Anna Chrusciel und Sascha Willenbacher
Es geht nicht nur darum, schöne Projekte zu machen
Anna Chrusciel und Sascha Willenbacher

Es geht nicht nur darum, schöne Projekte zu machen

Ein Gespräch mit den Kulturagenten über Selbstverständnisse, Tätigkeitsbereiche, Rollen und Expertisen

Am 14. November 2014, im Anschluss an die 8. Akademie des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen" in Hamburg, haben Anna Chrusciel und Sascha Willenbacher vom Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste ein etwa zweistündiges Gespräch mit den Sprecherinnen und Sprechern der Kulturagenten, Yara Hackstein (Nordrhein-Westfalen), Nils Hoheußle (Baden-Württemberg), Katrin Sengewald (Thüringen) und Matthias Vogel (Hamburg) geführt. Als Vertreterin für den Berliner Sprecher Thanassis Kalaitzis nahm die Kulturagentin Anne Krause teil.

Das Gespräch, das auf die landesspezifischen Kontexte eingeht, gibt Einblicke in die verschiedenen Umgangsweisen mit den Herausforderungen des Programms. Es wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt.

 

Anna Chrusciel: Mit welcher Motivation seid ihr 2011 als Kulturagentinnen und Kulturagenten gestartet?

Katrin Sengewald: Die Ausschreibung hat genau die Schnittstelle meiner bisherigen Tätigkeitsfelder zwischen Kunstvermittlung und eigener künstlerischer Praxis getroffen. Ich war überrascht, ein Berufsprofil zu lesen, das sich in dem Bereich bewegt, an dem ich mich mit meiner Arbeit verorte. Interessant finde ich daran einerseits, dass ich innerhalb des Systems Schule, das ich sehr gut kenne, kommunizieren und gleichzeitig einen künstlerischen Anspruch einbringen kann. Ich bin von den positiven Effekten kultureller Bildung und künstlerischen Projekten in Schulen überzeugt und wollte solche Projekte mit auf den Weg bringen.

Matthias Vogel: In der Ausschreibung gab es nur ein paar wenige Angaben darüber, in welchem Feld diese Tätigkeit angesiedelt sein würde. Es war mir beispielsweise nicht klar, dass man drei Schulen betreuen würde und wie das funktionieren soll. Es war auch noch nicht klar, was für Projekte man machen wird. Der Beruf des Kulturagenten war neu, sodass wir in den ersten ein bis zwei Jahren unseres Programms erst einmal herausfinden mussten, welche Aufgaben ein Kulturagent eigentlich hat.

Sascha Willenbacher: Worin liegen für euch Sinn und Zweck kultureller Bildung an Schulen? Warum sollte sie ein integraler Bestandteil von Schule sein? Denn das ist ja eines der Ziele des Programms.

Matthias Vogel: Ich selbst habe unfassbar viel Freude an Kunst und Kultur. Und ich finde, dass sich Menschen grundsätzlich damit beschäftigen sollen. Daher auch das elementare Ziel, junge Menschen für Kunst und Kultur zu begeistern, weil ich glaube, sie haben etwas davon. Während meiner eigenen Schulzeit gab es nur eine langweilige Film-AG, die habe ich selbst niemals besucht, und der Deutschunterricht hat mir das Lesen so verleidet, dass ich einen Zugang zu Kunst oder Kultur eigentlich nur an der Schule vorbei oder teilweise erst sehr viel später finden konnte.

Sascha Willenbacher: Wie hat sich eure Sicht verändert?

Matthias Vogel: Was ich an der Hamburger Stadtteilschule vorgefunden habe, hat wenig mit meinem eigenen schulischen Erleben zu tun – immerhin liegt das auch 20 Jahre zurück. Was ich sagen will: Auch außerhalb künstlerischer Projekte gibt es eine große Anzahl an interessantem Unterricht und klugen Projekten. Es passieren sehr viele spannende Prozesse an diesen Schulen, und wir als Künstler kommen bloß noch hinzu. Meine Vorstellung, dass wir Kulturagentinnen und Kulturagenten die Schulen revolutionieren oder mit etwas beglücken, das sie noch nicht haben, musste ich revidieren. Ich bin da sehr viel kleinlauter geworden. Mittlerweile denke ich, Schule ist ein verdammt interessanter Ort, und die Kunst muss ein bisschen bescheidener auftreten.

