Kristin Bäßler
Der schönste Ort der Welt - Das JungeSchauSpielHaus Hamburg
Kristin Bäßler

Der schönste Ort der Welt - Das JungeSchauSpielHaus Hamburg

Ein Gespräch mit der Dramaturgin Stanislava Jević und der Theaterpädagogin Nicole Dietz vom JungenSchauSpielHaus Hamburg

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Im Rahmen des Kulturagentenprogramms hat das JungeSchauSpielHaus Hamburg verschiedene Projekte mit beteiligten Stadtteilschulen durchgeführt, darunter das Projekt "Der schönste Ort der Welt" mit der Stadtteilschule Barmbek/Standort Fraenkelstraße.  Stanislava Jević und Nicole DietzIn berichten über die Zusammenarbeit zwischen Theater und Schule, die Rolle von Bildungseinrichtungen und die Magie des Theaters. 

"Der schönste Ort der Welt"
Bild: Anita, Foto: Sinje Hasheider

Kristin Bäßler: Seit wann kümmert sich das Hamburger Schauspielhaus verstärkt um die Vermittlung seiner Theaterarbeit?

Stanislava Jević: Soweit ich weiß, seit Ende der 1980er Jahre, als der Theaterpädagoge Michael Müller am Deutschen Schauspielhaus Hamburg angefangen hat. Mit dem damaligen Intendanten Frank Baumbauer hat er die Theaterpädagogik aufgebaut. Seitdem gibt es hier einerseits das theaterpädagogische Programm und andererseits die Backstagearbeit mit Jugendlichen, die künstlerische Projekte über ein Jahr proben und zum Schluss auf einem Festival aufführen. Im Jahr 2000 kam der Intendant Tom Stromberg und hat vereinzelt ein jugendnahes Theaterstück mit professionellen Schauspielern im Malersaal gezeigt. 2005 hat dann der neue Intendant Friedrich Schirmer im Malersaal etwas wirklich Neues kreiert: das JungeSchauSpielHaus Hamburg als eigene Sparte mit eigenem Ensemble für junges Publikum. Ab da konnten Jugendliche und Kinder ganz regelmäßig in einem Repertoirebetrieb Theater schauen. Seit der letzten Spielzeit 2013 haben wir den Malersaal verlassen und sind hier in die Gaußstraße in Altona eingezogen.

Nicole Dietz: Angefangen haben wir mit klassischen theaterpädagogischen Vor- und Nachbereitungen, Publikumsgesprächen, die Vermittlungsarbeit hat sich dann zusehends ausgeweitet und durch künstlerische Projekte mit Schulen erweitert. Im JungenSchauSpielHaus gibt es beispielsweise Nachgespräche und Tandemklassen, die einen Probenprozess von Beginn bis zur Premiere begleiten und im direkten Austausch mit den Schauspielern, dem Regisseur und der Produktion stehen. Weiterhin machen wir Lehrerfortbildungen und exklusive Proben für Lehrkräfte, bei denen sie mit dem Produktionsteam ins Gespräch kommen. Zudem gibt es das "Startpilot"-Projekt, ein Kooperationsprojekt zwischen einer Schule und dem JungenSchauSpielHaus. "Startpilot" führt Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer über einen Zeitraum von vier Jahren in die Welt des Theaters ein. Die teilnehmenden Klassen oder Jahrgänge gehen in der Zeit einmal im Jahr zu einem vergünstigten Preis ins Theater, bekommen Begleitmaterial, Gespräche und Workshops – als Gesamtpaket.

Warum, glauben Sie, hat sich die Theaterpädagogik so stark verändert? Warum fand diese Öffnung für Jugendliche, der Gang raus aus dem klassischen Theater, weg von den Zielgruppen der 50- bis 60-Jährigen statt?

Stanislava Jević: Sicherlich haben sich die Intendanten bundesweit Sorgen um die sinkenden Besucherzahlen gemacht. Da das Theaterpublikum tendenziell älter ist, brauchte es eine Verjüngungskur. Deshalb lohnt es sich für die Theater, ein junges Publikum ans Haus zu holen und zu binden.

Nicole Dietz: Zudem ist das Theater für ein junges Publikum nah an seinen Zuschauern dran. Wir spielen in einem kleinen Raum mit Platz für ca. 130 Menschen. Das ist keine Guckkastenbühne, bei der man unter 1.200 Leuten im Theater sitzt und die Schauspieler nur von Weitem sieht. Bei uns sind Kinder und Jugendliche an den Geschehnissen und lebensnahen Themen auch wirklich räumlich nah dran, die Geschichten sind ästhetisch wertvoll und hochwertig inszeniert.

