
Berlin: Gegen die Schwerkraft
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Am Robert-Blum-Gymnasium in Berlin werden Projekte des Kulturagentenprogramms im Schwerpunkt Kunst und Kultur unterrichtet. Seitdem das Programm läuft, wollen immer mehr Schüler an die Schule wechseln. Warum? Die Kinder lernen, mehr Vertrauen zu sich zu fassen.
In Berlin ist es kalt. Minus sechs Grad sind es draußen. Die Straßen sind glatt. Auch in der Aula des Robert-Blum-Gymnasiums in Schöneberg ist es kalt. Doch der Saal wird sich bald aufwärmen, durch Eltern, Lehrer und Kinder, die an diesem Mittwochabend im Januar hier hergekommen sind. Kurz vor den Winterferien, die Zeugnisse sind schon geschrieben, präsentieren die Klassen 7a, 7b, 8a und 8b, was sie im vergangenen Halbjahr in ihrem "Profil" gemacht haben.
Das Profil ist ein Unterrichtsschwerpunkt, auf den sich die Schüler festlegen. Drei davon gibt es am Robert-Blum-Gymnasium: Naturwissenschaften, Sprachen sowie Kunst und Kultur. Danach richtet sich der Stundenplan aus. Sechs Unterrichtstunden in der Woche sind dafür vorgesehen. Die "Kulturschüler" der siebten und achten Klassen haben sich in den vergangenen Monaten mit Choreographie, Videokunst, Tanz und Musik beschäftigt. Kulturagentin Friederike Holländer sitzt an diesem Abend in einer der hinteren Reihen der Aula. "Dieses Mal läuft alles routinierter ab", sagt sie.
Zum zweiten Mal findet an der Schule ein solcher Präsentationstag statt. Im vergangenen Jahr war alles noch neu und ungewohnt. Die Lehrer hätten sich gefragt, ob sich überhaupt jemand für die Veranstaltung interessiere, ob jemand käme, sagt Holländer. Viele Fragen hätten sie sich damals gestellt: Wer betreut die Schüler, die nicht auf der Bühne sind? Wer lädt Eltern und Schüler ein? Soll ein Lehrer die Veranstaltung moderieren?
Reaktivieren, was verloren gegangen war
"Das zeigt sehr gut, was das Kulturagentenprogramm leisten kann", sagt Holländer. Sie meint die Nachhaltigkeit der Schulkultur. Es habe zwar schon einmal früher Schulaufführungen an der Schule gegeben, doch irgendwann sei das Engagement dafür eingeschlafen. Mit dem Kulturagentenprogramm konnte reaktiviert werden, was verloren gegangen war. "Wir konnten hier feste Strukturen schaffen", sagt Holländer.
Mit den Lehrern hat sich Holländer darauf geeinigt, dass die Projekte, die im Rahmen des Kulturagentenprogramms realisiert werden, insbesondere im Profilbereich Kultur angeboten werden. So könne man gezielt die Schüler ansprechen, die sich sehr für Kunst und Kultur interessierten. Kunst- und Kulturprojekte würden viel mehr bringen, wenn sie im Stundenplan eingebettet seien, wenn über einen längeren Zeitraum und mehrmals Projekte stattfänden.
Am Ende des Präsentationstages ist die Klasse 7a an der Reihe. In der Aula zeigt sie eine Choreographie. Die Schüler tragen schwarze Leggins und Hosen und T-Shirts und Pullis. Sie laufen aneinander gelehnt über die Bühne, springen aufeinander zu, drehen sich in der Luft, klettern aufeinander, tragen ein Mädchen auf Händen. Sie versuchen sich der Schwerkraft zu widersetzen. Im Hintergrund laufen dazu selbstgemachte Zeichentrickfilme der Schüler. Auch Bilder sind zu sehen, die die Kinder selbst gemalt haben.
Choreographin Karin Wickenhäuser hat den Tanz mit den Kindern einstudiert. Die Bewegungen wirken perfekt aufeinander abgestimmt. Die Performance strahlt eine kindlich-jugendliche Leichtigkeit aus, eine Freiheit oder eine Befreiung vom Alltag. Fast wünscht man sich in die Schulzeit zurück, um an einem solchen Projekt teilhaben zu können. Oder überlegt, wo man in der Heimatstadt Tanzworkshops finden könnte. "Es hat viel Spaß gemacht, mit der Klasse zusammenzuarbeiten", sagt Wickenhäuser.
Selbstbewusster werden
Die Kulturbeauftragte des Gymnasiums, Dorothea Ruthemeier, sagt, erst ein Jahr vor dem Start des Kulturagentenprogramms an der Schule sei das Profil Kunst und Kultur am Gymnasium eingerichtet worden. Mit dem Programm habe man den Unterricht im Profil durch Kunstprojekte und Workshops schärfen können. Und das habe Wirkung gezeigt: "Wir sind als kreative engagierte Schule bekanntgeworden. Jetzt wollen viel mehr engagierte und leistungsstärkere Kinder auf unsere Schule gehen." Diese kämen nun auch mehr und mehr aus anderen Elternhäusern. Ihre Mütter und Väter seien häufig selbst aus der kreativen Szene und arbeiteten beispielsweise als Choreographin oder Kameramann. Kreuzberger Klientel, sagt Ruthemeier.
Durch die kulturelle Bildung an der Schule könnten die Schüler Selbstvertrauen fassen. "Wir wollen, dass die Kinder und Jugendlichen auf die Bühne gehen und dort etwas präsentieren", sagt Ruthemeier. Die Präsentation, das Gefühl, da vorn, da oben zu stehen, bringe ihnen viel. Sie könnten dadurch selbstbewusster werden.
Eineinhalb Jahre vor dem Auslaufen des Programms beginnt das Gymnasium nun damit, zu überlegen, wie es weiter gehen kann. "Wir wollen uns gezielt um feste Kooperationen mit Kunst- und Kulturinstitutionen kümmern." Die Lehrer hätten bislang nicht das Know-how, um Fördergelder zu beantragen. Das könnten sie nur leisten, wenn sie im Gegenzug weniger Stunden unterrichten müssten, denn neben dem Unterricht sei es kaum möglich, Projekte zu organisieren oder Gelder dafür zu akquirieren.
Am Robert-Blum-Gymnasium arbeiteten zwar hauptsächlich junge und engagierte Lehrer, doch die Organisation von zusätzlichen Workshops neben dem Unterricht sei eben sehr zeitaufwändig. "Vielleicht könnte man nach dem Vorbild der Kulturagenten auch eine Koordinationsstelle zur Akquise von Projektgeldern oder der Vermittlung von Künstlern einrichten. Voraussetzung für erfolgreiche künstlerische Projekte sei aber auch die Absprache und Konzeptentwicklung mit Künstlern. Dies brauche oft viel mehr Zeit und Ruhe als es der Schulalltag zulässt.
Auch Choreographin Karin Wickenhäuser findet, es sei wichtig, sich vor der Realisierung des Projekts gut miteinander abzusprechen. Sie ist froh, dass das Schwerkraft-Projekt auf der Bühne funktioniert hat und es dem Publikum gefallen hat. "Die Schüler haben gelernt, in Gruppen zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu vertrauen und füreinander einzuspringen, wenn einer mal nicht kann", sagt sie.
Am Ende des Abends – die Veranstaltung ist schon vorbei, viel Applaus hatte es gegeben, Mitschüler, Geschwister, Eltern und Lehrer verlassen die Aula – da setzen sich noch ein paar Kinder an den schwarzen Flügel im Saal, andere nehmen sich Rasseln zur Hand. Und sie machen noch ein bisschen weiter. Musik.