Mandy Jura-Lühr
Auf eine sehr persönliche und emotionale Art
Mandy Jura-Lühr

Auf eine sehr persönliche und emotionale Art

Ein Gespräch mit David Reuter, Kulturbeauftragter der Kreuzberger Hector-Peterson-Oberschule, über die Rolle und Aufgaben als Kulturbeauftragter in Berlin und die Zusammenarbeit mit den Kulturagenten

Bundesland

Berlin

Ort

Berlin-Kreuzberg

Anzahl Schülerinnen und Schüler

390

Anzahl Lehrkräfte

55

Homepage

www.hpo-berlin.de

-

Foto: Anne Stienen/DKJS

Mandy Jura-Lühr: Wie wurden Sie Kulturbeauftragter? Hat die Schulleitung Sie ernannt, oder haben Sie sich freiwillig gemeldet?

David Reuter: Beides. Ich habe im Dialog mit der Schulleitung angemerkt, dass ich das gerne machen würde, und der damalige Schulleiter hat erwidert, dass er es sehr begrüße, wenn ich das Amt übernehme. Damit waren wir uns einig, und das, obwohl ich relativ neu an der Schule war.

Gab es viele Mitbewerberinnen und -bewerber?

Wenn, dann haben sie nicht "Ja" geschrien.

Wie sehen Sie sich selbst? Eher als Künstler – Sie haben ja schon viele künstlerische Projekte realisiert – oder eher als Lehrer, oder ist es eine Doppelfunktion?

Es ist eine Doppelfunktion. Ich sehe mich kontextbezogen entweder als Lehrer oder als Künstler und arbeite seit Jahren genau an dieser Schnittstelle zwischen Kunst und Vermittlung.

Und hat sich das für Sie bewährt? Ist es positiv, dass Sie beide Aspekte so gut und intensiv kennen, oder wäre es manchmal besser, eher nur die Lehrerrolle zu übernehmen oder nur die Künstlerrolle?

Zweifeln geht immer und ist hilfreich. Ich glaube, ganz Lehrer zu sein, das habe ich noch nie in Betracht gezogen, ganz Künstler zu sein hingegen schon. Aber es gibt verschiedene Gründe, die für mich immer wichtig waren, beide Rollen auszufüllen. Und dazu stehe ich auch, und ich glaube, dass es zu mir passt.

Welche Vorteile gibt es? Sie sind schon sehr kunsterfahren und haben bereits viele Projekte vor und während des Programms realisiert.

Das ist ein großer Vorteil, sonst würde ich nicht alles aushalten. Ich glaube, ich bin auch niemand, der in einem Klassenzimmer gut aufgehoben wäre. Ich brauche Platz, ich muss Raum haben, um Projekte machen zu können. Dieses projektbezogene Arbeiten mit Studenten oder Schülern ist mir wichtig, dazu stehe ich, das ist meine innere Überzeugung, und solange ich diese Projekte machen kann, mache ich sie gerne, auch im Schulrahmen.

Wahrscheinlich bringen Sie ein großes Netzwerk mit ein? Das ist für die Schule und die Schülerinnen und Schüler natürlich super.

Ja, das glaube ich auch.

Wie sehen Ihre Zusammenarbeit und der Alltag mit der Kulturagentin Michaela Schlagenwerth aus?

Das war für uns beide natürlich eine besondere Konstellation, weil Schnittstellen von uns beiden besetzt sind. Wir haben immer produktive Dialoge und Diskussionen gehabt und führen sie auch weiter, wovon wir beide profitieren. Sie hat gemerkt, dass ich aufgrund bisheriger Aktivitäten vieles mitbringe, was in das Profil eines Kulturagenten passt. Und umgekehrt hat sie Bereiche, die ich nicht fülle und die sie besser kann. Sie hat auch den Blick von außen, das strategische Denken, das sie von Anfang an mit in die Schule eingebracht hat. Das fand ich sehr bereichernd und ist bis heute eine gute Ergänzung.

Welche Impulse hat Ihnen die Kulturagentin konkret für die Zusammenarbeit gegeben, abseits von Struktur und Strategie?

