Ministerin Dr. Birgit Klaubert
Kultur und Bildung zusammenbringen!
Ministerin Dr. Birgit Klaubert

Kultur und Bildung zusammenbringen!

Grußwort der Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Thüringen

Warum hat sich Thüringen entschlossen, beim Kulturagentenprogramm mitzumachen? Wie kommt es, dass zehn Kulturagentinnen und Kulturagenten an 30 Thüringer Schulen tätig werden konnten und mit ihrer Arbeit etwa 7000 Schülerinnen und Schüler sowie deren Familien und Freunde erreicht haben? Eine Selbstverständlichkeit war das nicht – immerhin sind wir das einzige ostdeutsche Bundesland, das sich an dem Programm beteiligt hat. Für ein Bundesland, das immer noch stark von Umbrüchen geprägt ist, war und ist dieses Engagement ein erheblicher Kraftakt. Nach vier Jahren sehen wir, dass sich dieser Kraftakt gelohnt hat.

Seit jeher ist Thüringen ein Kulturland. Dafür stehen UNESCO-Weltkulturerbestätten wie die Wartburg in Eisenach, das klassische Weimar und die Bauhausstätten in Weimar. Große Künstlerpersönlichkeiten wie Bach, Goethe und Schiller haben hier ihre Spuren hinterlassen. Die Dichte an Theatern und Orchestern mit langer Tradition ist herausragend. Zu unserem kulturellen Erbe gehören aber auch Gegensätze und Brüche. Nur wenige Kilometer entfernt von den Stätten des klassischen Weimar befindet sich das Konzentrationslager Buchenwald. Die kritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte ist auch eine Aufgabe unserer Kultur.

Kultur und Geschichte prägen unsere Identität bis heute. Und deswegen ist für uns in Thüringen eines ganz klar: Wir wollen Zugang zu Kultur ermöglichen. Kulturelle Bildung ist eine Aufgabe, der wir uns verpflichtet sehen. So steht es auch im Kulturkonzept, das das Land zusammen mit Kulturschaffenden erarbeitet hat. Wir wollen, dass unsere Museen auch morgen noch neugierige Besucherinnen und Besucher anziehen und dass unsere Klangkörper auch in Zukunft vor einem begeisterten Publikum spielen.

Das Kulturagentenprogramm ist erfolgreich darin, Zugang zu ermöglichen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil es an den Schulen angesiedelt ist. Schule bietet die einzigartige Chance, alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen – unabhängig vom sozialen Hintergrund und unabhängig davon, ob sie in einer großen Stadt oder auf dem Land leben. Und zweitens, weil das Kulturagentenprogramm Kinder dazu anregt, selbst aktiv zu werden. Kultur lebt vom Mitmachen und Beitragen: Erst, wenn man sich ein Theaterstück selbst erarbeitet hat, selbst eine Ausstellung gestaltet, zeigt sich das Potenzial, das Kultur für Kinder und Jugendliche entfalten kann.

An den beteiligten Thüringer Schulen sind bislang über 100 größere und kleinere Projekte auf die Beine gestellt worden. Manche dauerten einen Tag – andere bis zu einem Jahr. Mal bringen sich 20 Schülerinnen und Schüler ein – und mal 200. In jedem Fall gilt: Wer mitmacht, ist begeistert.

Dabei ist die Aufgabe der Kulturagentinnen und Kulturagenten durchaus eine Herausforderung. Dass Kultur und Bildung zusammengehören, sagt sich schnell dahin. Tatsache ist aber auch, dass Kultur und Bildung in der Vermittlung und in der Arbeitsweise erst einmal anders "ticken". Schule arbeitet bevorzugt zielorientiert, Kunst arbeitet eher prozessorientiert. In Thüringen sind wir mit diesem Unterschied offensiv umgegangen. Eine Besonderheit des Programms in Thüringen bestand darin, dass wir die Kulturagentinnen und Kulturagenten je zur Hälfte mit Kulturschaffenden und mit Lehrerinnen und Lehrern besetzt haben. Die Zusammenarbeit hat sich für beide Seiten als fruchtbar erwiesen.

