Friederike Holländer
Die Schule – ein „Haus der Künste“?
Friederike Holländer

Die Schule – ein „Haus der Künste“?

Wie das Berliner Robert Blum Gymnasium das Kulturagentenprogramm genutzt hat

Anfänge

Bevor ich Kulturagentin wurde, kannte ich das Robert Blum Gymnasium nur dem Namen nach und verband mit ihm die vage Vorstellung einer Schule mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt. Die Bewerbung um die Teilnahme am Kulturagentenprogramm war ein erstes Indiz für weitere Interessen der Schule. Bei der Auftaktveranstaltung im August 2011 lernte ich den Schulleiter, Bernd Fiehn, und die Kulturbeauftragte, Sylvia Dohrmann, kennen. Damals maß ich der Information, dass Frau Dohrmann in Absprache mit Herrn Fiehn die Bewerbung geschrieben hatte, noch keine besondere Bedeutung zu. Es stellte sich jedoch heraus, dass dies in meinem Schulnetzwerk eine Besonderheit war, denn in den beiden anderen Schulen hatten gerade die Schulleiter und damit die eigentlichen Ansprechpartner gewechselt. Rückblickend denke ich, dass, neben dem Engagement der Kulturbeauftragten und einer großen Gruppe von Lehrerinnen aus den musischen Fächern, die kontinuierliche Einbindung von Herrn Fiehn als Schulleiter in alle Programmphasen ein wesentlicher Faktor für die schnelle, zielgerichtete und erfolgreiche Entwicklung des Programms an dieser Schule war.

Meine erste Begegnung mit dem gesamten Kollegium des Gymnasiums habe ich als ein etwas skurriles Bild in Erinnerung. Ich stellte mich im Rahmen einer Gesamtkonferenz vor, am Ende einer langen Sitzung, wie es die etwas erschöpft wirkenden Lehrerinnen und Lehrer vermuten ließen. Ich erntete fragende Blicke bei meinem ersten Versuch zu erklären, was die Ziele des Programms "Kulturagenten für kreative Schulen" und meine Aufgabe als Kulturagentin seien. Eine Lehrerin irritierte besonders die Idee einer Kooperation mit den beiden anderen Schulen (eine Sekundarschule ohne Oberstufe und eine Grundschule). Ich war davon ausgegangen, dass der Aufbau eines Schulnetzwerks gängige Praxis sei, da es den Schulen ja offenbar gelungen war, sich zu dritt für die Teilnahme am Programm zu bewerben. Daher versuchte ich zunächst, mit den drei mir zugeordneten kulturbeauftragten Lehrerinnen gemeinsam herauszufinden, welche Kooperationsmöglichkeiten es im Rahmen eines Netzwerkprojekts geben könnte. Dabei kristallisierte sich sehr schnell die Erkenntnis heraus, dass es mehr Sinn mache, sich zunächst auf jede Schule individuell zu konzentrieren und jeweils eine passende spezifische Herangehensweise zu entwickeln.

"… every school has its own narrative"

Im Rahmen der zweiten Akademietagung des Modellprogramms im Januar 2012 hielt Paul Collard, Geschäftsführer von Creativity, Culture and Education (CCE) und ehemaliger Leiter des Programms "Creative Partnerships" in England, einen Vortrag, in dem er erwähnte, dass erfahrungsgemäß jede Schule ihre eigene narrative Überlieferung pflege: "… every school has its own narrative." Damit erklärte ich mir, dass das, was ich in den ersten Wochen des Kennenlernens an der Schule sah und hörte, nicht immer mit dem zusammenpasste, was mir berichtet wurde. Ich erinnere mich an ein erstes Treffen kulturinteressierter Lehrerinnen und Lehrer, initiiert von Frau Dohrmann und Herrn Fiehn, bei dem ich meinen Eindruck von der Schule und der Schülerschaft kurz skizzierte. Ich erwähnte zum Beispiel, dass Schülerinnen und Schüler sich mir gegenüber sehr höflich und interessiert verhielten, wenn ich sie nach ihrer Meinung zu möglichen Themen oder Anlässen für kulturelle Projekte befragte. Oder dass die Räumlichkeiten, unter anderem ein riesiges, helles, zweigeschossiges Lehrerzimmer, auf mich großzügig und gepflegt wirkten. Obwohl meine positive Einschätzung wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, entsprach sie offenbar nicht ganz dem Bild, das die Lehrenden selbst von ihrer Schülerschaft und ihrer Schule hatten.

