David Laux
Heavy Metall – Dokumentierte Wissenschaft
David Laux

Heavy Metall – Dokumentierte Wissenschaft

Kurzbeschreibung

Das Projekt „Heavy Metall“ vermittelte den Schülerinnen und Schüler einen neuen Zugang zum Thema „Metall“. In den Werkstätten eines Schmieds und eines Kupferstechers erlernten die Teilnehmenden den kreativen Umgang mit dem Material. Sie erschufen kunstvoll geschmiedete Skulpturen und künstlerische Drucke und beschäftigten sich sowohl mit Handwerk als auch Ästhetik.

Bundesland

Baden-Württemberg

Ort

Munderkingen

Beteiligte Klassenstufen

10

Thema

Dokumentierte Wissenschaft

Sparten

Bildende Kunst

Format

Projektwochen

Beteiligte Schülerinnen und Schüler

29

Projektdauer

2 Wochen

Durchführungsorte

In der Schule
Präsentation in einem Kino

Beteiligte Lehrkräfte

Jährlich ca. 25
im Theater-Spielprojekt je 7
3

Kunst und Wissenschaft scheinen in einer Werkrealschule im ländlichen Raum Begriffe zu sein, die weit vom Weltkonzept der Schülerschaft entfernt sind. Dabei lassen sich darunter, je nach Weite des zugrunde gelegten Begriffsverständnisses, sämtliche Lebensprozesse subsumieren. Nimmt man der Schule diese Begriffe, kann keine Schule mehr stattfinden! Dass beide Begriffe kaum getrennt voneinander gedacht werden können, mag zwar als Idee im Bildungsplan formuliert sein, findet aber selten praktischen Einzug in die schulischen Tätigkeiten. Um der Schülerschaft der 10. Klasse der Grund- und Werkrealschule Munderkingen noch vor dem Schulabschluss wichtige Primärerfahrungen zukommen zu lassen, wurden die im Bildungsplan beschriebenen Kompetenzen in einem Kunstprojekt zusammengedacht. Primärerfahrungen können sowohl durch die praktische Auseinandersetzung mit Kunst und dem eigenen Schaffen als auch durch die reflektierte Auseinandersetzung und dem Verstehen von Kunst entstehen. Als Klassenlehrer habe ich mich vorwiegend an den im Bildungsplan ausgewiesenen und in der Prüfung relevanten Inhalten orientiert. Besonders die starke Ausrichtung des Wahlfaches "Natur und Technik" rund um das Thema Metall inspirierte mich zu einem Projekt, in dessen Rahmen "Metall" von künstlerischer Seite erschlossen werden sollte. Das Projekt sollte sowohl die Ausbildungsreife der Schülerinnen und Schüler weiter anbahnen als auch die persönliche Bildung im klassischen Sinne vorantreiben, wie sie zwar oft formuliert, aber selten gelehrt wird.

Vorab haben sich alle Beteiligten an einem Tag auf die Projektwoche vorbereitet, indem wir gemeinsam das Archiv der Hochschule für Gestaltung in Ulm, deren historische Druckwerkstatt und das Ulmer Museum besucht haben. Im Archiv und in der Druckwerkstatt konnte sich die Schülerschaft mit der Frage der Funktionalität eines Designs auseinandersetzten und erfahren, warum jeder Formgebung, das heißt jedem Produkt, immer auch ein Design zugrunde liegt. Anhand praktischer Übungen wurde außerdem die Geschichte des Druckens beleuchtet. Die Schülerinnen und Schüler erfuhren auf diese Art, wie groß die kulturelle Bedeutung dieser historischen Entwicklung ist und wie Fortschritt in der Wissenschaft aufgrund verbesserter Dokumentationsverfahren möglich wurde.

Im Ulmer Museum setzten wir uns in freier Assoziation und Kontemplation mit expressionistischen Werken Bildender Kunst auseinander. Für viele Jugendliche war dies der erste Besuch eines Kunstmuseums und gleichzeitig der erste Kontakt mit abstrakter Kunst. Unser Besuch wurde von einem Filmteam der regionalen Fernsehabteilung dokumentiert und ausgestrahlt.1 Der Kulturagent der Schule, Karl Philipp Schmitz, hatte den Kontakt zu einem selbstständigen Schmiedemeister und einem freiberuflichen Kupferstecher hergestellt. Durch das Kulturagentenprogramm hatten wir die Möglichkeit, unseren Schülerinnen und Schülern für sechs volle Tage ein kulturschaffendes Angebot zu offerieren, von dem wir uns einen enormen pädagogischen Nutzen erhofften.

In zwei Gruppen wurde abwechselnd mit einem pneumatischen Hammer an einem mannshohen schmiedeeiserenen Blumenfeld geschmiedet oder an den Kupferstichen gearbeitet. Beides fand während der regulären Unterrichtszeit auf dem Schulgelände statt. Die Schüler wurden dabei auf zwei Feldern künstlerisch aktiv. Zum einen gestalteten sie eine große massive schmiedeeiserne Skulptur in Gruppenarbeit. Jeder brachte sich in die Formgebung ein. Die Bearbeitung des Werkstoffes Eisen sollte zeigen, wo die Möglichkeiten der Metallverarbeitung mit einfachen handwerklichen Mitteln liegen. Die Kupferstiche sind historisch gesehen ein wichtiges künstlerisches Mittel, Dinge zu konservieren oder einem breiten Publikum öffentlich zu machen. Um ein Bild möglichst vielsagend zu gestalten, befassten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch mit den Bereichen der Semiotik.

