Schlagwörter
Wessen Projekt ist es eigentlich?
-
Als Kulturagentin bin ich in verschiedenen Rollen in den Schulen aktiv. Als Moderatorin, Vernetzerin, Beraterin, Prozessbegleiterin, auch als Katalysator für kollektive Ideen und Kooperationen. Ich kann mich kuratorisch oder auch als konzeptuell denkende und handelnde Künstlerin – das ist meine Profession und mein Fachgebiet – einbringen. Das Besondere an der Kulturagententätigkeit ist, dass wir uns die Zeit geben, vorgefundene Strukturen kennenzulernen und dann mit dem schon Vorhandenen arbeiten. Das heißt, dass wir zusammen und auf Augenhöhe mit den Akteuren in den Schulen sowie mit externen Künstlerinnen und Künstlern oder mit Vermittlerinnen und Vermittlern aus Kulturinstitutionen Projekte inhaltlich und konzeptionell entwickeln. Diese sogenannten Kunstgeldprojekte begleiten wir anschließend und werten sie gemeinsam aus. Vor diesem Hintergrund der Projektentstehung und -umsetzung, an der viele unterschiedliche Akteure auf vielen Ebenen mitarbeiten, ist die Autorschaft oft unklar. In künstlerischen Produktionen stellt jedoch die Autorschaft ein zentrales Kriterium dar, denn nach wie vor ist es im Kunstfeld wichtig, den/die Urheber zu benennen, da daran symbolisches wie ökonomisches Kapital geknüpft ist.
Nach meiner Erfahrung wird über die Autorschaft in der Konzeptions- und Umsetzungsphase wenig nachgedacht. Wer, wo und wie als Autorin oder Autor genannt wird, kann später im schlimmsten Falle zum Streit werden. Im Folgenden betrachte ich daher das Thema der Autorschaft aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Projektphasen.
Projektentwicklung und multiple Autorschaften
Zunächst möchte ich exemplarisch zeigen, wie die Konzeption eines Projekts erfolgen kann, und daran die Frage knüpfen, wer in einem Projekt als Autorin/Autor gelten kann. Die Betonung liegt hier auf exemplarisch, denn es gibt viele verschiedene Wege und Möglichkeiten der Projektentwicklung. Zunächst suche ich in einer Schule nach Verbündeten, Menschen mit Gestaltungswillen; Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern, die sich mit Arbeitseinsatz, Zeit, eigenen Ideen und Motivation in die Projekte einbringen möchten. Ich lade sie zu einer Ideenwerkstatt ein. Bei einem von mir moderierten Treffen werden Ideen der einzelnen Akteure gesammelt und diskutiert, sie fließen später in die Konzeption der Kunstgeldprojekte ein. Dieser Termin steht allen, das heißt, dem gesamten Kollegium, offen, und die Teilnahme daran ist freiwillig. Schülerinnen und Schüler sind bestenfalls auch eingeladen. Allen Teilnehmenden ist die Tür zur Mitgestaltung geöffnet. Ich finde es sinnvoll, schon in der Konzeptionsphase Künstlerinnen und Künstler, die mit der Schülerschaft arbeiten werden, in den Prozess mit einzubeziehen und ebenfalls zu diesen Terminen und zusätzlich zu Hospitationen im Unterricht einzuladen. So können sie ihre künstlerischen Arbeitsweisen und Strategien vermitteln und eine gemeinsame dialogische Ideenfindung kann stattfinden. Passende institutionelle Kooperationspartner wie Museen, Jugendeinrichtungen, eine Musikschule oder eine Bibliothek werden über Besuche als Inputgeber oder auch für Präsentationen eingeladen und ebenfalls eingebunden.