Man vermittelte mir das Bild einer Schule, die ihre Blütezeit hinter sich habe: in der das Engagement der Eltern nachgelassen habe, deren Ruf nicht der beste, deren Kollegium überlastet und deren Schülerschaft schwierig sei. In der Vergangenheit hingegen habe es wunderbare Theateraufführungen und eine spannende TUSCH-Kooperation mit dem Maxim Gorki Theater gegeben. Früher schien alles besser gewesen zu sein.

In den ersten Monaten versuchte ich herauszufinden, was die Schule insgesamt bewegte und welches Ziel eigentlich mit der Teilnahme am Kulturagentenprogramm verbunden wurde. Es ging damals viel um das Thema Identität, um die Klärung der Identität der Schule und um die Förderung der Identifikation der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und des Kollegiums mit der Schule. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder das Thema "andere" oder "fremde" Kulturen, bezogen auf die Vielfältigkeit der Herkunftsnationen der Schülerschaft, angesprochen.

Runder Tisch Kultur

Frau Dohrmann engagierte sich im ersten Jahr in hohem Maße für das neue Kulturagentenprogramm. Sie brachte vor allem ihre Kontakte zum Theater ein und organisierte die Termine für den "Runden Tisch Kultur", an dem alle interessierten Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit hatten, Ideen für Projekte und Kooperationen zu äußern und zu diskutieren. Es gab lange Diskussionen über geeignete Themen, künstlerische Qualität, pädagogische Eignung, vermutete oder befürchtete Dominanz von Kultureinrichtungen gegenüber der Schule, Hochkultur versus Experiment.

Damals wurden wir zum ersten Mal mit einer besonderen Problematik unserer Tätigkeit als Kulturagentin und Kulturbeauftragte konfrontiert: Wir stellten fest, dass es nicht so einfach war, ein Projekt für "die Schule" zu entwickeln. Denn die Kolleginnen und Kollegen hatten zum Teil unterschiedliche Vorstellungen und eigene Ideen, die zum Beispiel nicht unbedingt auf eine Kooperation mit einem Theater abzielten.

Erste Projekte

Ein erstes Projekt, das mit dem sogenannten Startgeld aus Programmmitteln finanziert wurde, war ein Theaterprojekt mit dem programmatischen Titel "Open Doors" in Zusammenarbeit mit einem im Bezirk ansässigen Jugendtheater. Ich erinnere mich an eine nicht nur Zustimmung erzeugende Aktion, bei der die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts Klassentüren öffneten und vor einem verblüfften Publikum kurze Szenen spielten. Die Idee fand ich großartig, denn im Grunde war es eine bildhafte Umsetzung dessen, was das Programm beabsichtigte: Türen zu öffnen, Einblicke zu ermöglichen, produktive Störungen zu erzeugen.

Im Dezember 2011 wurden die ersten fünf sogenannten Kunstgeldprojekte beantragt. Sie zeigten die ganze Bandbreite der in der Schule vorhandenen Interessen: es ging um die Unterstützung einer Schulband (Stärkung der Schulkultur), ein Fotoprojekt, ein Theaterprojekt (Thema: Geschichten aus der Herkunftsnation der Schülerschaft), ein Schulhofgestaltungsprojekt (Gestaltung des Schulumfelds/Identifikation), ein Musikprojekt der Oberstufe (Musik anderer Kulturen).

Alle Projekte standen aus meiner Sicht in irgendeiner Form im Zusammenhang mit der Suche nach einer neuen Identität und einem Wiederaufbau von offenbar verloren gegangen Strukturen.

