Carsten Cremer
Hofgestaltung ist Freizeitgestaltung ist Weltgestaltung
Carsten Cremer

Hofgestaltung ist Freizeitgestaltung ist Weltgestaltung

Kurzbeschreibung

Die Hofhelden sind eine Gruppe von 38 Schülerinnen und Schülern, die sich gemeinsam mit den Künstlern Eva Hertzsch und Adam Page sowie weiteren Kooperationspartnern mit der Gestaltung ihres Schulhofes auseinandersetzten. Die Gruppe plante Wandgemälde, Sitzgelegenheiten und eine Bühne für den Schulhof. In einem demokratischen Entscheidungsprozess, an dem die ganze Schule beteiligt war, wurden die favorisierten Modelle gekürt und anschließend umgesetzt.

Bundesland

Berlin

Ort

Berlin

Beteiligte Klassenstufen

7 bis 12

Thema

Schulhofgestaltung

Format

Projekttage, im Unterricht (Kunst, Darstellendes Spiel, Ethik), außerhalb des Unterrichts (Sozialprojekt „SoPro“, Freizeit), fächerübergreifend, jahrgangsübergreifend

Beteiligte Schülerinnen und Schüler

38 Schülerinnen und Schüler (Die Hofhelden) unterstützt von ca. 60 Schülerinnen und Schülern (wechselnd)

Projektdauer

2012-2015

Durchführungsorte

In der Schule
im Museum und in der Stadt

-

"Die Hofhelden" ist ein Projekt, das im Rahmen des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen" am Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasium in Berlin von 2012 bis 2015 durchgeführt wurde. Die Hofhelden übernahmen als Bürgerinnen und Bürger der Schule Verantwortung für ihre Schule. Bürgerinnen und Bürger zu sein, das bedeutete, sich einzumischen. Es bedeutete auch, Veränderungsprozesse in der Schule demokratisch und nachhaltig zu gestalten, die Rechte der Schwächeren zu stärken und nicht das Recht des Stärkeren einzufordern. Welche Folgen hat mein Handeln für die Anderen? Diese Frage galt es, als gemeinsame Ausgangsposition auszuloten.

Das Projekt "Die Hofhelden" konzipierten das Künstlerduo Adam Page und Eva Hertzsch auf Grundlage der Ergebnisse der Kennlern- und Recherchephase des Kulturagenten Carsten Cremer zu Programmbeginn im Oktober/November 2011 sowie der Ergebnisse einer Zukunftswerkstatt des Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasiums, die ebenfalls im November 2011 stattfand. Das Projekt orientierte sich also an den Bedürfnissen und Wünschen der Schule und an der Außenperspektive des Kulturagenten. Sich den "fremden Blick" zu erhalten und entlang diesem die Schule auf ihrem Weg zu beraten, war das methodische Prinzip der Arbeit des Kulturagenten. Dazu erklärte Claudia Kremer (Schulleiterin): "Carsten Cremer ist aufgrund der Unterstützung bei den diversen Ideenfindungen, den Herangehensweisen und der Organisation, aufgrund seiner Kontakte zu anderen Einrichtungen und der Vernetzung zu diversen Anbietern sowie seiner Fähigkeit, sich in das System Schule einzufinden, für unsere Schule ein enormer Gewinn gewesen. Ohne die Möglichkeit, in dem Kulturagentenprogramm mitzuarbeiten, aber vor allem eben auch ohne unseren Kulturagenten Carsten Cremer hätten wir es nicht geschafft, all die Projekte ins Leben zu rufen und unseren Veränderungsprozess auch mit künstlerischen Mitteln zu gestalten."

Durch das künstlerische Konzept sollten in erster Linie die Stimmen der Schülerinnen und Schüler gestärkt werden, um ihnen die Beteiligung an der Gestaltung von Schule zu ermöglichen. Gestaltungsmöglichkeit bedeutete, dass die Schülerschaft, die Lehrkräfte, die Künstlerinnen und Künstler auf Augenhöhe und mit gleichen Rechten arbeiteten, konzipierten und entschieden. Die Themen wurden in gemeinsamen Lernwerkstätten gefunden und verhandelt. Dabei unterschieden Page und Hertzsch gemäß ihres Kunstbegriffs grundsätzlich nicht zwischen künstlerischen Projekten im öffentlichen Raum und Projekten mit Schulen: "In beiden Fällen agieren wir innerhalb den Rahmenbedingungen von öffentlichen Verwaltungen, deren Hierarchien wir transparenter und demokratischer machen wollen. Und in beiden Fällen sehen wir uns und die Projektbeteiligten als Bürgerinnen und Bürger, die ein Recht haben, über ihre Umgebung mit diesen Verwaltungen ebenbürtig zu verhandeln."1

