Kristin Haug
Hamburg: So klingt Deutschland
Kristin Haug

Hamburg: So klingt Deutschland

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An der Stadtteilschule Hamburg-Mitte bringen die Medien-Pädagogen Andi und Ronny der Internationalen Vorbereitungsklasse 7/8a bei, aus Geräuschen ihrer Lebenswelt Klangcollagen zu konstruieren. Neben dem Umgang mit den Audiofiles erfahren die Schüler, die aus Ländern wie Afghanistan, Ägypten, Rumänien oder Spanien kommen, wie man sich in Deutschland begrüßt, sich entschuldigt oder Vokabeln einmal anders lernt.

Türen und Wände sind meist bekritzelt, Papier liegt herum, es riecht unangenehm und viele wollen schnell wieder raus: Schultoiletten sind Orte, die kaum beachtet werden. Doch dies soll sich an der Stadteilschule Hamburg-Mitte ändern. Michaela Pens, die hier Deutsch und Kunst unterrichtet, hatte die Idee, den Toiletten mehr Beachtung zu schenken. Sie meinte dabei allerdings nicht, die Räume zu restaurieren. Ihr ging es um etwas anderes. Würden nicht Klänge oder Musik zu einer gleich ganz anderen Atmosphäre führen? Die Hamburger Kulturagentin Stina Bollmann nahm sich des Vorhabens an und überlegte gemeinsam mit Lehrern und Schülern, was man verändern könnte. Viele Kinder mit Migrationshintergrund besuchen die Stadtteilschule in Hamburg-Mitte. Bollmann sagt, die Schule habe die größte Anzahl zugewanderter Jugendlicher in der Hansestadt. Schüler aus verschiedenen Ländern besuchen hier nach ihrer Ankunft zunächst einmal die Internationale Vorbereitungsklasse (IVK). Dort lernen sie ein Jahr zusammen Deutsch. Dann werden sie in die Regelklassen versetzt. Die Schüler kommen aus Griechenland, Ägypten, Polen, Afghanistan, Honduras, Mazedonien, Rumänien, Italien oder Spanien.

Für das Toilettenprojekt "Kling Klang Klo Klang" wünschte sich Lehrerin Michaela Pens von Kulturagentin Stina Bollmann, mit den Ohrlotsen zusammenzuarbeiten. Die Ohrlotsen, das ist eine junge Truppe aus Hamburg, die mit Kindern und Jugendlichen Medienprojekte realisiert. Zusammen mit ihnen setzen sich die Ohrlotsen akustisch mit dem Alltag der Schüler auseinander.

An der Stadtteilschule ist das Projekt in vollem Gange. Dienstagsnachmittags treffen sich die Schüler der IVK 7/8 a im Computerraum. Ronny und Andi sind auch da. Die zwei Männer bringen den Kindern bei, Töne und Geräusche aufzunehmen, diese am Computer zu schneiden und daraus Klangcollagen zu entwickeln. Sie erklären, wie man Hörspiele oder ganze Radiosendungen produziert. So erfahren die Schüler spielerisch, wie sie medial arbeiten können.

Neue Schule, neue Klassenkameraden, neuer Unterricht

Zum Workshop begrüßen die Ohrlotsen die Schüler auf Augenhöhe, reden mit ihnen locker und souverän – so als wären sie mit den Jugendlichen befreundet. Zwei bis drei Schüler teilen sich einen Computer und arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Sie haben bereits Stimmen, Musikschnipsel und Geräusche aufgenommen und experimentieren nun damit herum, legen sie am Computer übereinander, verändern die Geräusche, mischen Beats und Wörter darunter. Ronny fragt, was sie sich bei ihren Klangkompositionen denken. "Wo spielt eure Geschichte? Was wollt ihr erzählen?"

Die Schüler sprechen keine gemeinsame Sprache und beginnen gerade erst, Deutsch zu lernen. Für die Kinder und Jugendlichen ist es ein neues Leben: Neue Schule, neue Klassenkameraden, neuer Unterricht. Das fällt vielen schwer. Vor allem die neue Sprache ist nicht einfach. Für manche Jungen ist es zudem ungewohnt, mit Mädchen in einem Klassenzimmer zu lernen. Wichtig sei es da für die Lehrer, sich sofort Respekt zu erarbeiten, sagt Michaela Pens. Das geht nur, wenn man sich engagiert.

Das merken auch die Ohrlosten Ronny und Andi. Sie zeigen den Schülern nicht nur, wie sie Klangcollagen am Computer produzieren. Die Medien-Pädagogen wissen auch, wie man mit Schülern redet.  Zu einem Jungen, der auf seinem Handy herum spielt, sagt Ronny: "Eine Entschuldigung funktioniert nur, wenn du mich anschaust und nicht gleichzeitig damit weitermachst."

Fotos: Kristin Haug

"Standardsätze hatten plötzlich keine Gültigkeit mehr"

Durch das Kulturagentenprogramm lernen die Schüler eine neue Ebene kennen, eine neue Art des Unterrichts. "Wenn die Schüler merken, der Unterricht ist anders, und dass man sich für sie einsetzt, dann sind sie begeistert", sagt Pens. Für Andi und Ronny ist der Workshop eine echte Herausforderung. "Wir hatten ein Konzept im Kopf, das mussten wir aber gleich wieder umwerfen, weil die Schüler kaum Deutsch konnten", sagt Ronny. "Wir mussten erst einmal ausprobieren, wie wir am besten mit den Jugendlichen reden können. Standardsätze hatten plötzlich keine Gültigkeit mehr." Die Zwei haben sich dann langsam vorgetastet.

Wichtig ist den Ohrlotsen eines: Den Schülern bewusst zu machen, dass sie selbst etwas auf die Beine stellen können.

Wenn das Kulturagentenprogramm auslaufe, dann sei das sehr traurig, sagt Lehrerin Michaela Pens. Sie ist für das Programm dankbar. "Was Stina schon alles mit uns erreicht hat, ist der Wahnsinn." Pens kann sich schwer vorstellen, wie die Zeit nach dem Ende des Kulturagentenprogramms aussehen soll. Es sei nicht einfach gewesen, alles ins Laufen zu bringen. "Wir haben doch gerade erst so richtig angefangen", sagt sie.

Nun ist das Klang-Projekt fast fertig. Bald wird es die Klasse zusammen mit Lehrerin Pens und Kulturagentin Bollmann vorstellen. Andi hilft noch beim Einbau der Abspielanlage. Im nächsten Jahr soll es so weitergehen. Nach dem Wunsch der Direktorin sollen auch die nächsten Vorbereitungsklassen so ein Projekt realisieren. Zum Beispiel könnten in den Toiletten Hörspielstücke abgespielt werden. Denkbar wäre auch, die Werke über die Sprechanlage der Schule laufen zu lassen. Zunächst sollen die neuen Projekte gemeinsam mit Bollmann umgesetzt werden. Dann müsse die Schule weitersehen.