Mona Jas
Künstlerische Strategien in der Arbeit als Kulturagentin
Mona Jas

Künstlerische Strategien in der Arbeit als Kulturagentin

Als ich 2011 meine Arbeit als Kulturagentin aufnahm, kamen zu den bisherigen Tätigkeiten als Künstlerin und Kunstmittlerin noch die der Netzwerkerin, Initiatorin, Prozessbegleiterin und Projektmanagerin hinzu. Meine künstlerische Haltung wurde dadurch nicht geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt. Durch die Möglichkeit, aus einer Art Vogelperspektive zu agieren, konnte ich mich als künstlerisch Handelnde in Projekte und Prozesse gezielter einbringen und auch gezielter zurückziehen. Ich fühlte mich durch die Einbettung in das System Schule geschützt und mit vielen Handlungsmöglichkeiten und Instrumenten ausgerüstet. Während ich bereits vor dem Kulturagentenprogramm als Künstlerin in Schulen gearbeitet habe, war ich jedoch im Schulsystem nicht in vergleichbarer Weise integriert und konnte daher auch wenig in meinem Sinne beeinflussen. Oft beobachtete ich Entwicklungen, zu denen ich vielfältige Ideen hatte, konnte diese jedoch nicht sinnvoll einbringen. Endete das Projekt, brachen oft auch die Kontakte zur Schule ab. In der neuen Position als Kulturagentin hat sich dies verändert. Nun, als Kulturagentin, gestaltete ich Studientage mit, beriet Unterrichtsentwicklungen, vermittelte Kulturinstitutionen und Kulturschaffende, entwickelte komplexe Netzwerkprojekte: Ich hatte intensiven Kontakt und Austausch mit allen hierarchischen Ebenen der Schulen und auch der Kulturinstitutionen. Dies verschaffte mir großen Freiraum.

Von einigen Möglichkeiten, die sich daraus für mich als Künstlerin und Kulturagentin ergaben, soll im folgenden Text die Rede sein.

Künstlerische Strategien nutzen, um zu provozieren, Situationen zu schaffen, in denen bestehende Normalität plötzlich fragwürdig wird

Arbeiten mit performativen Strategien: Studientag Kurt-Tucholsky-Schule

Gemeinsam mit Grit Wöhlert, der Kulturbeauftragten der Kurt-Tucholsky-Schule, Berlin, konzipierte ich im Oktober 2011 einen Studientag. Ziel war es, neue Impulse für die sogenannten Fachprojekte zu setzen. Für die Einrichtung der Fachprojekte hatte die Schule ihre Stundentafel auf 40 Minuten dauernde Schulstunden umgestellt. Hier können die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 1 fachvertiefend, fachübergreifend und projektorientiert nach ihrer Wahl teilweise auch mit externen Künstlerinnen und Künstlern arbeiten. Ihre Arbeit wird bewertet und findet Eingang in das Notenzeugnis.

Studientag der Kurt-Tucholsky-Schule in der Galerie Pankow, 2011
Foto: Mona Jas

Wir führten den Studientag in der Galerie Pankow mit einem Teil des Kollegiums durch, auch mit einem Teil der Schulleitung. Die Fachbereiche waren vertreten. Gemeinsam sollten fachübergreifende Themen entwickelt und Ideen konzipiert werden. Ich gestaltete sogenannte Joker, eine Art Karteikartensystem mit Kulturkontakten, die schnell erkennen ließen, um welche Fächer, welches Material, welche Ergebnisse es ging. Dieses Material war beiläufig auf Tischen einzusehen.

Zentral war ein aktiver performativer Teil, den ich in Absprache mit Grit Wöhlert leitete. Ich begann damit, dass ich alle im Kreis begrüßte, und zwar auf Türkisch, mit der Bemerkung, Russisch sei ja viel zu leicht für das Kollegium. Das war eine Anspielung darauf, dass viele Lehrerinnen und Lehrer des Kollegiums aus der ehemaligen DDR stammten. Ich erntete die ersten Lacher. Die Situation des Rollenwechsels – die Lehrkräfte waren mit etwas ihnen Unbekanntem konfrontiert – war so in ein Alltagsritual eingebettet. Alle stellten sich auf Türkisch vor und wurden dann gemeinsam von allen – zu Beginn noch sehr zaghaft – auf Türkisch begrüßt. In meiner Rolle als Anleiterin ergriff ich die Gelegenheit, typische "Lehrersätze" anzubringen ("Lauter bitte", "Ich höre immer noch nichts", "Und jetzt alle noch einmal zusammen"). Die Sätze hatte ich zuvor in Türkisch auf eine Tafel geschrieben. Die Begrüßungssituation überraschte das ganze Kollegium, wurde aber wohlwollend und belustigt aufgenommen. Das Eis war gebrochen, ich atmete auf.

