. In einem Arbeitsfeld, in dem unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen, gehören offene oder verdeckte Konflikte und Widerstände dazu und beeinflussen folglich die Ausübung der Kulturagententätigkeit. Auch dafür konnte Bettina Schäfer von proSchule sensibilisieren: Veränderung läuft nie ohne Konflikte und Widerstände ab. Nicht das Auftauchen, sondern das Ausbleiben von Widerstand ist beunruhigend, da dann das, was kulturelle Bildung im Kontext von Schule erfordert, womöglich gar nicht ernst genommen wird. Beim Widerstand stehen Emotionen im Vordergrund (Befürchtungen, Überforderung, Machtverlust); er drückt den Wunsch der Betroffenen nach Selbstbestimmung aus. Ursachen für Widerstand können sein, dass der Nutzen der Veränderung nicht hinreichend verstanden wird, Sichtweisen nicht berücksichtigt wurden oder Entscheidungsprozessen nicht genügend Raum gegeben wurde.

In diesem Fall heißt es, den Widerstand zuzulassen, die Gründe zu erforschen, wichtige Aspekte neu zu überdenken und gemeinsam Lösungen zu finden. Wichtig ist auch zu wissen, wer beispielsweise im Kollegium Widerstand leistet – nicht auf jeden Widerstand muss, in Hinblick auf das Gesamtziel, eingegangen werden. Diese Erkenntnisse halfen den Kulturagentinnen und Kulturagenten, Konflikte nicht persönlich zu nehmen und ihre professionelle Haltung auch in schwierigen Situationen zu bewahren.

4. Beispiel: Beziehungsmanagement

Das Landesbüro Baden-Württemberg ergänzte die Qualifizierung zum Thema "Konflikte" mit dem Thema "Beziehungsmanagement". Gemeinsam mit Nora Zeisel von PTA5, einer Beratungsagentur für Personal- und Organisationsentwicklung, die sich auf Change- Management-Prozesse in Unternehmen und die Begleitung von wichtigen Schlüsselpersonen in diesem Prozess spezialisiert hat, beschäftigten sich die Kulturagenten mit dem Thema Beziehungsqualität. Die erste Stufe von Beziehungsqualität ist der Small Talk, für das es typische Rituale gibt. Funktioniert diese Ebene in einer Beziehung, dann ist die zweite Stufe die des Austauschs von Fakten und Informationen. Gelingt dies, dann können dem Gegenüber in einer dritten Stufe auch Ideen und Bewertungen mitgeteilt werden, um dann schließlich auch beim Austausch von Gefühlen und Eindrücken und einer vertrauensvollen Begegnung anzukommen. Wichtig ist, dass die Stufen nacheinander erfüllt werden. Wenn mit einer Person kein ritualisiertes Kurzgespräch oder kein Austausch von Informationen möglich ist, sollte das Mitteilen von Gefühlen und Eindrücken erst einmal hintangestellt werden. Dies war ein wertvoller Input, um Gespräche anders zu planen und bestimmte Punkte in den Vordergrund zu stellen oder andere wegzulassen. Das Stufenmodell bewährte sich als ein geeignetes Hilfsmittel, die Beziehung zu unterschiedlichen Partnern bewusster gestalten zu können und sich selbst zu fokussieren.

Tools des Selbstmanagements

Die beschriebenen Qualifizierungsangebote waren jedoch nur ein Baustein, um die Kulturagenten in ihrer Rolle und ihren Aufgaben zu stärken. Die fünf Länderbüros schafften von Anfang an auch Räume, in denen die Kulturagentinnen und Kulturagenten das eigene professionelle Handeln reflektieren konnten. So fanden in den einzelnen Bundesländern in regelmäßigem Abstand Jours fixes/Austauschtreffen statt. In diesen Besprechungen hatten sie immer wieder die Möglichkeit, sich mit ihrer Rolle und ihrem Handeln im Berufsalltag auseinanderzusetzen und sich sowohl untereinander als auch mit dem Landesbüro auszutauschen. Zudem führten die Länderbüros zu festgelegten Zeitpunkten (monatlich, zum Schuljahresabschluss), aber auch bedarfsorientiert Einzelgespräche mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten. Dabei ging es um aktuelle Handlungsbedarfe und konkrete Herausforderungen.