Bereits in der Phase der Projektentwicklung kann im obigen Beispiel also von multiplen Autorschaften gesprochen werden. Der Kunstgriff besteht nun darin, aus der entstandenen diffusen Ideengemengelage ein sinnstiftendes übergeordnetes Konzept zu entwickeln, in dem sich möglichst viele, am besten alle, wiederfinden. In diesen Prozess werden von allen Beteiligten Themen und Ideen dafür eingebracht. Oftmals haben die Vorschläge der Schulakteure den Duktus des Machens oder verfolgen einen funktionalen Zweck – "etwas bauen, ein Foyer repräsentativ gestalten, Theater spielen, ein Logo entwickeln, den Schulhof verschönern" – und spiegeln ihren Kunstbegriff wieder. Die Ideen, die von konzeptuell arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern eingebracht werden, beziehen meistens andere Themen und Kontexte mit ein. Sie zeichnen sich eher durch einen system- und schulfremden Blick aus. In einem gelungenen Ideenfindungsprozess ergänzen sich beide Ansätze, sodass das künstlerische Konzept dialogisch entwickelt werden kann. Dabei kann es vorkommen, dass sich künstlerische Strategien "anschleichen" müssen, um in der Schule als sinnstiftend und nicht als zusätzliche Belastung wahrgenommen zu werden. Im Rahmen eines Auftrags mit funktionalem Nutzen, wie zum Beispiel der Entwicklung eines Logos oder einer Schulraumgestaltung, kann an die Erwartungshaltungen der Schulakteure angeknüpft werden. Sind dann erste Beziehungen zwischen Künstlerinnen und Künstlern, der Lehrer- und Schülerschaft geknüpft, öffnet sich ein Handlungsspielraum, der vermehrt experimentelles künstlerisches Arbeiten zulässt.
Es kommt im Verlauf eines Projekts früher oder später der Moment, in dem über Autorschaft nachgedacht werden muss, beispielsweise, wenn Einladungen oder Flyer gedruckt werden oder wenn am Ende ein Impressum entsteht, das Beteiligte und Positionen auflistet. Auf dieser sichtbaren Ebene geht es um das eigene Profil, darum, sich auf einem spezifischen Markt zu behaupten. Wer welche Inhalte dokumentiert, auch hierin werden die unterschiedlichen Wertmaßstäbe sichtbar. So wird in der Regel das hervorgehoben, was den jeweiligen Kategorien für Qualität entspricht. Während für Kunstschaffende die Autorschaft hinsichtlich der Qualität ihrer Vermittlungsarbeit wichtig ist, weil sie sich damit auf dem Feld der kulturellen Bildung als Expertinnen oder Experten profilieren können, scheint die Frage für die Schulen weniger relevant. Für sie steht das Ergebnis, das sie in der Öffentlichkeit zeigen können, beispielsweise ein Bauwerk oder eine öffentliche Theateraufführung, im Vordergrund. Letztendlich ist ein Projekt immer eine Zusammenarbeit auf Zeit. Solange alles im gemeinsamen Fluss ist, werden die Inhalte und die Umsetzung der Partner auf Augenhöhe entwickelt und realisiert. Danach verfolgt jeder wieder seine eigenen Interessen und Zielsetzungen. Das sollte in den unterschiedlichen Darstellungen beispielsweise in abschließenden Dokumentationen sichtbar werden. Die Realität ist jedoch, dass Inhalte, die die Arbeitsstrategien von Künstlerinnen und Künstlern beschreiben, in Schulversionen oftmals nicht thematisiert werden.
Autorschaft im offenen Prozess
Selbst in partizipativen und prozessorientierten Kunstprojekten mit vielen Beteiligten ist es für die Mehrheit der Künstlerinnen und Künstler wichtig, dass ihre Autorschaft benannt wird. Hierzu nahm die Künstlerin Ellen Nonnenmacher im nachfolgenden Interview Stellung.
Eva: Welchen Stellenwert hat die Autorschaft in der Projektarbeit?
Ellen: Das ist eine künstlerische Frage. Künstler arbeiten mit Autorschaften auf einer Metaebene, weil sie Dinge und Ideen aufnehmen, aufgreifen, verwenden und weiterverarbeiten. Dabei vermischen sich Autorschaften. Je stärker ich ein Bild im Kopf habe und mich als Autorin fühle und geriere, desto weniger lasse ich den Schülerinnen und Schülern Platz, ihre eigenen Dinge zu entwickeln.
Muss man die Frage, wer Autorin/Autor ist, umso differenzierter betrachten, je mehr Partizipation in einem Projekt stattfindet?
Als Künstlerin ist man ständig am Lenken und Steuern beispielsweise durch Zuspruch und Lob. Das sind oft ganz kleine Eingriffe. Man muss einem Schüler nur sagen, das ist schön, dann wird er bereits in eine Richtung gelenkt. Er wird daran weiterarbeiten oder vielleicht auch etwas ganz anderes machen. Je nachdem. Damit bringt man immer wieder seinen eigenen Blick und künstlerischen Hintergrund mit ins Spiel. Es ist unheimlich schwierig, so wie es traditionell gesehen wird, festzustellen, wer jetzt Autor ist. Ich finde jedoch gerade, dass dieses Mischen, Verwischen und das Dialogische Qualitätsmerkmale sind.
