Dorothee Bucher
Ich packe meinen Koffer und nehme mit … fünf Erinnerungen
Dorothee Bucher

Ich packe meinen Koffer und nehme mit … fünf Erinnerungen

Im November 2014 erlebte ich den Geschäftsführer von EDUCULT und Experten für Kultur- und Bildungspolitik Michael Wimmer aus Wien mit seinem Vortrag: "… und wie implementieren wir das?"1 bei der 8. Akademie des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen" in Hamburg. Nach nur kurzer Zeit des Zuhörens war mir klar: Das wird der Text, vor dessen Hintergrund ich meine Erinnerungen an die vierjährige Zeit als Kulturagentin reflektieren möchte. Denn besonders Wimmers Ausführungen zu dem "Anderen" imponierten mir sehr. Mit dem sogenannten Anderen sind hier die Akteure der kulturellen Bildung gemeint: Die Schulgemeinschaften einerseits und die Künstlerinnen und Künstler und Kulturinstitutionen andererseits. Für mich als Kulturagentin galt es, die zwei Pole in ihren Welten zu erfassen und in allen gemeinsamen Prozessen auf Augenhöhe zu begleiten. Diese Begegnung auf Augenhöhe kann – so wie es Michael Wimmer in seinem Vortrag darstellte – nur mit einer offenen und sensiblen Haltung gelingen. Eine solche Haltung machte ich mir in meiner Tätigkeit als Kulturagentin zum obersten Arbeitsprinzip.

Davon ausgehend möchte ich anhand von ausgewählten Erinnerungen Aushandlungsprozesse mit gleichberechtigten Partnern darstellen. Im Sinne einer sehr persönlichen Reflexion habe ich dafür einige Beispiele in meinen Kulturagentinnen-Koffer gepackt, wobei mir entsprechende Passagen von Michael Wimmer als Unterstützung dienen. Die Rolle der Kulturagentin empfand ich wie ein neues Kleid, das durch neue Erfahrungen im Laufe der vier Jahre seine Form immer wieder änderte.

Erinnerung 1 – Ein neues Kleid wird entworfen, wie sieht der Schnittbogen dafür aus?

Juli 2011

Schon im Frühjahr stellten sich meine beruflichen Weichen in eine neue Richtung, denn nach 15 Jahren als Kunstlehrerin bewarb ich mich als Kulturagentin. Ich nahm an, dass dies sicherlich einen erfrischenden Perspektivwechsel für mich bedeuten würde, durch den ich ab September nicht nur kulturelle Projekte begleiten, sondern auch die Schule als System von außen sehen werde. Darauf freue ich mich!

Und dann war es also da, mein letztes Projekt als Kunstlehrerin: Interessierte Schülerinnen und Schüler meiner Kunstklassen gestalteten mit mir einen Bauwagen zu einem Zirkuswagen um. Dabei konnte ich besonders intensiv die ablaufenden Prozesse mit dem Fokus auf das Was, das Wer, das Wie, das Womit beobachten. Mir wurden die vielen Aspekte meines Anspruchs an ein gelungenes künstlerisches Schulprojekt bewusst und gleichzeitig festigte sich die nötige Zuversicht für meine Zukunft als Kulturagentin.

Es war mir eine Freude, gar ein Fest, zu erleben, wie alle miteinander nachdachten und werkelten. Dabei halfen die Großen den Kleinen, die Starken unterstützten die Schwachen. Und bei Bedarf kehrten sich diese Verhältnisse einfach mal um. Es war gar nicht von Bedeutung, wie gut jemand Mathematik oder Rechtschreibung konnte. Mit Farbe, Pinsel und Rolle setzten die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Entwürfe forsch oder bedacht um und leisteten sich zudem gegenseitig Hilfe, manchmal von lautstarkem Gelächter begleitet. Und ich musste sie dabei als Pädagogin nicht einmal zur Ruhe ermahnen. Wir waren ja schließlich draußen im Garten, wo Lautstärke tagsüber niemanden interessierte.

Mit all diesen Eindrücken bereite ich mich also im Sommer 2011 auf meine neue Position als Kulturagentin vor. Dabei beschäftigen mich ständig Fragen wie beispielsweise: Werde ich all meine Projekterfahrungen als Lehrerin auf die neue Rolle übertragen und wirklich sinnvoll einbringen können? Beim Zusammentreffen dieser Welten gibt es Schnittpunkte – dessen bin ich mir schon damals auf Grund meiner zahlreichen Schulprojekte in den vergangenen Jahren sicher. Schließlich gab es schon mal vor hundert Jahren den "...Anspruch einer 'mit Kunst durchfluteten Schule'". Damals holte Eugenie Schwarzwald in ihre private Schule "...frühe Kulturagenten in Person von Arnold Schönberg und Oskar Kokoschka...".

