Cynthia Krell
Museumsraum: Raum für Bewegung – Das Museum Ostwall
Cynthia Krell

Museumsraum: Raum für Bewegung – Das Museum Ostwall

Bis Mitte der 1990er Jahre wurde im Dortmunder U Bier gebraut; 20 Jahre später, seit 2010, verbindet es Kunst, Forschung, kulturelle Bildung und Kreativität miteinander. Das Gebäude der ehemaligen Union-Brauerei war das erste Hochhaus Dortmunds, 1927 fertiggestellt und 2007 von der Stadt erworben, um es im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas – RUHR.2010 zum "Zentrum für Kunst und Kreativität" umzubauen. Seitdem beherbergt es einen Kino- und Veranstaltungssaal, Einrichtungen der Technischen Universität und der Fachhochschule Dortmund, Werkstätten, Medien- und Veranstaltungsräume der kulturellen Bildung sowie die Ausstellungsräume des Hartware MedienKunstVereins und des Museums Ostwall. Auf über zwei Etagen zeigt das Museum Ostwall, das ehemals Am Ostwall in Dortmund logierte, seine Sammlung im jährlichen Wechsel. Ergänzend bilden die temporären Einzel- und Themenausstellungen einen weiteren Schwerpunkt.

Museum als Kraftwerk

Der Umzug vom Ostwall ins Dortmunder U ermöglichte nicht nur eine räumliche Erweiterung, sondern führte unter der Leitung des heutigen Direktors Prof. Dr. Kurt Wettengl zu neuen Impulsen in der Sammlungspräsentation. Regina Selter, stellvertretende Direktorin und Leiterin der Abteilung Bildung und Kommunikation, erklärt: "Unser Bildungsverständnis begreift – angelehnt an den Kunstwissenschaftler Alexander Dorner – das 'Museum als Kraftwerk'". Wir sind einerseits ein Ort der Erinnerung, des Gedächtnisses. Andererseits nehmen wir gesellschaftspolitische und kulturelle Impulse auf und geben sie wieder zurück." Der Mittelpunkt der Sammlung sind Arbeiten der Fluxus-Bewegung, die für eine Verschmelzung von Kunst und Leben eintrat. Diese werden mit Kunstwerken des Expressionismus, des Nouveau Réalisme und der Konkreten Poesie sowie größeren Werkkomplexen einzelner Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart in Form eines Parcours gezeigt. Zu den Neuerungen der Sammlungspräsentation gehören etwa das "Interaktive Bildarchiv" und der "Lautsprecher", ein Raum ausschließlich für Soundarbeiten.

Die Vermittlung von Kunst ist dem Museum Ostwall seit seiner Gründung ein besonderes Anliegen, denn Bildung war immer ein integraler Bestandteil des Verständnisses der Museumsarbeit. "Bereits die erste Direktorin, Dr. Leonie Reygers, hat sie als zentralen Teil des Ausstellungs- und Sammlungswesen formuliert. Das Museum Ostwall hat beispielsweise die älteste ,Kindermalstube", wie sie damals hieß. Davon ausgehend haben sich je nach Museumsleitung Herangehensweisen und Zielgruppen der Kunstvermittlung verändert", so bringt es Regina Selter auf den Punkt. Das vielfältige Programm umfasst nicht nur regelmäßige Angebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sondern auch Projekte für Schulklassen aller Schulformen, diverse Kooperationen mit anderen kulturellen und sozialen Einrichtungen und zielgruppenspezifische Führungen. Das Museum arbeitet hierfür mit einem großen Pool aus freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bestehend aus Kunstschaffenden, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern sowie Pädagoginnen und Pädagogen.

Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Gesamtschule im Rahmen des Projekts "Kunst-Connection" in Kooperation mit dem Museum Ostwall und unter Leitung der Künstlerin Barbara Hlali
Foto: Barbara Hlali