Ich denke, in schulischen Projekten wird in der Regel kooperativ gearbeitet und weniger gleichberechtigt kollektiv. Der Unterschied ist, dass man in der Entscheidungsfindung eher kooperiert.
Das ist eine schöne Unterscheidung. Weil man dazu neigt zu denken, dass geteilte Autorschaft etwas mit Gleichberechtigung zu tun hat. Damit würde man aber verneinen, dass die Künstlerin/der Künstler eine bestimmte Expertise hat. Dass sie/er Dinge anders sehen kann und dementsprechend auch anders steuert.
Gleichberechtigung würde sich dann in der Entscheidungsfindung einlösen? Ich glaube, es werden von allen Seiten Entscheidungen getroffen und auch Setzungen gemacht.
… Setzungen aus verschiedenen Hintergründen. Das Spannende ist dann, darauf zu reagieren. Deshalb ist die Autorschaft in partizipativen Projekten so komplex – vergleichbar mit drei Texten, die man nicht hintereinander als abgeschlossene Werke liest, sondern als drei Texte, die miteinander sprechen, die miteinander verzahnt sind und so einen neuen Text generieren.
Die Künstlerin/der Künstler nimmt auch andere Rollen ein und kann zum Initiator und Arrangeur von Prozessen werden. Gerade, wenn man ganz partizipativ arbeitet. Warum ist die Frage danach, wer Autorin/Autor ist, aus deiner Perspektive als Künstlerin wichtig?
Die Autorschaft ist das Arbeitskapital für Kunstschaffende, auf das sie aufbauen können. Als Künstler arbeitet man so viel aus dem Moment heraus und spontan, dass die Werke und Projekte, die man vorzeigen kann, die einzige Sicherheit darstellen, die man hat.
Während die Künstlerin Ellen Nonnenbacher die Wichtigkeit des künstlerischen Werkes betont, geht es laut Carmen Mörsch an der Schnittstelle zwischen Kunst und Bildungsinstitutionen eher darum, "ein künstlerisches Bildungsgeschehen in allen seinen Dimensionen gelingen zu lassen".1 Spezifische Spannungsverhältnisse, die diese Kooperation mit sich bringen, seien ihrer Meinung nach einerseits herausfordernd, andererseits auch besonders interessant beziehungsweise bereichernd für die Kunst.
Die Künstlerin Susanne Bosch dagegen unterscheidet die Arbeitskontexte Bildung und öffentlicher Raum nach dem Grad der Freiheit des Settings. Sie sagt dazu: "Im öffentlichen Raum wiederum gilt es, sowohl Raum als auch Kontext und Situation gerecht zu werden, welche immer ein interdisziplinäres Verfahren ist. Für mich ist hier die Rolle der Künstlerin oft die Undefinierteste in Relation zu Beispielen aus Bildung und Kunstsystem. Das erlaubt ungeahnte Freiheiten und Möglichkeiten im Umgang mit der Situation."2
Manche Künstlerinnen und Künstler, die partizipative Prozesse verfolgen, unterscheiden in ihren Arbeitsstrategien nicht zwischen öffentlichem Raum und Schule. Dies trifft auch auf einige Theatermacher zu, die mit Laien arbeiten. Autorschaften werden in diesen Prozessen verwischt. Allerdings wird ein partizipatives Kunst- oder Theaterprojekt in Schule in der Öffentlichkeit nicht in gleicher Weise anerkannt wie ein Projekt im öffentlichen Raum. Der Bildungskontext ist eine Nische, in der sich Künstlerinnen und Künstler sinnstiftend verorten können. Die immer wiederkehrende Frage nach der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, beispielsweise nach seiner Rolle als Impulsgeber für Veränderung; das Infragestellen des klassischen Kunstmarkts: eine soziale Plastik zu kreieren oder auch die neuen Arbeitsfelder für Künstler als Antwort auf gesellschaftlichen Wandel zu schaffen – das alles sind Beweggründe für Künstler, sich in diesem Feld neu zu positionieren.
