Claudia Henne, Winfried Kneip, Hortensia Völckers
Die Kulturagenten sind Spitzenklasse! – Ein Gespräch mit Hortensia Völckers und Winfried Kneip
Claudia Henne, Winfried Kneip, Hortensia Völckers

Die Kulturagenten sind Spitzenklasse! – Ein Gespräch mit Hortensia Völckers und Winfried Kneip

Die Journalistin Claudia Henne im Gespräch mit Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, und Winfried Kneip, Vorstand der Stiftung Mercator, über die Genese des Kulturagentenprogramms, die Rolle von Kulturagenten und die Zusammenarbeit zweier Stiftungen

Claudia Henne: Frau Völckers, woher rührt das Programm "Kulturagenten für kreative Schulen"?

Hortensia Völckers: Es rührt aus einem Impuls, nach "Jedem Kind ein Instrument" (JeKi) weiterzumachen, anders weiterzumachen, in verschiedenen Bundesländern etwas zu finden, was auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen eingeht. Beim Kulturagentenprogramm sollte es um ein sehr viel komplexeres und intensiveres Miteinander von Kultur und Schule gehen. Deswegen haben wir versucht, ein dafür geeignetes Programm zu konzipieren, und kamen dann mit Herrn Kneip zusammen, der ganz ähnliche Gedanken hatte.

Die Kulturstiftung des Bundes hat Modellprogramme wie "JeKi" aufgelegt. Also sie hat schon viel Erfahrung mit solchen Projekten. Aber was treibt die Stiftung Mercator an, sich daran zu beteiligen?

Winfried Kneip: Die Stiftung Mercator hatte, als ich 2009 begonnen habe, das Thema "kulturelle Bildung" gerade frisch auf die Agenda gesetzt. Die Stiftung hatte sich 2008 quasi neu erfunden, und es war Stifterwille, dass drei große Themen behandelt werden: "Klimawandel", "Integration" und "kulturelle Bildung". Inzwischen ist das Thema "Europa" hinzugekommen. Für das Thema "kulturelle Bildung" hat man mich geholt. Ich hatte vorher die Yehudi Menuhin Stiftung geleitet und war dort sechs Jahre lang mit Haut und Haar der kulturellen Bildung verschrieben. Mit den Mitteln der Stiftung Mercator war es möglich, viel stärker als bislang über Leuchtturmprojekte hinaus in die Fläche zu agieren. Durch die Verbindung zur Kulturstiftung des Bundes konnten wir das Thema "kulturelle Bildung" dann noch einmal größer denken.

Wo sind Sie sich über den Weg gelaufen?

HV: Wir hatten uns bereits kennengelernt, als Herr Kneip noch bei der Yehudi Menuhin Stiftung war und wir dort für "JeKi" recherchiert haben. Herr Kneip hat uns zu einem Schulprojekt mitgenommen. Als er bei Mercator war, sind wir uns dort wiederbegegnet. Unsere Verbindung wurde zu einer kongenialen Interessens- oder Arbeitsgemeinschaft, um Schulen mit Kulturinstitutionen zu verbinden. Die Kulturagentinnen und Kulturagenten sind dabei diejenigen, die die Verbindung herstellen und gestalten.

Ich würde gerne auf die unterschiedlichen Stiftungen zurückkommen. Frau Völckers, Sie haben gesagt, Sie sind aufgrund der Gesetzeslage erst mal gebunden, sind aber eine Stiftung, die Kunst und Kultur fördert. Sie, Herr Kneip, kommen mehr aus der Bildung. Sind Sie in diesem Prozess mit Ihren Zielen für dieses Modellprogramm übereingekommen? Oder gibt es kleine Räume, in denen Sie unterschiedlich sind und bleiben möchten?

HV: Wir sind unterschiedlich und bleiben auch unterschiedlich. Aber wir haben uns in einem Papier darauf geeinigt, was wir in einem bestimmten Zeitraum gemeinsam angehen und umsetzen wollen. Es ist sehr unüblich, dass sich eine private und eine öffentliche Stiftung zusammentun. Wir haben das einfach ausprobiert, und es hat sehr gut funktioniert.

WK: … eine stärkere Zielorientierung mit Blick auf das, was hinten rauskommen soll. Also wir unterliegen einer anderen Dynamik als die Kulturstiftung. Für das Projekt war es schon eine Herausforderung, den verschiedenen Bedingungen gerecht zu werden.