Danach führte ich ein Rollenspiel nach Augusto Boal durch: Berufe im Bereich Schule schrieb ich jeweils zwei Mal auf einen Streifen Papier. Die Teilnehmenden zogen blind und versuchten den gezogenen Beruf (beispielsweise Hausmeister, Sozialarbeiter, Kulturagent, Schüler, Lehrer, Leiter, Elternteil, Künstler, Werkstattleiter, Sekretärin) ohne Worte, nur durch Bewegungen im Raum darzustellen. Als alle ihr "Doppel" gefunden hatten, stellten sie sich der Gruppe vor, die erraten musste, um wen es sich handelte.

Die Gruppe wusste vorher nicht, dass alle Berufe rund um Schule und Kultur gewählt waren. Erst im Laufe des Spiels erschloss sich ihnen diese Dimension. Die gemeinsame szenische Arbeit erzeugte völlig neue Kommunikationsformen auf der einen Seite, denn es ist sehr schwer, ohne Sprache zu reden oder einen Beruf darzustellen, den man selbst nicht ausübt. Auf der anderen Seite bewirkte die performative Arbeit aber auch ein starkes gemeinschaftliches Gefühl. Es herrschten unbewusste Übereinkünfte darüber, wie der Hausmeister, die Eltern oder auch die Schulleitung darzustellen sei. Das gelang durch Wiedererkennen und durch die Einnahme einer Vogelperspektive auf die alltägliche Arbeitssituation. Das erzeugte Nähe und die Bereitschaft, sich auf die weitere Arbeit einzulassen. Man fühlte sich "positiv überrascht", bei diesen "Spielchen" könne man ja nie wissen, so die Feedbacks hinterher.

Die "Doppel"-Teams hatten nun die Aufgabe, ein fachübergreifendes Projekt auszuarbeiten und der Gruppe vorzustellen. Hier wurden viele Ideen entwickelt, und das mit sichtlicher Freude. Dabei kamen die ausgelegten Karteikarten zum Einsatz, ohne, dass ich sie als wichtiges Arbeitsmaterial hätte einführen müssen. Einige Ideen, wie das "Guerilla Gardening" und auch die Projekte zum Namensgeber der Schule – Kurt Tucholsky –, wurden mittlerweile umgesetzt.

Ich habe bei Vielem, was ich angeleitet habe, die Methode entwickelt, den eigentlichen Inhalt – das, worum es geht – eher beiläufig zu halten. Stattdessen erzeuge ich Situationen mit künstlerischen und handlungsorientierten Sequenzen, die einen Atmosphärenwechsel mit sich bringen. Den Gruppen eröffnen sich andere Sichtweisen, veränderte Wahrnehmungen, und ein neuer Austausch wird möglich.

Lachen als Möglichkeit kulturellen Dialoges

Eine künstlerische Strategie, die als Ebene in meiner Arbeit stets mitläuft, ist mein Verständnis von Kooperation als "Zone des Lachens", die eine Kontaktzone herstellt.1 Das Lachen gibt Hinweise darauf, dass ein besonderer Aspekt der Welt aufgedeckt, dass Widersprüchliches und Unvereinbares entgegen offiziellen Normen vereint wurden.2 Das Lachen als Zone des Kontakts kann durch künstlerische Interventionen, wie ich sie oben geschildert habe, entstehen. In dieser Zone des Kontakts kann sich Gemeinschaft abbilden, die nicht hierarchisch funktioniert und in der kreative Ideen ohne (Selbst-)Zensur entwickelt werden können.