Für mich als Kulturagentin stand die künstlerische Autorschaft zumindest am Projektanfang nicht im Fokus. Zu Beginn habe ich als Agentin bei allen Beteiligten Ideen eingefangen, dann Künstlerinnen und Künstler ausgesucht, die mit ihren Arbeitsweisen und Strategien zur Schule und den geplanten Vorhaben passen. So jonglierte ich in verschiedenen Rollen und mit multiplen Autorschaften und unterschiedlichen Aufträgen. Unter dem für mich wichtigen Aspekt der künstlerischen Qualität habe ich in jedem Kunstgeldantrag ein schlüssiges Konzept geschrieben, das offene Arbeitsweisen zulässt, Fragen stellt, neue Kontexte erschließt und eine Reflexionsebene für alle Beteiligten aufmacht. Und in dem sich alle Akteure, Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter, Schülerinnen und Schüler, Künstlerinnen und Künstler mit ihren Ideen wiederfinden konnten. Ein Konzept, das letztendlich aufgrund seiner Qualität den Kriterien der Jury standhält.
Ein solches Konzept bietet eine offene Rahmung für alle Beteiligten, in der gemeinsame Ziele formuliert sind, aber dennoch Raum für den Gestaltungswillen der Einzelnen, für eigene Ideen und die Sprache der Beteiligten vorhanden ist. Künstlerische Qualität, das heißt für mich, in dieses Konzept eine zeitgenössische künstlerische Strategie zu integrieren, die dem System Schule Impulse gibt, blinde Flecken berührt oder nicht genutzte Ressourcen aktivieren kann. Welche künstlerische Strategie dafür passend ist, darüber sollte situationsspezifisch entschieden werden. Ähnlich einer paradoxen Intervention kann beispielsweise eine künstlerische Arbeitsweise auch konträr zum vorhandenen Wertesystem agieren und vorhandene eingeschliffene Verhaltensmuster hinterfragen oder bewusst betonen.
Für ein solches Kunstprojekt in der Schule musste ein Kunstgeldantrag gestellt werden, über den andere entschieden haben. Doch wer entscheidet in der Praxis? Die Schülerschaft, die Lehrenden, Leiterinnen und Leiter der Schule oder Künstlerinnen und Künstler? Wessen Projekt ist es eigentlich? Ein Kurator einer Ausstellung hat die Autorität darüber zu bestimmen, was in der Ausstellung gezeigt wird. Ein Regisseur entscheidet über die Szenen, die in seinem Film oder Theaterstück sichtbar werden. In den Kunstgeldprojekten bestimmen viele einzelne Akteure den Prozessverlauf. Es gibt Interaktionen, die nicht eindeutig steuerbar sind. Aus einem ursprünglichen Konzept entsteht etwas Neues, das von Vielstimmigkeit, von Beziehungsdynamiken, auch von Machtverhältnissen und Zwängen, von Widerständen und Widerspenstigkeiten, von Unvorhergesehenem und auch Zufällen geprägt ist. Es kann auch passieren, dass in den gemeinsam entwickelten Projekten plötzlich alle in verschiedene Richtungen laufen und ich als Agentin nicht mehr hinterherkomme. Dann, wenn alle in der Schaffensphase sind, verselbstständigt sich plötzlich alles: Ich habe kein künstlerisches Produkt mehr. Ein soziales Experiment werkelt vor sich hin, und ich weiß auch nicht, wohin es steuert. Eine Übung zum Loslassen. Schule ist selbstorganisierend und ein komplexes System. Entwicklungen in komplexen Systemen sind in der Regel nicht vorhersagbar. Die Lehrerschaft und die Schülerschaft kennen ihre Schule am besten. Sie wissen, wo und wie Ressourcen zu finden sind und entscheiden auch informell darüber. Ebenso kennen sie die Spielregeln des eigenen Systems und sind dadurch in der Praxis innerschulische "Machtträger". Egal wie gut Projekte geplant und vorbereitet sind, aus der Beteiligung vieler formt sich eine kollektive Autorschaft des "Machens", die maßgeblich den Verlauf mitsteuert.
Dieses Phänomen beschreibt Susanne Bosch folgendermaßen: "Partizipation beinhaltet die Komponente des Kontrollverlusts. Genauso wie man sagen kann, kollektiv kommt man zu besseren und komplexeren Ergebnissen, da es zu guten Synergien kommen kann, wenn Aufgeschlossenheit der Beteiligten für Vielfältigkeit und Feedback herrscht, kann man auch den umgekehrten Fall erleben: Ideen können missverstanden oder fehlinterpretiert werden, Begriffe und Vereinbarungen werden anders definiert, eigene Interessen werden zurückgehalten oder nicht kommuniziert und dennoch umgesetzt, Macht und Kraft werden demonstriert."