Fotoprojekt "Schülerkunstwerke im fotografischen Dialog …"
Schülerbild

Musikprojekt "Musik verschiedener Kulturen – ein musikalischer Workshop"
Schülerbild

Schulhofgestaltung im Rahmen des Projekts "MY SPACE – Architektur als Handlungsraum"
Schülerbild

Identität, Vielfalt und Profilbildung

Ich habe damals manchmal daran gezweifelt, ob sich aus den vielfältigen, von mir als "Flickenteppich" empfundenen Aktivitäten etwas wie ein kulturelles Profil einer Schule entwickeln könnte. Anderseits entsprach gerade dieses "Patchwork" dem Bild, das die Schule von sich selbst vermitteln wollte, was an einem interessanten Detail deutlich wird: Das ungewöhnlich abstrakte Logo der Schule, eine rechteckige Fläche aus vielen unterschiedlich farbigen Quadraten zusammengesetzt, ist ein Symbol für die Vielfalt und Gleichwertigkeit von Ideen, Schwerpunkten, Meinungen, Überzeugungen. Insofern war es konsequent, dass sich zunächst eine bunte Vielfalt von Antworten auf die Frage ergab, in welche Richtung sich die Schule kulturell weiterentwickeln wollte.

Logo des Robert Blum Gymnasiums

Es blieb aber die Frage offen, wie diese punktuellen Aktionen zu einer tatsächlichen Profilbildung führen sollten, insbesondere zu der vom Modellprogramm beabsichtigten Entwicklung dauerhafter Kooperationen mit Kultureinrichtungen. Die Projektpartner der ersten Projekte waren vorwiegend Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten wie der Bildhauerei, der Musik, der Fotografie und des Schauspiels. Für die Lehrerinnen und Lehrer schien es eine erste Versuchsphase zu sein. Es wurde ausprobiert, wie sich eine Zusammenarbeit mit externen Personen überhaupt gestalten könnte. Bereits in dieser Erprobungsphase wurde deutlich, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, Zusammenarbeit zu definieren (Künstler arbeitet allein mit Schülerinnen und Schülern; Lehrerin gibt die Verantwortung für Inhalt und Durchführung an Künstler ab, ist aber über den Fortgang des Projekts informiert; Lehrerin versucht mit Künstlerin gemeinsam ein Projekt zu entwickeln, merkt aber, dass sie trotz Anerkennung der Leistung der Künstlerin mit ihrer (Neben-)Rolle nicht glücklich ist; Lehrerin und Künstler arbeiten arbeitsteilig/ inhaltlich und zeitlich; Lehrerin bezieht Künstler bewusst dort ein, wo sie sich selbst für nicht "kompetent" hält und vermeidet damit Konkurrenzsituationen).

Ich habe mich gefragt, wie die unterschiedlichen Strategien und Erfahrungen mit der Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Kulturpartnern festgehalten und für andere nutzbar gemacht werden können, wenn immer wieder neue Teams immer wieder einmalige Aktionen durchführen. Ich hatte damals ein gewisses Misstrauen gegenüber diesem von der Schule propagierten Bild von Vielfalt, weil es aus meiner Sicht die Gefahr von Beliebigkeit barg.

Das Kulturprofil/Kulturprofilklassen

Während im ersten Jahr die von den Schulen zunächst als ziemlich unflexibel empfundene Fördermittelbeantragung einfacher wurde und erste Erfahrungen mit der Konzeption, Beantragung und Durchführung von Projekten gemacht wurden, versuchte ich nebenbei ein kleines Rätsel zu lösen: Die Schule hatte sich für das Kulturagentenprogramm beworben, um ein kulturelles Profil zu entwickeln. Sie hatte aber bereits ein sogenanntes Kulturprofil, genaugenommen sogar ein naturwissenschaftliches Profil, ein Englischprofil und ein Kulturprofil. Es war ein wenig mühsam, Informationen über dieses spezielle, offenbar erst kürzlich neu eingerichtete Unterrichtsfach "Kultur" zu bekommen. Offenbar wurde von Seiten der Schule kein auf der Hand liegender Zusammenhang zwischen einem "Kulturprogramm" und dem "Kulturprofil" gesehen.