Arbeiten mit Präsentationen: Gesamtkonferenz Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule

Stets muss ich präsentieren, formulieren, visualisieren, überzeugen, Transparenz schaffen, Verbündete gewinnen, Neues einschleusen. Die tradierte Powerpoint-Präsentation mit ihren Kategorien und Unterkategorien, die dem Publikum vor Augen führt, was es parallel auch hören kann, reicht für diese Zwecke nicht aus. Daher überlege ich mir für jede Präsentation einen kleinen Höhepunkt, etwas, was ganz ungewohnt, aber auch sehr lustig ist, oder was wirklich außerordentlich berührt. Für die Präsentation wähle ich beispielsweise einen besonderen Font, schöne Farben und halte sie kurz und prägnant. Die Bilder sind von hoher Qualität und werden von zwei bis drei Video- und/oder Audiovignetten3 ergänzt, die nicht länger als 60 Sekunden sein sollten. Ich nehme zusätzlich Material mit, was herumgegeben und angefasst werden kann (Materialproben aus Projekten, Mappen oder Ähnliches). Eine gute Präsentation spricht alle Sinne an.

Meine Sprache wähle ich in einem individuellen Stil, streue humorvolle Pointen ein und stelle Bezüge zu meinem persönlichen Erfahrungsbereich her, mache mich also als Person dadurch angreifbar und transparent. Ich achte darauf, dass ich stehe und mich frei bewegen kann, da Gestik und Bewegungen helfen, sich mit dem Inhalt zu verbinden und ihn "zu verkörpern".

In der Gesamtkonferenz präsentierte ich die Hauptfakten (das Kulturagentenprogramm, das Netzwerk, die Projekte) locker und beiläufig knapp. Mein Publikum hatte schon zehn Stunden Arbeit hinter sich, sodass es zu dieser Tageszeit eigentlich schon eine "Schnarchnummer" ist, und das nicht nur für Menschen, die nicht unbedingt kulturaffin sind.

Die künstlerischen Projekte waren, wie oben beschrieben, mit herausragendem Bildmaterial visualisiert. Thema und Wunsch der Schule an das Kulturagentenprogramm war es, "Räume zu gestalten". Ich hatte daher eigens für diese Präsentation zuvor in allen drei Netzwerkschulen Interviews mit Schülerinnen und Schülern durchgeführt, in denen ich sie befragte, welche Räume der Schule ihnen denn besonders gefielen. Aus diesen Interviews wählte ich eine Passage von Pascal aus, einem Schüler des 7. Jahrgangs der Heinz-Brandt-Schule, in der er erklärte, warum quietschende Drehstühle so wichtig seien. Diese Audiovignette spielte ich ungefähr in der Mitte meiner Präsentation ab. Die Lehrerschaft der Gesamtkonferenz bog sich vor Lachen. Wir hatten damit die Schülerinnen und Schüler, um die es ja geht, symbolisch in unsere Mitte geholt. Wir konnten in dieser kurzen Sequenz erleben, wie dieser Schüler uns als Erwachsene erlebt, was für ihn wichtig ist und was er in der Schule als schön empfindet. Also auch hier entstand ein Perspektivenwechsel, begleitet von großer Nähe und Empathie. Unausgesprochen war zu spüren, dass es die Liebe zu den Schülerinnen und Schülern ist, die uns verbindet. Ein Gefühl, das kurz vor Beginn der Konferenz verschüttet war – hier kam es wieder hervor und gab uns den Elan für den weiteren Verlauf.

Arbeiten mit Präsentationen: Jubiläumsfeier Kurt-Tucholsky-Schule

Für dieses wichtige Jubiläum hatte ich angeboten, einen Film zu drehen, der die zentralen Momente der Schule bündelte. Dafür wurde mir Archivmaterial aus 25 Jahren (Schul-)Geschichte zur Verfügung gestellt das ich sehr sorgfältig einscannte und mit Zwischentiteln versah.

Standbild der Präsentation zum Schuljubiläum der Kurt-Tucholsky-Schule 2013
Nach einem Plakatentwurf von Kristina Huber mit der Zeichnung des Schülers Valentin Wesemann

Standbild der Präsentation zum Schuljubiläum der Kurt-Tucholsky-Schule 2013
Quelle: Neues Deutschland, März 1983

