Stephan Bock
Der Kulturfahrplan
Stephan Bock

Der Kulturfahrplan

Systematische Implementierung von kultureller Bildung in den Schulalltag

Veränderungsprozesse in Schulen vollziehen sich in der Regel vor dem Hintergrund von Planungsinstrumenten – internen Leitbildern, (Rahmen-)Lehrplänen, Curricula sowie Ziel- und Leistungsvereinbarungen. Als die Kulturagentinnen und Kulturagenten ihre Arbeit im Jahr 2011 begannen, hatten sie zunächst die Aufgabe, eine Standortbestimmung durchzuführen und die in den Schulen bereits vorhandenen künstlerischen Angebote zusammenzutragen. Nach dieser Erhebungsphase erwies es sich als hilfreich, ein eigenes Planungsinstrument zu entwickeln, um die kulturelle Profilierung der Schulen voranzutreiben und kulturelle Bildung auf allen Ebenen zu implementieren Der Kulturfahrplan ist ein wesentlicher Baustein im Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen", um die Schulen dabei zu unterstützen, noch mehr Kunst und Kultur in den Schulalltag zu integrieren. Zudem verfolgte das Kulturagentenprogramm das Ziel, langfristige und nachhaltige Kooperationen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen zu fördern. Es ging also auch um die Fragen: "Mit wem arbeiten wir schon zusammen, und mit wem möchten wir zukünftig zusammenarbeiten?" Als Steuerungs- und Planungsinstrument dient der Kulturfahrplan der fortwährenden Reflexion der eigenen Zielsetzungen, der Überprüfung der Umsetzung in geeignete Maßnahmen und der Analyse des Erreichten.

"Noch ein Instrument!", haben anfangs viele Lehrkräfte gestöhnt. "Wir werden ohnehin schon ständig mit neuen Vorgaben und Verordnungen seitens der Schulpolitik konfrontiert." Außerdem hörte sich in ihren Ohren "Kulturfahrplan" nach einer Mischung aus Kursbuch der Bahn und Planwirtschaft an, und es gab nur vage Vorstellungen davon, wie ein solcher Plan auszusehen hat.

Auch die Tatsache, dass ergebnisorientiertes Denken und Handeln im schulischen Prozess meist noch vor dem prozessorientierten rangiert, mag eine Rolle bei der Beschäftigung mit den Kulturfahrplänen gespielt haben. "Wir denken eher vom Ende her", lautete der Kommentar einer Lehrerin zur Kulturfahrplandiskussion an ihrer Schule. Daneben sind Lehrerinnen und Lehrer immer noch weitgehend Einzelkämpfer; sich in einem Team über einen längeren Zeitraum zusammenzusetzen und etwas Gemeinsames zu entwickeln, kommt im schulischen Alltag selten vor. Die Skepsis war also anfänglich groß. Man musste umdenken, denn es stand zusätzliche Arbeit bevor. Dem endgültigen Ergebnis ging ein stetiger Entwicklungsprozess mit vielen Treffen, Diskussionen, Veränderungen und Abstimmungen voraus. Es war daher wichtig, dass dieser Prozess Raum und Zeit eingenommen hat. Nach eineinhalb Jahren, also im Dezember 2012 haben die Schulen den Kulturfahrplan beim Programmträger abgegeben.

Funktion und Aufgaben

In erster Linie ist der Kulturfahrplan als Planungsinstrument gedacht, das in nachvollziehbaren Schritten konkrete Handlungsanleitungen für die an der Umsetzung beteiligten Akteure bietet. Des Weiteren soll er die Information und Kommunikation unter den unmittelbar Beteiligten sowie in die Schulöffentlichkeit vereinfachen. Als Evaluationsinstrument angelegt hilft er, den Prozess zu dokumentieren, Ziele zu überprüfen, Qualität zu sichern und damit auch eine Weiterentwicklung anzustoßen. Durch ihn kann eine Öffentlichkeit weit über die Schule hinaus hergestellt werden, wenn er auf entsprechenden Plattformen, wie zum Beispiel der Schulhomepage, präsentiert wird. Nicht zuletzt kann er eine identitätsstiftende Funktion einnehmen, wenn sich alle schulischen Akteure in den dort beschriebenen Visionen, Zielen und Maßnahmen wiederfinden.

Inwieweit der Kulturfahrplan alle diese Ansprüche erfüllen kann oder auch soll, hängt einerseits von seinem Entstehungsprozess und seiner Ausgestaltung ab, andererseits von der Bedeutsamkeit, die ihm von schulischer Seite beigemessen wird. Als Papier, das – kaum formuliert – in der Schublade verschwindet oder sein Dasein am schwarzen Brett fristet, verfehlt er seine Funktion.

