Edeltraud Awick
SCHÜLER FORSCHEN zwischen den ZEITen
Edeltraud Awick

SCHÜLER FORSCHEN zwischen den ZEITen

Kurzbeschreibung

Die künstlerische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit in der Region war das Thema von „SCHÜLER FORSCHEN zwischen den ZEITen“. Es sollte über 15 Monate ein Forschungsraum für Schülerinnen und Schüler im und mit dem Gemeinwesen werden. Die Gemeinde ermöglichte die Forschungsarbeit der Schule, indem sie mit Gegenständen und Geschichten der Jahre 1949 bis 1989, sogenannten Zeitzeichen, die Recherchegrundlage lieferte. Unterstützt von Künstler-Lehrer-Tandems gingen die Schülerinnen und Schüler den Gegenständen, die sie sich ausgesucht hatten, auf den Grund und entwickelten unterschiedlichste Erinnerungstransformationen.

Bundesland

Thüringen

Ort

Gräfinau Angstedt

Beteiligte Klassenstufen

7 bis 9

Thema

Erinnerungskultur

Format

Im Unterricht, Projektwoche

Beteiligte Schülerinnen und Schüler

80

Projektdauer

August 2013 bis November 2014

Durchführungsorte

In der Schule
der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße Erfurt und der Alten Schule (Gemeinde)

Beteiligte Lehrkräfte

Jährlich ca. 25
im Theater-Spielprojekt je 7
alle Lehrerinnen und Lehrer der Schule

Aus einer Idee wird ein Plan

Als ich meine Arbeit als Kulturagentin in der Region Ilmenau aufnahm, führte ich mit allen Schulbeteiligten Gespräche, wozu neben der Schülerschaft und den Lehrkräften auch die Eltern und die Gemeinde zählten. Im Rahmen dieser Kontakte entwickelte sich eine Idee, die eine Elternvertreterin eingebracht hatte: Ausgangspunkt war die örtliche Heimatstube, die von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Artefakten bäuerlichen und kleinbürgerlichen Lebens aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgestattet wurde, aber leider nur sporadisch wahrgenommen wird. Wir stellten uns die Frage, ob wir die Ausstellung durch Gegenstände aus der jüngsten Vergangenheit, den Jahren 1949 bis 1989, ergänzen könnten? Dies würde die Möglichkeit eröffnen, neben einer Wiederbelebung der Heimatstube, von Beginn an auch die Kommunikation zwischen den Generationen zu fördern.

Bald stellte sich heraus, wie diffizil das Vorhaben war. Da standen auf der einen Seite die Bedürfnisse der Schule und die Befindlichkeiten der Schülerinnen und Schüler, deren Vorstellungen zum Thema sich sehr schnell als vage erwiesen. Auf der anderen Seite sahen wir uns den Erwartungen der Erwachsenen gegenüber, die größtenteils den genannten Zeitraum selbst erlebt hatten und damit in ihren Erinnerungen ganz individuelle Erlebnisse verbanden. Es wurde klar, dass uns eine Gratwanderung zwischen Ostalgie und historisch-kritischer Aufarbeitung der DDR bevorstand und wir uns dieser nicht ohne professionelle Unterstützung stellen konnten. Um möglichst viele Sichtweisen zu berücksichtigen und einbinden zu können, wollten wir besonders viel Zeit für die Konzeption unseres Vorhabens aufbringen.

Wir nahmen weitere Gespräche auf. Schulintern überlegten die beteiligten Lehrkräfte und die Schülerschaft mit mir als Kulturagentin, welche Möglichkeiten der Auseinandersetzung umsetzbar wären. Bereits in einem frühen Stadium wurden der Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt und der Gemeinderat der Wolfsberggemeinde an konzeptionellen Überlegungen beteiligt.

Wie können Schülerinnen und Schüler Zeit erforschen?

Die Zeit ist ein Geheimnis, dem man sich am besten schrittweise, eben mit der Zeit, nähern kann. Wie wird diese Kategorie für Schülerinnen und Schüler fassbar und erlebbar? Wie können Kinder und Jugendliche, die zehn Jahre nach der Wende geboren sind, die Zeit vor der Wende entdecken? Sie können diese beispielsweise anhand von "Zeitzeichen" erkunden: Gegenstände und Geschichten aus dem Alltag, aus Betrieben, Vereinen, Schulen und Orten, die aus den Jahren 1949 bis 1989 aus der Gemeinde stammen. Die Zeitzeichen sollten es ihnen ermöglichen, diese zu erfassen und zu begreifen sowie einen eigenen Umgang mit Zeit, Geschichte und Erinnerung zu finden.