Exkurs: Phase 1: Kriterienbildung und Werbeclips für Sponsoring (2012/13)

Die Hofhelden, eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus allen Jahrgängen, zwei aus jeder Klasse, jeweils ein Mädchen und ein Junge, von ihrer Klasse gewählt und entsendet, fanden zum ersten Mal zu Beginn des Schuljahres 2012/13 bei einer Ideenwerkstatt zusammen. Erstes gemeinsames Ziel war die Ideenfindung und Kriterienbildung für die Realisierung von neuen Gestaltungselementen für den Schulhof.2 Grundlage für ihre Gestaltungskriterien war ihre Haltung zur lokalen Lebenswelt mit Bezug auf globale Themen wie Armut, Ernährung, Gewalt, Konsum und Umwelt. Diese Themen wurden mit Eva Hertzsch und Adam Page, dem entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrum EPIZ und dem Solidaritätsdienst-international SODI vorbereitet. Im Anschluss lud die Schule weitere Expertinnen und Experten aus den Bereichen Bühnenbild und Film3 ein, die gemeinsam mit Lehrkräften, den Hofhelden und einem Leistungskurs "Kunst" die Ideen der Hofhelden visualisierten. Die gesamte Schule stimmte ab, welche Ideen die Hofhelden zusammen mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern umsetzen sollten.

Im zweiten Halbjahr produzierten die Hofhelden drei an lokale Sponsoren gerichtete Werbeclips. Als Eyecatcher holten sie sich Rat bei ihren eigenen Helden: Barack Obama, Rihanna und Christiano Ronaldo. Die Hofhelden weiteten ihren Radius auf weitere Gruppen der Schülerschaft aus: Ein Grundkurs "Englisch" übersetzte die Dialoge der Videoclips ins Englische, ein Grundkurs "Darstellendes Spiel" erarbeitete die Overdubs. Lokale Firmen, Bezirksamt und Berliner Senat arbeiteten seitdem gemeinsam an der Frage: Wie können wir unseren Schulhof demokratisch und nachhaltig verschönern?

Standbilder und Dialog aus "Die Hofhelden im Gespräch mit Obama, Rihanna und Ronaldo", Video 3 Minuten, 2013
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

Lerne, nach den Regeln zu spielen

Das Projekt "Die Hofhelden" konnte nur deshalb so erfolgreich arbeiten, weil die damalige stellvertretende Schulleiterin und jetzige Schulleiterin Claudia Kremer von Anfang an großes Interesse an einem Veränderungsprozess der Schule hatte; denn die Anmeldezahlen waren niedrig, und man wollte ein neues Image der Schule in der Öffentlichkeit aufbauen. Die Schule traf eine mutige Entscheidung, auf künstlerische Prozesse und auf die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler zu setzen statt auf die Durchsetzung eigener Ideen. Auch in der Auswahl der Hofhelden durch die Klassen zeigte sich das Vertrauen der Schule in das künstlerische Konzept; denn zu den Hofhelden kamen nicht ausschließlich leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, von denen man annahm, dass sie ab und zu einen Teil des Unterrichts verpassen könnten, weil sie sowieso gut mithalten. Eva Hertzsch: "Wir hatten eine gute Mischung. Anfänglich haben wir das Projekt in jeder Klasse präsentiert, um für Hofhelden zu werben, und jede Klasse hat zwei Hofhelden ausgewählt. Darunter waren auch diejenigen, die sich auf ein paar lockere Tage gefreut haben."