Konkrete Impulse kamen durch das Programm und durch Michaela Schlagenwerth bereits für das Schulprofil, das künstlerisch orientiert ist, aber auch für einzelne Projekte. Sie hat Erfahrungen im Bereich Hörspiel, arbeitet viel und gerne mit Text, und ein weiterer Schwerpunkt ist zeitgenössischer Tanz. Wir haben uns einfach gut ergänzt. Frau Schlagenwerth hat viele Kooperationspartner herangeholt, die ich vorher nicht kannte. So konnte ich auch meinen Horizont erweitern: Man muss ja nicht immer mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten. Das war inspirierend und eine große Bereicherung.

Gibt es Rahmenbedingungen an der Schule, die man unbedingt braucht, um das Kulturagentenprogramm gut durchführen und als Kulturbeauftragter gut agieren zu können?

Das A und 0 ist die Offenheit des Kollegiums und der Schulleitung. Ich würde es nicht verstehen, wenn eine Schule von Anfang an weiß, dass sie nicht mit Kooperationspartnern zusammenarbeiten will und sich dennoch für das Programm bewerben würde. Aber bei uns war das nicht so, es war das Bedürfnis vorhanden, etwas in dieser Richtung zu tun. An unserer Schule, einer sogenannten Brennpunktschule, ist die Situation sicherlich besonders, und man ist vielleicht auch eher bereit, Dinge auszuprobieren und neu zu machen. Das ist auch dem Programm und uns zugutegekommen. Das kann ich für unsere Schule sagen. Wenn ich versuche, das auf andere Schulen zu übertragen, würde ich sagen, dass es eine innere Notwendigkeit geben muss, kulturelle Projekte an der Schule durchzuführen.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus? Gibt es Schnittstellen und wenn ja, in welchen Bereichen?

Es gibt immer mehr Schnittstellen, die sich jedoch nicht von alleine entwickeln. Im Fachbereich Profil, in dem die ganzen Künste zusammenkommen, hatten wir gestern beispielsweise eine Sitzung, auf der ich den Vorschlag gemacht habe, dass wir Kunstschaffende in die anderen Fachbereiche gehen und versuchen, Kooperationsmöglichkeiten und Angebote kundzutun. So können die Kollegen sehen, dass in Mathe, Physik oder Bio der Bezug zum Programm genauso möglich und gewünscht ist. Das ist ein schöner Traum, den Michaela Schlagenwerth und ich von Anfang an zusammen hatten: Es ist toll und wichtig, dass kulturelle Projekte überall in der Schule zu finden sind, und nicht nur in den künstlerischen Fächern. Wir versuchen immer noch neue Kooperationspartner zu finden und die Offenheit zu erhöhen, damit sich auch die bisher noch skeptischen Kollegen darauf einlassen und für sich selbst neue Türen entdecken und neue Wege finden, mit den Schülern umzugehen. Für mich ist dies eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Schule, weil diese meines Erachtens immer dazu tendiert, Strukturen aufrechtzuerhalten und nur wenig neue Wege auszuprobieren. Dafür sind ein solches Programm und die Künste einfach prädestiniert. Die Künste sind zunächst auf der Straße oder in den Ateliers oder bestenfalls in den Theatern zu finden, erst dann in Museen und Büchern. Und das gilt es für mich wie auch in der Schule, sichtbar zu machen: was verändert, was weiterentwickelt werden muss und wo man neue Wege und Methoden finden kann, die den Horizont der Schülerinnen und Schüler erweitern und sie mehr für das Leben lernen lässt als nur für die Schulnoten.

Es herrscht also eine Akzeptanz von allen Fachbereichen und Lehrkräften dem Programm gegenüber. Welche Rahmenbedingungen bräuchten Sie dann aber, um das zu erleichtern?

Tatsächlich braucht das ein paar mehr Motoren. Auf so wenigen Schultern wie zu Beginn des Projekts, ist es schwer, und so haben wir versucht, weitere Schultern zu gewinnen, was nicht einfach war. Eine Schule muss es natürlich auch hinbekommen, dass dafür Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden können. Aufgrund des momentanen Lehrermangels in Berlin gibt es zurzeit jedenfalls gute Chancen für Quereinsteiger. Da kann ich nur sagen: Künstler kommt in die Schule! Wenn das zwei, drei kreative Köpfe sind, was hier in der Schule zum Glück jetzt so ist, dann wird es leichter, lässt sich Kunst und Kultur breiter streuen und perspektivisch in der gesamten Schule verbreiten.