Doch wie und woher könnten wir Zeitzeichen erhalten? Ende August 2013, am Tag der Vereine, stellten wir unser Projekt der Öffentlichkeit vor und riefen die Bevölkerung der Wolfsberggemeinde zu einer Einsammelaktion auf: Wir baten sie, uns Zeitzeichen auszuleihen. Aber leider wurden uns trotz des positiven Zuspruchs im Vorfeld nur zögerlich Gegenstände zur Verfügung gestellt. Nach einer Verlängerung der Abgabefrist konnten die Schülerinnen und Schüler aus etwa 70 Gegenständen (beispielsweise Orden, Bücher, Schallplatten, Dederonschürzen, Anträge auf Ausreise, Reisepässe, Mitgliedsausweise für DSF, FDJ, GST, ein Radio, eine Schreibmaschine, eine Gehaltsabrechnung und vieles mehr) ihre Zeitzeichen aussuchen, zu denen sie arbeiten wollten. Alle sollten die Gelegenheit haben, sich individuell mit mindestens einem Zeitzeichen auseinanderzusetzen, intrinsisch motiviert zu forschen, Fragen zu stellen und selbstbewusst eigene Antworten zu finden.

Diesen Prozess unterstützten sechs Künstlerinnen und Künstler mit unterschiedlichen Modellen der Auseinandersetzung. Wir hatten sie für die Arbeit aufgrund folgender Wünsche ausgewählt: Es sollten unterschiedliche Sparten und Medien vertreten sein, um aus einer Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten schöpfen zu können – insbesondere sollten Jungen durch spezielle Angebote (beispielsweise Neue Medien und Plastik) angesprochen werden, da sie in diesem Alter spezielle Interessen und Bedürfnisse haben. Zudem wollten wir gerne mit lokalen und überregionalen Kunstschaffenden zusammenarbeiten.

Mit den Künstlerinnen und Künstlern, ihrer Offenheit und Vielfalt, setzten wir bei der Schülerschaft einen Prozess der subjektiven Annäherung in Gang, der richtungweisend für die Schule wirkte. Für die Lehrkräfte, die meist ergebnisorientiert arbeiten, stellte dies eine ganz neue Erfahrung dar. Hervorzuheben ist an dieser Stelle die gelungene Zusammenarbeit von Kunstschaffenden und Lehrkräften: Bereits im Vorfeld bildeten sich sechs Lehrer-Künstler-Tandems1, die für die Betreuung der Schülerarbeitsgruppen zuständig waren. Sie standen in direktem Kontakt und Austausch mit den Schülerinnen und Schülern und unterstützten sie in Zwischenzeiten bei ihren Fragen. So begaben sich alle auf den Weg der ästhetischen Forschung und waren selbst auf die Ergebnisse gespannt.

Um die Beteiligten in die Entwicklung des Arbeitskonzeptes einzubinden, fanden folgende Veranstaltungen statt:

  • Ein Lehrerworkshop in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt im August 2013 führte in die Methode des ästhetischen Forschens ein.
  • Ende September folgte ein erstes Konzeptionstreffen zwischen Lehrkräften und Kunstschaffenden in der Schule.
  • Im November erhielten die Schülerinnen und Schüler eine Einführung in die Forscherarbeit und in den Umgang mit ihrem Forschertagebuch, das den Prozess begleiten sollte.
  • Anfang Dezember kamen alle Beteiligten zusammen, um sich kennenzulernen und sich den Zeitzeichen zu nähern. Danach bildeten sich die einzelnen Arbeitsgruppen. Entsprechend ihren Vorlieben konnten sich die Akteure für ein bestimmtes Repertoire an Handwerksmitteln oder Ausdrucksmöglichkeiten entscheiden, mit denen sie dann im Mai zu den Gegenständen arbeiteten. Aus den 70 Exponaten suchten sich die Acht- und Neuntklässler insgesamt 45 aus. Diese Wahlmöglichkeit wurde im Nachgang in den Schülerreflexionsgesprächen als sehr positiv beurteilt.

Zeitzeugen und Zeitzeichen – nah und fern

Den Beteiligten sollte eine historisch fundierte Konfrontation mit dem Thema ermöglicht werden. Dementsprechend war die Zeit bis zur unmittelbaren Werkstattarbeit im Mai 2014 zu nutzen. Insgesamt erschien es über den gesamten Projektzeitraum wichtig, das Thema sowohl an anderen Orten außerhalb der Schule zu bearbeiten als auch die Schule für Interessierte und Involvierte zu öffnen.