Auf der anderen Seite spielten Adam Page und Eva Hertzsch auch nach den Regeln der Schule: Die gemeinsame Einbettung des Projekts im Schulkalender mit der Schulleitung und einigen Lehrkräften war für das Künstlerduo ein wichtiger Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Am Anfang: Tischvorlagen und Protokolle in Times New Roman Zwölfpunkt. Das Spiel nach den Schulspielregeln schuf einerseits Vertrauen, andererseits war von Anfang an klar: Das Projekt ist im Interesse der Schule konzipiert. Adam Page: "Von der Entwurfsphase bis zur Umsetzung hatten wir ein Jahr. Die Vermittlung und Abstimmung an der gesamten Schule hat viel Zeit gekostet, aber dieser demokratische Prozess war uns genauso wichtig wie die Ideenfindung und die Umsetzung. Wir sehen Schule als einen öffentlichen Raum oder öffentlichen Zusammenhang. Ein solches Projekt ist Kern unserer künstlerischen Praxis."

Grafik "Strategie Beteiligung (Die Hofhelden)", 2013
Eva Hertzsch und Adam Page

Die Hofhelden beschäftigten sich mit Widersprüchen in der Gesellschaft. Sie suchten mit den Künstlerinnen und Künstlern nach einer Möglichkeit, die Widersprüche einerseits auszuhalten, andererseits produktiv zu nutzen. Dabei lernten sie, dass künstlerischer Ausdruck eine eigene, neue Sprache in den Schulalltag hineinbrachte, die überraschend war, Neugierde weckte und geeignet war, temporär neue Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. Bis sich neue Grenzen zeigten.

Darüber hinaus wurde die künstlerische Qualität durch die Wahl weiterer Kollaborateurinnen und Kollaborateuren gewährleistet: Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Architektur, partizipative Kunst- und Architekturpraxis, Performance und Theater wie auch Non Governmental Organisations (NGOs) erarbeiteten mit den Schülerinnen und Schülern neue Themen entlang der Leitlinien des Projekts, demokratische Strukturen für Schülerinnen und Schüler in schulische Abläufe zu implementieren. Zentral für die Auswahl, sowohl für die künstlerische Qualität als auch für die Entwicklung der Schule, war, dass alle Beteiligten "soziale Verantwortung" auch als politisches Handeln definieren4. Eva Hertzsch: "Wir haben andere Künstler und auch NGOs eingeladen, inhaltliche Inputs zu geben und Workshops durchzuführen. Wir haben die Glashalle, den Eingangsbereich der Schule, als Ausstellungsraum mit den Künstlern, NGOs und Hofhelden genutzt, um den Prozess und die Ergebnisse an die gesamte Schule zu vermitteln und sie darüber abstimmen zu lassen." Adam Page und Eva Hertzsch betonen: "Das Projekt tritt nicht an, um Defizite in der Schule zu beheben. Vielmehr stoßen wir Prozesse an, die Wege eines behutsamen, reflektierten und innovativen Umgangs mit Defiziten aufzeigen sollen. Mit der Mischung von Unterrichtsformaten und Projekttagen unterstützen wir einen langfristigen Wunsch der Schule, innovative, fachübergreifende Lernangebote in den Ganztagsbetrieb zu integrieren."

Ausstellung "Kein Schicksal – Armut wird gemacht" von SODI in der Eingangshalle, 11. März bis 4. April 2014
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

Einschreibung I: Die Hofhelden im Kulturfahrplan

Das Projekt "Die Hofhelden" verfolgte explizit das im Kulturfahrplan des Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasiums formulierte Ziel, "das eigenständige Lernen in ökologischer und sozialer Verantwortung am Campus Siemens nach und nach im Schulalltag zu verankern" und als "Schwerpunkte und Lerninhalte in den Fachunterricht zu integrieren".5 Soziale Verantwortung kann konkret bedeuten, demokratische und nachhaltige Gestaltung von Veränderungsprozessen in der Schule unter Beteiligung der Schülerschaft in den Schulalltag zu implementieren. Die Mitgestaltung der Hofhelden ging so weit, dass sie einen gesamten Lernbereich, "Lernen in globalen Zusammenhängen", künstlerisch und experimentell in den Schulalltag einführten. Dieser war im Schuljahr 2014/15 im Wahlpflichtbereich der 8. und 9. Jahrgänge bereits wählbar. Der Lernbereich gliedert sich in die Themenfelder Wirtschaft, Politik, Umwelt und Gesellschaft. Diese Themenfelder setzten den Rahmen für die Kreativität der Schülerinnen und Schüler in der Entwurfsphase. Page und Hertzsch konzipierten zusammen mit der begleitenden Kunstlehrerin und Kulturbeauftragten der Schule Sibylle Reinshagen und dem Religionslehrer Markus Lindenberger eine gemeinsame Ideenwerkstatt für die Schülerschaft.