Anne Krause: Die Künste an der Schule sind wichtig, weil sie eine andere Form der Weltaneignung darstellen. Sie bieten eine mögliche Form, Wissen zu produzieren oder auch mit dem produzierten Wissen von anderen umzugehen. Aber mir geht es immer darum, im Einzelnen zu schauen, was genau passiert. Denn Kunst sollte nicht als Allheilmittel verstanden werden. Wie Matthias habe auch ich in der Phase unserer Bestandsaufnahme gesehen, dass Schulen beziehungsweise Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Unterricht bereits häufig künstlerische Methoden anwenden, ohne dass dies explizit so genannt werden.

Anna Chrusciel: Welche Erwartungen hat das Kulturagentenprogramm an euch gestellt? Und welche Erwartungen hattet ihr selbst?

Yara Hackstein: Ich würde darauf ganz pragmatisch antworten wollen. Ich habe mich auf eine sehr spannend klingende Stelle beworben und dementsprechend einen interessanten Job erwartet. Persönlich habe ich gehofft, meine bisherigen sehr vielfältigen Erfahrungen in ein neu zu entwickelndes Berufsbild einbringen und dieses mitgestalten zu können. All dies hat sich dann auch bewahrheitet.

Matthias Vogel: Das Schöne ist, dass das Programm mehrere Ziele verfolgt, sodass man unterschiedlich gewichten kann. Zudem widersprechen sich die Ziele aus meiner Sicht teilweise, bzw. kann man in einem Projekt niemals alle gleichzeitig erreichen. Der zweite Punkt ist die in Kauf genommene Widerborstigkeit. Das Kulturagentenprogramm hat bewusst keine Prozessmanager, die für reibungslose Abläufe sorgen, eingestellt, sondern Leute aus dem Kunstbereich.

Katrin Sengewald: Wir hatten alle Freiheiten der Welt, Dinge auf den Weg zu bringen. Uns hat niemand gesagt: "Mach mal endlich!" oder "Tu mal das und das!"

Matthias Vogel: Es waren weniger die Vorgaben des Programms, die die Projektentwicklung erschwerten, sondern es war eher die Situation vor Ort. Wenn ich die Akademie oder das Landesbüro verlasse und zu einer Schule fahre, um mit gestressten Lehrerinnen und Lehrern ein sieben Wochen dauerndes künstlerisches Projekt zu planen, das den Schulalltag auf den Kopf stellt, dann kommt mir da unter Umständen mehr Gegenwind entgegen als vonseiten des Programms.

Sascha Willenbacher: Worauf habt ihr im Rahmen eurer Tätigkeit innerhalb der Institution Schule den Fokus gelegt? Was war euch besonders wichtig?

Nils Hoheußle: Ich habe relativ schnell festgestellt, dass wir für das, was wir machen und fördern wollen, Räume brauchen. Räume im physischen, realen Sinne, aber auch Zeiträume. Die Institution Schule ist ein relativ hermetisches System, das schon lange gut funktioniert. Mein Fokus war recht schnell klar: Ich muss über die Diskussion um "Räume" an die Strukturen ran. Die Projekte liefen fast nebenbei.

Matthias Vogel: Bei mir ist es genau andersrum. Für mich ist das einzelne Projekt wichtiger als die Struktur. Ich hab beispielsweise im Jahrgang 10 einer meiner Schulen eine Projektwoche für die Künste eingeführt, die sich jedes Jahr wiederholt. Im ersten Jahr konnten wir die Woche mithilfe des Kulturagentengeldes füllen. Wenn das im nächsten Jahr erneut stattfindet, kann es möglicherweise total schrecklich werden. Ich brauche deswegen keine Struktur um der Struktur willen, sondern ich brauche eigentlich die Sicherheit, dass jedes Jahr ein gutes Projekt stattfindet.

Yara Hackstein: Ich habe von Schule zu Schule unterschieden, welchen Bereichen ich eine besondere Aufmerksamkeit gebe. Eine meiner Schulen hatte bereits viele tolle Projekte, Initiativen und Wahlpflichtunterricht in künstlerischen Fächern. Für sie war eine Unterstützung wichtig, um das alles zu sondieren. Hier setze ich natürlich einen anderen Fokus als an einer Schule, die noch keine Erfahrung mit außerschulischen Kooperationspartnern hat. Generell finde ich, dass sich unser Programm durch den Anspruch auszeichnet, für Nachhaltigkeit sorgen zu wollen. Ich habe durch meine Art der Beratung und meine Schwerpunktsetzung versucht, deutlich zu machen, dass es im Laufe der vier Programmjahre nicht nur darum geht, punktuell schöne Projekte umzusetzen, sondern dass der Blick immer auch auf Strukturen und Räume gerichtet werden sollte. Wo wird das hinführen? Wie kann das eingebettet werden? Wie kann das verstetigt werden?