Wie unterscheidet sich das Vermittlungsprogramm vom SchauSpielHaus und vom JungenSchauSpielHaus – unabhängig davon, dass die Stücke andere sind?

Nicole Dietz: Die Vermittlungsformate unterscheiden sich kaum. Es variiert allerdings die Arbeit mit den Zielgruppen. Man muss anders darüber nachdenken, wie man zum Beispiel Kinder ab fünf Jahren in Proben- und Theaterprozesse einbindet. Bei der Vermittlung von Stoffen für Erwachsene geht es auch um Wissensvermittlung. Aber von unserer Seite geht es in erster Linie darum, wie wir die Inszenierung, die Theaterform, eine spezielle künstlerische Handschrift und auch den Inhalt vermitteln.

Stanislava Jević: Bei unseren Lehrerworkshops zu bestimmten Stücken möchten wir neben der Vermittlung des Inhalts auch theaterpädagogisches Wissen anhand eines konkreten Stückes vermitteln. In Hamburg ist seit letztem Jahr Theater Pflichtfach ab der 1. Klasse. Aber es gibt erst wenig ausgebildete Lehrkräfte. Deswegen besteht ein riesiger Bedarf, den wir alleine nicht decken können. Eigentlich müsste es eine Ausbildung oder einen Studiengang geben: Darstellendes Spiel für Lehrkräfte.

Wenn Sie das so erzählen, hat man das Gefühl, dass Sie das Theater auch als Bildungseinrichtung sehen, die sich verantwortlich fühlt, einen Teil von Wissen zu vermitteln, der ansonsten an Schulen gar nicht vermittelt wird/werden kann. Stimmt das oder ist das nur Wunschdenken?

Nicole Dietz: Natürlich erzählen wir hier Geschichten, und wir erzählen sie sinnlich. Es gibt verschiedene Erfahrungen, die man im Theater macht: sowohl eine kollektive Erfahrung – man sitzt gemeinsam im Theater, schaut etwas einmaliges an, das immer wieder neu definiert wird, obwohl es trotzdem immer gleich ist, anders als im Fernsehen oder im Film – als auch individuelle Erfahrungen, die bilden. Aber der Ansatz ist ein anderer als in der Schule. Bei uns geht es nicht um Leistung und um Noten. Das ist das, was Theater zusätzlich zur Wissensvermittlung in der Schule leisten kann. In unseren Schulprojekten und Workshops wollen wir nicht nur klassisches Schulwissen vermitteln, sondern Sinnlichkeit und Einmaligkeit herstellen. Das stößt bei den Lehrkräften immer stärker auf Anklang, das ist toll. Ich glaube, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer auch eine andere Form von Wissensvermittlung in ihrem Schulalltag wünschen.

Stanislava Jević: Im Theater geht es nicht primär um quantitativen Wissenstransfer, sondern darum, eine inhaltliche und ästhetische Gesamterfahrung zu machen, aus der man im besten Fall klüger herauskommt. Ich würde mir wünschen, dass man über Kunst und ästhetische Erfahrungen Denkanstöße gesellschaftlicher Art erhält und dass die Jugendlichen lernen, Fragen zu stellen. Bei den Publikumsgesprächen haben wir tolle Erfahrungen gemacht: Bei uns sitzen dann 40-jährige und ältere Deutsche und 16-jährige Jugendliche mit türkischem Hintergrund bei Publikumsgesprächen zusammen und kommen miteinander ins Gespräch. Das hat etwas Utopisches. Wann hat man diese Situation eigentlich sonst?

Also könnte das Theater noch stärker als offener, gesellschaftlicher Raum fungieren, in dem gesellschaftliche Themen verhandelt werden können?

Nicole Dietz: Ja, so wie beim klassischen Volkstheater. Ins JungeSchauSpielHaus kommen Jugendliche, die von alleine erst mal nicht ins Theater gehen würden, weil die Hemmschwelle zu groß ist: Man muss sich schick anziehen und trifft nur auf "Bildungsbürgertum". Ins JungeSchauSpielHaus kommen sie und sagen: Wow, so hab ich Theater noch nie erlebt, das ist ja ganz direkt, das sind ja Themen, die mich interessieren, die auch noch spannend und ästhetisch hochwertig verpackt sind. Da kann man auch mit Jeans hingehen. Ein Ort, an dem man gemeinsame Erfahrungen macht.

"Der schönste Ort der Welt"
Bild: Bayryam, Foto: Sinje Hasheider

Wie sind Sie auf die Kulturagenten zugegangen und welche Motivation hatten Siebei der Zusammenarbeit?