Ich erfuhr, dass es sich beim "Kulturprofil" um einen Schwerpunkt handelte, den die Schülerinnen und Schüler beim Übergang ins Gymnasium zu Beginn der 7. Klasse für zwei Jahre wählen. Dies bedeutet, dass sie sich für zwei Jahre auf das Wahlfach "Kultur", das mit zwei Wochenstunden unterrichtet wird, festlegen. Der Name "Kultur" rührte daher, dass zwei Lehrerinnen aus zwei unterschiedlichen Fachbereichen, offenbar meist ein Team aus Kunst- und Musiklehrerin, gemeinsam fachübergreifende Inhalte aus beiden Fächern unterrichteten. Ich fand das interessant, weil ich das Kulturprofil einer Schule nicht nur auf ein Unterrichtsfach, sondern übergreifender und auf das gesamte Spektrum der Möglichkeiten musisch-künstlerischer und kultureller Bildung bezogen definiert hätte. Für mich war das ein weiteres Beispiel für die Unterschiedlichkeit von Begriffsdefinitionen innerhalb und außerhalb der Schule. Eine derartige Begriffsunschärfe betrifft nach meiner Beobachtung viele in unserem Programm häufig gebrauchte Begriffe wie Projekt, Kunst, Kultur, Partizipation, Kooperation, Kulturinstitution und viele andere.

Das erste Projekt der Kulturprofilklassen: "Exploration 5.0"

Frau Dohrmann verließ die Schule am Ende des ersten Programmjahres und übergab das Amt der Kulturbeauftragten an Dr. Dorothea Ruthemeier. Eine ihrer ersten Aufgaben bestand darin, einen Antrag für ein Projekt mit dem Titel "Exploration 5.0" zu überarbeiten. Zielgruppe sollten nun tatsächlich zum ersten Mal die sogenannten Kulturklassen sein. Ein Zusammenhang zwischen Programm und Profil ergab sich dadurch, dass Frau Dr. Ruthemeier selbst im Kulturprofil das Fach "Kultur im Team" mit einer Kunstlehrerin unterrichtete. Interessant war, dass sich nun herausstellte, dass viele der Lehrerinnen und Lehrer, die bereits im ersten Programmjahr an Projekten beteiligt waren, auch im Fach "Kulturprofil" unterrichteten. Es bildete sich eine Gruppe, die offenbar gemeinsame Interessen hatte, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten, und deren Mitglieder Kunst oder Musik unterrichten und zum Teil auch "Darstellendes Spiel". Die Projekte entwickelten sich von selbst in eine performative Richtung.

Das "Kulturteam" hatte sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema "Grenzen" geeinigt. Während des ersten Halbjahrs 2012/13 erarbeiteten vier Klassen einen Beitrag zu der geplanten Präsentation im Januar 2013. In Zusammenarbeit mit Choreografinnen, Musikern und einem Musikperformer entstanden unterschiedliche Ergebnisse, die die Bandbreite der Interpretation des Themas zeigten: In den Projekten wurde tänzerisch, filmisch und performativ zu Grenzen, Grenzgängen und Grenzüberschreitungen gearbeitet, wobei "Carmen als Hip-Hop-Oper" selbst eine Überschreitung von Genres darstellte, und das Projekt des Musikperformers Damian Rebgetz insbesondere das "Fremdsein" thematisierte.

