Kathleen Hahnemann
Beteiligungsprozesse initiieren!
Kathleen Hahnemann

Beteiligungsprozesse initiieren!

Wie Thüringer Schülerinnen und Schüler mit einem „Schülerkunstgeldfonds“ ihre eigenen Projekte umgesetzt haben

-

Eines der ersten Projekte, das die Kulturagentin Kathleen Hahnemann an der Lessingschule Nordhausen anstieß, war das Schülerkunstgeld. Die Idee: Schülerinnen und Schüler machen Kunst und bekommen dafür ein Budget, das sie selbst verwalten. Die wöchentlichen Treffen der Thüringer Schülerinnen und Schüler fanden nachmittags für ein bis zwei Zeitstunden nach der Schule statt. Dort debattierte das Team über Kultur und geeignete Projektformate und erprobte ihr eigenes "Guerillamarketing". Es baute eine Litfaßsäule als Kommunikationsplattform, gründete eine Facebook-Gruppe, rief den Kiosk der Schule wieder ins Leben und betrieb ihn selbst. Einer der beteiligten Schüler, Lukas Fullmann, erklärte am Ende des Projekts: "In Schule ist Partizipation von Schülern oftmals nur deshalb vorhanden, weil sie Ausführende einer fremden Idee oder eines fremden Plans sind. Nun hab ich etwas vorzuweisen, das ich persönlich initiiert und durchgeführt habe – ein gutes Gefühl!"


 

Im folgenden Gespräch berichtet die Kulturagentin Kathleen Hahnemann von der Entstehung des Projekts "Entscheide Du! Schülerkunstgeld", welche Projekte die Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihren Familien umgesetzt haben und welche Rolle Partizipation im Schulalltag spielen kann.

Kristin Bäßler: 2012 hat die Lessing Schule in Nordhausen einen Projektantrag für den sogenannten Schülerkunstgeldfonds gestellt. Worum ging es dabei?

Kathleen Hahnemann: Wir haben den Titel des Projekts "Entscheide Du! Schülerkunstgeld" genannt. Das Projekt hatte sich aus der Arbeit mit einer Schülergruppe der Lessingschule Nordhausen ergeben, dem Schülerkulturteam, das gemeinsam mit einer beteiligten Lehrerin und mir eigene Projekte anstoßen wollte. Die Schülerinnen und Schüler haben sich mit ihren Projektideen eingebracht und kulturelle Prozesse in der Schule in Gang gesetzt. Irgendwann formulierte jemand aus der Gruppe die Idee: "Mensch, es wär" doch toll, wenn wir eigenes Geld hätten!"

Das Schülerkulturteam der Lessingschule
Foto: Kathleen Hahnemann

Ihr habt dann beim Träger des Kulturagentenprogramms einen Kunstgeldantrag gestellt. Nach Bewilligung hat das Schülerkulturteam über ein Budget verfügt, das an Schülerprojekte vergeben werden konnte. Wie habt ihr die Schülerschaft von eurem Vorhaben informiert?

Zunächst haben die Schülerinnen und Schüler vom Kulturteam an der Schule eine intensive Werbewoche mit Aktionen rund um das Schülerkunstgeld initiiert. Fünf Tage lang gab es unterschiedliche Zettelaktionen, Megafon-Performances, kurze Schulfunksendungen und eine Werbeveranstaltung, bei der selbst erarbeitete Antragsformulare verteilt wurden. Wir hatten das Ziel, mindestens 30 Schülerinnen und Schüler zu gewinnen, tatsächlich waren es dann 26, die sich intensiver informierten, und am Ende haben zwölf einen Antrag gestellt.

Ihr seid also in die Rolle von Förderern für gute Projektideen geschlüpft. Wie habt ihr denn die sicherlich schwierige Auswahl bei den Projektideen getroffen?

Die Anträge hat eine Jury bekommen, die aus drei Schülern vom Schülerkulturteam, Martina Degenhardt, Leiterin der Jugendkunstschule Nordhausen, und mir als Kulturagentin bestand. Wir Erwachsene sind von den Schülerinnen und Schülern in die Jury gewählt worden. Einen Nachmittag lang haben wir die zwölf Schülerinnen und Schüler angehört, die jeweils fünf Minuten Zeit hatten, um ihr Projekt vorzustellen. Danach hat die Jury diskutiert und gemeinsam ausgewertet, warum ein Projekt gefördert oder in der beantragten Form nicht gefördert werden kann. Wir haben außerdem diskutiert, was man tun könnte, damit ein Projekt dennoch durchgeht. Wir sind in diesem Fall mit den Antragsstellern die Bedingungen durchgegangen, die wir ausgehandelt hatten. Am gleichen Nachmittag haben wir allen mitgeteilt, welche Projekte bewilligt wurden, und fünf Tage später gingen der offizielle Bewilligungsbescheid und der Fördervertrag an die Schülerkunstgeldträger. Die Eltern haben dazu ein Schreiben erhalten, dass ihre Kinder Kunst machen können und dafür von der Schule Geld bekommen.