Selbstverantwortliches Sehen

Der Leitgedanke "Museum als Kraftwerk" liegt auch den Kooperationen mit Schule zugrunde: "Unsere Kunstvermittlung ist daran ausgerichtet, in Austausch und Dialog zu gelangen. Dazu gehören unter anderem auch enge Bildungspartnerschaften und Kooperationen mit Schulen. Wir wünschen uns natürlich, dass die Schülerinnen und Schüler zu einem selbstverantwortlichen Sehen kommen. Es geht deswegen nicht um eine repräsentative Kunstvermittlung, sondern um eine kritische Begegnung mit Kunst, ihrer Sprache und ihren Codes", erläutert Regina Selter. Um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, hat das Museum Ostwall bereits zahlreiche, innovative Projekte mit schulischen Partnern durchgeführt. Das Angebot umfasst sowohl die klassischen Formate wie Kunstworkshops und Gespräche in der Dauerausstellung als auch besondere Vorhaben und längerfristige Bildungskooperationen. Konzeptuell und inhaltlich wurden viele dieser Projekte von der Künstlerin und Diplompädagogin Barbara Hlali verantwortet, die als Assistenz des Museums in der Abteilung für Bildung und Kommunikation tätig ist. Im Rahmen des Kulturagentenprogramms hat sie als Projektleiterin und in Zusammenarbeit mit der Kulturagentin Barbara Müller die Schülergruppen der Anne-Frank-Gesamtschule betreut. Die Schule habe sich auf Anregung des Museums für das Kulturagentenprogramm beworben, so Barbara Hlali, und sie betont, dass "die Zusammenarbeit mit ihr immer sehr gut war, da die Lehrerinnen und Lehrer dort sehr engagiert sind, was für die Durchführung von Projekten wichtig ist". Von elementarer Bedeutung sind für das Museum Ostwall bei den schulischen Bildungspartnerschaften Verbindlichkeit und Kontinuität. Daher sei es durchaus sinnvoll, "dass man mit Schulen zusammenarbeitet, bei denen es schon Erfahrungswerte gibt und man weiß, dass die Schulleitung kulturelle Konzepte mitträgt", ergänzt Regina Selter.

"Kunst-Connection" schafft Verbindungen

Im Rahmen des Kulturagentenprogramms entstand nach der Erstellung eines Kulturfahrplans unter anderem das dreijährige Projekt "Kunst-Connection"1. Die inhaltliche Entwicklung erfolgte im Wesentlichen durch Barbara Hlali, wobei sie während der Laufzeit im ständigen Austausch mit der Kulturagentin Barbara Müller und den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern stand. Unterstützt wurde sie sowohl von der Kulturagentin als auch von Regina Nizamogullari, die zu Projektbeginn die didaktische Leitung innehatte. Die Kulturagentin agierte als Schnittstelle zwischen dem Museum Ostwall und der Schule, wirkte unterstützend beim Auf- und Ausbau der Angebote und beriet sie bezogen auf organisatorische und projektbezogene Fragen. Außerdem besuchte Barbara Müller einige "Kunst-Connection"-Workshops im Museum Ostwall, um die Schülergruppen bei ihren Aktivitäten zu begleiten. Regina Selter betont insbesondere die Rolle der Kulturbeauftragen wie Regina Nizamogullari an den Schulen, denn so könne die kulturelle Bildung nicht nur organisatorisch in die schulischen Strukturen eingebunden werden, auch die damit verbundenen Ziele könnten intern kommuniziert werden.

"Kunst-Connection" wurde als freiwilliges Angebot für Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Gesamtschule konzipiert, die sich damals in der 7. Klasse befanden. Die Projektleiterin Barbara Hlali umreißt die Idee: "Im Grunde ist das Museum Ostwall mit seiner Sammlung der Andockpunkt für das Projekt, und zwar in der konkreten Auseinandersetzung mit den Kunstwerken vor Ort. Die Hauptthemen sind ,Verbindung und Transfer' auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Bei der Projektkonzeption war es mir daher besonders wichtig, dass über diesen langen Zeitraum von drei Jahren alles aufeinander aufbaut. Im ersten Halbjahr ging es um eine Einführung in die Thematik und um erste Begegnungen mit den Kunstwerken hier. Dann verlagerte sich der Schwerpunkt in Richtung Medientransfer, kooperatives Arbeiten und Stadtteilmapping, wobei sich die verschiedenen Gruppen jeweils über die Kunst begegneten. 2014 haben sich die Jugendlichen mit Cultural Hacking2 und mit der Verbindung von alltäglichen Handlungsweisen mit Kunst beschäftigt." Erklärtes Ziel des Projekts war es, Schülerinnen und Schülern sowohl eigene, künstlerische Wege zu den Kunstwerken zu ermöglichen, als auch das Museum Ostwall als lebendigen Ort kultureller Teilhabe aktiv kennenzulernen. In diesem Projekt kooperierten die beiden Dortmunder Schulen Anne-Frank-Gesamtschule und Albrecht-Dürer-Realschule mit dem Museum Ostwall. Beide Schülergruppen arbeiteten in Workshops zunächst unabhängig voneinander, trafen sich aber immer wieder, tauschten sich aus und stellten im Rahmen von gemeinsamen Präsentationen ihre Werke im Dortmunder U öffentlich aus.