Die Schülerinnen und Schüler erfuhren und entdeckten so neben den physikalischen Eigenschaften des Materials und den daraus folgenden Gestaltungsmöglichkeiten die Notwendigkeit von Kreativität und handwerklichem Geschick, die erst eine Formwerdung des Materials zulassen. Durch die unbefangene direkte Auseinandersetzung mit dem Material wurde ihnen die Perspektive eines Künstlers näher gebracht. Die Kupferstiche bezogen sich auf das Thema "Dokumentierte Wissenschaft" durch die Fertigung verschiedener Platten erhielten die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die historische Entwicklung des Drucks bis zum heutigen selbstverständlichen Gebrauch digitaler Drucker. Durch den Untertitel "Dokumentierte Wissenschaft" sollte hervorgehoben werden, dass die erste Auseinandersetzung des Menschen mit der ihn umgebenden Umwelt immer eine künstlerische, ja eine spielerische ist. Setzt sich der Mensch mit seiner Umwelt auseinander, fertigt er unwillkürlich Modelle dieser Umwelt an, die auf seinen Erfahrungen mit dieser beruhen, ebenso aber auch vom kulturellen Hintergrund geprägt sind. Diese Modelle spiegeln sich auch in der geschaffenen Kunst wider. Kunst ist etwas, das, wie die Umwelt auch, verstanden werden muss, um als Kunst zu gelten. Ebenso haben wissenschaftliche Modelle, Theorien und Erklärungen (beispielsweise über Analogien) vor allem für die Allgemeinheit einen Wert oder Sinn, wenn sie verstanden werden. Um Wissenschaft zu dokumentieren beziehungsweise Erkenntnisse dokumentierbar zu machen und so aus dem Erfahrungshorizont eines einzelnen oder weniger Subjekte in die Gesellschaft zu heben, müssen sie immer künstlerisch ausgewertet werden. Auch bei einer scheinbar rein objektiven Angelegenheit, wie der Anfertigung einer Skizze über das menschliche Skelett, spielt die künstlerische Kreativität eine Rolle. Kunst ist unverzichtbar zur Modellentwicklung und damit zum Verstehensprozess der Welt.

Natürlich stehen für eine Schule auch andere Ziele auf der Agenda, die mit einem solchen Projekt fokussiert werden sollen. Der Schülerschaft wurde ein Praktikum der anderen Art in einem traditionellen Handwerk geboten, das tiefe Einblicke in ein Berufsbild zulässt. So erfuhren Schülerinnen und Schüler, dass Kreativität sinnstiftend wirken und vielerlei Perspektiven auf die spätere berufliche Lebensgestaltung aufzeigen kann.

Die praktische Erfahrung eines solchen Projekts bricht natürlich mit dem routinierten Alltag eines schulischen Unterrichtstages, stellt dessen Bedeutung und Wirkung aber nicht in den Schatten, sondern ergänzt und bereichert ihn. Diese Erfahrung machten alle am Projekt Beteiligten. In der Tat wurde es von allen als etwas Besonderes angesehen. Der Aufbau und die Vorbereitung der nötigen Geräte wurden von den Künstlern übernommen, die tatkräftig vom Hausmeister und freiwilligen Schülerinnen und Schülern unterstützt wurden. Den weitaus größten Aufwand stellte die Werkstatt des Kunstschmieds Adelbert Burk dar. Die große Schmiedewerkstatt unter freiem Himmel verfügte über drei komplette Essen inklusive Werkzeuge für drei Personen pro Esse und einem pneumatischen Schmiedehammer, dessen klangvolles und erschütterndes Schlagen hohe Aufmerksamkeit und Staunen hervorrief. Hier war besondere Achtsamkeit geboten, und die ungewöhnliche Atmosphäre aus Hitze, unbekannten Klängen und dem typischen Schmiedegeruch rang allen Beteiligten ein hohes Maß an Ehrfurcht ab. Der imposante pneumatische Hammer ließ auf die enormen darin waltenden Kräfte schließen, und wir alle hatten eine Vorstellung davon, wie viel handwerkliche und künstlerische Energie in der Skulptur des Blumenfeldes steckten.

In der Kupferwerkstatt, wo sich filigranes Ritzen und sich der Nadel widersetzend Kupferplatten mit dem Hantieren großer Mengen gefährlich anmutender Chemikalien paarten, bot sich nicht minder Anlass zur Selbstmotivation. Eines der allgemeinen pädagogischen Ziele, nämlich den Schülerinnen und Schülern Raum und Zeit zur Eigenaktivität zu geben, wurde so rasch erreicht.