Der Film wurde gleich zu Beginn der Jubiläumsfeier vor der Bühnenshow gezeigt. Hier war das Besondere, dass ich die Zeit der Schule in der ehemaligen DDR an den Anfang stellte und längst vergessene Zeitungsartikel dieser Zeit sichtbar machte – das sorgte für große Überraschung. Auch hob ich Bilder in den Vordergrund, die Lehrerinnen und Lehrer zeigten, wie sie jung und engagiert gemeinsame Projekte durchführten. Wichtig war es mir, Aktionen zum Hochwasser vor zehn Jahren mit genauso vielen Bildern zu visualisieren wie Kunstprojekte, und auch Aktionen aus den Naturwissenschaften bekamen ihren Platz. Auch bei den Projektwochen zeigte ich Bilder aus den Näh- und Strickprojekten ("Mit Wolle und Knopf") gleichwertig neben Aktionen im Hamburger Bahnhof. Der sechs Minuten lange Film hatte durchschlagenden Erfolg. Das Kollegium wirkte sehr berührt und äußerte den Wunsch, möglichst bald wieder eine gemeinsame große Schulaktion durchzuführen. Dieser Wunsch sei durch den Film ausgelöst worden, weil er sichtbar gemacht habe, was möglich ist.

Meine Lernerfahrung ist, dass audiovisuelle Plattformen für große Gruppen – hier waren es 1.200 Menschen – extrem viel bewirken können. Mein Arbeitseinsatz von mehreren Wochenenden hatte sich gelohnt. Meine Methode war eine genaue Dramaturgie verbunden mit der Kenntnis, was für das Publikum wichtig war und was es vielleicht schon vergessen hatte. Ich hatte die Riesenchance, einen Teil eines solchen Ereignisses mitzugestalten, das die Basis für eine gemeinsame Kultur gelegt hat.

Die Broschüre "Kulturelle Bildung in der Kurt-Tucholsky-Schule"4 haben wir ebenfalls nach diesen Prinzipien konzipiert. Auch sie bildet das verbindende kulturelle Leben an der Schule ab, das alle anspricht und einbezieht. Ermöglicht wurde es durch die enge und konspirative Zusammenarbeit mit der Kulturbeauftragten Grit Wöhlert.

Zusammenarbeit mit Lehrkräften initiieren, die keine künstlerischen Fächer unterrichten

Neben den oben beschriebenen Methoden ist es wichtig, Projekte zu konzipieren, die in das gesamte Schulcurriculum eingreifen und ihre Wirkung strategisch im Schulganzen entfalten.

Das Belohnungsprinzip: "Wanted" an der Heinz-Brandt-Schule

Nach einem Jahr der Zusammenarbeit mit der Heinz-Brandt-Schule stellte ich fest, dass alle Projekte ausschließlich in den Klassen von Alexandra Kersten, Kulturbeauftragte der Schule, stattfanden und von ihr betreut wurden. Wir entwickelten daraufhin die schulweite Ausschreibung "Wanted". Unter Erfüllung künstlerischer und partizipatorischer Kriterien erhielten die Beantragenden von uns 1.000 Euro für ein fachübergreifendes Projekt mit externen Künstlerinnen und Künstlern. "Wanted" wurde ein Riesenerfolg: Es haben sich fünf sehr spannende fächerübergreifende Projekte ergeben, die aus dem Kollegium entwickelt worden sind. Kooperationspartner sind beispielsweise das Arsenal – Institut für Film und Videokunst, das Gorki Theater, ein Regisseur, ein Steinbildhauer oder das Programm "Grün macht Schule". Alle Projekte werden nun weiterentwickelt und teilweise anders finanziert. Weitere Kolleginnen und Kollegen aller Fachbereiche haben ihren Wunsch geäußert, ein Kunstprojekt durchzuführen.

Szenische Präsentation "Helden sind Monster" von Schülerinnen und Schülern der Heinz-Brandt-Schule im Maxim-Gorki-Theater, 2014
Foto: Mona Jas

Das Effizienzprinzip: Themenzentrierter Unterricht mit Studierenden an der Heinz-Brandt-Schule