Im Rahmen des Projekts "Exploration: Dis-Placement" hat die Klasse Kl. 7b unter Anleitung von Gerd Seemann 15 Cajons selbst gebaut, künstlerisch gestaltet und bespielt

Die Klasse 8b hat sich im Rahmen des Projekts "Exploration: Dis-Placement" in Zusammenarbeit mit der Architektin Katharina Stahlhoven und der Choreografin Be van Vark mit dem Thema "Gleichgewicht" beschäftigt. Untersuchungen der Ausstellungsobjekte im Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung und die Erforschung des Museumsgebäudes wurden in einer performativen Collage zusammengeführt

Allerdings zeigte sich an den Projekten der vier Profilklassen erneut, welche Probleme auftreten können, wenn das gewohnte Prinzip "Lehrerin als Einzelkämpferin vor der Klasse" doppelt "gestört" wird: durch das Arbeiten von zwei Lehrerinnen im Team, die sich miteinander arrangieren und zusätzlich mit "Externen", Künstlerinnen und Künstlern, kooperieren müssen. Die Auseinandersetzung mit der Veränderung der eigenen Rolle nahm im zweiten Programmjahr viel Raum ein. Auch für die Kunstschaffenden schien die Situation neu zu sein, mit engagierten Lehrerpersönlichkeiten konfrontiert zu werden, die kein Interesse an einer bloßen Entgegennahme von konfektionierten Projekten hatten, sondern Zusammenarbeit, Einbeziehung, Mitspracherecht und Verwirklichung eigener Ideen im Rahmen des Projekts forderten.

Die erste öffentliche Präsentation

Beim schulinternen "Runden Tisch Kultur", an dem alle im "Kulturprofil" Unterrichtenden teilnehmen, wurde im Herbst 2012 entschieden, dass der bereits eingeführte schulinterne Präsentationstag der Kulturklassen, an dem sich die Klassen gegenseitig ihre Ergebnisse zeigten, beibehalten und durch eine öffentliche Präsentation am Abend für Eltern und Gäste erweitert werden sollte. Dies löste eine unerwartete Dynamik aus. Die Organisation der "öffentlichen" Präsentation schien zunächst schwierig. Man machte sich große Sorgen, dass entweder zu viele oder zu wenig Gäste kommen würden, dass die Betreuung der Klassen während des Auftritts der anderen nicht klappen würde, dass die Übergänge und Umbauphasen zu lange dauern könnten, dass die Besucher nicht bis zum Ende bleiben würden, sondern nur an der Aufführung des eigenen Kindes interessiert sein könnten. Am Ende erwiesen sich alle Befürchtungen als unnötig. Die Veranstaltung verlief unter großem Beifall in einer vollbesetzten Aula. Damit war eines dieser schulischen Narrative, das von der Unmöglichkeit einer öffentlichen Aufführung aufgrund der herrschenden Rahmenbedingungen, widerlegt, denn es wurde bewiesen, dass eine wunderbare Aufführung auch in der Gegenwart möglich war.

Der Kulturfahrplan

Im gleichen Zeitraum, in dem dieser erste Versuch, Kulturagentenprogramm und Kulturprofil aneinanderzukoppeln, durchgeführt wurde, wurden die Schulen von Seiten des Programms aufgefordert, einen sogenannten Kulturfahrplan zu formulieren. Die Schulen sollten ein konkretes Konzept für das, was sie im Rahmen des Programms und mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Gelder verwirklichen wollten, vorlegen. Meine Aufgabe als Kulturagentin war es, die Schulen dabei zu unterstützen. Das war nicht einfach, denn zu diesem Zeitpunkt war noch keine eindeutige Richtung einer angestrebten Entwicklung zu erkennen.

Ich stieß mich damals an dem Begriff "Fahrplan". Das Bild eines Fahrplans, nach dem eine bestimmte Entwicklung in der Schule ablaufen sollte, passte aus meiner Sicht nicht zur Situation, in der sich die Schule befand. Sie stand nach meiner Einschätzung noch am Beginn eines Entwicklungsprozesses, an dem Varianten möglich sein sollten. Einen bestimmten Weg fahrplanmäßig festzulegen, schien mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich und nicht sinnvoll, da das Ziel noch nicht klar erkennbar war. Das entsprach auch dem Anspruch, den die Schule an mich herangetragen hatte: die Möglichkeit zu eröffnen, Erfahrungen zu sammeln und zu experimentieren.