Welchen Nutzen haben Sie für sich selbst als Kulturbeauftragter aus dem Kulturagentenprogramm gezogen? Gibt es Fortbildungen für Kulturbeauftragte, die das Berliner Landesbüro im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft durchgeführt hat, die Sie weitergebracht haben oder haben Sie noch Fortbildungswünsche, die sie vielleicht anfangs oder auch jetzt noch gebraucht hätten?

Für mich war das Angebot gut, es war vielseitig, die praktischen Impulse waren gut, Künstlerkolleginnen und -kollegen haben immer wieder etwas vorgestellt. Insgesamt waren es fast zu viele Angebote, und ich konnte nicht alles wahrnehmen, weil ich irgendwann in der konkreten Arbeit zu wichtig war und nicht fehlen konnte. Das ist meine Erfahrung gewesen: Ich habe viel angeschoben, aber wenn man selbst nicht im Haus ist, funktioniert es oft nicht. Wenn es für mich zu viel war, habe ich versucht, andere Kolleginnen und Kollegen zu animieren. Hier könnte man ein Rotationsprinzip an der Schule etablieren, sodass auch andere Fortbildungen nutzen könnten. Wichtig ist es, dass die Inhalte und Ergebnisse einer Fortbildung auch immer gestreut und vermittelt werden, woran es oft hapert. Bei den Fortbildungen selbst war und ist der Austausch mit und zwischen den Kolleginnen und Kollegen wichtig.

Wenn Sie an eine neue Schule kommen würden und da ein künstlerisch-kulturelles Schulprofil mitentwickeln sollten, wie könnte es aussehen und wie würden Sie das angehen?

Man braucht eine Anlaufzeit, um die Schule kennenzulernen und die Strukturen zu verstehen. Und sobald man da drin ist, kann man eine Perspektive entwickeln, Visionen spinnen: Was, wo könnte man hin, was wäre schön? Es macht Spaß, das Entwickelte dann in verschiedenen Gremien vorzustellen. Was wir spät, aber nicht zu spät, etabliert haben, waren Meetings mit verschiedenen Kollegen, also eine Art Stammtisch, um mit den willigen Lehrerinnen und Lehrern zusammenzukommen. Und wir haben unsere Schulleitung erweitert und damit ein Gremium geschaffen, wo solche Themen dann auch diskutiert werden können. Ich habe mich bewusst in dieses Gremium wählen lassen, um unser Profil zu vertreten. Das ist ein guter Weg, das Schulprofil in künstlerischer Linie zu etablieren. Es bedarf der Transparenz und der Mitwirkung in einem Gremium wie beispielsweise eine solch erweiterte Schulleitung. Denn die Mitarbeit punktuell zu erreichen, ist möglich, aber sie in die Breite zu streuen, ist sehr schwer. Wenn der Weg klar ist, den man gehen will, dann muss er mit der Schulleitung kommuniziert werden. Es ist ganz wichtig, dass die Schulleitung dahinter steht und das auch will. Sie muss zumindest ein offenes Ohr dafür haben, was bei uns zum Glück der Fall ist.

Gab es denn Momente als Kulturbeauftragter, die Sie besonders schön fanden? Also sowohl in ästhetischer als auch emotionaler Hinsicht, oder wo Sie wirklich Veränderung erlebt haben?

Ja, mehrere! Wir hatten eine sehr schöne Auftaktveranstaltung, bei der wir einen Basar der Künste gemacht und durch das Haus geführt haben. Dabei haben sich alle Künstler vorgestellt. Michaela Schlagenwerth und ich waren uns einig, dass das toll und wegweisend war. Auftaktveranstaltungen dieser Art kann ich nur empfehlen.

Hat dabei die ganze Schule mitgemacht?