Adam Page: "Wir haben den Schülerinnen und Schülern am Anfang viel Bildmaterial von gesellschaftspolitischer, zeitgenössischer Kunst und aus kritischen Zeitungen gegeben. Manche setzten das Material direkt in ihren Entwürfen ein, andere entwickelten daraus neue Bilder und Ideen. Dazu haben wir die Themenfelder des Lernbereichs ,Globale Zusammenhänge" vorgegeben. Das Bildmaterial ist schon von unserer Seite eine Einflussnahme. Trotzdem haben die Schülerinnen und Schüler an den jeweiligen Projekttagen in ihren Gruppen eigenständig arbeiten und Themen festlegen können." Markus Lindenberger: "Ja, die Bilder waren vorhanden, aber alle haben sehr frei gearbeitet. Ich war erstaunt, was meine Jungs aus der Gruppe "Politik" alles in ihrem "Döner-verbindet-Entwurf" verarbeitet haben."

Die Sitzgelegenheit "Döner verbindet" besteht aus Sitzen, die sich um einen Boxsack in Form eines Döners drehen. Verfasser: A. Özdemir, A. Tasan, E. Güncan und M. Tunay, 2013
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

Phase 2: Hofgestaltung ist Weltgestaltung: Sitzgelegenheiten und Bühne (2013/14)

Entlang der Themenfelder des Lernbereichs "Lernen in globalen Zusammenhängen" arbeiteten die Hofhelden, ein Leistungskurs Kunst und eine 8. Klasse im Fach "Ethik" an Entwürfen zu Sitzgelegenheiten und Bühne. Die Modelle, die mit der Unterstützung von Studierenden der weißensee kunsthochschule berlin und der Architektin Lisa Tiedje vom Studio Olafur Eliasson entstanden sind, wurden in der Glashalle ausgestellt.

Die Schulgemeinschaft stimmte ab und entschied sich dann für die Realisierung mehrerer Sitzbänke, die sich mit den Themen Gewalt, Friede, Freiheit und Zusammenhalt auseinandersetzen. Der Gedanke der Hofhelden schrieb sich mehr und mehr in den Schulalltag ein: Auch die Gestaltung von Sitzgelegenheiten und einer Bühne kann politisches, soziales und ästhetisches Handeln für das Gemeinwohl bedeuten. Mit dem Statement "Die Bänke sind Symbole für Gleichberechtigung, Menschenrechte und Toleranz" wirbt die Gruppe Politik für ihre Entwürfe.

Gebaut wurden schließlich mehrere Sitzgelegenheiten und zwei Bühnen: Die CFS-Bühne und ein modulares Steckpalettensystem: die Stairstages. Eine Geldspende der Siemens AG ermöglichte den Bau von vier Stairstages in der Schreinerei des Studios Olafur Eliasson exakt nach dem Entwurf einer Schülerin. Den Bau der CFS-Bühne unterstützte das Bezirksamt Spandau. Das Holz der Buchstaben färbten die Schülerinnen und Schüler in einem Workshop mit dem Atelier Natalis mit Naturfarben. Viele Teile der Sitzgelegenheiten und der Bühnen wurden aus bereits vorhandenen Materialien gebaut.

"Stairstages" von Hoan Le in Zusammenarbeit mit dem Studio Olafur Eliasson, 2014. Stairstages sind vier Bühnenelemente in Modulbauweise, die aufgefächert als Treppenpodest und auseinandergenommen als Plattform auf dem Hof genutzt werden können
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

Phase 3: Freizeitgestaltung ist Weltgestaltung

Auftakt und Ausgangspunkt für Phase 3 waren die Ausstellung und der Workshop "Kein Schicksal. Armut wird gemacht" der NGO Solidaritätsdienst-international im März 2014 (siehe Abb. 3). Wieder wurde die Glashalle der Schule zum Ausstellungsort. Zunächst wurde Armut als Thema globaler Zusammenhänge gesetzt und klug mit dem Freizeitverhalten der Schülerinnen und Schüler verknüpft: Was macht ihr in eurer Freizeit? Und welchen Effekt hat das in globalen Bezügen? So wurden alltägliche Erfahrungen wie Computerspiele, Essengehen, Fußball, Hip-Hop oder Kampfsportarten in globale Zusammenhänge gesetzt.