Welche Schülerprojekte sind umgesetzt worden?

Wir haben uns an diesem Jurynachmittag für fünf Projekte entschieden. Jonas Langer beispielsweise hatte vor, einen Vulkan zu bauen. Er hat eine Zeichnung abgegeben, die er gemeinsam mit seinem Großvater und seiner Mutter angefertigt hatte. Insgesamt sollten im Garten des Großvaters 400 Kilogramm Salzteig zu einer großen Masse aufgeschüttet werden, die mit Flüssigkeiten und hochexplosiven Materialien gefüllt, zur Eruption gebracht werden sollte. Peu à peu sind sie von den 400 Kilo Salzteig abgekommen. Am Ende haben sie einen aufwendig konstruierten Vulkan mit einem Holzgerüst aus Pappmaché gebaut, der auf Rädern mobil war.

Und mit welchen Projektideen haben sich die anderen Schülerinnen und Schüler beworben?

Jeremy Billert, 6. Klasse, wollte gemeinsam mit seiner Klasse eine Modekollektion aus Altkleidern entwerfen und sie während einer Modenschau der Schule vorstellen. Ariana Muciqi hatte die Idee, eine CD mit gecoverten Songs aufzunehmen. Durch unseren Beratungsprozess hat sie ihr Konzept wesentlich erweitert. Ursprünglich wollte sie ein Kondensatormikrofon kaufen, um zu Hause die Stücke aufzunehmen. Sie hat sich davon überzeugen lassen, an der Schule ein Casting zu machen, um mit weiteren Schülerinnen und Schülern gemeinsam Lieder aufzunehmen und sich ein Tonstudio zu suchen oder mit dem Offenen Kanal zu kooperieren. Lorenzo Sorgatz drehte einen Stop-Motion-Film zu Shakespeares "Hamlet", der sehr schön geworden ist. Lukas Fullmann hatte sich mit einer Kunstperformance beworben. Er baute eine große Kartonburg, die kontrolliert abbrannte. Dazu hat er seinen Text "Überall Mauern" vorgelesen.

Lukas Fullmann vor seiner Aktion "Voll Sinnlos"
Foto: Kathleen Hahnemann

Worum ging es Dir als Kulturagentin beim Schülerkunstgeldfonds?

Das Projekt ist stark auf Beteiligung angelegt. Es gibt Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, mit eigenem Geld selbst Projekte umzusetzen, und diese der Schulöffentlichkeit vorzustellen. Mir ging es dabei um eine ehrliche, echte Beteiligungskultur. Es hat mich interessiert, welche "Kunst" die Schülerinnen und Schüler machen, wenn man ihnen die Freiheit lässt. Meine Annahme war, dass genau dort ein neues Rechtsbewusstsein entstehen könnte und Machtverhältnisse infrage gestellt werden könnten. Mein Ziel war es also, Beteiligungsprozesse zu initiieren und ein Bewusstsein für das Machtgefälle zwischen Lehrkräften und Schülerschaft entstehen zu lassen.

Deine ursprüngliche Frage war also, wie sich der Einfluss der Schülerinnen und Schüler auf die künstlerischen Projekte an ihrer Schule erhöhen ließe. Welche Rolle spielte dabei das Schülerkulturteam der Schule?

Das Schülerkulturteam hatte sich bereits mit der Frage beschäftigt, wo denn überhaupt Kunst oder Kultur an unserer Schule zu finden sei und wie sich die Schülerschaft mehr einbringen und mitbestimmen könnte. Die Schülerinnen und Schüler sind dann selber losgezogen und haben ihre Mitschülerinnen und Mitschüler gefragt, was sie sich wünschen würden. Daraus ist zum Beispiel das Projekt "Lessing testet" entstanden, bei dem im Nachmittagsbereich künstlerische Workshops angeboten wurden, die die Schülerinnen und Schüler regelmäßig selbst wählen konnten. Das Schülerkunstgeldprojekt geht in eine etwas andere Richtung. Die Idee hatte in ähnlicher Form schon mein Hamburger Kollege Matthias Vogel. In seinem Schulnetzwerk konnten die Schülerinnen und Schüler bereits über eigenes Geld verfügen, um ihre Projektideen umzusetzen. Ich fand das von Anfang an reizvoll und habe das Schülerkulturteam an der Lessingschule deshalb sofort unterstützt.

Lukas mit Unterstützern vor der Kartonmauer
Foto: T. Kerwitz

Wie hast Du die Projektidee in die Schule hineingetragen und den Lehrkräften vorgestellt?