Alle Lehrerinnen und Lehrer waren beteiligt, sind herumgegangen und konnten sich informieren. Im folgenden Jahr haben die Schüler auch noch konkret etwas vorbereitet, was ich als tolle Erweiterung empfunden habe. Sie haben Geschichten für die Lehrerinnen und Lehrer geschrieben und aufgenommen; die Kolleginnen und Kollegen sind mit Kopfhörern durch die Schule gegangen und haben ihre Schüler mal ganz anders kennengelernt, auf eine sehr persönliche emotionale Art. Dann war der Karneval der Kulturen, bei dem wir 2012 den ersten Preis für die Gesamtformation gewonnen haben, was natürlich eine besondere Auszeichnung ist. Es war eine Kooperation mit ganz verschiedenen bildenden Künstlerinnen und Künstlern sowie Musikerinnen und Musikern. Eine Gruppe kam sogar aus Taiwan, mit der wir etwas zusammen entwickelt hatten. Diese Kooperation war ein Vorbild, und wir haben uns gesagt, das, was wir hier im Kleinen gemacht haben, das wollen wir jetzt noch breiter und im Großen machen. Zunächst haben wir dann im nächsten Jahr die Projektgruppe für den Karneval erweitert und noch mehr Schülerinnen und Schüler sowie und Lehrerinnen und Lehrer eingebunden. In Kooperation mit der Deutschen Oper möchten wir aktuell jetzt ein Haus, eine Institution einbeziehen und eine klassenübergreifende Inszenierung auf die Bühne bringen.

Mit diesem Projekt "Give-A-Way"1 werden wir wahnsinnig viel zu tun haben, und ich bin total gespannt, wie es wird. Wenn ich die Schülerinnen und Schüler dabei auf der Bühne sehe, kommen mir fast die Tränen, und ich denke: Das sind tolle Menschen, die hier etwas gelernt haben und es zeigen wollen! Und auch wenn nicht aus allen Künstlerinnen oder Künstler werden, nehmen doch alle etwas fürs Leben mit. Das bekomme ich jeden Tag gespiegelt, wenn ich hier über den Schulhof gehe, dass einiges hängen bleibt. Ja, so kann es weitergehen, der Weg ist richtig!

Lassen Sie uns einen kleinen Ausblick in die Zukunft machen: Wie würde Ihre Wunschschule in Hinblick auf kulturelle Bildung und ihre Verankerung aussehen?

Ich mache sofort Werbung! Meine Wunschschule sieht so aus: Eine Kunsthochschule, Theaterschule, die mit uns kooperiert, kann in der Schule Räume nutzen – Atelierräume, Probenräume, sodass der frische Wind der Uni hier hereinweht und die Kolleginnen und Kollegen beflügelt. Mit den Schülern zusammen werden hier Projekte realisiert, und die Studenten, die in der zweiten Ausbildungsphase sind, bekommen das automatisch mit, so kann Schule sein. Ich wünsche mir eine Mischung, die die Studierenden aus dem Elfenbeinturm holt und sie früh mit der Schule konfrontiert, mit der Klientel, mit der sie später möglicherweise zu tun haben werden. Und umgekehrt bekommen die Schülerinnen und Schüler eben auch mit, was man beruflich machen, in welche Richtung es gehen kann, dass die Künste nicht Mittel zum Zweck sind, sondern ihren eigenen Wert haben ohne, dass jede/r eine Künstlerin oder ein Künstler werden muss. Ich glaube, dass dieser Reichtum und diese Vielfalt für alle toll sind. Das würde ich mir für dieses Gebäude, für diese Schule und für meine Schülerinnen und Schüler wünschen.

Vielen Dank für das Gespräch!

1 Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hector-Peterson-Schule in Kreuzberg traten mit Berliner Musikerinnen und Musikern und der Deutschen Oper Berlin eine musikalische Abenteuerreise an. Am Anfang stand die Frage, wie man es mit dem Teilen, Geben und Schenken halte. Wie funktioniert das mit dem Abgeben und Empfangen? Gemeinsam mit der Komponistin und Regisseurin Alexandra Holtsch waren alle Beteiligte ein halbes Jahr in Schule und Opernhaus mit offenen Ohren unterwegs, um die verschiedensten Klänge und Geschichten miteinander zu teilen. Und auch hinter den Kulissen wurde gemeinsam gewerkelt: In den Schulwerkstätten fertigten Schülerinnen und Schüler und Kunstschaffende gemeinsam Bühnenbild und Kostüme an. Die Premiere fand am 24. Januar 2015 in der Tischlerei der Deutschen Oper statt.