Anne Krause: Für mich waren die Kulturbeauftragten ein sehr wichtiges Gegenüber. Deswegen war mein Fokus zunächst darauf gerichtet, mit ihnen eine Arbeitsbeziehung aufzubauen und Vertrauen herzustellen, um gemeinsam zu überlegen, was vor Ort an der Schule passieren kann.

Anna Chrusciel: Worauf habt ihr euch bei der Zusammenarbeit mit den Kulturinstitutionen konzentriert?

Yara Hackstein: Meine Schulen liegen in einem Teil von Münster, der etwas von der Stadt abgekoppelt ist. Sie haben zunächst Zeit gebraucht, um überhaupt in unserem Programm anzukommen und zu schauen, was das für sie bedeutet, was genau sie wollen, was sie schon können oder haben. Die Schulen waren anfänglich sehr vorsichtig; schon allein mit den Schülerinnen und Schülern erstmal den Schritt rauszumachen in den eigenen Stadtteil – das brauchte Anlauf. Von daher war nicht gleich der Wunsch vorhanden, mit großen Kulturinstitutionen in der Stadt zusammenzuarbeiten. Das war bei Kolleginnen und Kollegen in anderen Netzwerken ähnlich. Die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern hingegen war in vielen Schulen schon sehr erprobt. Wir haben darauf reagiert, indem wir mit den Schulen einen Schritt in den Stadtteil gemacht haben, das hat das Kooperationsinteresse an anderen Partnern vergrößert. So haben wir eine echte Entwicklung, eine schrittweise, vorsichtige Annäherung erreichen können.

Sascha Willenbacher: Du hast von Vorbehalten einiger Schulen gegenüber Kulturinstitutionen gesprochen, die schon rein räumlich relativ weit weg zu sein scheinen. Wie seid ihr mit diesen Vorbehalten umgegangen?

Yara Hackstein: Wir haben uns die Vorbehalte zunächst angeschaut und erkannt, dass sie teilweise sehr berechtigt waren. Die meisten Kulturinstitutionen hatten beispielsweise kaum Erfahrung mit Formaten für Förderschulen. Ich habe hier als Vermittlerin die Schulen ermutigt, auf Kulturinstitutionen zuzugehen und zu fragen: "Könnt ihr euch die Zusammenarbeit mit einer Förderschule überhaupt vorstellen?" Es gab dann Bedarf, sich kennenzulernen, was unterschiedlich gut gelungen ist.

Matthias Vogel: Bei unserer Arbeit spielt die Größe der Stadt eine wesentliche Rolle. In Hamburg gibt es neben vielen institutionellen Kulturpartnern eine umfangreiche freie Kunst- und Theaterszene und große Schulen, die selbstverwaltet sind, was nicht in allen Bundesländern der Fall ist. Es war selten, dass unter den festen Angeboten der großen Häuser eines genau auf das passte, was in der Schule gerade gebraucht wurde. Und deswegen haben wir relativ viel mit freien Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass große institutionelle Kulturpartner schwieriger dazu zu bewegen sind, etwas gemeinsam mit einer Schule zu entwickeln.

Katrin Sengewald: Im ländlichen Raum Thüringens sind keine Hochkulturinstitutionen vorhanden. Die kleinen Heimatmuseen haben kein Personal, insofern haben auch wir viel mit freien Kunstschaffenden gearbeitet.

Sascha Willenbacher: Trägt eure Arbeit in den Schulen dazu bei, dass sich dort die Perspektive auf die Kulturinstitutionen verändert?

Yara Hackstein: Was sich generell sagen lässt, ist, dass die Schulen inzwischen sehr viel selbstbewusster auftreten können. Das kann man gerade bei denen beobachten, die zu Anfang noch relativ unerfahren mit Kooperationen waren. Nach drei Jahren im Programm können die Schulen auf eine Palette an Erfahrungen mit Projekten zurückgreifen, unter anderem auch auf solche, die nicht so rund gelaufen sind. Darunter war auch ein Projekt, das die Schule abbrechen wollte, weil es nicht ihren Vorstellungen und der anvisierten Qualität entsprach.