Haben Sie das erste Mal mit einer privaten Stiftung kooperiert?

HV: Ja. Und sicher war da auch einiges zu bedenken und zu koordinieren, bei zwei Institutionen mit unterschiedlichen "Firmenkulturen". Wir haben viel durch die Stiftung Mercator und von ihrem Wissen um Schule gelernt. Umgekehrt haben wir versucht, auch Verständnis für die Abläufe in den Kulturinstitutionen zu vermitteln. Die Museen oder die Theater bräuchten eindeutig mehr Personal und einen höheren Prozentsatz ihres Etats für die Vermittlung, um bei der kulturellen Bildung einen größeren Schwerpunkt zu setzen.

Es haben sich fünf Bundesländer am Modellprogramm beteiligt. War die Zahl gesetzt? Und trafen Sie auf offene oder auf geschlossene Türen?

HV: Die Kulturstiftung des Bundes musste sicherstellen, dass alle Länder gefragt werden, ob sie sich beteiligen wollen. Wir haben in der Kultusministerkonferenz für unser Projekt geworben, woraufhin fünf Kultusministerien ihre Beteiligung zugesagt haben.

Es kommt die Problematik dazu, die Herr Kneip sicherlich auch kennt – auf der einen Seite ist die Bildung, auf der anderen die Kultur …

WK: Die Kultusministerien haben ein ganz eigenes Verständnis von kultureller Bildung, als es die Kulturministerien haben. Das war in vielerlei Hinsicht ein gewisses Handicap. Natürlich gibt es in den Ländern kulturelle Bildung, die in den Schulen durch die Ministerien für Kultur gefördert wird. Das hätte man ja alles in den Dienst dieser Sache stellen können. Das ist aber selten geschehen. Hier haben wir festgestellt, dass unser Modellprogramm dann neben dem stattgefunden hätte, was sowieso an kultureller Bildung hätte ermöglicht werden können.

Welches Verständnis von kultureller Bildung hat die Bildungspolitik?

WK: Die Kulturagentinnen und Kulturagenten dienen ja vor allem dazu, mit den Schulen und den Kulturinstitutionen daran zu arbeiten, wie sie miteinander agieren und wie sie mit den vorhandenen Ressourcen ein Profil entwickeln können, in dem die kulturelle Bildung ein essenzieller Bestandteil ihrer Schulaktivität ist. Zurzeit geschieht kulturelle Bildung aber häufig folgendermaßen: Künstlerinnen/Künstler kommen nachmittags an die Schule und machen etwas mit ein paar Kindern. Dann sind sie wieder weg und die Schulen merken davon nichts. Das ist das große Dilemma. Man setzt sich nicht an einen Tisch, um nach der besten Lösung in Bezug auf die vorhandenen Mittel und die Bedarfe zu fragen. Die Kulturagentinnen und Kulturagenten sind Experten darin, diese beiden Welten zusammenzubringen. Alles, was wir hier machen, ist ganz eng an eine Erfahrung geknüpft: Eltern, die erfahren haben, Lehrkräfte die erfahren haben, was passiert: "Ich erkenne meinen Schüler gar nicht wieder, was ist denn da los? Der ist ja spritzig, aufgeschlossen." Die Eltern sagen: "So habe ich meinen Sohn ja noch nie erlebt, der will plötzlich."

Ist denn "Erfahrung" ein Schlüsselbegriff, der so schwer in der Politik, sei es bei Ländern, Städten, Schulen, zu vermitteln ist?

WK: Eigentlich nicht; theoretisch finden alle kulturelle Bildung gut. Der Punkt ist nicht, dass kein Bewusstsein vorhanden wäre, dass es in Schule mehr als Mathe und Sprache geben muss. Es fehlt auch nicht an Vorgaben im eigentlichen Sinne. Aber die Lehrerinnen und Lehrer wissen nicht, wie sie es machen sollen. Man braucht eine andere Logik der Vermittlung in Schule und für Lehrerinnen und Lehrer.

HV: Da können eben die Kulturagentinnen und Kulturagenten viel bewirken. Die Art und Weise, wie sie Kindern und Jugendlichen Erfahrungen mit Kunst ermöglichen, wird sicher nie vollends mit der "Logik" des Schulunterrichts kompatibel sein. Aber bestimmte Verfestigungen werden sich auflösen, die "Systeme" Schule und Kulturinstitution werden durchlässiger werden.