Stanislava Jević: Die Theaterpädagogen an den Theatern sind ja bereits eine Schnittstelle zwischen Theatern und Schulen. Aber da es sehr viele Schulen gibt und immer noch zu viele Schulen, die zu wenig kulturelle Angebote der Stadt nutzen, kann es gar nicht genug qualifizierte Kommunikatoren zwischen Theatern und Schulen geben. Wir fanden die Idee von daher von Anfang an positiv, dass es mit den Kulturagenten Personen geben soll, die an der Schnittstelle zwischen Schule und Kulturinstitution agieren und sich in beiden Systemen sehr gut auskennen. Michael Müller hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass es jetzt das Kulturagentenprogramm gibt. Wir haben dann die Kulturagentin Stina K. Bollmann und das Programm kennengelernt. Es war uns dann schnell klar, dass wir diese Möglichkeit nutzen wollten, weil wir natürlich sehr an einer Kommunikation zwischen Theater und Schulen interessiert sind. Wir sind dann auf die Stadtteilschule Barmbek, Standort Fraenkelstraße gekommen. Das ist eine der wenigen Schulen mit internationalen Klassen, mit Jugendlichen, die teilweise ohne ihre Eltern nach Deutschland kommen und aus verschiedenen Ländern und Regionen stammen. Das Besondere an unserem Projekt "Der schönste Ort der Welt" war, dass wir mit ABC-Klassen zusammengearbeitet haben. Die Schülerinnen und Schüler werden ein halbes Jahr in diese Schule integriert, um Deutsch zu lernen, und gehen dann auf normale Schulen. Ich hatte die Idee, dass wir ein Projekt mit dem Titel "Der schönste Ort der Welt" machen könnten. Die Frage war: Was ist für die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, in ihrer Heimat der schönste Ort der Welt? Eine Fotografin, ein Regisseur und eine Choreografin haben jeweils mit einer Klasse künstlerisch gearbeitet. Es sind die unterschiedlichsten Dinge entstanden, die zum Thema "Der schönste Ort auf der Welt" im Schauspielhaus und auch in der Schule präsentiert wurden.

Was wurde konkret gezeigt?

Nicole Dietz: Fotografie, Tanz, Theater und ein Audiowalk der Schülerinnen und Schüler durch die Schule.

Stanislava Jević: Ein Teil des Ganzen war das Fotoprojekt. Sinje Hasheider, eine Hamburger Fotografin, hat gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern die Fotos gemacht. Zunächst hat sie die Kinder ein Bild malen lassen zu ihrem schönsten Ort der Welt. Der zweite Schritt war, dass sie versucht hat, in Hamburg Orte zu finden und zu inszenieren, die diesen Vorstellungen der Kinder nahekommen. Und die Kinder selbst durften mit dem Equipment der Fotografin fotografieren. Dabei sind wunderschöne Fotos entstanden. In der Schule und im Foyer des JungenSchauspielhauses gab es eine Ausstellung, bei der die gemalten Bilder und die Fotos gezeigt wurden, ergänzt von kleinen Texten, in denen dieser schönste Ort der Welt beschrieben wurde. Der Direktor des Standortes Fraenkelstraße hat dann für ein kleines Budget gesorgt, sodass wir eine Publikation zu diesem Fotoprojekt machen konnten.

Nicole Dietz: Den Audiowalk hat Martin Thamm, Künstler aus Bremen, mit Schülerinnen und Schülern entwickelt. Wir haben Interviews mit den Jugendlichen zu den Themen geführt: Wo kommt ihr her? Wie gefällt es euch hier? Was ist euer schönster Ort? Erzählt von zu Hause und vergleicht das. Es waren Schülerinnen und Schüler dabei, die erst seit ein oder zwei Monaten hier in Hamburg waren und noch kaum Deutsch sprachen. Insofern war es eine spannende Herausforderung, das Medium Sprache zu wählen – denn Sprache war eigentlich die größte Hürde. Wir haben dann versucht, mit den Jugendlichen ihre eigene Sprache, Bilder und Lieder zu finden, um diesen Audiowalk zu gestalten. Martin Thamm hat ihn zusammengeschnitten. Von den Teilnehmenden ist man dann durch die Schule geleitet worden und hat sich ihre Geschichten auf einem MP3-Player angehört.