Die unterstützenden Beratungen der Länderbüros trugen entscheidend dazu bei, dass die Kulturagentinnen und Kulturagenten in ihre Aufgaben hineinwachsen und ihren Verantwortungsbereich selbst bestimmen konnten. Eine solche Unterstützung durch das Landesbüro war nur möglich, weil es sich regelmäßig ein umfassendes Bild von der Arbeit der einzelnen Kulturagenten eingeholt, sie als Fachaufsicht sehr eng begleitet und im Landesteam immer wieder nachjustiert hat, worauf in den Einzelberatungen stärker fokussiert oder welche konkreten Qualifizierungsangebote angeboten werden sollten.

Kollegiale Fallberatung

Ein weiteres Unterstützungstool für das Selbstmanagement war die Methode der kollegialen Fallberatung. Sie lässt sich als ein Verfahren praxisbegleitenden Lernens und selbstorganisierter professioneller Praxisreflexion definieren[6 und bezieht sich auf konkrete Handlungssituationen beziehungsweise Fälle, die den Berufsalltag irritieren und für die eine Lösung benötigt wird.7 Das Selbstverständnis der kollegialen Fallberatung beruht auf der Annahme, dass es nicht die Aufgabe der Beratung sein sollte, aus Expertenperspektive "einen Rat zu geben", sondern dass es darum gehen muss, den Ratsuchenden beim Finden seiner eigenen Lösung zu unterstützen.8

Alle Länderbüros haben die Methode der kollegialen Fallberatung qualifiziert, gestalteten diese Qualifizierungen aber unterschiedlich und bezogen sich deshalb auch auf unterschiedliche Modelle. Die Länderbüros Berlin und Thüringen beispielsweise bezogen sich auf das Modell von Kim Oliver Tietze. Dieser differenziert die Rollen in der kollegialen Fallberatung nach Falleinbringer, Berater, Moderator und Protokollant und teilt den Beratungsvorgang in sechs verschiedene Phasen ein9:

  1. Casting: Der Moderator wird benannt und die Fallauswahl findet statt.
  2. Spontanerzählung: Der Falleinbringer schildert seinen Fall und reagiert auf Nachfragen der Berater.
  3. Schlüsselfrage: Der Falleinbringer formuliert seinen zentralen Klärungswunsch.
  4. Methodenauswahl: Das Team einigt sich auf eine Methode.
  5. Beratung: Die Berater teilen in Übereinstimmung mit der Methode ihre Ideen mit.
  6. Abschluss: Der Falleinbringer resümiert, welche Ideen passen könnten, welche eher nicht und bedankt sich bei seinen Beratern.

Mit Qualifizierungen zur kollegialen Fallberatung – in Thüringen beispielsweise mit Nora Schiller von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die durch ihre Erfahrungen im Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen" und in der Begleitung eines Referenzschulnetzwerkes von Ganztagsschulen das Prinzip des Voneinander-Lernens und der Beratung auf der Peer-Ebene gut transportieren konnte – gaben die Länderbüros den Kulturagentinnen und Kulturagenten eine Methode an die Hand, die offen für ganz unterschiedliche Fragen und Anliegen war und damit ihrem Aufgabenspektrum und ihren vielfältigen Herausforderungen gerecht wurde. So wurde die kollegiale Fallberatung auch vielfältig genutzt: zur Besprechung von fachlichen Fragen, die sich auf ein konkretes Projekt oder eine spezifische Kooperation bezogen, über Fragen auf der Beziehungsebene bis hin zu strategischen Fragen, wie beispielsweise zu der, wie bestimmte strukturelle Voraussetzungen an Schulen geschaffen werden können, um kulturelle Bildung langfristig und umfassend zu ermöglichen.