Nun heißt ja das Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen". Was ist damit gemeint?

WK: Wir wollten uns von dem Begriff der Kulturschule abgrenzen, der seinerzeit, als wir das Programm begründet haben, en vogue war. Uns ging es darum, tatsächlich "kreative Schulen" mit einem etwas erweiterten Begriff zu verbinden, das heißt, kreativ mit den Dingen umzugehen.

Herr Kneip, wenn Sie sagen, "was Schule anfasst, wird zur Schule", heißt das, wenn man im Schulbetrieb der Kunst keine Luft zum Atmen lässt, dann atmet sie auch nicht mehr?

WK: Nein. Das hat viel mit den Fallen zu tun, in die jede Künstlerin/jeder Künstler treten kann, wenn sie/er mit der eigenen Schulvita konfrontiert wird. Über dieses Phänomen haben wir lange geforscht, dass Kunstschaffenden oft das Selbstvertrauen abhanden kommt, sobald sie in der Schule sind. Wir haben deswegen versucht, es so zu beschreiben, dass es einen dritten Raum geben muss, wo weder Kunst noch Schule ist. Ich nenne das immer "Neuland". Das ist ein bisschen theoretisch, aber die Lehrkräfte müssen sich aus ihrem Schuldenken herausbegeben und die Kunstschaffenden aus ihrem Kunstdenken. Jeder bringt sein Wissen in diesen neuen Raum mit, den sie gemeinsam gestalten. Das ist aber nur ein mentales Modell, das man entwickeln muss, damit man sagen kann, hier sind wir beide gleichberechtigt. Ich mit meiner pädagogischen Qualität, du mit deiner künstlerischen Qualität. Und wenn das von der Haltung her zusammenkommt, dann kann ein Projekt gelingen. Denn die Frage ist ja, was ist der Mehrwert von Kunst oder von Künstlerinnen und Künstlern für die Schule? Und für die Lehrkräfte? Was ist der Mehrwert des Lehrer-Seins oder der Pädagogik für die Künstlerinnen und Künstler? Das ist keine einseitige Beziehung, sondern eine wechselseitige.

Nachdem die Schulen gefunden waren, kamen die Kulturagentinnen und Kulturagenten. Was mussten sie mitbringen? Was war das Profil, um sich bewerben zu können?

HV: Die Bewerberinnen und Bewerber mussten Kunstpraxis vorweisen. Wichtig war, dass sie Erfahrung mit kulturellen Projekten mitbrachten und bereits mit Schulen, Kindern und Jugendlichen gearbeitet hatten.

WK: Sie mussten beide Welten kennen und reflektiert haben. Das heißt, sie mussten wissen, was Kunst und Kultur in der Schule bewirken kann, und ihre eigene Rolle reflektiert haben, eine Metakompetenz besitzen.

HV: Es sind fabelhafte Leute. Sie sind Spitzenklasse! Es wäre wunderbar, wenn in der Zukunft auch an den Hochschulen Kulturagentinnen und Kulturagenten ausgebildet würden.

Die Länder, die Schulen, die Kulturagenten – und dann ging es rein in die Schule, und da sitzen die Schülerinnen und Schüler. Mussten sie überzeugt werden? Kam es darauf an, welche Projekte vorgeschlagen wurden? Wenn ich Sie richtig verstehe, war die Bandbreite enorm groß.

WK: In den ersten zwei Jahren haben die Schulen tatsächlich viele Einzelprojekte gemacht. Was die Sache hinterher in eine ganz andere Dynamik gebracht hat, war dann aber die Vorgabe des Programms, einen sogenannten Kulturfahrplan zu entwickeln. Das heißt, die Schulen haben mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten gemeinsam überlegt, was sie denn über die vier Jahre hinaus erreichen wollen: Wie sollen Mittel eingeteilt oder bestimmte Dinge bewerkstelligt werden? Das hat eine andere Dynamik eingeführt. Heute haben die Schulen ein ganz anderes Verständnis und Bewusstsein davon, was es heißt, qualitätsvolle Projekte zu machen und Kultur als selbstverständlichen Teil von Allgemeinbildung zu leben.