Stanislava Jević: Die Schülerinnen und Schüler haben uns durch die Schule geführt und uns verschiedene Orte gezeigt. Ein ganz magischer Moment war eine Situation in der Turnhalle. Einer der Schüler ist ein sehr guter Fußballer und hat Fußballtricks in dieser sonnendurchfluteten Turnhalle gemacht. Da bekam diese Turnhalle etwas sehr Erhabenes und das an einem so alltäglichen Ort, der plötzlich so eine Magie ausstrahlte. Auch die Schüler selbst haben das als besonders wahrgenommen.

Nicole Dietz: Der Audiowalk endete in einem kleinen Raum der Schule, der wie ein altes Jugendzentrum aussah. Dort wurde man zum Tanzen eingeladen – ein Ritual aus Südamerika. Dieses Projekt ließ viele der Jugendlichen wahrscheinlich wirklich in Hamburg ankommen. Am Tanzprojekt, das die Choreografin Rica Blunck gemacht hat, nahmen eine Reihe traumatisierter Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan teil. Sie hat sich mit den Jugendlichen auf der tänzerischen Ebene mit dem Thema Heimat auseinandergesetzt.

Stanislava Jević: Das war nicht leicht für die Jugendlichen, etwas körperlich zum Ausdruck zu bringen. Trotzdem ist Rica mit einer Gruppe ein kleines Tanztheaterstück gelungen. Es war ein riesiger Erfolg für diese Gruppe, dass sie sich letztlich auf die Bühne getraut haben. Andere Medien wie Fotografie geben den Akteuren eher Distanzierungsmöglichkeiten. Das Tanzprojekt war eine echte Herausforderung zumal die Jugendlichen in dieser Schule waren, um Deutsch zu lernen und sich im Land zurechtzufinden. Und dann kommen ein paar Künstler und sagen, wir machen jetzt mit Euch Theater und Kunst. Wir sprechen mit Euch darüber, warum ihr hier seid und wie es Euch hier geht.

Wie viele Schülerinnen und Schüler waren insgesamt beteiligt?

Nicole Dietz: Drei Klassen, also insgesamt 60 Schülerinnen und Schüler. Für diese Jugendlichen war das eine totale Herausforderung, weil sie sich erst mal nicht vorstellen konnten, was Theater ist und was man da machen kann.

Welche Rolle hat in diesem ganzen Prozess die Zusammenarbeit mit der Kulturagentin gespielt?

Stanislava Jević: Ganz wichtig waren die Vorbereitungsgespräche zur Gestaltung und Durchführung des Projekts. Stina K. Bollmann und ich haben das gemeinsam erarbeitet. Danach gab es die ersten Treffen in der Schule mit den Lehrkräften der Klassen, die mitarbeiten sollten, mit der Kulturagentin, dem Direktor und uns Theaterpädagogen. Wir haben konkret besprochen, wie die Projektwoche aussehen könnte. Wichtig für solche Projekte sind die Kommunikationsschnittstellen, weil zwei Institutionen mit unterschiedlichen Rhythmen und Arbeitsweisen zusammentreffen.

Was braucht es darüber hinaus?

Nicole Dietz: Ich glaube die Hauptaufgabe besteht darin, einen Raum zu schaffen, in dem eine andere Form des Lernens möglich ist, die aber den gleichen Stellenwert einer Deutsch- oder Mathematikstunde hat. Dafür ist die Zusammenarbeit mit den Kulturagenten toll und wertvoll. Sie kennen sich mit beiden Systemen aus, mit uns, der Kultureinrichtung und mit der Schule.

Sie arbeiten neben Stina K. Bollmann auch mit der Kulturagentin Ruth Zimmer und ihren Schulen zusammen. Worum geht es bei dieser Kooperation?

Stanislava Jević: Beim Projekt "Startpilot" geht es darum, dass eine Klassenstufe oder einzelne Klassen regelmäßig über vier Jahre ins Theater gehen. Zu Beginn hatten wir überlegt, wie wir dieses Kooperationsprojekt an die Schulen herantragen und sind dann an die Kulturagenten herangetreten. Die Kulturagenten sind jetzt gemeinsam mit den Theaterpädagogen die Schnittstelle, unter anderem eben Ruth Zimmer von der Stadtteilschule in Lurup. Sie erhalten vergünstigte Eintrittspreise und Spezialbegleitprogramme, wie Workshops und spezielle Treffen für die Startpilotlehrer. Es geht um zwei Seiten: Das Theater, das ich sehe, erfahre, erlebe und das Theater, das ich selber mache, Kunst, die ich selber mache.

Setzen Sie häufiger freie Projekte, wie die an der Stadtteilschule Barmbek um? Welche Möglichkeiten haben Sie für diese freie Projektarbeit?