Themenzentrierter Unterricht ist eine neu entwickelte Unterrichtsform an der Schule, in welcher der Unterricht nach Themen, fachübergreifend und projektorientiert durchgeführt wird. Die Entwicklung benötigt viel Arbeit. Ich schlug daher zwei Lehrerinnen vor, die ein Projekt zum Thema "Die goldenen Zwanziger" vorbereiteten, eine Studentin des Modedesigns der Kunsthochschule Weißensee einzubeziehen. Ich würde die Ausschreibung übernehmen und die Person vermitteln, wäre also das Scharnier, sodass auf die Lehrerinnen keine Mehrarbeit zukommen würde. Sie sagten zu. So konnte ich in Dialog mit den Lehrerinnen und den Schülerinnen und Schülern treten und am Projekt teilnehmen, das richtig gut wurde. Die Schülerinnen und Schüler entwickelten wundervolle Zeichnungen und Modelle mit Stoff. Die angehende Modedesignerin hatte ein tolles Projekt geplant. Ich konnte im Unterricht hospitieren und gab auf die Methoden der beiden Lehrerinnen ein direktes und sehr positives Feedback. Das Projekt wurde fortgesetzt. Mir gefiel es besonders, so nahe im Unterrichtsgeschehen beteiligt zu sein, Rückmeldungen geben zu dürfen und über die Achtung und Anerkennung des Einsatzes der anderen kontinuierlich an einer Qualität unserer Begegnungen zu arbeiten.

Das Qualitätsprinzip: Kooperation mit dem Arsenal – Institut für Film und Videokunst an der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule

In dem Projekt "Living Archive für Kinder" waren Kinder im Grundschulalter eingeladen, sich im Arsenal – Institut für Film und Videokunst auf eine Reise in die Geschichte des bewegten Bilds zu begeben. In einem Lehrerbrief wurden die Qualitäten des Projekts dezidiert angepriesen und mit Bildmaterial unterlegt. Alles war so geschrieben und organisiert, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit wenig Aufwand mit ihrer Lerngruppe teilnehmen konnten. Das Anliegen war knapp formuliert und machte den Seltenheitswert des Angebots deutlich. Es nahmen insgesamt 170 Schülerinnen und Schüler teil. Das Feedback war von allen Beteiligten sehr positiv, sodass darauf aufbauend weitere Filmprojekte mit dem Arsenal stattfanden.

Das Hierarchieprinzip

Die Schulleitung der Kurt-Tucholsky-Schule verpflichtete das Kollegium, zu ihrem Schuljubiläum Workshops durchzuführen. Diese Workshops sollten es den über 800 Schülerinnen und Schülern ermöglichen, sich aktiv und kreativ zu dem 20-jährigen Bestehen der Schule mit der Person Kurt Tucholskys, seinem Wirken, seinen Werken und seinem Leben auseinanderzusetzen. Unterstützung konnte dabei von externen Künstlerinnen und Künstlern in Form von Teamprojekten erfolgen. Dieses Konzept konnte ich während eines Organisationstreffens zum Jubiläum anregen. Das Argument, dass davon auch die Schülerinnen und Schüler profitieren könnten, weil sie diesen wichtigen Tag durch eigene Handlungen mitgestalten und nicht bloß als (passives) Publikum der Bühnenshow beiwohnen würden, überzeugte die Schulleitung. Daraufhin sprachen wir zahlreiche externe Künstlerinnen und Künstler an. Die Durchführung war ein Erfolg und erzeugte vielfach den Wunsch nach Wiederholung.

Künstlerische Strategien zur Verwicklung in kulturelle Lernprozesse

Abschließend möchte ich noch weitere künstlerische Aktionen beschreiben, die ich in meiner Arbeit als Kulturagentin erprobt habe.

Handlungen im Schulraum als öffentlichem Ort

Hier sind Vorgehensweisen angesprochen, die als künstlerische Aktionen gar nicht so leicht zu fassen sind. Wann beginnen sie, künstlerischen Charakter zu haben? Lassen sie sich planen? Was bewirken sie? Und vor allem: Braucht es eine Künstlerin/einen Künstler dazu?

Genau genommen beginnt die künstlerische Handlung – durchaus auch als Störung oder Eingriff – bereits in dem Moment, in dem ich als "Schulfremde" in den Schulbereich mit einer versteckten Agenda eintrete. Dies gilt insbesondere und gerade als Kulturagentin, die qua Auftrag eine Doppelrolle innehat, da ich meine künstlerische Sicht- und Vorgehensweise beibehalte. Für die Schule bin ich gleichzeitig als "Künstlerin" nicht sichtbar. Ich werde Teil des Schulalltags und hospitiere, bin bei Studientagen anwesend, begleite Projekte, spreche mit Schülerinnen und Schülern und vieles mehr. Dadurch, dass ich nicht als Künstlerin wahrgenommen werde, habe ich einen größeren Handlungsraum, als wenn ich offiziell ein Projekt als Künstlerin durchführe. Mein inneres Ziel ist dabei, Komplizinnen und Komplizen zu gewinnen, Neues zu erproben, zu recherchieren, Verbindungen zu knüpfen und Interesse zu wecken.