Nun ist das ja ein enormes Spannungsfeld: Sie haben den Lehrplan, die Direktoren, Fachlehrer Kunst, Musik. Dann kommt eine kulturbeauftragte Lehrerin, die installiert wird, die ein Stundendeputat kriegt. Dann kommt ein Kulturagent. Dann gibt es noch die Schülerinnen und Schüler, ein wahnsinniges Miteinander-Klarkommen und etwas Miteinander-entwickeln-Müssen. Haben Sie diesen Prozess moderiert? Ich kann mir vorstellen, dass es Konflikte gab.

WK: Sehr interessante Frage. Das ist einer der zentralen Punkte, die wir in der nächsten Phase noch stärker verfolgen werden. Neben der Tatsache, dass wir die Kulturinstitutionen stärker heranholen müssen, sind die Fachlehrkräfte im Prinzip so gut wie nicht mitgedacht. Sie spielen natürlich eine zentrale Rolle für die kulturelle Bildung in der Schule. Sie sind die einzigen, die verlässlich immer da sind. Sie stehen aber immer in gewisser Konkurrenz zu den Künstlerinnen und Künstlern, die von außen kommen. Das ist ein Punkt, den wir noch stärker berücksichtigen müssen. Moderation war natürlich auch schon bisher eine der wesentlichen Aufgaben der Kulturagentinnen und Kulturagenten. Sie waren dabei allerdings nicht allein. Sie wurden von der Berliner Geschäftsstelle und vor Ort von den Kooperationspartnern Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V., der conecco UG – Management städtischer Kultur, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung begleitet, gecoacht und beraten. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an alle Beteiligten für ihr Engagement, das maßgeblich für den Erfolg des Projektes war.

Kulturinstitutionen mit einzubeziehen, das ist eines der wichtigen Ziele. Wie ist diese Seite? Ist sie offen? Reicht es ihnen, was sie museumspädagogisch anbieten, oder sind sie bereit, sich mehr zu engagieren?

WK: Meine Wahrnehmung ist, dass es die Kulturinstitutionen von der Kunst her denkend weniger geschafft haben, die Interessen und Bedarfe der Schulen in den Blick zu nehmen. Dafür brauchen die Kulturinstitutionen Schulungen im Sinne von: Wie kann das, was wir zu sagen haben, für Schule zu einem Mehrwert werden? Viele gehen mit ihrem Kanon in Schulen und spulen ihr Programm ab. Das ist für Schulen aber oft nicht kompatibel. Schulen haben unterschiedliche Bedarfe – das ist in den Kulturinstitutionen zu wenig bekannt, und es gibt zu wenig Wissen darüber, wie man diesen Bedarfen gerecht wird. Eine Begegnung auf Augenhöhe herzustellen, das ist aus meiner Sicht noch ein Obligo.

HV: Ja, beide Seiten müssen sich verändern. Ich glaube, dadurch dass die Kulturagentinnen und Kulturagenten zunächst in den Schulen angefangen haben, haben diese  stärker vom Programm profitiert. Einen vergleichbar intensiven Entwicklungsprozess wie die Schulen sollten auch die Kulturinstitutionen durchlaufen, damit es dauerhaft zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen beiden kommt.

Würden Sie sagen, dass das quasi auch eine neue kulturpolitische Strategie ist? In den 1980er Jahren hat man immer niedrigschwellige Angebote gefordert, damit die Leute reinkommen. Heute fragen sich die Institutionen, wer in 20 Jahren zu ihnen kommt und welchen Bildungshabitus er mitbringt. Ist das eine neue Strategie, die man mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten angefangen hat? Also bei der Schule, jenseits des Elternhauses, anzusetzen, um den Institutionen eine neue Klientel zu eröffnen?

HV: Ich weiß nicht, ob das neu ist.

WK: Neu ist das nicht, aber vielleicht ist der Qualitätsanspruch ein anderer.

HV: Es geht jedenfalls nicht um niederschwellige Angebote, sondern um die Art und Weise, wie vermittelt wird, wie es gelingen kann, bei Kindern und Jugendlichen eine Aufgeschlossenheit gegenüber Erfahrungen mit der Kunst zu erreichen. Es geht darum, Fremdheit zu überwinden und einen vertrauten Umgang mit Kunst zu ermöglichen. Ohne solche Bezüge ist Selbst- und Welterkenntnis schwierig. Dafür ist Kultur aber da. Und die Kulturinstitutionen müssen sich ihrerseits bewusst sein, dass sie sich um das Publikum von morgen kümmern müssen.