Anna Chrusciel: Ihr habt die Schulen bei dieser Entwicklung maßgeblich unterstützt. Glaubt ihr, dass es auch ohne eure Unterstützung geht? Braucht es die Kulturagentin/den Kulturagenten für diese Entwicklung?

Yara Hackstein: In jedem Fall braucht es Ressourcen, aber muss das eine Kulturagentin/ein Kulturagent sein? An einigen Schulen sind qualifizierte Personen, die das ebenfalls leisten könnten. Allerdings müsste ihnen ausreichend Zeit bereitgestellt werden. Ich glaube dennoch, dass Schule gut beraten wäre, mehr Expertise von Außenstehenden hereinzuholen.

Anne Krause: Ich halte es ebenfalls für sehr wichtig, dass die entsprechende Person von außen kommt. Das Gleiche könnte man auch für die Kulturinstitutionen formulieren. Es braucht diese dritte Person, wie die der Kulturagentin/des Kulturagenten, um die blinden Flecken der jeweiligen Institutionen oder der Partner, die miteinander kooperieren, in den Blick zu nehmen und andere Qualitäten identifizieren zu können.

Nils Hoheußle: Ich würde sagen, die Kulturagentinnen und Kulturagenten sind absolut unersetzlich, weil sie auf so vielen Ebenen agieren. Das kann Schule allein nicht leisten. Selbst wenn zum Beispiel eine Schulleitung bereits viel Kulturarbeit in der eigenen Schule initiiert, braucht es jemanden, der fragt, ob die etablierte Form von Kooperation im Alltag der Schule von allen beteiligten Seiten getragen und gewollt wird. Es braucht sowohl den Außenblick als auch die Unabhängigkeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten, die sehr entscheidend ist.

Katrin Sengewald: Die Schulen, die ich in Thüringen kenne, arbeiten vor allem personell an ihrem Limit, sodass keine Ressourcen zur Verfügung stehen, mit der diese Arbeit aufgefangen werden könnte. Es gibt engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die auch mal für ein Einzelprojekt Gelder beantragen, aber das sind meistens kleine Projekte. Größere, komplexe Projekte, die für die ganze Schule relevant wären, kann das Personal der Schule nicht stemmen.

Matthias Vogel: Ganz simpel gedacht, ist Schule ein Ort, an dem Lehrende oft sehr allein sind. Sie unterliegen einer Taktung, die ihnen das ganze Jahr vorschreibt, wann sie in welchem Raum zu sein haben. Dazwischen haben sie eine Viertelstunde Pause. Lehrerinnen und Lehrer sind beispielsweise kaum mobil erreichbar, weil sie unterrichten, sie können kaum miteinander sprechen, weil die Stundenpläne verhindern, dass sie eine gemeinsame Freistunde haben. Wenn es blöd läuft, sprechen sie ein Jahr lang oder sogar drei Jahre lang nicht miteinander, außer mal auf der Weihnachtsfeier. Allein, dass es jemanden gibt, der nicht unterrichtet, der ein Telefon hat und der Außentermine wahrnehmen kann, ist enorm wichtig. Eigentlich muss es jemanden wie den Kulturagenten geben, der ein Büro hat, wo er erreichbar ist. Es ist unmöglich, davon auszugehen, dass eine Lehrerin/ein Lehrer für eine Schule mit 1.500 Schülerinnen und Schülern nebenbei den Ganztag organisiert. Es ist Irrsinn, dass Schulen dieser Größe keinen Organisationsstab von Experten haben. Dazu kommt, dass Lehrerstunden teuer sind. Solange das noch so organisiert ist, sind die Kulturagentinnen und Kulturagenten unersetzbar, und zwar als Personen, die sich an der Schule nur auf diese Aufgabe konzentrieren können.

Sascha Willenbacher: Welche Rolle hat die Qualifizierung innerhalb des Programms für eure eigene Entwicklung eingenommen?

Matthias Vogel: Ich habe es als Luxus empfunden, dass wir während der Akademie die Möglichkeit hatten, zweimal im Jahr rauszukommen aus dem normalen Tagesgeschäft, dieser Maschine, um darüber nachzudenken, was wir eigentlich tun und wie wir es tun. Vor allem der Austausch zwischen uns Kulturagentinnen und Kulturagenten hat eine enorm große Rolle gespielt. Fast mehr als der Input, der von den Expertinnen und Experten kam. Anhand dieser Inputs haben sich aber wiederum Diskussionen über unsere Praxis entzündet, die dann in unserer täglichen Arbeit sehr hilfreich waren. Bei mir war es beispielsweise der Vortrag von Paul Mecheril zum Thema "Interkultur", der mich wirklich erst während einer Akademie infiziert hat, was dann elementar wichtig für meine weitere Arbeit wurde. Das hatte ich vorher eher aus dem Bauch heraus mitbedacht und mitgestaltet, konnte es aber nie ernsthaft durchdringen. Diese Auseinandersetzung war so eindrücklich, dass "Interkultur" in den letzten beiden Jahren zum thematischen Schwerpunkt an zwei meiner drei Schulen wurde.