Da sich die Schulgemeinschaft in der Anfangsphase 2012 Wandmalerei auf dem Schulhof gewünscht hatte, startete diese Phase mit klassischer Vermittlung von Plakatgestaltungs- und Collagetechniken im Kunstunterricht. Zwischen März und Mai 2014 haben 43 Schülerinnen und Schüler verschiedene Wandbilder für die Fassaden der Turnhalle, der Aula und der Fachhäuser zu den Themen Sport, Entertainment und Natur entworfen. Vier Entwürfe wurden von der Schulgemeinschaft ausgewählt und mit lichtstarken Projektoren an die Wand geworfen. Leider in der kürzesten Nacht des Jahres. Lehrerinnen und Lehrer, Künstlerinnen und Künstler, Schülerinnen und Schüler samt Familienmitgliedern haben in zwei Nachtschichten Projektionen der Bilder auf die Wand übertragen; tagsüber malten die Hofhelden die Wandbilder zu Ende.

Die regelmäßige Zusammenarbeit mit der Künstlergruppe TRANSFORM und Adam Page und Eva Hertzsch ermöglichte den Schülerinnen und Schülern eine konzentrierte und kompetente Arbeit an Inhalt, Bildkomposition, Grafik und Collage. Dennoch fehlte es manchmal an Zeit. Sibylle Reinshagen: "Ich hätte mir gewünscht, dass die Schülerinnen und Schüler mehr Zeit gehabt hätten, ihre eigenen Ideen und Fähigkeiten einzubringen. Aber es liegt an der Schulstruktur, dass solche Projekte unter Zeitdruck stattfinden müssen. Das Projekt fand in meinem normalen Unterricht statt. Um Zeit dafür zu schaffen, habe ich andere Lernaufgaben zügiger gemacht. Dazu kamen mehrere Arbeitstage, für die Schülerinnen und Schüler aus allen Jahrgängen freigestellt wurden."

Einschreibung II: Von der Partizipation zur Repräsentation

Die Wandmalereien, die gesellschaftliche, ökologische und politische Problemfelder thematisierten, wurden sowohl in der Schülerschaft als auch in der Lehrerschaft kontrovers diskutiert. Sollte Wandmalerei eher dekorativ sein? Oder muss Kunst aufrütteln und zum Nachdenken anregen? Diese Fragen diskutierte anschließend auch eine Fachjury, bestehend aus den Künstlerinnen und Künstlern Adam Page, Eva Hertzsch und Stefan Endewardt sowie den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern, der Kulturbeauftragten, der Schülervertretung, dem Kulturagenten und der damaligen stellvertretenden Schulleiterin Claudia Kremer. Gemeinsam wurde entschieden, dass Bilder an Außenwänden auch repräsentative Funktion haben und dass beim Betrachten relevante Hintergrundinformationen verloren gehen können. Waffen können deshalb nicht gezeigt werden, Stereotypen bekommen Masken. Aber darf Schule den Schülerinnen und Schülern dann überhaupt Demokratie und Gleichberechtigung versprechen? Adam Page: "Deswegen haben wir viel strategische Lobbyarbeit nach außen während des Projekts gemacht. Der Bezirksbürgermeister Kleebank wurde zum Schirmherrn des Projekts. Damit musste er dem Anspruch auf Demokratie zustimmen und Raum lassen. Die Waffe im Entwurf ist nicht an die Wand gemalt worden, die Charaktere tragen jetzt Masken. Aber der kritische Inhalt ist im Wandbild deutlich zu sehen. Wir haben das Projekt auf einen breiten Diskurs angelegt und nicht auf künstlerische Provokation."

