Kristin Haug
Hamburg: „Sonst passiert doch alles nur im Schul-Biotop“
Kristin Haug

Hamburg: „Sonst passiert doch alles nur im Schul-Biotop“

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Eine Schule in Hamburg steht kurz davor, abgerissen zu werden. Ein gutes Thema für einen künstlerischen Workshop, finden die Kulturagentin Eva-Maria Stüting und der Theaterregisseur Branko Simic. Doch die Arbeit mit den Schülern, die kurz vor ihrem Abschluss und damit einem neuen Lebensabschnitt stehen, birgt Herausforderungen. 

Branko Simic ist in Eile. Er kommt zu spät zu einem Termin in der Richard-Linde-Weg-Schule in Hamburg-Bergedorf. Diese Woche muss er sich allein um seine Kinder kümmern und hat sie gerade noch zur Schule gebracht. Simic ist Theaterregisseur. Vor 20 Jahren ist er aus Bosnien nach Deutschland gekommen und hat in Hamburg Theaterwissenschaften studiert. Nun organisiert er auf Kampnagel unter anderem ein Festival für Jugendliche und realisiert Theaterprojekte in Schulen.

In der S-Bahn auf dem Weg in den Hamburger Stadtteil Bergedorf erzählt Simic von dem Projekt, das er gerade betreut. "Eigentlich sollte die Schule abgerissen werden. Es wurden Baumängel und Asbest nachgewiesen. Dann sollte plötzlich nur noch ein Teil abgerissen werden. Schließlich konnten sich Stadt, Schule und Architekten nicht auf einen neuen Entwurf und die Finanzierung einigen – so bleibt das Flachgebäude stehen. Das Thema aber, das sich Schüler, Lehrer, Kulturagentin Eva-Maria Stüting und Simic ausgedacht haben, bleibt. Es geht um Abriss. Und damit auch um Zerstörung. Um Wut. Die 20 Jungs aus dem Wahlpflichtkurs, im Alter von 14 und 15 Jahren, haben sich deshalb überlegt, wie sie die Klassenräume am besten dem Erdboden gleich machen können. Sie haben Konzepte für kurze Animationsfilme erarbeitet, in denen das Schulgebäude zerstört wird. In einem Film führt ein Computervirus zu einer Explosion des Gebäudes, in einem anderen fällt ein riesiger Feuerball darauf. Simic" Part ist es nun, gemeinsam mit den Jugendlichen eine Performance für die Präsentation der Filme zu entwickeln. Dafür muss er mit den Jungs zunächst klären, was eine Performance überhaupt ist und welche Freiheiten man in diesem Metier hat. Aber das sei nicht so einfach, sagt Simic. "Die Schüler sind oftmals schwer zu motivieren." Sie trauten sich kaum etwas zu und seien oft mit sich beschäftigt.

Der Raum ist dunkel und die Tische stehen an der Wand

Nach der S-Bahn muss Simic noch einen Bus nehmen, um zur Schule zu kommen. Dort entdeckt er einen Jungen aus der Projektgruppe. Simic spricht ihn gleich an und die beiden unterhalten sich über die Performance und die Abrissideen. Zusammen gehen sie in den Computerraum, in dem Kunstlehrerin Brigitte Rottländer-Wolff auf Simic wartet. Hier ist es dunkel, die Tische mit den PCs stehen alle an der Wand, sodass die Schüler mit dem Rücken zu Rottländer-Wolff gerichtet sind. An der Wand hängt ein Poster auf dem steht: "Richard-Linde-Weg-Schule wird Stadtteilschule. Der neue Weg zum Abitur." Seit vier Jahren gibt es hier eine Oberstufe.

Als Simic hereinkommt, sagt er laut Hallo und entschuldigt sich für sein Zuspätkommen. Die Jungs begrüßen Simic, aber dann reden sie wieder laut durcheinander und schauen sich ihre Videofilmschnipsel auf den Rechnern an. Simic redet kurz mit Brigitte Rottländer-Wolff, dann geht er in die Mitte des Klassenzimmers und verschafft sich einen Überblick. Simic muss laut reden, damit die Jungs auf ihn reagieren. Dann geht er auf eine Gruppe zu und befragt sie zu ihrem Projekt: "Warum soll man diesen Raum zerstören?" Ein Junge antwortet: "Weil er siffig und ranzig ist und diese Computer todeslangsam sind."

Rottländer-Wolff sagt, es sei nicht leicht, das Projekt umzusetzen. Gerade in diesem Jahrgang haben die Schüler viele Zusatzveranstaltungen und müssen sich zudem noch Gedanken um ihre Zukunft machen: Finden sie einen Ausbildungsplatz oder machen sie erst einmal ein Jahr ein Praktikum, das sie auf den Arbeitsmarkt vorbereiten soll? Hinzu kommt, dass es regelmäßig Schüler gibt, die fehlen. Auch an diesem Dienstag sind einige Jungs nicht da. Im Raum ist es immer noch laut. Die Lehrerin ruft einem Schüler zu: "Nimm mal Dein Brot weg, auch Trinken ist im PC-Raum nicht erlaubt."

Über das Kulturagentenprogramm freut sich die Lehrerin. Doch gibt es auch immer wieder organisatorische Probleme zu bewältigen, bevor die künstlerischen Projekte stattfinden können: Es gibt nicht genug Räume. Aus diesem Grund musste Rottländer-Wolff bereits einen Kurs in ein nahegelegenes Kulturzentrum auslagern. Die Raumsituation und die Ungewissheiten über den Fortbestand des Schulgebäudes gehen auch an den Schülern nicht einfach so vorbei. Dennoch: Externe Künstler seien immer gut. Das gebe dem Unterricht neue Impulse. "Sonst passiert doch alles in einem Schul-Biotop", sagt die Lehrerin. "Wenn jemand von außen kommt, dann springt der Funke auch noch auf den letzten Schüler über."

Wenn das Kulturagentenprogramm ausläuft, braucht die Schule jemanden, der sich auskennt, der immer ansprechbar ist oder der Spenden für Projekte einwirbt. Ansonsten wären zusätzliche Workshops kaum denkbar, sagt Rottländer-Wolff. Die Schulen seien generell vom administrativen Aufwand überlastet. "Ich fühle mich manchmal eher wie ein Sozialarbeiter", sagt sie.

Das Wahlpflichtfach neigt sich an diesem Tag dem Ende zu. Branko Simic ist mit jeder Gruppe durchgegangen, was sie am Ende des Schuljahres präsentieren will. Im Juli sollen die Ergebnisse in einem Kultur- und Ausstellungszentrum vorgestellt werden. Die Schüler werden dann aus vielen Einzelteilen – aus einer ersten Idee, Skizzen, einem Drehbuch und Filmen – eine Performance kreiert haben. 

Fotos: Kristin Haug

Der Theaterregisseur verabschiedet die Schüler. Viele von ihnen haben die ganze Zeit über geredet oder sich Videosequenzen auf Youtube angeschaut. Simic bleibt gelassen. "In den Schülern steckt Potenzial", sagt er. "Sie haben gute Ideen." Simic hat eine klare Vorstellung vom Theater. Es soll frei sein und nicht pädagogisch. "Die Jugendlichen sollen sich befreien von Regeln. Bei mir sollen sie sagen können was sie wollen und sich ausleben."