Schülerinnen der Anne-Frank-Gesamtschule arbeiten an ihren Gipsskulpturen im Rahmen des Projekts "Kunst-Connection"
Foto: Barbara Hlali

Genau darin sieht Regina Selter eine einzigartige Chance für die Dauerausstellung des Museums Ostwall: "Zu zeigen, dass die moderne und zeitgenössische Kunst medial vielfältiger ist und im Kontakt und Austausch mit gesellschaftlichen Prozessen steht, da setzen wir mit unseren Projekten an."

"Kunst-Connection" als Türöffner

Indem die Schülergruppe das Museum Ostwall im Rahmen des Projekts "Kunst-Connection" einmal in der Woche besuchte, wurde es für sie ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags und ihrer Freizeitgestaltung. Wichtig sei nach Regina Selter die Erfahrung, "dass sich Projekte bewährt haben, die über den klassischen Einmal-Besuch hinausgehen; erst wenn Kinder und Jugendliche öfter kommen, kann ein selbstverständlicher Umgang mit dem Museum entstehen. Sie erobern sich einen kulturellen Raum und entwickeln davon ausgehend ein neuartiges, lebendiges Verständnis für das Museum. Über langfristige Projekte und ihre Kontinuität kann eine persönliche Beziehung entstehen."

Dabei übernimmt das Museum Ostwall die Rolle eines Türöffners, der den Jugendlichen den Zutritt zur Welt der Kunst ermöglicht. Auch die Projektleiterin berichtet begeistert: "Worüber ich mich sehr gefreut habe, war eine überraschende Begegnung mit am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schülern, die in ihrer Freizeit mit Freunden ins Museum kamen. Normalerweise würden sie die Hürde, unsere Institution zu betreten, nicht von allein überwinden. Aber durch das Projekt haben sie gemerkt, dass das Museum ein Raum ist, in dem sie sich ganz normal bewegen und in den sie andere Leute mitbringen können, um ihnen etwas zu zeigen." Zu beobachten war, dass die Schülerinnen und Schüler selbstsicherer im Umgang mit moderner und zeitgenössischer Kunst wurden und zugleich ihre Entdeckungslust stieg. Das sei, so Regina Selter, "wirklich ein großer Vorteil von 'Kunst-Connection': Über drei Jahre so viel mehr Luft und Zeit zu haben als in kurzfristigen Projekten. Diese Zeit ist auch für die Jugendlichen notwendig, damit sie in den eigenen Drang des Entdeckens gelangen und nachhaltig anregt werden, sich auch in Zukunft neugierig auf Kunst und Kultur einzulassen."

Herausforderungen im Hürdenlauf nehmen

Im Laufe des Projekts gab es sowohl für die Schülergruppe als auch für die Museumsvermittlung einige Herausforderungen, von denen Barbara Hlali berichtet: "Uns war am Anfang nicht klar, dass sich die schulischen Anforderungen mit zunehmender Jahrgangsstufe erheblich erhöhen und mehr zeitliche Kapazitäten benötigen würden. Da es sich um ein freiwilliges Projekt handelte, das als außerschulische Aktivität nur in der Freizeit stattfand, ist es in Konkurrenz zu dem geraten, was die Jugendlichen für die Schule leisten müssen." Das Museum Ostwall reagierte mit Verständnis und einer zeitlichen Anpassung der Workshops, sodass schulische Verpflichtungen und Projekt vereinbar wurden.