Ich beschloss daher, die Aufgabenstellung wie einen architektonischen Entwurf anzugehen, bei dem komplexe städtebauliche Bedingungen zu berücksichtigen sind. Ich entwarf eine Art "Matrix" in Anlehnung an das Vorgehen bei einer städtebaulichen Bestandsanalyse, bei der innerhalb eines größeren Gebietes Entwicklungsmöglichkeiten verschiedener Orte untersucht werden. Ich versuchte zunächst einen Überblick über das ganze "Quartier Schule" zu bekommen, indem ich nach übergreifenden Strukturen, Entwicklungszielen und Schwerpunkten der Schule fragte. Dann untersuchte ich den engeren Bereich "Schulkultur", den ich in zwei Ebenen unterteilte, schulweite Aktivitäten und Rituale und punktuelle kulturelle Aktivitäten. Aus der Gesamtanalyse ergab sich ein konkreter "Ort", der geeignet schien, weiterentwickelt zu werden, sozusagen ein "Grundstück" für ein imaginäres "Haus der Künste" innerhalb des vielfältigen Stadtquartiers Schule. Dabei handelte es sich um das "Kulturprofil", das mit den Mitteln und Möglichkeiten des Kulturagentenprogramms besonders gefördert und ausgebaut werden sollte. Meine Bestandsanalyse hatte unter anderem ergeben, dass jedes der drei "Profile" durch Kooperationen mit passenden Institutionen eine Art Alleinstellungsmerkmal erhalten sollte, wie Herr Fiehn mir erklärte. Dies war im naturwissenschaftlichen Fachbereich bereits durch eine Kooperation mit der Technischen Universität Berlin umgesetzt worden.

Um die Bestandsanalyse durchzuführen, musste ich viele Informationen erfragen, da eine Schule als komplexes, nicht einheitlich dokumentiertes System nicht ganz so einfach wie die Übersichtskarte eines Stadtteils oder der Grundriss eines Schulgebäudes zu lesen ist. Frau Dr. Ruthemeier und Herr Fiehn nahmen sich viel Zeit für meine Fragen und Vorschläge. Rückblickend sind sie heute beide der Meinung, dass die Arbeit am Kulturfahrplan wichtig war und dazu beigetragen hat, eine zielgerichtete Entwicklung voranzubringen. Mir ermöglichte die intensive Auseinandersetzung als Externe, zu verstehen, wie sich die Ziele und Maßnahmen im Rahmen des Kulturagentenprogramms in die Gesamtsituation der Schulen einordnen ließen. Der Kulturfahrplan in seiner von mir konzipierten Form vom Dezember 2012, an dem maßgeblich Frau Dr. Ruthemeier und Herr Fiehn und in Teilbereichen die Mitglieder des "Runden Tischs Kultur" mitgearbeitet hatten, wurde ins Schulprogramm aufgenommen und fand positive Beachtung bei der Schulinspektion im Schuljahr 2013/14.

Struktur des Kulturfahrplans

Das Projekt "KULTURLABOR"