Dieser Austausch war für die Kulturagentinnen und Kulturagenten äußerst wichtig, denn in ihrer alltäglichen Arbeit an den Schulen waren sie auf sich gestellt. Zwar handelten sie alle im gleichen Auftrag, doch in der tatsächlichen Umsetzung vor Ort stand ihnen kein Teamkollege zur Seite. Das machte die Rückbindung an das landesweite Team so unentbehrlich, denn so konnten sich die Kulturagenten rückversichern, dass ihre Kollegen und Kolleginnen vor vergleichbaren Herausforderungen stehen. Es war zudem sehr hilfreich zu erfahren, wie die anderen mit bestimmten, oft auch schwierigen Situationen umgingen oder wie die Kolleginnen und Kollegen fachliche Fragen einschätzten. Sie kamen dadurch auf neue Ideen, fühlten sich bestätigt oder zumindest in ihrer eigenen Herangehensweise bestärkt. Auch der bundesweite Austausch der Kulturagentinnen und Kulturagenten im Rahmen der Akademie war dafür wichtig, da dort noch mehr Perspektiven zusammentrafen als im landesweiten Team.

Die Kulturagententeams griffen immer dann auf die Methode der kollegialen Fallberatung zurück, wenn eine eindeutig ichbezogene Fragestellung vorlag, der sie systematisch nachgehen wollten. In den Jours fixes/Austauschtreffen standen dafür feste Zeitfenster zur Verfügung, die die Kulturagenten eigenverantwortlich nutzen konnten. Häufig gab es allerdings auch ein allgemeines, unspezifisches Austauschbedürfnis, für das die stark strukturierte und formalisierte Vorgehensweise der kollegialen Fallberatung nicht passend war, da sich alle gleichermaßen äußern können wollten, ohne auf eine bestimmte Rolle festgelegt zu sein. Deshalb wurden die zur Verfügung gestellten Freiräume sowohl für eine konsequente Fallberatung als auch für offenere Austauschformate genutzt.

Die Länderbüros regten darüber hinaus die Bildung von Kulturagententandems an, die sich zu bestimmten Themen regelmäßig austauschen sollten. Zur kollegialen Fallberatung in der Gruppe kam damit die kollegiale Beratung unter vier Augen hinzu – auf Basis von persönlicher Sympathie und fachlichem Vertrauen.

Durch die kollegiale Fallberatung konnten die vielfältigen Kompetenzen der heterogenen Kulturagententeams abgerufen werden, wodurch die Qualität der Arbeit und die inhaltlich-fachlichen Kompetenzen der Einzelnen durch den Einbezug aller weiterentwickelt wurden. Auf der Ebene der persönlichen Fähigkeiten konnte die Kommunikationsfähigkeit erhöht werden: genaues Zuhören, präziser Ausdruck von Empfindungen, konstruktives Feedback geben und annehmen können. Auch wurden Rollenwechsel und Multiperspektivität "eingeübt", kurzum: Es wurden Fähigkeiten erweitert, die in einem Arbeitsfeld mit vielen unterschiedlichen Akteursgruppen (Lehrer, Künstler, Programmakteure) enorm wichtig sind. Die gegenseitige Beratung hat darüber hinaus dazu beigetragen, dass sich die gegenseitige Akzeptanz und die Identifikation mit der Rolle des Kulturagenten erhöht haben und sich alle – bei allen Unterschieden in der individuellen Herangehensweise – als Agenten für die gleiche Sache wahrgenommen haben.