Ich habe zuerst die Kulturbeauftragte angesprochen und sie so motiviert, dass sie das Projekt unterstützte. Die zweite Instanz war die Lehrerkonferenz, bei der ich das Projekt vorgestellt habe. Auf dieser Grundlage ist ein Einverständnis mit der Schulleitung dahin gehend erzielt worden, dass regelmäßig ein Bericht des Schülerkulturteams über den aktuellen Stand an die Lehrersteuergruppe erfolgen sollte. Meine Rolle war dabei die der Informantin zwischen den Schülerinnen und Schülern und der Schulleitung. Um den Informationsfluss zu erleichtern, haben wir bestimmte Kommunikationswege und -instrumente gefunden, um alle Beteiligten gut zu informieren. Beispielsweise haben wir gemeinsam mit einem Tischler und mit Hilfe des Vaters eines der Schüler eine Litfaßsäule gebaut, die zu unserer Kommunikationsplattform wurde. Zudem haben wir eine Facebook-Gruppe gegründet, auf der wir zweimal in der Woche Informationen zum Schülerkunstgeldfonds gepostet haben. Den Link haben wir auf kleine Zettel gedruckt und im Schulhaus verteilt: in den Toiletten, unter den Schulbänken, ganz klein auf dem Vertretungsplan, an den Treppenstufen und so weiter. Das hat bis zu einem gewissen Punkt auch funktioniert, allerdings nahmen irgendwann die Rückkoppelungseffekte ins Kollegium immer mehr ab, was für unsere Arbeit problematisch war. Zu diesem Umstand haben verschiedene Faktoren geführt, die wir jetzt reflektieren müssen.

Mit welchen Kulturpartnern habt ihr die Schülerideen umgesetzt?

Wir haben zunächst die Kontakte der Schule zu den Kulturpartnern genutzt, die bereits regelmäßig in Projekte der Schule involviert sind. Das war zum einen die Jugendkunstschule Nordhausen, die auch beim ersten Auswahlverfahren des Schülerkunstgeldes in der Jury saß und ein ganz enger Berater der Schülerkunstgeldträger war. Zudem wurde der Offene Kanal Nordhausen für ein konkretes Projekt angefragt.

Du hast bereits angedeutet, dass bei der Realisierung der Projekte Eltern, Geschwister, Großeltern und andere Familienmitglieder beteiligt waren. Wie kann man sich das vorstellen?

Man kann sagen, dass die Schülerkunstgeldprojekte überwiegend Familienprojekte sind. Das ist eine ihrer großen Stärken und war eine wesentliche Motivation für mich, das Schülerkunstgeld zu initiieren. Die Schülerinnen und Schüler stellten fest, dass ihre Eltern oder ihre Großeltern Fähigkeiten besaßen, die sie für ihre Ideen einsetzen können, das war die Grundlage für die gemeinsame Planung innerhalb der Familie. Die Mutter von Jonas Langer beispielsweise ist Verkäuferin und hat zeichnerisches Talent. Sie hat zusammen mit Jonas die Entwürfe gezeichnet. Lorenzo Sorgatz wiederum erhielt Unterstützung von seinem Vater, der ihm ein halbes Jahr vorher eine Trick-Box geschenkt hatte. Zusammen haben sie dann an den Wochenenden an dem Stop-Motion-Film gearbeitet. Lukas Fullmann hat zusammen mit seinem Opa eine zunächst mittelalterlich anmutende Kartonburg geplant und mit seinem Onkel dafür Katapulte gebaut. Das war wirklich ein richtiges Familienprojekt.

Waren die einzelnen Projekte eigentlich besonders aufwendig oder teuer?

Nein, im Gegenteil. Wir haben ursprünglich 2.500 Euro für den Schülerkunstgeldfond für insgesamt drei Jahre beantragt. Als wir mit den Schülerinnen und Schülern die Kosten für ihre Projekte besprochen haben, waren wir teilweise mit sehr unrealistischen Vorstellungen konfrontiert, beispielsweise, dass es 4.000 Euro bräuchte, um den Eiffelturm aus Papier nachzubauen. Es war dann sehr interessant, mit den Kindern die Kostenpläne zu erstellen und zu recherchieren, wie teuer Papier ist und so weiter.

Was würdest Du Lehrerinnen und Lehrern raten, die an ihrer Schule auch das Format Schülerkunstgeldfonds implementieren wollen?