Bei vielen Akteurinnen und Akteuren des Modellprogramms, namentlich Schulangehörigen, hat sich durch die Teilnahme am Kulturagentenprogramm die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kunst und Kultur keine "Orchideenfächer" sind, sondern dass kulturelle Bildung eine Querschnittsaufgabe ist, eine ganzheitliche Sicht auf Dinge und Zusammenhänge ermöglicht; sie bietet unterschiedlichen "Lerntypen" eine Vielfalt an Herangehensweisen, indem die traditionellen kognitionsbasierten Ansätze durch persönliches Erleben ergänzt werden; sie ermöglicht effizienteres Lernen und gesteigerte Motivation, indem eigene Kreativität zugelassen, genutzt, gefördert wird. Den Lehrerinnen und Lehrern eröffnete sich die Möglichkeit, ihre Schülerinnen und Schüler einmal aus einer anderen Perspektive, in anderen Zusammenhängen kennenzulernen. Dass trotz eines offen formulierten Ausgangs Prozesse zu Ergebnissen führten, die überraschen und überzeugen konnten, war für viele eine neue Erfahrung.

Eine beteiligte Lehrkraft hat das so formuliert: "Wir fragen uns in der Schule manchmal, warum viele Fähigkeiten der Schüler nicht gesehen werden. Jeder ist in seiner Schiene – Lehrer und Schüler haben fest gefahrene Sichtweisen, aber wenn dann mal etwas kommt, was nicht Unterricht ist, dann fängt der Schüler plötzlich an, sich zu interessieren, und entwickelt Verhaltensweisen, die der Lehrer noch nicht kannte. Ein Treffen auf einer anderen Ebene ist dann möglich. Es werden Dinge in kulturellen Projekten abverlangt, die Schüler sonst im Unterricht nicht brauchen."

All diese Erfahrungen haben an vielen Schulen einen Entwicklungsprozess angestoßen. Aus neuer Perspektive wurde auf die Gesamtstruktur geblickt, auf das Selbstverständnis, die Haltungen und Kompetenzen der Lehrkräfte, auf ihre Struktur und Methodik des Lehrens und Vermittelns. Die Schulen haben ein eigenes kulturelles Profil entwickelt.

Kulturinstitutionen und Kunstschaffende haben das Programm genutzt, um in größerem Umfang Zugang zu Schulen zu finden. Die Zusammenarbeit mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten, mit anderen Institutionen, mit Künstlerinnen und Künstlern in den Kulturagentenprojekten ging auch für sie mit einer neuen Qualität und mit neuen Ideen einher.

Positive Effekte gibt es auch auf anderen Ebenen. Einerseits hat sich durch die stärkere Vernetzung der Schule in den Sozialraum die Zusammenarbeit mit den Gemeinden verbessert. Gerade in einem ländlich geprägten Land wie Thüringen sind diese Erfahrungen besonders wertvoll. Gemeinden haben erkannt, welchen Wert kulturelle Bildung für die Region haben kann und welche Rolle Schulen als Kulturträger und Mitgestalter des Kulturlebens übernehmen können. Einige Schulen haben sich auf den Weg gemacht, als Institution vor Ort selbst Kulturorte zu werden. Das wirkt sich positiv auf die Identifikation der Kinder mit ihrer Schule, ihrem Wohnort, der Region und ihren Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden aus. Es ist auch ein Weg, um die junge Generation im Land zu halten.

Die Arbeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten eröffnet neue Wege der Integration. Leistungsschwächere Kinder sowie Schülerinnen und Schüler mit Handicap fühlen sich auf eine andere Art gefordert und bringen sich ein. Sie erleben sich und ihr Potenzial anders und werden auch von ihrem Umfeld anders wahrgenommen.

Auch angesichts der zunehmenden Anzahl von Flüchtlingen suchen wir nach neuen Wegen der Integration. Es geht darum, Kinder mit Migrationshintergrund rascher und besser zu integrieren. Kulturagentenarbeit hat sich auch dabei als hilfreich erwiesen. Kulturelle Bildung arbeitet eben nicht nur kognitiv, über Sprache, sondern rückt andere Kommunikationswege in den Blick und gibt Kindern, die sich sprachlich nicht so gut ausdrücken können Gelegenheit, sich einzubringen.

Gute Erfahrungen haben wir auch mit der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Ländern, den Landesbüros und deren Trägern sowie mit dem Programmträger gemacht. Das Instrument Kulturagent ist einzigartig und geeignet, eingefahrene Routinen immer wieder aufzubrechen und Schulen, Kunstschaffende, Kulturinstitutionen und Kommunen zu Reflexion, Kommunikation, Kooperation und kreativer Veränderung zu bewegen. Deswegen sucht Thüringen Mittel und Wege, die Kulturagentinnen und Kulturagenten in den Regelstrukturen zu etablieren, ohne ihnen die nötige Unabhängigkeit zu nehmen.