Zeichnung entstanden während einer Hospitation im Unterricht, 2011
Abb: Mona Jas 

Eine Hospitation an sich ist im Schulalltag nichts Ungewöhnliches. Hospitiere ich jedoch als Künstlerin im Physikunterricht, um zu recherchieren, wie die Lehrkraft in verwendete Methoden auch kulturelle Lernprozesse einbindet, dann verändere ich das normale Alltagsgeschehen des Unterrichts allein schon durch meine Anwesenheit und meinen Blick darauf. In einer konkreten Situation konnte ich diese Veränderung durch ein Gespräch mit dem Lehrer im Anschluss an die Hospitation in einer Physikstunde vertiefen. Er behandelte mit den Schülerinnen und Schülern die "Schwerkraft" mittels Erforschung der eigenen Sinneswahrnehmung, der Durchführung und Beobachtung eines Experiments und den daraus selbstentwickelten Schlussfolgerungen. Ich schilderte ihm, wie ich seine Methoden wahrnahm, die ich mit der Vorgehensweise in einem künstlerischen Prozess verglich. In einer anderen Situation begann ich spontan, während einer Hospitation in einer Grundschulklasse zu zeichnen. Ich zeichnete den Raum, skizzierte die Bewegungsabläufe der Schülerinnen und Schüler und umriss die Gegenstände. Die Lerngruppe beobachte mich sehr neugierig. Im Anschluss zeichnete ich auf Bitte einiger Kinder Motive ihrer Wahl wie beispielsweise Pferde. Dies eröffnete mir das Gespräch, und nonverbal konnte ich das thematisieren, worum es mir ging: alternative visuelle Dialoge zu entwickeln.

Kuratieren im Schulraum

Auch Objekte im Schulraum wirken nonverbal, wenn sie in irgendeiner Weise anders sind als gewohnte Dinge. Sie verändern den Blick. Hier war meine künstlerische Strategie die des Kuratierens. Drei Rückzugsräume wurden beispielsweise von 36 Grundschülerinnen und -schülern und dem Architekten Thomas Wienands für die spezielle Funktion des "Rückzugs" innerhalb der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule entwickelt und gebaut. Sie veränderten den Schulraum und öffneten neue Perspektiven zur Frage, was Kunst und Kultur sein könnten. Die teilweise auch innen und außen verspiegelten Flächen mit farbigen Fensterflächen prägen die Kuben. Sie ermöglichen eine veränderte kaleidoskopartige Wahrnehmung des Innen- und Umraums und der sich darin aufhaltenden Personen. Die begehbaren Objekte erzählten mit ihrer Formensprache und räumlichen Dimensionen von den Sehnsüchten und Vorlieben der Kinder und veränderten so die Narration der Schule.

Gemeinschaftsbild von Schülerinnen und Schülern der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule aus dem Projekt "Raumbau" von Katja Pudor im Foyer der Schule
Foto: Mona Jas

Rückzugsraum "Jägerstand" konzipiert und mitgebaut von Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule im Projekt "Rückzugsräume" von Thomas Wienands
Foto: Thomas Wienands

In zahlreichen Schichten entstanden drei Gemeinschaftsbilder von über 30 Schülerinnen und Schülern dieser Schule in kooperativen künstlerischen Prozessen mit der Künstlerin Katja Pudor. Als sie einen als "fertig" wahrgenommenen Zustand erreichten, wurden sie zentral in den Eingangsfoyers der Schule angebracht. Auch hier erzählen die Bilder die Geschichte der Kinder und verändern den Blick auf das, was Kunst sein soll, und gleichzeitig auch auf das, was Schule angeblich ist.

Dekonstruktion

Wie auch anlässlich des eingangs beschriebenen Studientags hatte ich öfters die Gelegenheit mit anderen Akteurinnen und Akteuren im Rahmen des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen" eigene Workshops durchzuführen. So führte ich den Workshop "Come into my World" im Rahmen des Landesnetzwerktreffens Berlin im Februar 2012 mit den Berliner Kulturagentinnen und Kulturagenten sowie Kulturbeauftragten durch. Zentrales Thema der verschiedenen Elemente des Workshops war die Erforschung künstlerischer Prozesse unter den besonderen Aspekten des Raums und der Erinnerung.