Die Schülerschaft hatte nicht nur Zeit, sich ein Thema zu erschließen, sie konnte sich darin auch frei schöpferisch ausprobieren. Die nötige Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, die beide Tätigkeiten abverlangten, stellten sich von allein ein. Am Ende der Projektwoche präsentierte die Schülerschaft stolz ihre fertigen Arbeiten. Auf dem Pausenhof steht nun ein imposantes schmiedeeisernes Blumenfeld; zahlreiche Kupferstiche stehen als Druckplatten für diverse Collagen bereit.

Deutlich wurde, dass sich den Schülerinnen und Schülern durch das Projekt und die Erfahrungen mit dem Kunstschmied handfeste Vorteile in Bezug auf die Berufsfindung ergaben. Das durchweg positive Feedback von Adelbert Burk schloss drei angebotene Praktikumsstellen mit ein. Dabei profitierten besonders die handwerklich Interessierten, die einen Samstag lang, vor Beginn der eigentlichen Projektwoche, die Schmiedewerkstatt in Ulm besuchten. So gewannen diese nicht nur intensive Einblicke in das Berufsbild des Schmieds, sondern sie erfuhren auch die kunsthandwerklichen Seiten eines solchen Berufs. Berufsalltag ist hier gepaart mit tief reichenden ästhetischen und künstlerischen Überlegungen.

Die angestrebten Ziele des Projekts sind also auch allgemeinbildender Natur und haben einen Hauptfokus auf der Persönlichkeitsbildung. Das Projekt trägt den Untertitel "Dokumentierte Wissenschaft", was sich auf den künstlerischen Aspekt jeder echten wissenschaftlichen Arbeit bezieht. Wissenschaft arbeitet immer mit Modellen, deren Ausgestaltung letztlich auch von der Kunstfertigkeit des Wissenschaftlers abhängt. So viel Dürer von der Anatomie eines Menschen wusste, so viel wusste Einstein über den Wohlklang eines virtuosen Geigenspiels: Beide Personen waren in der Lage, Kunst und Wissenschaft zusammen zu bringen. Die wissenschaftliche Erfahrung geht immer Hand in Hand mit einem künstlerischen Prozess. Selbst wenn ich mich ausschließlich als Künstlerin oder Künstler mit einem Werkstoff wie Eisen beschäftige, erfahre ich uneingeschränkt die chemischen und physikalischen Eigenschaften. So erstellt die Künstlerin/der Künstler ein Modell des Werkstoffes und öffnet sich gleichzeitig einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise.

Kunst baut auch Vorurteile ab und überschreitet Grenzen, die zum Teil durch persönliche Erfahrung, teils aus Traditionen heraus entstanden sind. Erfahrung macht das Unbekannte zum Bekannten. Werden solche Grenzen überschritten, eröffnen sich neue Erfahrungsmöglichkeiten, das Bild der Welt wird weiter und kontingenter und die eigene Person sich selbst vertrauter. Ein Künstler öffnet sich der Welt ebenso wie ein Wissenschaftler. Was sich so bei den Schülerinnen und Schülern innerhalb eines künstlerischen Prozesses einstellt, ist nichts anderes als ein Lernenwollen. Dieses Ziel, das durch das Projekt erreicht wurde, hat sicher ein gutes Fundament für die Abschlussprüfung gelegt.

Ich sehe Schule als einen Ort für Kinder und Jugendliche, an dem sie sich selbst und anderen begegnen können. Naturwissenschaftliche Inhalte sind für Jugendliche gerade an einer Werkrealschule meist ein Menetekel des Nichtverstehens und Nicht-verstehen-Wollens. Als Lehrer sucht man meist nach der einfachsten und nachhaltigsten Methode, wie Jugendliche zum Lernen gebracht werden könnten. Wohlgemerkt meine ich mit Lernen den schulischen Aspekt dieser Tätigkeit. Sich auf künstlerische Art ein Thema zu erschließen, ist hierbei eine so einfache wie funktionale Methode.

Drei Ziele haben wir innerhalb des Projekts erreicht:

  1. Eigenaktivierung (Schaffensfreude)
  2. Aspekte der allgemeinen Bildung/Persönlichkeitsbildung
  3. Ausbildungsreife (Selbstbeherrschung und anderes) und darauf bezogen realistische Vorstellungen über ein Berufsbild.

Das Projekt brachte den Begriff "Kunst" wieder zurück in den Denkhorizont der Schülerschaft, die erfahren konnten, dass Künstlerinnen und Künstler immer und überall am Werke sind. Die Schülerinnen und Schüler haben dabei auch ihre eigene Person in einem künstlerischen Prozess erfahren können. Die Schülerschaft konnte sich auf diese Weise einen eigenwilligen und ergiebigen Zugang zu einem wissenschaftlichen Thema bahnen. Der Zugang zu einem Thema ist ein Schlüsselerlebnis für einen lebenslangen Lernprozess. Viel höhere Ziele kann und sollte sich Schule nicht setzen. Ein angewandter Kunstbegriff kann, wie bei diesem Projekt, allemal als Methode Einzug in den schulischen Alltag halten.

 

 

 

1 Regio TV, www.regio-tv.de/video/253248.html [23.11.2014].