Zunächst würde ich sagen, dass dies von den Schülerinnen und Schülern ausgehen sollte, denn es ist ein Projekt von ihnen und für sie. Sie sollten selbst Wege für die Umsetzung finden. Es ist ein hochinteressanter Prozess, allein das Verfahren zu entwickeln und zu klären: Wie sehen Förderkriterien aus, was soll gefördert werden, was ist denn Kunst? Dieser Prozess dauert lange. Das ist nichts, was man in einem Monat machen kann. Man muss Zeit mitbringen, um sich mit der Schülerschaft gemeinsam auf den Weg zu machen und das Projekt in Gang zu bringen. Der Hauptmotor sind die Schülerinnen und Schüler, der Rest – wie die Akquise von Sponsoren – entsteht dann von selbst.

Die Mauer brennt
Foto: T. Kerwitz

Wie war die Resonanz auf die Projekte des Schülerkunstgeldfonds an der Schule?

Das ist eine schwierige Frage, weil die Antwort einen Bruch markiert. Die Schülerinnen und Schüler wollten ihre Projekte über mehrere Tage verteilt präsentieren, individuell in der Pause oder auch performativ im Unterricht, auf jeden Fall ohne viel Vorbereitung. Die Schule hatte diesen Präsentationsformaten nicht zugestimmt und griff so ein, dass es nur eine öffentliche Präsentation während eines Elternabends gab. Der Film von Lorenzo wurde dann in einzelnen Klassen im Medienkunstunterricht gezeigt. Das Projekt von Lukas Fullmann war in aller Munde, weil er den ersten Preis in seiner Kategorie auf der Nordthüringer Jugendkunstbiennale gewonnen hat. Ariana Muciqi hat bei mehreren öffentlichen Veranstaltungen gesungen und Stücke von ihrer CD live performed. Über das Projekt Schülerkunstgeld konnten die Schüler nicht wirklich reden, weil sie es "verfälscht" präsentiert bekommen haben.

Was habt ihr für die nächsten Durchgänge daraus gelernt?

Ein solches Projekt darf nicht neben der Schule herlaufen, sondern die Beteiligung und Kommunikation muss auch innerhalb der Schule gewährleistet sein. Das zweite Schülerkunstgeldverfahren habe ich gemeinsam mit dem Schulsozialarbeiter der Schule umgesetzt, der ein sehr gutes Bindeglied zwischen der Schule und der Schülerschaft war. Er ist Musiker und hat Verständnis für künstlerische Prozesse. Außerdem wird die Jugendkunstschule diesmal schon den Planungsprozess mit unterstützen. Und es werden zwei Lehrerinnen – die Vertrauenspartnerinnen sind – zu den Treffen der Kulturgruppe eingeladen, mit denen wir alle Prozesse abstimmen. Wir werden verstärkt die Präsentation im Fokus haben, die von Anfang an in der Verantwortung der Schülerinnen und Schüler liegen soll. Ich will diese noch besser beschützen und erhoffe mir im zweiten Durchgang eine größere Offenheit im Umgang mit dem Präsentationsformat.

Hier werden die unterschiedlichen Ebenen des Projektes deutlich: Es geht einerseits darum, Partizipation von Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, andererseits geht es um die Reflexion von Schulkultur. Hier wird das Gefälle zwischen Lehrer- und Schülerentscheidung deutlich, und es zeigt sich, welche Form der Partizipation in Schule tatsächlich möglich ist.

Ja, das stimmt. Bei der Reflexion der Projekte ging es immer darum, welche Formen der Beteiligung aus der Perspektive der Lehrkräfte überhaupt möglich sind. Wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler, die/der in Kunst eine Vier hat, mit einem Schülerkunstgeldprojekt bewirbt und dann den ersten Preis bei der Jugendkunstbiennale in ihrer/seiner Kategorie gewinnt, dann ist das für die Lehrkraft natürlich ein Zeichen. Und das zieht die Frage nach sich, von welchem Kunstverständnis Schule ausgeht. An diesem Punkt fangen Kunst und Schule an, sich zu reiben.

Gerade bei diesem Projekt wird deutlich, dass Schülerinnen und Schüler eine sehr genaue Vorstellung davon haben können, was für sie Kunst ist und wie die Auseinandersetzung mit ihr abläuft. Wo liegen aus Deiner Sicht die Unterschiede zwischen Projekten der kulturellen Bildung von Schülern für Schüler und denen von Erwachsenen für Schüler?

Wenn ein Angebot mit dem Übertitel versehen ist "Wir bieten Euch jetzt mal kulturelle Bildung an", dann ist das oftmals per se schon uninteressant für Schülerinnen und Schüler. Die besten Projekte, die ich erlebt habe, sind die, bei denen sie selbst etwas machen konnten. Es gibt kein Rezept, wann Projekte am besten gelingen. Man sollte sie so offen wie möglich halten, Ernsthaftigkeit und Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler setzen und viel Zeit haben, präsent sein und Kekse mitbringen.

Vielen Dank für das Gespräch.