WK: Ja, diese These vom niedrigschwelligen Angebot aus den 1980er Jahren finde ich insofern hinderlich, als dass niedrigschwellig damit gleichgesetzt wird, dass Kunst und Kultur von jedem verstanden werden muss. Wir müssen dahin kommen, dass Kindern und Jugendlichen das Beste mit den besten Leuten zur Verfügung gestellt wird. Also auch der höchste Anspruch an Qualität, der machbar ist. Der ist natürlich unterschiedlich. In der Uckermark ist er schwieriger herzustellen. Es gibt nicht unbedingt ein Theater in der Nähe, aber es gibt überall Kulturangebote. Es geht um künstlerische Qualität, das ist der Begriff, den man einführen und reflektieren muss. Es geht nicht darum, dass Kinder Kunst machen, sondern um die künstlerische Haltung von Lehrerinnen und Lehrern und um künstlerische Tätigkeiten von Kindern. Ich bin  dezidiert dafür, zu diskutieren, zu definieren und darüber nachzudenken, was "künstlerisch" heißen kann und was es beinhaltet.

HV: Sicher, die Qualitätsdiskussion ist wichtig. Aber ich finde, wenn wir mit – zumeist öffentlich geförderten – Kulturinstitutionen zusammenarbeiten, dann ist das schon mal eine gute Ausgangslage für Qualität. Gute Kunst und künstlerische Expertise lassen sich überall finden. Und dieses Qualitätsbewusstsein, das gehört ja auch zum Profil der Kulturagentinnen und Kulturagenten.

WK: Also, eher hohe Qualität für alle!

Welche Rolle spielen die Eltern? Sie sind nicht direkt, aber doch indirekt dabei.

WK: Das ist das Ambivalente an der Sache. Natürlich spielen Eltern eine wichtige Rolle. Aber es fehlen nach wie vor Konzepte, wie man Eltern einbindet, wie man das so klug macht, dass es nicht nur heißt: Kinder kommen auf eine Bühne, und Eltern schauen sich das an und sind stolz. Das reicht nicht, um eine Bindung herzustellen. Dafür braucht es ganz neue Konzepte. Diese zu entwickeln, wäre eine Aufgabe für sich.

Es gibt doch sicherlich in Schulen in größeren Städten eine Menge Kinder mit Migrationshintergrund. Welche Bestrebungen, sind vorhanden, auch die Kultur einzubeziehen, die diese Kinder von Hause aus mitbringen?

WK: Es gibt solche Projekte und Programme. Aber der Begriff des Postmigrantischen verweist ja darauf, dass wir bislang mit der Betonung der anderen Kultur gleichzeitig eine Hervorhebung des Anderen und Besonderen betrieben haben, also im besten Willen eine weitere Stigmatisierung. Ein Beispiel für die Realität, in der wir leben: Wir hatten in Duisburg Marxloh in einem Gymnasium in diesem Jahr bei der Anmeldung der 5. Klassen 97 Prozent deutsche Kinder, davon 85 Prozent muslimischen Glaubens. Das ist doch ein Bild eines neuen Deutschlands: Sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft, aber migrantischen Hintergrund. Sie sind deutsche Staatsbürger und sie fühlen sich als Deutsche. Warum ist das nicht ganz selbstverständlich? Sonst müsste auch der Rheinländer in mir thematisiert werden, ebenso wie der türkische Hintergrund bei den Schülerinnen und Schülern. Muss man vorsichtig sein, wie man damit umgeht. Man muss viel darüber nachdenken, und es gibt sicherlich keine einfache Lösung, jedenfalls ist es nicht damit getan, dass man es einmal thematisiert.

Was ist jetzt nach vier Jahren Ihr Fazit aus dem Modellprogramm? Haben Sie die Ziele, die Sie sich am Anfang gesteckt hatten, erreicht? War die Zeit lang genug, um die Ziele zu erreichen?