Im Arbeitsprozess zoome ich mich als Kulturagentin raus und beobachte das Geschehen aus der Distanz.
Gemeinsame Auswertung eines Performance Workshops, Gruppendynamische Sabotageakte
Foto: Eva Randelzhofer
Auswertung des Workshops Lebenswelten von Mensch und Tier. Schülersynchronisation von Tierstimmen in der Serie "Pride". Vergleichsebene durch Perspektivwechsel in die Tierwelt.
Foto: Eva Randelzhofer
Die Rolle der Begleitung im künstlerischen Prozess
Für alle Beteiligten ist das Unvorhergesehene im Verlauf von Kunstprojekten eine Herausforderung. Der an einem Projekt beteiligte Künstler Franz Josef Becker empfand insbesondere das unvorhersehbare Verhalten der Schülerinnen und Schüler als Herausforderung: "Schülerinnen und Schüler überraschen Künstler ja auch durch ihre eigenen Vorgehensweisen und ihre Kreativität. Man hat sich dann anstecken lassen als Künstler von dem Fluss, den das Ganze plötzlich bekommt. Überraschend in dem Projektverlauf war, dass sie auf der einen Seite sehr begeisterungsfähig waren, eigene Ideen eingebracht haben. Am nächsten Tag dagegen war das dann ganz plötzlich wie aufgelöst. Man wollte da, wo man aufgehört hatte, weiterarbeiten, plötzlich war alles wie weggebrochen. Man musste wieder bei Null anfangen."
Die am selben Projekt beteiligte Lehrerin Esther Eichenauer beschrieb in einem Interview die Schwierigkeit, die Ergebnisoffenheit eines Kunstprojekts in dem relativ starren System der Schule zu realisieren: "Das war die Hürde, über die man gehen musste in dieser Kombination: Schülerinnen und Schüler, die aus ganz strukturierten Verhältnissen kommen, in diese Freiheit zu entlassen. Dieser Sprung, der war irre groß und den hätte man wahrscheinlich noch stärker begleiten müssen, um ihnen diese Freiheit auch wirklich zu zeigen."
Die Systemdifferenz zwischen Kunst und Schule thematisiert auch Carmen Mörsch und beschreibt "Kunst" und "Schule" als unterschiedliche Systeme, die nach unterschiedlichen Logiken funktionieren. Es gehe dabei weniger darum, die beiden Systeme gegeneinander auszuspielen – im Sinne von: das eine sei ",freier" oder gar besser als das andere"3, sondern sie beschreibt beide als ihren Systemzwängen und spezifischen Handlungslogiken, ihren Zielvorstellungen, Ein- und Ausschlussdynamiken und Wertzuschreibungen unterworfen. Je stärker dabei ein Projekt von Kunst aus agiert und dabei auch bestehende Strukturen thematisiert, so Mörsch, desto mehr würden sie zutage treten.4
In dieser Weise machen alle beteiligten Akteure Lernerfahrungen. Unterschiedliche Erwartungen und Interessen werden ausgehandelt und abseits vom gewohnten Pfad neue Verhandlungsräume geöffnet. Offene Prozesse, die nicht sofort ergebnisorientiert sind, müssen ausgehalten werden. Das macht die Arbeit als soziales Experiment sehr spannend. Diese Lernerfahrungen finden aber nur statt, wenn die Prozesse auch begleitet und wertschätzend evaluiert werden. Welche Rolle kann die Agentin oder der Agent in diesem Geschehen spielen? Mein Tätigkeitsfeld ist in der Antragsphase geprägt von Konzeption und Kuratieren. Verläuft alles wie geplant, ist es in Bezug auf die Autorschaft dann auch mein Projekt? Bin ich Regisseurin oder nur Initiatorin eines nicht steuerbaren Geschehens? Ich sitze in einem Auto und halte mich am Lenkrad fest. Aber das Auto fährt auf Autopilot. Die Frage ist: Was kann ich auf welche Weise steuern? Soll ich überhaupt steuern? Als Agentin bin ich ein Teil des Geschehens und habe so eine Mitautorschaft. Als Prozessbegleiterin bin ich involviert und bestimme den Verlauf mit. Ich bin nun Prozessdesignerin und künstlerische Expertin. Ich gestalte die Dramaturgie der Partizipation und die Choreografie eines Prozesses.