Der Entstehungsprozess

Die kulturelle Schwerpunktsetzung einer Schule ist mehr als eine Aneinanderreihung von Projekten und Präsentationen und betrifft nicht nur die musischen Fächer, sondern das gesamte Schulleben, und sie geht auch mit einer Öffnung der Schule für Kooperationen mit Kulturpartnern einher – das waren auch die Ziele des Kulturagentenprogramms. Schulen, die diesen Ansatz verfolgen, haben daher versucht, in der Entstehungsphase des Kulturfahrplans möglichst viele schulische Ebenen und idealerweise auch schon Kulturpartner einzubinden. Sie haben erkannt, dass Veränderungsprozesse nur dann gelingen, wenn alle schulischen Akteure die Ziele uneingeschränkt mittragen. Dafür wurden unterschiedliche Beteiligungsmodelle und Partizipationsinstrumente entwickelt. Diese reichten von schulübergreifenden Zukunftswerkstätten über Ideenfindungsworkshops und Open-Space-Ansätze bis zu pädagogischen Tagen und Strategiekonferenzen. Neben dem Lehrerkollegium waren daran vielerorts auch die Schülerschaft und nicht selten die Eltern beteiligt.

Bei den vorbereitenden Treffen kamen zum einen klassische Moderationsinstrumente zum Einsatz, aber auch immer wieder künstlerisch-kreative Methoden, die von externen Künstlerinnen und Künstlern angeleitet wurden. Diese gaben damit erste Einblicke in ihre Arbeitsweise. Mit künstlerischen Interventionen zu Vision, Kooperation, zur Zielentwicklung oder Ideenfindung demonstrierten sie, dass auch nichtmusische Themen mit kreativen Ansätzen bearbeitet werden können. So entstanden kleine temporäre und auch dauerhafte Kunstwerke in Form von Skulpturen, Plakaten oder künstlerischen Mindmaps.

Diese Veranstaltungen boten auch die Gelegenheit für eine Bestandsaufnahme: "Wo stehen wir? Was bringen wir mit? Wo wollen wir hin? Mit wem wollen wir künftig kooperieren?" Neben einer ersten Ideensammlung konnten dabei auch schon Schulvisionen formuliert und die daraus resultierenden Ziele abgeleitet werden. In einigen Schulen fanden zusätzlich Schülerbefragungen und -interviews statt, um deren Interessen und Wünsche herauszufinden und weitgehend zu berücksichtigen. Auch wenn sie häufig über das Machbare hinausgingen, gaben sie den Schülerinnen und Schülern das Gefühl, gehört und ernst genommen zu werden.

Das Zusammentragen der Ideen und Vorschläge sowie ihre Ausarbeitung zum Kulturfahrplan fanden anschließend in kleineren Einheiten statt. In der Regel waren es die Kultur- oder Steuergruppen, manchmal auch nur die Kulturagentin/der Kulturagent zusammen mit der/dem Kulturbeauftragten. In diesem Fall war es wichtig, deren Vorschläge und Ergebnisse in die schulische Breite zurückzukommunizieren, insbesondere in die Leitungsebene und die Fachgremien, um sie mit ihnen abzustimmen und auch auf ihre Machbarkeit hin zu überprüfen. Dieser Prozess erstreckte sich über mehrere Etappen mit Treffen in unterschiedlichen Konstellationen.

Als vorteilhaft stellte sich heraus, wenn in den Kultur- oder Steuergruppen nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der musischen, sondern auch anderer Fächer sowie Mitglieder des Leitungsteams saßen. Erstere können dafür sorgen, andere Kolleginnen und Kollegen für fächer- und auch jahrgangsübergreifendes Arbeiten zu begeistern, Letztere haben insbesondere Einfluss auf die Gestaltung der notwendigen Rahmenbedingungen.

Der – teils fertige, teils vorläufige – Kulturfahrplan wurde zumeist in den Gesamtkonferenzen vorgestellt und diskutiert. Spannend und manchmal auch heftig wurden die Diskussionen vor allem dann, wenn der Kulturfahrplan eine Stundenplanänderung vorsah, Stunden abgegeben oder Projekttage und -wochen neu eingeführt werden sollten. "Betrifft das jetzt mich oder meine Fächer? Wie soll ich mit meinem Stoff durchkommen? Wie werden die Eltern reagieren?" Solche und ähnliche Fragen beschäftigten viele Lehrerinnen und Lehrer. Sie zu überzeugen, ihre Befürchtungen zu entkräften und sie letztendlich mitzunehmen, war eine der schwierigsten Aufgaben bei der Entwicklung des Kulturfahrplans. Dem Stundenplanentwickler oblag dann das Kunststück, alle Bedürfnisse und Wünsche unter einen Hut zu bringen. Die Veröffentlichung des Kulturfahrplans, zum Beispiel auf der Homepage, am schwarzen Brett oder als Plakat im Lehrerzimmer, schloss diesen Entwicklungsprozess ab.