WK: Wir ziehen ein positives Fazit. Ein Erfolg ist beispielsweise, dass die Länder, die Schulen sowie die Kulturagentinnen und Kulturagenten weitermachen wollen. Das ist für mich der positivste Aspekt. Alle haben erkannt, welcher Gewinn in diesem Programm steckt. Das hatte ich eigentlich für irgendwo auf der Hälfte der Strecke erwartet. Aber das ist auch ein Lerneffekt für uns: Solche Prozesse brauchen tatsächlich länger. Nach vier Jahren sind die Länder nun an dem Punkt, an dem sie sagen, wenn wir jetzt noch weitermachen können, dann kommt etwas richtig Gutes für uns heraus. Davon können wir alle profitieren. Jetzt müssen aber die Länder mehr Verantwortung übernehmen. Wir sagen, entwickelt Modelle wie die Kulturagentinnen und Kulturagenten auch im System verbleiben können. Wie ihr Mehrwert für die Länder und die Strukturen vor Ort gehalten und gesichert werden kann – das finde ich sehr spannend. Da gibt es unterschiedliche Lösungen in unterschiedlichen Ländern. Das war die Kniffelaufgabe, die wir den Ministerien gestellt haben, die gesagt haben, mit eurer Hilfe lösen wir das. Wir sind dabei. Das ist die große Herausforderung der nächsten Phase.

HV: Zum Beispiel stellt sich jetzt die Frage, wie die Kulturagentinnen und Kulturagenten in die Länderstrukturen eingegliedert werden. In Berlin sollen 13 Agenten auf die Bezirke verteilt werden. In Baden-Württemberg sollen sich die Landkreise und Kommunen beteiligen. In NRW sollen die Agenten in den Kommunen angestellt werden. Die Konzepte sind unterschiedlich, weitermachen wollen aber alle, auch wenn das zukünftig ein stärkeres finanzielles Engagement bedeutet. Das Programm muss also etwas bewirkt haben. Bei den Kulturinstitutionen haben wir allerdings nur zum Teil unsere Ziele erreicht. Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Kulturinstitutionen noch stärker hätten mobilisieren können.

Würden Sie so weit gehen zu sagen, um das wirklich in das System Schule zu implementieren, müsste man eigentlich schon bei der Ausbildung von Lehrern, bei der Ausbildung von Kunsthistorikern anfangen, um das mit auf den Weg zu geben?

WK: Ja, ich glaube aber, das braucht Zeit. Wir haben ja im Prinzip mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten ein Label geschaffen. Das Profil, das inzwischen entstanden ist, deckt tatsächlich einen Bedarf. Sonst wäre es ja nicht erfolgreich gewesen. Vor diesem Hintergrund ein Beispiel: Das Landesprogramm Kultur und Schule NRW – eine wünschenswerte Initiative. Regelmäßig werden jedes Jahr 3,7 Millionen Euro für kulturelle Bildung vom Ministerium für Kultur bereitgestellt. Die Mittel sind überwiegend für die Praxisprojekte vor Ort in den Schulen vorgesehen, was erst mal gut ist. In Seminaren geschulte Künstlerinnen und Künstler bekommen die Mittel in einem verlässlichen Rahmen und mit weitgehend angemessener Honorierung – was auch nicht selbstverständlich ist – und gehen regelmäßig in die Schule, in der Regel in den offenen Ganztag. Dabei sind zwar sicher viele interessante Kunstprojekte entstanden, aber sie haben nicht die Kultur des Lernens an den Schulen verändert, weil die Lehrer zu wenig beteiligt sind. Die Grundlage für eine erweiterte Wirkung wäre, dass ein bestimmter Anteil der Mittel von vornherein für die Vermittlung zwischen Lehrkräften und Kunstschaffenden und deren gemeinsame Qualifizierung gedacht würde, also für die Integration in den Alltag von Schule. Das Beispiel zeigt: Wir haben nicht zu wenig Geld im System. Aber die Frage ist, wohin das Geld genau geht und mit welcher Qualität und Nachhaltigkeit die Projekte umgesetzt werden. An dieser Nahtstelle zwischen bestehenden Kulturprogrammen und ihrer Integration in Schulen braucht es Vermittlerinnen und Vermittler wie die Kulturagenten: Sie werden immer unverzichtbarer. Diese Form der Vermittlung kann man extrem professionalisieren – der Bedarf ist groß.

Die Stiftung Mercator hat das Ziel, kulturelle Bildung als festen Bestandteil des formellen Bildungssystems bis 2025 in allen Bundesländern zu verankern, das finde ich sehr ambitioniert.