Katrin Sengewald: Ich kann mich Matthias anschließen. Ich habe ebenfalls Bereiche kennengelernt, wie Antragsstellung und Projektmanagement, die ich vorher nicht kannte. Vor allem habe ich gelernt, dass hinter administrativen Vorgängen immer Menschen stehen, und das ist eine unschätzbar wichtige Erkenntnis, die ich verinnerlicht habe.

Yara Hackstein: Zu Anfang hieß es: "Wir sind ein lernendes Programm." Wir haben als Kulturagenten einen Beruf angenommen, den es in dieser Form bisher nicht gab und den es zu gestalten galt. Dann ist es natürlich unerlässlich, dass genau das stattfindet, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir Einzelakteure in unseren Schulnetzwerken sind. In Nordrhein-Westfalen sind zehn Kulturagentinnen aktiv, die bis zu 300 Kilometern voneinander entfernt leben. Wir können uns nicht mal abends auf ein Bier treffen wie in Berlin oder in Hamburg. Das heißt, dass es für uns unglaublich wichtig ist, zwischendurch auf Landesebene zusammenzukommen, um eine Teamsitzung zu machen. Wenn man ein Programm sozusagen im Prozess entwickelt und gleichzeitig an seinem Berufsprofil arbeitet, geht das nicht ohne Rückkopplung und Feedback. Was ich an der Akademie sehr wichtig fand, ist, dass dort unser Handeln in einen größeren wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Kontext eingebettet wurde und auch internationale Fachleute eingeladen wurden, die Inputs von außen gaben.

Anne Krause: Für mich war die Qualifizierung – die bereits in der Ausschreibung formuliert war – eine Motivation, mich zu bewerben. Und meine Erwartungen haben sich auf vielen Ebenen – informell, formell, regional, überregional – eingelöst. Auch wenn ich nicht eine Art Erweckungserlebnis wie Matthias hatte.

Sascha Willenbacher: Wenn ihr jetzt entscheiden könntet, ob und wie es mit der Arbeit der Kulturagenten weitergeht, wie müsste und wie sollte es weitergehen?

Nils Hoheußle: Ich würde das Programm multiplizieren. Die oberste Maßgabe wäre dabei, dass die Qualität erhalten bleibt. Ich würde mir wünschen, dass Baden-Württemberg viel Geld in die Hand nimmt, Stellen auf Landes- oder auf Regierungsbezirksebene schafft, die nach Möglichkeit unabhängig sind. Ich würde mir wünschen, dass sich das Land auch inhaltlich stärker mit dem Programm und seinen Chancen auseinandersetzt. Ich denke, dass die Akademie bei der Fortführung des Programms eins zu eins auf Landesebene übertragen werden sollte. Es müssten in Zukunft Landesakademien unter dem Aspekt der Multiplikation stattfinden, denn es soll ja immer mehr Kulturagentinnen und Kulturagenten geben. Es sollte auch mehr Kommunen als diese acht, die beispielsweise in Baden-Württemberg im Moment beteiligt sind, geben. Außerdem muss man darüber sprechen, wer eigentlich wen ausbildet. Ja, ich würde mir wünschen, dass das in gute Hände gelegt wird.

Katrin Sengewald: Ich würde gerne die Föderalismusstrukturen etwas lockern, sodass Mittel sinnvoll vom Bund in die Länder transferiert werden können. Dass es eine Stelle gibt, die die Ziele und Erfahrungen von kultureller Bildung bündelt. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich das Rad von kultureller Bildung nicht wieder zurückdrehen lässt. Auch wenn es zwischendurch so scheint, dass wieder etwas zusammenbricht, wird es weitergehen. Das ist mit den Schulsozialarbeitern vergleichbar. Es hatte zehn Jahre gedauert, bis die gesetzt waren.

