Andrea Tiebel-Quast
Klangskulptur und Rakete
Andrea Tiebel-Quast

Klangskulptur und Rakete

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Im Januar 2014 begann für uns, den Musiker Friedrich Glorian und mich, bildende Künstlerin, die Zusammenarbeit mit der 5. Klasse der Werkrealschule Munderkingen im Rahmen des Kulturagentenprogramms. "Mensch – Maschine – Zukunft", so lautete das Thema, das die Schule festgelegt hatte. Für uns hieß das: ein neues Thema, ein neuer Ort, neue Menschen und eine Klasse mit 18 Schülerinnen und Schülern. Schon kurz nach dem ersten Gespräch mit den Kindern war uns klar: Das wird eine spannende Geschichte und … eine Herausforderung für beide Seiten!

Und so war es dann auch: Als künstlerische Kooperationspartner traten wir von außen in die Schule ein und sorgten allein dadurch schon für Impulse, aber auch für – produktive – Unruhe, was sich durch unsere Wahl eigener Gestaltungsmittel, anderer Unterrichtsmethoden und am Kind orientierter pädagogischer Ansätze noch steigerte. Es stand nicht die Schulstruktur oder das System im Vordergrund, sondern einfach der Entwicklungsstand und die Persönlichkeiten der Kinder.

Wir einigten uns mit der Schulleitung auf flexibel zu gestaltende Projekttage. Nach einigen Unterrichtseinheiten stand für die Kinder und uns fest, dass wir eine Klangskulptur aus Schrott erstellen wollten, die in ihrer Grundform an eine Rakete erinnert. Für die praktische Umsetzung bedeutete dies zunächst: Materialbeschaffung! Wir unternahmen also Ausflüge zum Bauhof in Munderkingen. Wir wollten es den Kindern ermöglichen, eigenhändig Schrott und Metallteile, die sie für ihre Skulptur benötigten, herauszusuchen. Auch eine Wanderung in den Wald, um Naturmaterialien zu sammeln, stand auf dem Programm. Besonders spannend schien es für die Kinder zu sein, gemeinsam im Anhänger in den Wald zu fahren und auf die Suche nach Baumstämmen, Tannenzapfen und Moos zu gehen. Alle Trophäen sollten später in die Skulptur integriert werden.

Während der Expeditionen lernten die Kinder, Baumstämme zu zementieren und für Stabilität am Fundament zu sorgen. Dass man beispielsweise mit Mischungsverhältnissen sehr präzise umgehen muss, damit der Zement trocknen und stabilisieren kann, war eine neue Erfahrung. Die Montage der Schrottteile erfolgte in den darauffolgenden Wochen. Dafür organisierten wir für alle einen Einstieg in Schweißarbeiten, damit wir auch in der Lage waren, große Teile zu montieren.

Klangskulptur zum Thema "Mensch – Maschine – Zukunft" der Werkrealschule Munderkingen in Kooperation mit der Jugendkunstschule Biberach
Foto: Karl Philipp Schmitz

Während der gesamten Projektlaufzeit haben wir die Kinder zu eigenständigem Denken und Handeln animiert und sie darin unterstützt. Kreative Denk- und Lösungsansätze, handwerkliche und motorische Geschicklichkeit, Materialerfahrungen und Beobachtungen, Maschinengebrauch und malerische Ansätze waren genauso Thema, wie die sozialen Fähigkeiten in der Teamarbeit auszubauen. Alle durften ihre eigenen Ideen vertreten, und wir halfen bei der eigenständigen Umsetzung. Für viele Kinder war das Verantwortungsbewusstsein für das Gelingen bestimmter Arbeitsschritte, die Rücksichtnahme auf Schwächere, der Umgangston untereinander, beispielsweise in Stresssituationen, aber auch eine Herausforderung. Während des Projekts konnten wir jedoch beobachten, dass anfängliche soziale Problemlagen wie die Ausgrenzung einzelner innerhalb der Gruppe abnahmen. Die Kinder bemerkten, wie wichtig der Zusammenhalt und das Sich-aufeinander-verlassen-Können im Team sind.

Die Stärkung sozialer Kompetenzen war nicht nur ein "Nebenprodukt" der künstlerischen Tätigkeiten, sondern wichtige Voraussetzung und integraler Bestandteil für die spätere Klangskulptur. Die Kinder wurden deshalb im Laufe der Projekttage von Friedrich Glorian in kleineren Gruppen in Rhythmik und im Hören von Musik und Tönen unterrichtet. Sie wurden in die vielfältigen Klänge von Materialien eingeführt und schulten somit ihre Konzentration. Glorian legte viel Wert auf Gruppendynamik und darauf, Rücksicht zu nehmen und ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Seine langjährige Erfahrung, Menschen für Klänge und Rhythmen zu begeistern, führte dazu, dass die Kinder zusehends aufeinander achteten.