WK: Wir haben das natürlich nicht nur blauäugig in die Welt gesetzt, sondern auch gesagt, woran wir das messen wollen. Wenn man in 16 Bundesländern die Rahmenrichtlinien für Schulen anschaut, dann ist das, was die Schulen steuert, der sogenannte Qualitätsrahmen. In diesen Qualitätsrahmen der Länder tauchte die kulturelle Bildung lange nicht einmal auf, außer in Hamburg. Wenn also Schulen nicht die Erlaubnis haben, Schulqualität durch kulturelle Bildung zu erzeugen, wie kann dann kulturelle Bildung in Schule überhaupt einen Wert bekommen? Wir haben uns mit den Ländern verständigt und gefragt: Wie kann das gelingen, welche Unterstützungssysteme braucht ihr? Das haben wir bis jetzt in sechs Bundesländern geschafft, das war unser Zwischenziel. Die anderen Länder sind auch interessiert und haben erkannt, dass da ein Bedarf ist.

Viel Arbeit, viele Sitzungen, viele Widerstände, Konflikte, alles war dabei. Was haben Sie persönlich gelernt in diesen vier Jahren? Für Sie, Frau Völckers, sind Modellprogramme fast Alltag, Sie haben viel Erfahrung damit. Hat sich dieses Programm von "JeKi" sehr unterschieden?

HV: Ja, absolut. Jedes "Modell", das wir entwickeln, ist anders, da passiert nichts nach Schema F, es soll immer so präzise wie möglich auf die jeweilige Situation reagieren. Aber wir können natürlich auf Erfahrungen aufbauen. Und die sind bei allen Herausforderungen im Einzelnen und gerade auch in der Zusammenarbeit mit der Mercator Stiftung insgesamt sehr positiv. Wir werden uns jetzt aber wieder stärker den Kulturinstitutionen selbst widmen, im Moment ganz besonders den Museen. Kulturelle Bildung muss dort noch ernster genommen werden.

WK: Wir haben gelernt, dass wir in dieser Partnerschaft – so mühsam das manchmal war – viel weitergekommen sind, als wir allein hätten kommen können. Nicht nur aufgrund der Verdopplung der Mittel, sondern auch aufgrund der anderen Qualitäten durch die Kulturstiftung des Bundes, des ständigen Abgleichs, auch der ständigen Konflikte und Diskussionen: aufgrund der Notwendigkeit, sich immer wieder gemeinsam zu versichern, sich zu verorten, aber auch gemeinsam eine Linie für Dinge zu finden, obwohl sich jeder allein vielleicht anders entschieden hätte. Wir haben einen gemeinsamen Aufsichtsrat, tagen dort regelmäßig und überlegen, wie man die Qualität im Programm halten kann. Welche Struktur, welche Governance ist nötig? Wir mussten uns mit vielen Dingen auseinandersetzen – das war miteinander anstrengend, aber ein absoluter Gewinn gegenüber dem, es allein getan haben zu müssen.

Eine letzte Frage: Wer hat denn für Ihre kulturelle Bildung gesorgt?

HV: Zu Hause wurde gelesen und Musik gehört. Meine Mutter ist Künstlerin. Ihr Atelier war bei uns zu Hause, die künstlerische Umgebung war für mich also ganz selbstverständlich. Ich bin aber erst mit 20 zum ersten Mal im Theater gewesen und in Museen auch ganz spät. Und aus dem Musikunterricht bin ich gleich nach drei Stunden rausgeflogen, weil ich zu unmusikalisch war. In der Zeit war ich dann sehr mit Sport beschäftigt, wurde Olympiaschwimmerin. Aber ganz sicher haben meine Erfahrungen als Kind einiges bewirkt, sonst hätte mich die Kunst wohl nicht immer wieder in ihren Bann gezogen.

WK: Ich komme vom Land, aus einer Großfamilie, da gab es ziemlich viel Kultur, aber keine kulturelle Bildung, sondern Kultur im Miteinandersein, in der Vielfalt. Schule hat nicht dazu beigetragen. Mit 17 habe ich entdeckt, dass ich zeichnen kann, und habe Spaß daran gefunden. Ich habe mich dann selbst kulturell gebildet und Bildende Kunst an der Werkkunstschule Köln studiert.

Was wir festhalten können, die Schule war es bei uns allen nicht! Vielen Dank für das Gespräch.

 

Foto: Tim Schenkl/Forum K&B