Tableau vivant zu dem Foto "Helden der Fantasie" im Workshop "Komm" in meine Welt" von Mona Jas zum Landesnetzwerktreffen Berlin, 2012
Foto: Anne Stienen, DKJS

Als Methode der Untersuchung regte ich ein "Tableau vivant" an, ein gesellschaftliches Spiel aus dem 18. Jahrhundert, in dem Gemälde lebensecht nachgestellt wurden. Ziel war es, dadurch Präsentationsweisen kultureller Projekte in den Medien zu hinterfragen und zu dekonstruieren. In der letzten Arbeitsphase "Inszenierter Raum" stellte ich das Foto eines Projekts aus dem Modellprogramm, das in der Zeitung "DIE ZEIT" im Februar 2012 veröffentlicht worden war, für eine gemeinsame Untersuchung in den Mittelpunkt.5 Es zeigte den Ausschnitt einer Aufnahme von Schülerinnen und Schülern in einem Projekt. Keiner der Gruppe blickte in die Kamera, alle waren fröhlich auf dem Boden liegend am Arbeiten.

Helden der Fantasie
Foto: Roger Hagmann für DIE ZEIT

Im Sinne des Zeitungstheaters von Augusto Boal konnten die Teilnehmenden durch eine Reinszenierung dieser Abbildung ihre eigene Haltung dazu reflektieren. Diese Reflexion bezog sich auf die Perspektive der Schülerinnen und Schüler: Waren sie wirklich so fröhlich, worüber freuten sie sich? Wie fühlte es sich an, gemeinsam auf dem Boden zu arbeiten? Die Reinszenierung beinhaltete aber auch eine Art Kommentierung oder Gegenlesen der medialen Inszenierung des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen". Auf einer weiteren Ebene konnten wir durch die Verkörperung des medialen Abbildes auch Stimmungen der Schülerinnen und Schüler nachempfinden und selbst in ihre Rolle schlüpfen.

Auch dieses Beispiel zeigt gut, wie offen die Akteure sich auf dekonstruierende, die eigene Praxis hinterfragende, kreative Situationen einließen und den Impuls einer Person von außen – von mir – aufnahmen, um ihn für sich zu nutzen.

Im letzten Jahr des Modellprogramms stelle ich daher rückblickend fest, wie wertvoll es für mich in den sehr unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen und Arbeitsweisen war, mit einer gewissen Unbeschwertheit und Unbefangenheit in das neue Aufgabenfeld hineinzugehen. Der Mangel an Routine bedeutete für mich gerade die besondere Stärke. Durch eine "andere" Perspektive, den durch die Arbeit in ästhetischen Zusammenhängen geschulten Blick von außen, in Schule zu wirken, war eine sehr besondere Möglichkeit. Gleichzeitig bedeutete sie für alle auch ein Risiko, ein Sich-Einlassen und ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Daher möchte ich mich an dieser Stelle bei den Schulen, den Schulleiterinnen, den Kulturbeauftragten, den Lehrerinnen und Lehrern und den Schülerinnen und Schülern bedanken, dieses im wahrsten Sinne des Wortes ausgehalten zu haben, dies Experiment gewagt zu haben.

1 Vgl. Clifford, James: "Museums as Contact Zones", in: Routes, Harvard College, Cambridge, Mass. 1997, S. 188 ff.

2 Vgl. Bachtin, Michail: Die Ästhetik des Wortes, Hg. Rainer Grübel, Frankfurt/M. 1979, S. 338ff.

3 Zum Begriff der "Videovignette" siehe in der Unterrichtsforschung von Prof. Dr. Ulrike Kranfeld online: www.jeki-forschungsprogramm.de/forschungsprojekte/musikalische-bildungsverlaufe/verbundprojekt-adaptimus/ [23.11.2014].

4 www.kulturagenten-programm.de/assets/Uploads/Downloads/201302ProjektWocheKTOBroschureAnsicht-WEB2.pdf [23.11.2014].

5 Haug, Kristin: "Helden der Fantasie – Kulturagenten wollen mehr Schüler in Theater und Museen bringen – ein Modellprogramm", in: DIE ZEIT vom 23. Februar 2012.