Stanislava Jević: Mit vielen Schulen ist das nicht möglich, weil die Kapazitäten einfach nicht vorhanden sind. Wir haben den Repertoirebetrieb und auch die Vermittlungsarbeit, bei der es vor allen Dingen darum geht, Publikum für die Stücke anzusprechen und ins Theater reinzuholen. Die größeren individuellen Projekte sind nur punktuell möglich. Es geht genau darum, dass in einer Schule Anstöße gegeben werden, die dann hoffentlich von alleine weiter gehen.

Nicole Dietz: Ja, die künstlerischen Projekte sind Leuchtturmprojekte. Es gibt schon öfter Anfragen von Schulen, die sich gerne beteiligen würden, aber der Repertoirebetrieb und das Kerngeschäft lassen dafür kaum Zeit.

Was haben Sie als Kultureinrichtung von Schulen gelernt?

Stanislava Jević: Oh, voll erwischt …

Gut, fragen wir erst mal andersherum: Was können Schulen von einer Kultureinrichtung lernen?

Stanislava Jević: Ich würde mir wünschen, dass die Schulen von Kulturinstitutionen alternative Lernformen übernehmen, dass sich mehr Lehrerinnen und Lehrer für andere Arten von Weltzugängen öffnen, dass ästhetische Zugänge zur Welt auch spannend sein können, dass es um eine qualitative Erfahrung mit der Welt geht und nicht nur um quantitative Wissensvermittlung und Wissenstransfer. Es gibt schon viele Schulen, die sehr moderne Pädagogikansätze verfolgen, aber es könnten noch mehr sein.

Und nun … was könnten Theater von Schulen lernen?

Nicole Dietz: Ich als Theaterpädagogin kann von Schule Struktur lernen.

Wenn diese zwei Systeme aufeinandertreffen, was bedarf es, damit eine gegenseitige Öffnung entsteht?

Nicole Dietz: Es bedarf vor allem der Kommunikation und dafür sind die Kulturagenten eine tolle Erfindung.

Stanislava Jević: Ich glaube, dass es auch eine Öffnung der Lehrpläne braucht. Ich bewundere Lehrer! Was sie alles leisten müssen, nicht nur an Wissensvermittlung, sondern auch an sozialer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Das ist eine riesige Aufgabe für die Gesellschaft, die nicht genug wertgeschätzt wird. Es gibt viele tolle engagierte Lehrer, aber tatsächlich müsste man an unserem Schulsystem ein bisschen was ändern. Es heißt oft: Wenn wir diesen ganzen Stoff bewältigen müssen, dann können wir nicht auch noch ins Theater und ins Museum und die Kinderoper gehen. Wie soll man das alles unterbringen? Dafür müssen Lehrpläne flexibler und offener und die Wertschätzung für diese Art von Lernen größer sein.

Welche Methoden wenden Sie an, um Lehrer von Ihrer Arbeit zu überzeugen?

Nicole Dietz: Es braucht immer Menschen, die couragiert sind, die begeistert sind und die sich darum kümmern, wie beispielsweise Kulturagenten, die den Lehrern die Angst vor der Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen nehmen. Das funktioniert vor allem über Kommunikation: Man braucht einen Moderator, der den Weg ebnet, damit Kunst und Kultur selbstverständlicher Teil des Lernens werden.

Was nehmen Sie aus dem Kulturagentenprogramm für sich, für ihre Arbeit mit?

Stanislava Jević: Also ich würde sagen, wir nehmen ganz viel Inspiration und Wissen darum mit, dass es in Hamburg einen großen Bedarf an kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche gibt, die beispielsweise sozial benachteiligt sind. Man muss weiterhin versuchen, sie mit Kunst und mit künstlerischen Projekten zu erreichen. Es ist ein lohnenswertes Projekt, daran weiterzuarbeiten, dass es solche Kooperationen gibt und dass man etwas einpflanzt, was dann wachsen kann. Kulturpolitisch fände ich es wichtig und gut, wenn es weiterhin Kulturagenten gäbe, da es eine Notwendigkeit gibt, diese Arbeit fortzusetzen. Die Kulturagenten sind näher an der Schule dran und das öffnet neue Wege in der Kommunikation und der Zusammenarbeit mit Schulen.

Nicole Dietz: Ja, das glaube ich auch. Am Anfang waren manche Häuser skeptisch: Oh Gott, was machen die Kulturagenten da? Es gibt doch Theaterpädagogen, warum muss es noch Kulturagenten geben? Aber ich würde das wirklich unterscheiden. Es ist total gut, dass beide nebeneinander und auch zusammen existieren, weil sie eine super Synergie herstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!