Einhellige Meinung der Schulen ist, dass die Kulturagentinnen und Kulturagenten eine wichtige Unterstützung bei der Erstellung der Fahrpläne waren. Einerseits brachten sie die nötigen zeitlichen Kapazitäten mit, andererseits aber auch ein fachspezifisches Know-how. Durch ihre künstlerischen Tätigkeiten hatten die meisten schon Erfahrungen im Projektmanagement und bei der Beantragung von Fördergeldern, bei denen ähnliche Planungsschritte gefragt sind. Außerdem stellten sie die Kontakte zu Künstlerinnen und Künstlern sowie Kulturinstitutionen her.

Die Struktur

Der Kulturfahrplan besteht in der Regel aus zwei Teilen, die sich aus der Vorgabe des Programms ergaben, als erstes eine Vision zu entwickeln, um daraufhin die Maßnahmen zu deren Umsetzung zu planen. So existiert bei allen eine Art "Präambel", in der die Ausgangslage beziehungsweise eine Standortbestimmung beschrieben werden und die Schulvisionen mit den wichtigsten Leitzielen formuliert sind. Oft werden diese durch Dokumentationen aus dem Entstehungsprozess ergänzt, zum Beispiel durch Fotoprotokolle einer Mindmap oder einer grafisch aufbereiteten Ideensammlung. Eine Schule hat gar ein "Manifest" formuliert und dieses auf ihrer Homepage veröffentlicht.1

In einem zweiten Dokument, dem eigentlichen Kulturfahrplan, werden konkrete Maßnahmen und einzelne Schritte beschrieben. Hier kamen unterschiedlichen Formate zustande, in der Regel als Tabellenstruktur, aber auch als Powerpoint-Präsentation. Darin enthalten sind das "Was? Wann? Wie? Wo? Wer? Mit wem?" und im Idealfall auch die Verantwortlichkeiten. Manchmal sind die Inhalte mit einer separaten Zeitschiene in Form eines Balkendiagramms kombiniert, an dem die Zeitfenster für einzelne Maßnahmen und die Meilensteine gut ablesbar sind. Das ist eine wichtige Orientierungs- und Erinnerungshilfe für die Beteiligten.

Ein logischer Aufbau des Kulturfahrplans, in dem sich die nächsten Schritte und Maßnahmen nachvollziehbar aus den vorangegangen ableiten lassen, macht die prozesshafte Weiterentwicklung des Kulturagentenprogramms an der Schule sichtbar. Hier kann man bei einer Fortschreibung über die Programmlaufzeit hinaus anknüpfen, zum Beispiel bei der Erstellung der "Kulturfahrpläne 2017".

Die Hamburger Kulturagentinnen und Kulturagenten beispielsweise haben mit Unterstützung ihres Landesbüros eine einheitliche Struktur für die Kulturfahrpläne entwickelt; sie folgt der Logik der "Zieloperationalisierung". Ausgehend von Leitzielen und untergeordneten Teilzielen werden anschließend die konkreten Maßnahmen sehr spezifisch beschrieben. Damit diese keine "frommen Wünsche" bleiben, sind jeder Maßnahme Indikatoren zugeordnet, an denen sich ablesen lässt, ob und inwieweit diese erreicht beziehungsweise umgesetzt wurden.

Daneben hat man innerhalb der Ziel- und Maßnahmenbeschreibungen die Ebenen "Inhalt", "Prozess" und "Struktur" differenziert. Jedes Projekt wie auch jede Organisation kann auf diesen drei Ebenen betrachtet werden. Auf der Inhaltsebene werden Themen-, Sparten- und Profilschwerpunkte benannt. Der Prozess – in der Organisationsentwicklung auch als "Ablauforganisation" beschrieben – beinhaltet Formate und Angebote, wie beispielsweise Workshops, Projekttage und -wochen oder Präsentationsformate, aber auch Qualifizierungen, die Kooperationen und andere Prozessabläufe. Die Strukturebene – die "Aufbauorganisation" – enthält sowohl die einzurichtenden Gremien, wie Steuergruppen, Kulturteams oder Funktionsstellen, als auch zeitliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen. Diese Differenzierung erwies sich als sinnvoll, da gerade die strukturellen und prozessualen Rahmenbedingungen schnell aus dem Fokus geraten.