Yara Hackstein: Ich halte es auch für sinnvoll, dass sich die Länder jetzt stärker einbringen, weil wir viele Impulse für Schulentwicklung geben. Ich würde mir wünschen, dass nicht nur neue Schulen und neue Kulturagentinnen und Kulturagenten in den Ländern hinzukommen, die wir vielleicht selbst ausbilden würden, sondern dass wir in die Lehrerausbildung und in die Universitäten ausstrahlen können. Ich denke, unsere Expertise, die wir uns erarbeitet haben, ist schon sehr besonders. Sie sollte nicht auf der Strecke bleiben und müsste in allen möglichen Feldern abgefragt werden.

Matthias Vogel: Zunächst finde ich es erfreulich, dass alle Bundesländer und fast alle Schulen, die am Programm teilgenommen haben, sagen: "Es war super, wir wollen weitermachen." Das ist erstaunlich. Wir haben immer wieder festgestellt, wie unterschiedlich die Situation in unseren Ländern ist, sodass es quasi für jedes Bundesland individuell zugeschnittene Konzepte geben sollte. Ich glaube, die Erfolgsbedingungen für dieses Programm liegen in der Kombination aus seinen Zutaten. Dazu gehören erstens Kulturagentinnen und Kulturagenten, die ein bestimmtes Zeitbudget haben, um intensiv an der Schule zu arbeiten. Zweitens ein Stundenkontingent für Lehrende, drittens die Tatsache, dass die Schulen Antragsteller und Träger der Projekte sind, und weiterhin, dass es das Kunstgeld, die Akademie, die überregionale Programmsteuerung und die Länderbüros gibt. Diese Kombination hat es möglich gemacht, dass wir qualitätsvoll gearbeitet haben und die Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden sind. Ich habe Zweifel, dass das Programm noch funktioniert, wenn man auch nur einige Bausteine daraus entfernt.

Yara Hackstein: Wie schaffen wir es jetzt, unsere guten Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Modellprogramm in unserem Land zu verstetigen? Ich würde deswegen die nächsten drei Jahre als eine Überführungsphase betrachten, deren Ziel die Entwicklung einer langfristigen Perspektive für die einzelnen Bundesländer wäre. Was am Ende steht, können wir jetzt noch nicht wissen, aber meine Vision wäre, dass wir das nach einem landesweiten Transferprogramm wissen können.

Sascha Willenbacher: Ihr würdet also die Entscheidung für eine dreijährige Lernphase treffen, in der ihr als Kulturagentinnen und Kulturagenten mit anderen Akteuren gemeinsam darüber nachdenkt, was wie in den einzelnen Ländern weitergeführt werden kann?

Matthias Vogel: Auch kulturelle Bildung will immer organisiert werden, genauso, wie man nicht mal drei Jahre Mathe unterrichtet und dann wieder damit aufhört. Sie muss ein Bestandteil der Schulkultur bleiben. Ich glaube, dass wir keinen Zwischenschritt brauchen, um das Transferprogramm zu starten. Nur mal angenommen, die Länder hätten jetzt eine super Idee und wir haben genügend Qualitätselemente aus unserem Programm identifiziert, die man braucht, dann könnten wir loslegen und überlegen, wann kommen wie viele neue Schulen dazu? Auch dieser Weg müsste als lernendes und sich selbst erneuerndes Programm verstanden werden.

Yara Hackstein: In einem so großen Flächenland wie Nordrhein-Westfalen sind wir im Moment zehn Kulturagentinnen. Langfristig können wir allein nicht das ganze Land bespielen. Dafür müssten in den Ländern Konzepte entwickelt werden zu der Frage, wie wir unser Wissen an die nächste Generation Kulturagenten weitergeben. Wird daraus ein Beruf, den man irgendwo studieren kann? Das sind ja alles Dinge, die jetzt noch entwickelt werden müssen. Die Entwicklung eines Modells ist noch lange nicht abgeschlossen.

Katrin Sengewald: Ich habe den Eindruck, dass auf Bundesebene teilweise schon ganz anders über kulturelle Bildung gesprochen wird. Und wenn kulturelle Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre, die in Bildungssysteme hineinwirken kann, ohne dass die Kultusministerkonferenz die Länderhoheit verteidigt, dann könnten sinnvolle Strukturen kultiviert werden und Mittel und Gelder zusammenfließen.

Yara Hackstein: Unsere größte Sorge ist, dass in den Ländern wieder alles bei Null anfängt.

Sascha Willenbacher, Anna Chrusciel: Wir danken euch herzlich für das Gespräch!