Der Besuch der Schülerinnen und Schüler der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt ist beispielsweise ein Basisbaustein der Projektkonzeption gewesen. Hier wurden sie mit den unterschiedlichen Ebenen der Wirklichkeit (Haft, Diktatur, Revolution und der Thüringer Geschichte von 1949 bis 1989) konfrontiert.

Durch die Veranstaltung "Politische Haft und Verfolgung in der DDR" mit dem Zeitzeugen Peter Hellström im Februar 2014 in der Schule, zu der auch die Bürgerinnen und Bürger der Wolfsberggemeinde eingeladen wurden, fand das Thema eine weitere Untermauerung. Besonders erfreulich ist hier die Tatsache, dass die Schule auch künftig im Geschichtsunterricht mit dem Zeitzeugenbüro2 zusammenarbeiten wird. Es sammelt Berichte von Zeitzeugen der DDR und stellt Kontakte zu diesen her, die von ihren Erfahrungen berichten. Wie unterschiedlich oder ähnlich Erinnerungen sein können, offenbarte sich den Schülerinnen und Schülern, als im März 2014 der Autor Frank Quilitzsch im Unterricht aus seinen Büchern zum Thema "Dinge, die wir vermissen werden" las, um im Anschluss mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.

Forscherarbeit und Präsentation

Von Dezember 2013 bis zu den Projekttagen im Mai 2014 hatte die beteiligte Schülerschaft die Gelegenheit, langfristig, individuell und mit Hilfe des Forschertagebuches selbstorganisiert zum gewählten Zeitzeichen zu arbeiten. Dazu musste geklärt werden, wie sich die Jugendlichen dem Gegenstand nähern wollten, welche Fragen entstehen, welche Hilfe sie benötigte, wen man zur Unterstützung und zur Beantwortung von Fragen ansprechen könnte. Es standen insbesondere die Lehrkräfte und die Künstlerinnen und Künstler der Tandems für Rückfragen zur Verfügung.

Den Höhepunkt der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Zeitzeichen bildeten die beiden Projekttage im Mai 2014 mit dem Historiker Daniel Börner und den Künstlerinnen und Künstlern Sandra Bach, Ralph Eck, Caroline Frisch, Verena Kyselka, Annette Munk und Thomas Offhaus. Hier hatten alle beteiligten Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit zu intensiver Arbeit mit den Künstler-Lehrer-Tandems, um ihre individuelle Herangehensweise an die Arbeit zu klären, Arbeitsschritte zu planen, Ideen zu sammeln, Fragen zu stellen, Entwürfe zu entwickeln, zu recherchieren, zu gestalten, zu sortieren, zu demontieren, zu analysieren und vieles mehr. Für alle Unklarheiten, die sich in diesem Prozess ergaben, stand der Historiker Daniel Börner zur Verfügung. Die drängendsten Fragen waren: Was bedeutet DSF? Was war die GST? Warum gab es damals so viele Orden und Anstecker? Was hat die DDR mit uns zu tun? Welches Verhältnis gibt es zwischen Machen und Sprechen/Zuhören? Gab es in der DDR tatsächlich Gleichberechtigung? Wie unterscheidet man originale Gegenstände von nachgemachten? Wie fühlt sich Geschichte wirklich an? Wie bildet man sich eine eigene Meinung? Muss man selbst dabei gewesen sein, um etwas über eine vergangene Zeit (die DDR) zu sagen/wissen zu können? Hatten die Kinder früher mehr Respekt? Weshalb hat die DDR 40 Jahre lang gehalten? Kennen wir unsere Zukunft, wenn wir unsere Vergangenheit kennen? Kommt man der Wahrheit näher, wenn man mehrere Meinungen kennenlernt? Wie haben die Menschen den Übergang ("die Wende") persönlich hinbekommen? Wie viele Menschen waren für die DDR, wie viele dagegen? War der Reisepass damals sinnlos?