Die Arbeit mit dem Kulturfahrplan

Ob und wie regelmäßig mit dem Kulturfahrplan gearbeitet wurde, hing davon ab, wie er angelegt war: als "großer Wurf", der nur die wichtigsten Ziele, Maßnahmen und Eckdaten beschreibt – dann reichte es, ihn ab und zu, habjährlich oder jährlich, hervorzuholen und auf Einhaltung und Machbarkeit zu überprüfen. Als kleinschrittige Handlungsanleitung mit konkreten Aufgabenbeschreibungen und Zuständigkeiten konnte er die Treffen der Kultur- und Steuerungsgruppen oder der Kulturbeauftragten mit ihren Kulturagentinnen und Kulturagenten als Arbeitsinstrument begleiten. Wichtig war, dass sich jemand für den Kulturfahrplan zuständig fühlte und ihn als Tischvorlage immer wieder in die Gremien einbrachte; in der Regel waren das die Kulturagentinnen und Kulturagenten.

Die Fragen mit Blick auf den Kulturfahrplan lauteten: "Wo stehen wir gerade? Wie steht es um die Kooperationen mit externen Kulturpartnern? Was haben wir erreicht, was noch nicht? Was sind die nächsten Schritte? Wo müssen wir nachjustieren oder verändern, vielleicht ergänzen oder gar streichen?" So wurde immer mal wieder festgestellt, dass man in der Anfangseuphorie Ziele zu ambitioniert und Zeitfenster zu optimistisch eingeschätzt hatte. Die Einbindung der Kulturpartner sowohl in die Entwicklung als auch in die Arbeit mit dem Kulturfahrplan hat sich als sehr sinnvoll erwiesen, denn sie haben Erfahrungen mit kreativen Prozessen und im Projektmanagement und können am ehesten einschätzen, was realistisch ist.

Die Alltagstauglichkeit des Kulturfahrplans zeigte sich auch in der Flexibilität seiner Handhabung. So machen Lehrerinnen und Lehrer tagtäglich die Erfahrung, dass selbst ein eng strukturiertes Raster wie der Stundenplan keinen reibungslosen Ablauf garantiert. Im schulischen Alltag gibt es immer wieder Unwägbarkeiten, seien es Vertretungen, Unterbrechungen oder Störungen im Unterricht, die wohldurchdachte Pläne durchkreuzen. Bei einem so umfassenden, langfristig angelegten Plan wie dem Kulturfahrplan bleibt dies erst recht nicht aus. Aus Fehlern zu lernen, Dinge neu zu denken und dann anders zu machen, war vielen Schulen wichtiger, als an einem Plan festzuhalten. Die Vorstellung, dass der Kulturfahrplan "eine geteerte Autobahn ist, auf der man losrasen kann", ist schnell der Erkenntnis gewichen, dass man sich eher auf einem "Zick-Zack-Kurs" befindet – so fasst eine kulturbeauftragte Lehrerin ihre Erfahrungen zusammen. Mit Sicherheit würden bei den meisten Schulen – nach all den Erfahrungen und Erkenntnissen – die Kulturfahrpläne heute anders ausfallen; das zeigt sich bereits bei den ersten Entwürfen des "Kulturfahrplans 2017". Nach vier Jahren kann man aber festhalten, dass sich der Kulturfahrplan als ergänzendes strategisches Planungsinstrument in den Schulen bewährt hat, die mit ihm intensiv gearbeitet, ihn angepasst und so fortgeschrieben haben, dass er über die Programmlaufzeit hinaus seine Gültigkeit bewahrt.

Die Verankerung der Ergebnisse des Kulturfahrplans in den schulischen Curricula oder Ziel- und Leistungsvereinbarungen – wie sie an einigen Schulen unternommen wurde – bietet zwar noch keine Garantie für eine reibungslose und schnelle kulturelle Schulentwicklung, sorgt aber für eine größere Verbindlichkeit und Durchsetzungskraft in der langfristigen Planung. Da sie eine bindende Wirkung haben, müssen die schulischen Gremien die Rahmenbedingungen schaffen, damit die in diesen Instrumenten verankerten Maßnahmen auch umgesetzt werden können. Außerdem ist das ein wichtiges Signal an die Schulpolitik, verbunden mit der Hoffnung, dass die Verantwortlichen den für die Schulen wichtigen Veränderungsprozess wahrnehmen und durch entsprechende Maßnahmen zusätzlich unterstützen.