Wandbild "Zocken kann tödlich sein" von S. Jovanovic in Zusammenarbeit mit TRANSFORM
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

"Zocken" überarbeiteter ENTWURF ohne Waffe, ohne Maske
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

Es ist eine Leistung der Hofhelden und eine mutige Entscheidung der Schulleiterin, dass die Diskussion über die Grenzen der Beteiligung und darüber, wer die Grenzen festlegen darf, öffentlich mit den Hofhelden ausgetragen werden konnte: Einmal mit Künstlerinnen und Küund Künstlern sowie einem Fachpublikum im Rahmen der Veranstaltung "7 auf einen Streich" an der weißensee kunsthochschule berlin im Juli 2014. Und ein zweites Mal im Rahmen der Mixed-up-Preisverleihung im Berliner Podewil im September 2014. Die Hofhelden bereiteten selbstständig einen Thementisch vor. Sie diskutierten unter anderem mit Ludger Pieper und Dr. Angelika Tischer von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie Lutz Lienke, Stellvertretender Vorstand der LKJ Berlin. Und sie diskutierten darüber, ob es zielführender ist, einen Entwurf zu überarbeiten, der an einer Außenfassade angebracht eine Schulgemeinschaft repräsentiert. Trotz unterschiedlicher Meinungen in der Gruppe sind sich die Hofhelden einig: Die Künste eignen sich besonders gut, Freiräume für Mitgestaltung in Schule zu öffnen und zu reflektieren.

Janine Feilitz (Schülerin und Hofheldin): "Von Anfang an war ich Hofheldin, konnte an zahlreichen Ausflügen teilnehmen und Ideen zur Verschönerung unseres Schulhofs sammeln. Für mich persönlich war es erstaunlich zu erleben, wie das Projekt unsere Schulgemeinschaft gestärkt hat. Besonders beeindruckend war die Möglichkeit, aus anfangs sehr unterschiedlichen Meinungen zu und Bedürfnissen an unseren Schulhof durch Absprachen – auch mit Lehrern! – gemeinsame neue Gestaltungskriterien für einen anderen Schulhof zu finden. Genau diese Prozesse prägen nun unser tägliches Zusammenleben in der Schule."

Fazit

Die Strategie der Hofhelden animierte das System Schule zu kleinen Schritten der Veränderung. Die Handlung des Künstlerduos Page/Hertzsch im Prozess des Projekts "Hofhelden" war eine strategische Suchbewegung entlang der Wegweiser Anspruch, Wortwahl, Ästhetik, Tempo, Wissen und Ergebnis.6 Am Anfang stand die Ermächtigung der Schülerinnen und Schüler, und künstlerische Setzungen unterstützten diesen Prozess. Durch thematische Schwerpunkte, die aus dem Alltag, dem Freizeitverhalten und den Interessen der Schülerinnen und Schüler gewonnen wurden, gelang ein kollaborativer Prozess zwischen Künsten und Schule. Die Fragen aber bleiben: Wie viel Freiheit haben die Künste in der Schule? Wer legt die Grenzen der Beteiligung fest? Darf man die Spielregeln infrage stellen? Dies gemeinsam auszuloten und für anknüpfende künstlerische Projekte und Reflexionen fruchtbar zu machen, hat sich die Schule für ihren weiteren Weg zur Aufgabe gemacht.

1 Adam Page zitiert nach: "Partizipationskunst und Schule. Constanze Eckert im Gespräch mit Eva Hertzsch und Adam Page", in: Mission Kulturagenten - Onlinepublikation des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen 2011–2015", Berlin 2015.

2 Vgl. ausführlich https://diehofhelden.wordpress.com/ [18.12.2014].

3 Als Expertinnen hinzugezogen wurden die Bühnenbildnerin Katja Hass (Deutsches Theater) und die Medienkünstlerin Emily Völker.

4 Am Projekt "Die Hofhelden" waren im Laufe der drei Jahre folgende Künstlerinnen, Künstler und Kulturinstitutionen beteiligt: Adam Page und Eva Hertzsch (Konzeption und Durchführung), Sebastian Behmann (Studio Olafur Eliasson), Stefan Endewardt und Annette Knoll (Gruppe TRANSFORM), Katja Hass (Deutsches Theater), Studierende der weißensee kunsthochschule berlin, Heinz Kluth (Garten- und Landschaftsarchitektur), Anna Maria Mintsi-Scholze und Isabella Smolin (Atelier Natalis), Lisa Tiedje (Studio Olafur Eliasson), Emily Völker, Sebastian Wagner (bureau 11), Jana Wolf (Lantana Projektgemeinschaft) sowie das Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum EPIZ e.V. und der Solidaritätsdienst-international SODI e.V. Das Projekt wurde unterstützt von: Bezirksamt Spandau, Grün macht Schule, der Siemens AG und vom Studio Olafur Eliasson.

5 Kulturfahrplan des Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasiums, Fassung 12/2012.

6 Vgl. Anm. 1.