Mit den Künstlerinnen und Künstlern fanden die Jugendlichen zu ihren individuellen Ausdrucksformen: Es entstanden Riesencomics, Erinnerungstransformationen in Gips, eine Tanzperformance, Filmsequenzen, ein Buch, in Dosen verpackte Erinnerungen und vieles andere mehr. Für die Abschlusspräsentation im November 2014, die mit der Unterstützung der Grafikdesignerin Katharina Kerntopf kuratiert wurde, reflektierten die beteiligten Künstlerinnen und Künstlern in den folgenden Statements ihre Arbeits- und Herangehensweise:

Sandra Bach – Comic-Zeichen
Foto: Edeltraud Awick

Sandra Bach, bildende Künstlerin: "Mir war es wichtig, bei den Schülern eine Geschichtslücke aufzufüllen. Sie sollten nicht nur etwas aus der Zeit lernen, sondern die Zeit verstehen. Schwierig war es, sich in die Leute von damals hineinzuversetzen und die Geschichte der Gegenstände zu begreifen. Als die Schüler das geschafft hatten, konnten sie etwas künstlerisch umsetzen und auch im Gedächtnis behalten. Wichtig war es mir, dass sie nicht nur mit Stiften malten, sondern auch lernten, die Ideen mit unterschiedlichen Materialien darzustellen (Holz, Folie, Papier …). Natürlich durfte der Spaß nicht zu kurz kommen. Unbewusst wuchs die Gruppe zu einem Team zusammen."

Ralf Eck – GipsSPUREN
Foto: Edeltraud Awick

Ralf Eck, Bildhauer: "Freies Modellieren des zeitgeschichtlichen Gegenstandes in Ton, Abformen des Tonmodells mittels verlorener Form aus Gips, Ausgießen der Hohlform mit Gips und Ausformen des Originals: Zeitgeschichtliche Bildung gehört zum Selbstverständnis einer demokratischen Gesellschaft. Eltern und Schule stehen bei der Beantwortung von Fragen der Kinder zur jüngeren Geschichte in besonderer, aber nicht in alleiniger Verantwortung. Die Vermittlung von Wissen über zeitgeschichtliche Prozesse sollte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Lebendiger Umgang mit der Geschichte ist gefordert, Anschaulichkeit und Authentizität sind überzeugende Mittel dabei. Das hier vorgestellte Projekt "SCHÜLER FORSCHEN zwischen den ZEITen" des Kulturagentenprogramms zielt genau darauf ab – auf das Begreifen von Zeitgeschichte."

Caroline Frisch – Erinnerung in Bewegung
Foto: Edeltraud Awick

Caroline Frisch, Kulturwissenschaftlerin: "Was berührt mich bei dem von mir ausgewählten Zeitzeichen und wie kann ich dies in Bewegung übersetzen? Was ist das Besondere an diesem Gegenstand? Eine persönliche Erinnerung? Eine außergewöhnliche Form? Die Farbe? Die Geschichte? Und was bedeutet überhaupt Erinnerung für mich? Mit diesen Fragen haben wir uns durch das Schreiben eigener Texte und das Erarbeiten eigener Bewegungschoreografien sehr intensiv auseinandergesetzt, mit dem Ziel, am Ende eine Videoinstallation mit Textcollagen und Tanz zu erstellen."

Verena Kyselka – Schallplatten, Bücher, Reisepässe und die Geschichten dahinter
Foto: Edeltraud Awick

Verena Kyselka, visuelle Künstlerin: "Für die Recherche der als Zeitzeichen benannten und gesammelten Gegenstände hatte ich das Alltagsmedium Handy ausgewählt. Die Jugendlichen gehen täglich mit dem Handy um und wissen, wie sie dessen Funktion von Film, Foto- und Sprachaufnahme nutzen können. Deshalb sollte das Handy als Medium kreativ für die Recherche der Objekte eingesetzt werden. Die Schüler wurden motiviert, in ihrem eigenen häuslichen Umfeld Interviews mit Familienangehörigen zu einzelnen Objekten durchzuführen. Dabei war die Geschichte zu dem Gegenstand ebenso von Bedeutung wie der heutige Bezug. Die laienhaften Aufnahmen von unterschiedlichen Handymodellen haben natürlich nicht die Tonqualität, die für eine Videodokumentation notwendig wäre. Aber die Schüler waren am Ende des Workshops in der Lage, die kurzen Sequenzen ihrer Filme in einem Videoschnittprogramm selbst zu montieren."