Wir haben beispielsweise in Form eines "rhythmischen Diktates" versucht, die Kinder zum Hören zu animieren. Absolute Aufmerksamkeit und Konzentration waren hier gefragt. Nur so konnte die Aufgabe, die von Glorian gespielten Rhythmen auf Trommeln in grafische Linien zu transformieren, umgesetzt werden. Mit bis zu einem Meter verlängerten Pinseln standen die Kinder vor dem Papier, lauschten dem Rhythmus und versuchten mit Tusche die gehörten Impulse umzusetzen. Der Pinsel erzeugte einen nicht zu kontrollierenden Strich, der trotzdem ein ästhetisches Gesamtbild ergeben sollte. Nach einigen Monaten intensiver Arbeit an sozialen Fähigkeiten wie "zuhören können", waren die Kinder in der Lage, sich auf diese für sie schwierige Aufgabe einzulassen und ein Ergebnis zu erarbeiten, das später in eine schulinterne Ausstellung einfloss, die mit der Lehrerin und uns Künstlern gemeinsam erarbeitet wurde. Dieser Prozess fand nach Ende der gestalterischen Arbeiten in der Performance eine besondere Ausdrucksform, von den Kindern getragen und umgesetzt.

Als besonders positiv haben wir es erlebt, dass die Themen, an denen wir künstlerisch mit den Kindern arbeiteten, in anderen Fächern aufgegriffen wurden. Diese Vernetzung von verschiedenen Unterrichtsfächern war nicht nur eine Bereicherung für unser Projekt, sondern auch für die anderen Fächer. Während wir mit der Grundkonstruktion der Skulptur beschäftigt waren, bei der sich die Kinder mit geometrischen Formen befassten, wurde das Thema im Mathematikunterricht vertieft. Auch im Deutschunterricht wurden Parallelen gezogen: Regelmäßig dokumentierten und reflektierten die Kinder dort die vergangenen Projekttage.

Unsere Arbeit an der Schule empfanden wir auch deswegen als gelungen, weil wir von der ersten Minute an als Kunstschaffende in alle logistischen Fragen einbezogen wurden und bis ins kleinste Detail von Sonja Unsöld, der Klassenlehrerin und Karl Phillip Schmitz, dem Kulturagenten, unterstützt worden sind. Alle praktisch Beteiligten sowie Andreas Lachmair, der Schulleiter, und Susanne Maier, Leiterin der Jugendkunstschule in Biberach, ließen uns tatsächlich jede Freiheit in der Umsetzung des Projekts, was für uns in der Arbeit mit den Kindern besonders anregend war.

Es stellten sich so viele positive Auswirkungen auf die sozialen Fähigkeiten der Kinder dar. Zum Teil machten wir die Erfahrung, dass bei ihnen zu Hause kaum Familienrituale vorhanden sind, sie keine Aufmerksamkeit erfahren und Probleme nicht besprochen werden. Lehrkräfte können diese Lücke neben der Vermittlung von Wissen kaum adäquat schließen. Vieles entzieht sich ihrer Kenntnis, allein schon aufgrund der Klassengröße. Die Umsicht und hohe Motivation der Klassenlehrerin, sich der Probleme der Kinder anzunehmen, hat uns hier sehr beeindruckt.

Im zweiten Teil unserer Zusammenarbeit mit der Schule und der Jugendkunstschule, zu Beginn des Schuljahres 2014/2015, erhöhte sich die Schülerzahl von 18 auf 25, was die Arbeit dann doch erschwerte. Es war nicht mehr in allen Projektschritten möglich, die vielen Kinder adäquat in die Umsetzung der Montagearbeiten und kreativen Gestaltung einzubeziehen. In Absprache mit der Klassenlehrerin teilten wir die Klasse daher in zwei kleinere Gruppen, um für eine ausreichende Beschäftigung während der einzelnen Arbeitsschritte zu sorgen. Die Kinder, die gerade nicht im Projekt arbeiteten, wurden von Sonja Unsöld betreut und unterrichtet. Dadurch erhielten sie eine intensivere Förderung in ihren Kernfächern und waren durch das temporäre Mitwirken am Projekt besonders motiviert.

In den folgenden Wintermonaten war ein Arbeiten im Außenbereich nicht mehr möglich, daher setzten wir den Schwerpunkt auf das Gestalten und Vermitteln von künstlerischen Techniken im Raum. Aspekte des Kunstunterrichts wurden in den Bildungsplan eingebunden und am Thema "Mensch – Maschine – Zukunft" orientiert. Die Kinder erprobten ihr handwerkliches Geschick bei Monotypie, Malerei, Spachtelarbeiten, Pappdruck sowie beim Herstellen einer menschengroßen Draht-/Papierskulptur und arbeiteten an ihren Themen weiter.

Im Frühjahr 2015 wurde die Klangskulptur fertiggestellt und der sie umgebende Raum gestalterisch in das Konzept einbezogen. Die Raketenform wurde auch in der natürlichen Umgebung weitergeführt. Trümmerteile, wie sie nach einem Start auf den Boden fallen, stecken nun im Rasen und anderes mehr. Es wurden noch viele Schrottteile von den Kindern montiert und gedrahtet, bis ein voluminöses Gesamtbild entstanden ist, das sich für eine Klangpercussion-Performance eignet. Im Sommer wird das Gemeinschaftswerk bei einer Ausstellungseröffnung der Schulöffentlichkeit übergeben und gezeigt, welche Klangwelten im sozialen Miteinander möglich sind.