Das passt zu einer Erfahrung aus dem letzten Schuljahr vor meiner Bewerbung: Eine Schülertheatergruppe begleitete als Pate eine Tanztheaterinszenierung in Nordhausen. Dafür besuchten uns die Theaterkünstlerinnen und -künstler vor Ort in der Schule, oder wir fuhren in ihr Haus. Die Schülerinnen und Schüler erlernten im Unterricht mit Hilfe dieser Begleitung die Grundschritte des Balletts, übten dann echte Schrittfolgen aus dem Stück ein und besprachen und probierten die Kostüme, besuchten Proben, lernten die Tänzerinnen und Tänzer kennen und erlebten die Premiere in der ersten Sitzreihe. Dieses Erlebnis ging allen unter die Haut. Daraufhin nahmen die Schülerinnen und Schüler im Fach "Darstellen und Gestalten" Tanz als künstlerisches Mittel ganz anders wahr und wandten ihn als zeitgenössische Ausdrucksform für sich selbst an – im eigenen Tun!

Hierzu gefallen mir Wimmers Worte, denen ich nur beipflichten kann: "Ich jedenfalls lerne daraus, dass wir das Rad nicht neu erfinden müssen, sondern uns einreihen (können) in eine lange Geschichte von Bemühungen, der Beschäftigung mit Kunst und Kultur im Rahmen von Bildungsprozessen den Raum zu geben, den sie verdienen."

Aber zum damaligen Zeitpunkt hatte es noch keine Kulturagenten in diesen Prozessen gegeben. Das ist 2011 neu – ihre zwischen Systemen verbindende Sicht und Funktion. Und das fließt mit ein in den Entwurf für mein neues Kleid, eine echte individuelle Maßanfertigung wie in der Haute Couture! Das alte Kleid der Kunstlehrerin mit der vielfältigen Projekterfahrung streiche ich aber in jenem Sommer erst mal in liebevoller Erinnerung glatt, falte es sorgfältig und packe es hinein in meinen Koffer.

Erinnerung 2 – Wie trägt sich das neue Kleid?        

Dezember 2011

Meine Berufsbiografie erweitere und bereichere ich seit Herbst durch eine neue Sicht auf Schule. Ich betrachte die Institution Schule jetzt mit einem Blick von außen, der meine langjährig geprägte Sicht von innen allmählich ablöst. Mein neuer Standpunkt führt die Erfahrungen aus beiden Welten auch da und dort zusammen, das gibt mir ein gutes Gefühl! Hier liegen denkbare Gemeinsamkeiten künftiger Win-win-Situationen.

Ich hoffe schon zu diesem Zeitpunkt, dass alle Beobachtungen, Erfahrungen, Erkenntnisse, verbunden mit den zahlreichen Projekterlebnissen und -ergebnissen der kommenden vier Jahre hoffentlich nicht nur bei mir Spuren hinterlassen werden. Sicherlich können sämtliche Akteure am Ende darüber nachdenken, was die besondere Qualität des Programms ausmacht und die Ergebnisse als eine Voraussetzung für die Entwicklung von Strategien neuer Vorhaben nutzen, im besten Falle auch gemeinsam in neuen Kooperationen.

Die Rolle der Lehrerin verlasse ich mehr und mehr und stelle mich – mit meinen gesamten Erfahrungen im Gepäck – den neuen Herausforderungen. Verständnis und Empathie für verschiedene Sichtweisen werden hoffentlich für alle Beteiligten zum Tragen kommen.

Beim Organisieren der ersten Projekte lerne ich bereits Eigenheiten, Stärken und Schwächen der Akteure der jeweiligen Schule und auch die der Künstlerinnen und Künstler kennen. Sofern von Anfang an die notwendige Zeit vorhanden ist, können mit Fingerspitzengefühl und Transparenz, verbunden mit dem guten Willen aller Akteure, mögliche Missverständnisse auf Augenhöhe geklärt werden. Gelingt dies nicht, was aber eher selten der Fall ist, kann es besser sein, ein Projekt zu beenden. Manchmal passen die Temperamente oder die theoretischen Auffassungen der Akteure nicht zusammen.