Annette Munk – Geschichten zwischen den Zeiten
Foto: Edeltraud Awick

Annette Munk, bildende Künstlerin: "Sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Die Vergangenheit scheint ein ferner, dunkler Raum zu sein. Oder vielleicht ein seltsames Stoffmuster der typischen Dederon-Kittelschürze vom Bucheinband? Die Fantasie beim Schreiben folgt wie das Träumen den eigenen Erfahrungen und Empfindungen in der Gegenwart. Die Geschichten erzählen in ihrer eigenen Art, wie sie jeweils zurück- oder vorausblicken, mehr über die heutige Welt der Jugendlichen als über die DDR. Das Buch ist deshalb kein ,Geschichtsbuch", sondern es hebt gegenwärtige Gefühle in persönliche Geschichten für die Zukunft auf. In jedem Falle wurden während der Projekttage viel mehr Fragen aufgeworfen, als wir beantworten konnten. Aber darum ging es ja auch! Ich würde mich freuen, wenn die Texte mit ihrer Dramatik, ihrem Witz, auch ihren Widersprüchen einen Anlass bieten, dass Ältere und Jüngere miteinander ins Gespräch kommen: Die Geschichten kann man zwischenzeitlich vorlesen."

Thomas Offhaus – Erinnerungsbox
Foto: Edeltraud Awick

Thomas Offhaus, Maler und Grafiker: "Ausgangspunkt für die Arbeit mit den Schülern waren zum einen Erinnerungsobjekte, die im Rahmen des Arbeitsprozesses jedem zur Verfügung standen, und andererseits handelsübliche Verpackungsdosen aus Weißblech im DIN-A5-Format mit einem großzügigen Sichtfenster im Deckel. Eine besondere Einschränkung – und gleichzeitige Herausforderung – bei der Arbeit mit den Objekten war die Notwendigkeit, die Dinge in eine andere Form zu übersetzen, sie in einen individualisierten Kontext einzubinden, da sie einerseits an die Eigentümer zurückgegeben werden mussten und andererseits gerade die Übersetzungsarbeit den kreativen Prozess bestimmte. So lieferte die Metalldose einen Rahmen für ganz unterschiedliche Auseinandersetzungen.

Die Schüler arbeiteten mit elektrografischen Verfahren (Kopierer, Drucker, Scanner), um Elemente ihrer Objekte zu vervielfältigen, zu transformieren, vielleicht zu überzeichnen. Außerdem wurden Fotografien bearbeitet, wurde mit Gips gearbeitet, die Archivboxen selbst wurden durch die Bearbeitung und Verformung Teil eines künstlerischen Prozesses. Der für die Schüler ungewohnte Arbeitsprozess, der nicht auf ein "erwartungsgemäßes" künstlerisches Resultat hinauslief, sondern auf die Schaffung eines assoziativen Objektes, führte trotz spürbarer Verunsicherungen zu interessanten und spannenden Ergebnissen."

Chancen im ländlichen Raum

Die Eröffnung der Abschlusspräsentation im Obergeschoss der Alten Schule in Gräfinau-Angstedt am 4. November 2014 erfreute sich großen Zuspruchs und ergänzte die Heimatstube im Untergeschoss für eine begrenzte Zeit durch die Gegenstände aus den Jahren 1949 bis 1989 und die Forscherexponate aus unserem Projekt. An insgesamt drei Terminen bot sich der Bevölkerung die Gelegenheit, die Räumlichkeiten des früheren Schulgebäudes zu besuchen, mit denen sie aus der eigenen Schulzeit besondere Erinnerungen verbindet.

Die Besonderheit unserer Ausstellung bestand darin, dass die sechs Stationen, die aus den Workshops der Künstlerinnen und Künstler hervorgegangen waren, von den Akteuren selbst erläutert wurden. Sie erklärten ihre Herangehensweise unmittelbar an den Objekten und ermöglichten so einen Dialog mit den Gegenständen, öffneten eine direkte Auseinandersetzung mit dem Umgang von Erinnerung und Zeit. Das provozierte offensichtlich und war unbequem, denn es entsprach nicht unbedingt den Rezeptionserwartungen unserer Besucherinnen und Besucher. Doch genau das hatten wir beabsichtigt! Denn im Prozess unserer Auseinandersetzung hatte sich immer wieder gezeigt, dass genau dieser Austausch zwischen den Generationen viel zu selten stattfindet. Unsere Ausstellung sollte deshalb von Dialog und Austausch getragen sein.