Auch Susanne Bosch benennt bei ihrer Rolle als Künstlerin in partizipativen Projekten die Möglichkeit eines Kontrollverlustes durch Synergieprozesse: "Eine Unsicherheit, an welcher Stelle die Autorschaft oder Autorität oder der Erfahrungsschatz des Künstlers deutlich zum Tragen kommen muss. Die Frage nach der künstlerischen Führungsrolle stellt sich hier immer wieder. Jemand muss den Rahmen stecken, halten oder sogar definieren. Da solche Projekte immer von jemandem initiiert werden, ist immer auch die Frage, welche Rolle der Initiator spielt."5
Mein Anspruch (als Kulturagentin) ist es, über künstlerische Qualität neue Spielräume in Schulen zu öffnen, Künstlerinnen und Künstler mit den "passenden" Arbeitsstrategien oder auch Störpotenzialen über die Kunstgeldprojekte in das Schulgeschehen einzubringen. An dieser Stelle stellt sich die Frage, für wen diese Spielräume passend oder störend sind. Sollen die Künstlerinnen und Künstler mit ihren Arbeitsstrategien eher schulische und rein pädagogische Aufträge erfüllen oder auch Sand im Getriebe sein? Künstlerische Strategien in Schulen können Ressourcen, die nicht wahrgenommen werden, sichtbar machen oder auch erst mal befremdlich wirken. Diese Störpotenziale begreift Carmen Mörsch als Chance; sie sollten ihrer Meinung nach als Motoren und Gestaltungsmomente in der Arbeit genutzt werden.
Stellt mit dem im Raum vorhandenen Mobiliar die größte mögliche Ausdehnung her!
Foto: Philip Horst
Verdichtet das im Raum vorhandene Mobiliar und euch selbst auf die platzsparendste Fläche!
Foto: Philip Horst
Autorschaft als soziale Interaktion
Susanne Bosch unterscheidet in ihrer Arbeit eine sichtbare Ebene, nämlich die sinnliche Erfahrbarkeit und eine unsichtbare Ebene, die Prozesse: "Für mich ist ein ästhetischer Output, eine Form von sinnlicher Erfahrbarkeit, genauso wichtig, wie es die Prozesse sind. Beide Elemente müssen sich aber an verschiedenen Kriterien bemessen lassen."6
In dem Arbeitsmodell der Kulturagentinnen und Kulturagenten entsteht eine Arbeitsteilung in der Autorschaft zwischen ihnen und den Künstlerlinnen beziehungsweise Künstlern. Das Steuern der künstlerischen Qualität, der partizipative künstlerische Output, das ist die Herausforderung an die Kunstschaffenden in Zusammenarbeit mit den Schulakteuren. Die unsichtbare Ebene, die Dramaturgie der Partizipation beziehungsweise die Choreografie eines Prozesses, bespielt die Kulturagentin oder der Kulturagent. Der Prozess der Auswahl der "passenden" Künstlerinnen und Künstler sowie eine gemeinsame Konzeptphase mit Akteuren aus der Schule ähnelt einer kuratorischen Arbeit. Auch hier gestalte ich als Kulturagentin maßgeblich mit. Künstlerinnen und Künstler bringen spezifische Arbeitsweisen, etwas Systemfremdes, einen anderen Blick auf die Ausgangslage und auch andere Wertemaßstäbe mit. Die Frage, wer kuratiert oder wer hat den Hut auf, bleibt allerdings in einer Grauzone. Alle möglichen Varianten können ausgehandelt werden. Multiple Autorenschaften erzeugen keine eindimensionalen Lösungen. Vielstimmigkeit und Partizipation müssen ausgehandelt und auch ausgehalten werden. Da viele teilhaben, entsteht etwas Gemeinsames. Das kann eine besondere Kraft haben und durch den hohen Grad der Identifikation der Einzelnen mit dem Prozess ein Motor für Veränderung sein.
Wenn neue Kontexte erschlossen, offene Lernprozesse bei allen Beteiligten und ebenso auch Irritation ausgelöst, Dinge nicht mehr so einfach kategorisiert und eingeordnet werden können, dann ist das soziale Experiment nach meinen Maßstäben auf der Ebene der Prozessbegleitung erfolgreich. Ein Lernen auf der emotionalen Ebene findet dann statt.
2 Vgl. "Partizipationskunst und Gemeinwesen. Constanze Eckert im Gespräch mit Susanne Bosch", in: Mission Kulturagenten – Onlinepublikation des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen 2011–2015", Berlin 2015.
3 Mörsch, C., a. a. O.
4 Ebd.
5 Bosch, S., a. a. O.
6 Ebd.