Rückblickend lässt sich sagen, dass dem Thema "Selbstmanagement" in der Qualifizierung eine große Bedeutung beigemessen wurde. Die Arbeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten ist in der Umsetzung vor Ort vielschichtig; sie mussten in der Lage sein, auf verschiedene Ansprüche zu reagieren und die eigene Rolle immer wieder zu verhandeln – das Heraustreten aus der alltäglichen Praxis, der "Fremdblick" auf die Arbeit als Kulturagent und das Finden eigener Ziele und Prioritäten waren deshalb enorm wichtig.

Das Betrachten der eigenen Arbeit von "außen" und das Ableiten von Handlungsmöglichkeiten sind wichtige Korrektive, ohne die das die Arbeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten vor Ort nicht die hohe Qualität erreicht hätte oder aus zu hohen Ansprüchen heraus unrealistisch geplant worden wäre. Für die Qualifizierung eines Intermediärs wie dem Kulturagenten braucht es deshalb den hier beschriebenen Austausch mit Experten, die sich auf übergeordneter Ebene mit Themen wie Organisationsentwicklung, Konflikten, Widerständen und Zeitmanagement befassen; es braucht auch den kollegialen Fallaustausch, der die Perspektiven der Kolleginnen und Kollegen systematisch mit einbezieht; und es braucht nicht zuletzt die enge Begleitung durch ein Landesbüro, das dafür sorgt, dass spezifische Themen und Fragestellungen in der Gemengelage der täglichen Praxis nicht in Vergessenheit geraten.

Auf diese Weise konnten immer wieder Reibungspunkte entstehen, auf die hin die eigene Praxis überprüft wurde, und nur so fand überhaupt eine regelmäßige Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis statt. Und so konnten die Kulturagentinnen und Kulturagenten während der Laufzeit des Modellprogramms, neben der Erfüllung ihrer Vermittler- und Beraterrolle, auch zu Multiplikatoren werden, die ihr eigenes Erfahrungswissen weiterzugeben in der Lage sind. Die Qualifizierungen und Techniken des Selbstmanagements erleichterten damit nicht nur die Definition der eigenen Rolle und das Darauf-Ausrichten von Zielen und Aufgaben, sondern beförderten auch die Reflexion über die Tätigkeit an einer Schnittstelle, die all denen, die an einer solchen Stelle arbeiten oder zukünftig arbeiten werden, nun zugutekommt.

1 Vgl. www.brainguide.de/Selbstmanagement/_c [28.08.2014].

2 Proschule ist ein Berliner Institut für Organisationsentwicklung, das sich auf die Begleitung von Veränderungsprozessen in Schule spezialisiert hat. Vgl. www.proschule.org [28.08.2014].

3 Das Landesbüro Baden-Württemberg verwendete hierfür den Fragebogen der Website: charakterstärken.org, ein Angebot des Psychologischen Instituts der Universität Zürich, der auf dem Ansatz der Positiven Psychologie basiert.

4 Siehe beispielsweise die Übersicht über weiterführende Ansätze des Selbstmanagements in: Osmetz, Dirk; Grasmannsdorf, Anne: Was ist eigentlich Selbstmanagement? Begriff, Auslegeordnung und kritische Diskussion, München 2003, S. 10.

5 Siehe die Website von PTA – Beratung für Personal- & Organisationsentwicklung: http://www.pta-team.com

6 Vgl. Klawe, Willy: "Kollegiale Beratung – ein systematisches Verfahren für praxisbegleitendes Lernen und eine professionelle Praxisreflexion", in: Krenz, Armin (Hg.): Handbuch für Erzieherinnen, München 1995, online: www.shnetz.de/klawe/archiv/Evaluation/Kollegiale_Beratung.pdf [23.06.2015], S. 3.

7 Vgl. Tietze, Kim Oliver: Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln, Reinbek 2008.

8 Vgl. Klawe, Willy: "Kollegiale Beratung – ein systematisches Verfahren für praxisbegleitendes Lernen und eine professionelle Praxisreflexion", in: Krenz, A., a. a. O., S. 4.

9 Nach Tietze, K. O., a. a. O.