Der ländliche Raum bietet im Bereich der kulturellen Bildung einige Chancen, die im Rahmen unseres Projekts zum Tragen kamen, denn es gelang, die Entfernung zu Kulturinstitutionen und Künstlern zu überbrücken. So freuten sich alle Beteiligten, dass einzelne Exponate in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt präsentiert werden sollen. Die funktionierenden sozialen Netzwerke in der Kommune, in denen sich alle kennen, unterstützten unsere Arbeit. Wir konnten auf kurze Wege und direkte Verbindlichkeit bauen. Der Bürgermeister, die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen im Rathaus und in der Gemeinde nahmen großen Anteil an dem, was die Schule initiierte. Mehrfach wurde uns klar, dass dieses Projekt, das sich zwar im Wesentlichen über das Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen" finanzierte, nur vor diesem Hintergrund verwirklicht werden konnte. Die enge Zusammenarbeit mit der Wolfsberggemeinde machte die besondere Qualität des Projekts aus und reichte von den Veröffentlichungen der jeweils aktuellen Informationen zu allen Projekthöhepunkten von August 2013 bis November 2014 im Gemeindeblatt bis hin zur personellen, räumlichen, sächlichen Unterstützung der Abschlusspräsentation. Nur in diesem Rahmen konnten überhaupt Zeitzeichen gesammelt und erforscht werden. Im Projektzeitraum rückten die Alte Schule und die neue Schule ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Damit wurde ein Ausgangspunkt für weitere Anschlussmöglichkeiten geschaffen.

Außerdem haben wir Anteilnahme weit über die Wolfsberggemeinde hinaus erreicht. Interessiert begleitete die regionale Presse unser Projekt. Und neben der örtlichen Bevölkerung zählten auch die Landrätin und der Vorsitzende des Ausschusses für Schule, Kultur und Sport im Ilm-Kreis zum Publikum der Ausstellung. Ein weiteres Mal verdeutlichten sich so die besonderen Potenziale der kulturellen Bildung in der Region.

Risiken und Nebenwirkungen

Es zeigte sich im Verlauf unseres Projekts immer wieder, dass Erinnerung ein individuelles Thema ist. Nicht jede/jeder möchte und kann über seine persönlichen Erinnerungen sprechen. Sie bedürfen eines besonderen Schutzraumes, damit diejenigen, die bereit sind, Erinnerungen preiszugeben, am Ende nicht selbst preisgegeben werden. Auch deshalb war es unabdingbar, dass wir während des gesamten Projektzeitraums von einem Tandem beraten und unterstützt wurden: dem Historiker Daniel Börner und der Grafikdesignerin Katharina Kerntopf. Deren kritische Außensicht erwies sich als unverzichtbares Instrument in Bezug auf die Entwicklung und Ausführung unseres Arbeitskonzepts.

Obwohl wir uns aus unserer Sicht sehr bemüht hatten, die Beteiligten vielfältig in die Planungen einzubinden, merkten die Schülerinnen und Schüler nach den Forscherwerkstätten an, dass sie sich teilweise nicht ausreichend einbezogen gefühlt hätten. Wir überlegten daher in Gesprächen mit den Lehrkräften und der Schülerschaft, wie eine zufriedenstellende Einbindung aussehen könnte. Es ist allerdings ein ambitioniertes Ziel, Schülerinnen und Schüler zu längerfristigem, selbstständigem Arbeiten zu motivieren, wenn bisher selten selbstorganisiertes Lernen im Unterricht praktiziert wurde.

Kurzum, an dieser Stelle: Vielen Dank an alle Schülerinnen und Schüler für ihren Mut! Sie haben das vorgelebt, was unsere Demokratie ausmacht: Sie haben von ihrem Mitspracherecht Gebrauch gemacht. Auf dieser Basis setzten wir die Reflexion fort und sichteten gemeinsam die Schülerrückmeldebögen, um festzustellen, dass auch diese Möglichkeit der Beteiligung ganz unterschiedlich wahrgenommen wurde, was die Lehrkräfte ebenso reflektierten.

Im Anschluss erklärten sich einige Schülerinnen und Schüler bereit, gemeinsam mit der Kulturagentin einen Schülerfragebogen für künftige Planungen vorzubereiten. Damit ist ein wichtiger Schritt in Richtung aktive Mitbestimmung getan: Partizipationskultur beginnt sich zu entwickeln. Ist es Zufall, dass die Auseinandersetzung mit der DDR der Anlass dazu war? Ich denke nicht. Der kreative Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart strahlt in die Zukunft und kann zum Bestandteil der Alltagskultur werden. Dies hat auch die Schulleiterin bekräftigt: "Wir entwickeln durch die Projekte mehr Kultur im Miteinander!"

Schülerinnen und Schüler forschten zwischen den Zeiten und kamen bei sich im Hier und Heute an!