Schülerarbeit im Rahmen des Projekts "Kunst-Connection"
Foto: Barbara Hlali

Eine weitere Schwierigkeit stellte der Wunsch dar, im Rahmen der Präsentationen neue Besucherkreise zu erschließen, da bis dahin nur wenige Eltern und Familienangehörigen die öffentlichen Veranstaltungen besucht hatten. Obwohl die Gründe für das Fernbleiben noch nicht zufriedenstellend eruiert werden konnten, betont Regina Selter die Wichtigkeit der öffentlichen Zwischen- und Abschlusspräsentationen im Dortmunder U. Die lokale Presse habe umfangreich berichtet, und auch wenn es nicht viele externe Besucherinnen und Besucher gegeben habe, konnte sie beobachten, dass die Schülerinnen und Schüler unglaublich stolz waren, dass ihre Werke öffentlich präsentiert wurden. "Außerdem haben sie jeweils ihre eigenen Arbeiten vorgestellt und erklärt – im Grunde war es ihre eigene Eröffnung", so Selter.

Die nächste Herausforderung für das Museum Ostwall und die Anne-Frank-Gesamtschule wird das Ende des Kulturagentenprogramms im Juni 2015 sein, das die kostendeckende Finanzierung des Projekts gewährleistete. Um mehrjährige Bildungspartnerschaften mit Schulen fortführen zu können, bedarf es einer zusätzlichen Finanzierung. Im Klartext heißt das für Regina Selter: "Wir können solche Projekte nur mit Hilfe einer gesicherten Drittmittelförderung umsetzen und nicht aus dem eigenen Museumsetat bezahlen. Ich denke, dass die meisten Museen in Deutschland mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Tatsache ist: Für besonders anspruchsvolle Projekte muss im Sinne einer Nachhaltigkeit eine kostendeckende Finanzierung vorhanden sein." Nur dann sei es möglich, für Schülerinnen und Schüler ein kostenfreies Angebot zu unterbreiten, wie es exemplarisch mit "Kunst-Connection" erfolgreich umgesetzt werden konnte, fügt Barbara Hlali hinzu. Nachhaltige Finanzierungsmodelle zu entwickeln, sei eine gemeinsame Aufgabe, mit der sich das Museum Ostwall und die zukünftigen, schulischen Kooperationspartner verstärkt auseinandersetzen müssten. Dennoch fühlen sich Regina Selter und Barbara Hlali darin bestätigt, die eingeschlagene Richtung und die gewünschte Öffnung der Institution beizubehalten, die sie mit einem vielfältigen Kunstvermittlungsprogramm erreichen wollen: "Somit vermitteln wir nicht nur unser Verständnis von Bildung und Museum, sondern erreichen auch eine intensivere Zusammenarbeit mit Schulen. Wir möchten den Schulen verdeutlichen, dass das Museum ein bedeutsamer, außerschulischer Lernort sein kann."

Das Museum Ostwall will sich als Institution den Menschen öffnen, indem es sich konsequent an seinem Leitgedanken "Museum als Kraftwerk" orientiert und diesen auch in der musealen Arbeit praktiziert. Bezogen auf die Kunstvermittlungsarbeit bedeutet das, so Barbara Hlali abschließend, "dass man Kunstvermittlung eben nicht über die Köpfe der Besucherinnen und Besucher hinweg konzipiert, sondern dass man das ernst nimmt, was man selbst anzubieten hat. Die Kunst, die wir hier zeigen, ist zum Teil sehr widerständig und auf den ersten Blick nicht leicht zu verstehen. Es ist uns wichtig, Jugendliche in ihren Äußerungen über Kunst und in ihrem Umgang mit ihr ernst zu nehmen, damit die Kunst etwas mit ihnen zu tun hat."

 

 

 

1 Gesamtkonzept: Barbara Hlali, Regina Selter; künstlerische Leitung: Barbara Hlali (Anne-Frank-Gesamtschule), Jutta Schmidt (Albrecht-Dürer-Realschule).

2 "Cultural Hacking: dem Computer-Hack entlehnte Idee der Umkodierung und Verfremdung bestehender kultureller Codes. Über Manipulation und Zweckentfremdung von Alltagsgegenständen, -regeln und -routinen im außermusealen, öffentlichen Raum wird die Strategie verfolgt, Tabuisiertes hervorzuheben resp. neue Lesarten des Gewohnten zu schaffen. Cultural Hacking als Kunst verläuft dabei entlang der Linien des Subtil-Politischen.", zitiert nach: https://culturalhacking.wordpress.com/glossar/ [09.02.2015].