Nachdem im Kulturfahrplan 2012 die Zusammenführung zwischen Kulturagentenprogramm und Kulturprofil als Idee formuliert und im Schuljahr 2012/13 erprobt worden war, wurde im Juni 2013 ein Antrag für das Projekt "KULTURLABOR" gestellt, das es ermöglichen sollte, die begonnene Auseinandersetzung mit der Einbindung externer Kulturpartner und außerschulischer Lernorte in den fachübergreifenden Kulturunterricht dauerhaft zu implementieren. Das organisatorische Konzept für das "KULTURLABOR" entsprach nun tatsächlich einem "Fahrplan" mit klaren Rahmenbedingungen und definierten Zeiträumen für die Umsetzung: Jede Kulturklasse arbeitete in jedem Halbjahr bis Sommer 2015 mit einem externen Kulturpartner zu einem gemeinsam entwickelten Thema. Die Ergebnisse wurden jeweils im Winterhalbjahr bei einem öffentlichen Präsentationstag und im Sommerhalbjahr schulintern gezeigt. Für eine Aufführung geeignete Projektergebnisse wurden auf dem Sommerfest beziehungsweise bei der Begrüßung der neuen 7. Klassen der Öffentlichkeit präsentiert. Das Projekt lief vom 1. Halbjahr 2013/14 bis zum 2. Halbjahr 2014/15. Projektpartner waren Choreografinnen, Film- und Videokünstlerinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen, eine Theaterpädagogin, eine Regisseurin, eine Regieassistentin, eine Architektin, Musiker und Musikerinnen und insbesondere das Maxim Gorki Theater. Das Kulturagentenprogramm hatte es ermöglicht, an die ehemalige TUSCH-Kooperation wieder anzuknüpfen, einen erneuten Kontakt zwischen Schule und Theater herzustellen und in mehreren gemeinsamen Projekten zu vertiefen.

Projektstruktur "Kulturlabor"

Aus der partizipatorischen, kleinteiligen Struktur des Gesamtprojekts "KULTURLABOR" und der Einbindung in den Unterricht ergab sich ein hohes Maß an Autonomie der Projektteams. Letztlich war es die Entscheidung der Lehrerteams, ob sie mit einem Theater, einem Museum oder einer anderen Kulturinstitution arbeiten und sich eventuell mit thematischen Vorgaben der Kulturpartner auseinandersetzen würden. Sie entschieden selbst, ob sie mit den Schülerinnen und Schülern ein Thema im Unterricht erarbeiten und zu einem späteren Zeitpunkt externe Partner einbinden oder von Anfang an ein Thema gemeinsam entwickeln wollten. Die Wahl der jeweiligen Kulturpartner und der künstlerischen Mittel hing gleichermaßen von den Interessen der Schülerinnen und Schüler und der Lehrerinnen und Lehrer ab. Grundsätzlich war angestrebt, den Kulturklassen in vier Halbjahren fachübergreifend Einblicke in unterschiedliche künstlerische Herangehensweisen zu geben: Tanz, Theater, Film und Fotografie, Musik, Performance, ohne dies curricular zu stark einzuengen.

In Architektur übertragen entspräche die Struktur dieses Projekts einem Haus, dass nur das Notwendigste an Konstruktion und Infrastruktur bereitstellt und Gemeinschaftsflächen definiert, den Ausbau aber den Bewohnerinnen und Bewohnern überlässt. Es nimmt bewusst in Kauf, dass sich kein formal und ästhetisch einheitliches Bild ergibt, dafür jedoch Identifikation, Eigeninitiative und Gemeinsinn gefördert werden.

Stundenplan der Kulturklassen

Eine schulische Besonderheit stellt der Stundenplan der Kulturklassen dar: Die musischen Fächer "Kunst" und "Musik" und das Fach "Kultur" sind zusammenhängend auf jeweils einen Wochentag gelegt. Jede Kulturklasse hat damit die Möglichkeit, bis zu sechs Unterrichtsstunden am Stück für Projektarbeit zu verwenden, ohne dass Absprachen mit Lehrerinnen und Lehrern anderer Fächer notwendig sind. Das funktioniert, weil die Lehrerteams, die gemeinsam das Fach "Kultur" unterrichten, jeweils auch für den Kunst- und Musikunterricht der Klasse verantwortlich sind.

Stundenplan der Kulturklassen

Reflexion

Die Erarbeitung des Kulturfahrplans Ende 2012 bot eine erste vom Programm vorgegebene Möglichkeit der kritischen Analyse und Reflexion der kulturellen Aktivitäten der Schule. Ein Jahr später ergab sich die Gelegenheit, im Rahmen der schulinternen Evaluation speziell die Entwicklung des Kulturprofils zu untersuchen. Die Kulturbeauftragten Frau Dr. Ruthemeier und die mit der internen Evaluation befasste Fachleiterin für Musik, Frau Borchart, formulierten zwölf Statements zu wesentlichen Inhalten der Zusammenarbeit mit Kulturpartnern im Unterricht. Grundlage hierfür war eine Methode, die mein Berliner Kollege Carsten Cremer und ich bereits in einer seiner Schulen für ein Reflexionstreffen angewandt hatten. In einem von Cremer moderierten Gespräch diskutierten die Teilnehmerinnen das jeweilige Ergebnis der Positionierung mittels Markierung auf einer Skala von eins bis hundert. Es zeigte sich, dass die Wichtigkeit des Programms für die Entwicklung des Kulturprofils sehr hoch eingeschätzt wurde. Es wurde aber auch deutlich, dass die Entwicklung als nicht abgeschlossen und viele grundsätzliche Fragen kritisch beleuchtet wurden, wie zum Beispiel die Rollenverteilung in den Projekten, die inhaltliche Zusammenarbeit der Lehrerinnen im Kulturprofil, der Stellenwert von Dokumentation, Partizipation der Schülerinnen und Schüler bei der Konzeption von Projekten. Im Frühjahr 2015 haben sich die Lehrerinnen mit den Erfahrungen eines weiteren Jahres erneut mit den Fragen und Statements auseinandergesetzt – diesmal in einer durch Kulturpartner erweiterten Runde.

Ausblick

Am Ende der Programmlaufzeit haben am Robert Blum Gymnasium über 30 künstlerische Einzelaktivitäten und Beiträge zu übergreifenden Projekten stattgefunden. Neun Lehrerinnen aus den musischen Fächern haben mit über 30 Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Kunstsparten und etwa 300 Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Formen von Projektkonzeption, Themenfindung, Rollenklärung und Ergebnisdarstellung erprobt.

Was wird bleiben? Diese Frage beantworteten der Schulleiter und die Kulturbeauftragte übereinstimmend: Das Know-how, das Wissen über Herangehensweisen bei der Projektentwicklung und -durchführung, eine stabile schulische Struktur, die Erfahrung mit neuen Unterrichtsformaten und Inhalten, das Amt der Kulturbeauftragten, Kontakte, das Interesse an der Zusammenarbeit mit vielfältigen außerschulischen Partnern, die Kooperation mit dem Maxim Gorki Theater.

Die Schule hat sich in den letzten drei Jahren verändert, wobei der Bereich Kultur eine nicht unwesentliche Rolle spielt: Das Interesse neuer Eltern ist geweckt, es sind mehr Anmeldungen als Schulplätze zu verzeichnen, die Schulinspektion hat der Schule ein positives Zeugnis ausgestellt, definierte Entwicklungsvorhaben der Schule werden nach und nach umgesetzt, es gibt ein stabiles Fundament schulischer Veranstaltungen, das sich stetig erweitert. Das Kulturagentenprogramm war ein Baustein, der zu dieser Entwicklung beigetragen hat.

Die Schule – ein "Haus der Künste"?

Ich denke, das Robert Blum Gymnasium hatte nicht das Ziel, in seiner Gesamtheit ein "Haus der Künste" zu werden, da es sich als durchmischtes, lebendiges und vielfältiges Quartier versteht, als ein Gemeinwesen, das verschiedene Formen von Kultur an verschiedenen Orten ermöglicht. Innerhalb dieser Struktur finden sich Orte, an denen eine Zeit lang ein "Haus der Künste" wie das Kulturprofil, in die Höhe wachsen kann, während gleichzeitig oder alternierend andere Entwicklungen an anderen Orten stattfinden. Ob das "Haus der Künste" innerhalb des "Quartiers Schule" weiter in die Höhe oder in die Breite wächst, sich Dependancen bilden oder sich andere Schwerpunkte entwickeln, wird die Zukunft zeigen.

Theaterprojekt "Der Urknall – Theorie und Wirklichkeit" im Rahmen des Kulturlabors

Tanzprojekt "Fallen" im Rahmen des Kulturlabors
Foto: Inke Kühn