Die Anproben für das neue Kleid gelingen. Mit kleinen Stecknadeln fixiere ich die entdeckten Schnittstellen im feinen Tuch und halte sie so zusammen oder nur erst mal fest. Im weiteren Probieren und Taxieren wird dann deutlich, wo feste Steppnähte, mal mit großen, mal mit kleineren Stichlängen, zu vollführen sind. Das Kleid wird durch die Anregungen aller nach Maß geschneidert. Dort wird etwas Naht zugegeben, und hier muss noch einmal aufgetrennt und in einem anderen Abstand neu genäht werden. Kleinere Stichverletzungen gehören in diesem Prozess dazu und verheilen recht schnell.

Am Anfang des "gründlichen" Kennenlernens entstehen das nötige Vertrauen und der Respekt, was sich später in der Zusammenarbeit verdichten lässt und eine wirkliche Grundlage für die Implementierung des Neuen sein kann. Alles in allem: Der Anfang ist gemacht! Meine Position und Rolle an den Schulen werde ich wohl noch längere Zeit immer wieder klären und einfordern müssen, da das Neue sich neben dem Alten festigen soll. In dem neuen Kleid fühle ich mich immer wohler, und manchmal sollte Altes auch weichen!

Erinnerung 3 – Hier und da kneift es mal. Änderungen zeigen Wirkung.

September 2012

Nun bin ich schon ein Jahr lang als Kulturagentin unterwegs und es wird Zeit für ein kurzes Resümee. Meine Gedanken damals: Die Schule als komplexer und dynamischer Lebensraum, der sich von Jahr zu Jahr durch jede neue Schülergeneration verändert und gleichzeitig auf ein gemeinsames Regelwerk in Form von Schulgesetz, Lehrplan und Hausordnung gründet, vollbringt täglich den Spagat zwischen Festhalten und Loslassen, zwischen Tradition und Moderne. Michael Wimmer stellt jedoch fest: "…beides zu wollen, ist ein Ding der Unmöglichkeit." Nein! Das sehe ich ganz anders. Schule leistet das täglich! Es ist also möglich, nur wie machen die das?

Lehrerinnen und Lehrer treffen im täglichen Handlungsdruck in kürzester Zeit zielsicher hoch verantwortungsvolle Entscheidungen. Nun möchte ich als Kulturagentin in der gegebenen Situation sinnstiftend eingreifen und die Aufmerksamkeit auf meine Anliegen als Netzwerkerin und Begleiterin lenken. Das kostet Zeit und fordert zum Umdenken auf. Nicht immer ist es bequem, "… sich in die Niederungen der Interessenskonflikte zu begeben…", für beide Seiten nicht! Kommunikation und Transparenz helfen hier, Vertrauen zu schaffen. Dies müssen jedoch alle wollen. Letztendlich führt uns nur dieser Weg zum Erfolg. Die richtige Balance zwischen den Akteuren immer wieder herzustellen, auch das ist mein Job als Kulturagentin, ähnlich wie der einer Mediatorin.

Wie offen sind oder können die Schulakteure für Neues sein?, habe ich mich gefragt. Was ist ihnen wichtig, festzuhalten oder auszuprobieren? Bei der Klärung all dieser Fragen kann ich als Kulturagentin die Schule gut begleiten. Die Gestaltung und Organisation aller Kunstprojekte basiert auf der Grundlage individueller Bedürfnisse und Ziele einer jeden Schule. Bedingt durch den enormen Zeitdruck verlangen die Schulen dabei fortwährend nach flexiblen Organisationsformen. Daran orientierend packe ich mit den Kulturbeauftragten gemeinsam einen großen Instrumentenkoffer: Er enthält verschiedenste Unterrichtsformate, von der Einzelstunde im Stundenkanon bis zur Projektwoche der gesamten Schule an unterschiedlichsten Lernorten. Hinzu kommt eine denkbar große Bandbreite an künstlerischen Inhalten, die zumeist an den Unterrichtsfächern und/oder den Schüler-Lehrer-Interessen ausgerichtet sind. Dies wird von unterstützenden Akteuren vor Ort und unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten ergänzt und an die finanziellen Rahmenbedingungen angepasst. "Auch die Frage, ob wir mit unseren Aktivitäten in erster Linie eine Verbreiterung unserer Zielgruppen erreichen oder mit bestehenden eine Vertiefung der Auseinandersetzung mit Kunst erreichen wollen, sollte geklärt werden. Immerhin liegt es auf der Hand, dass wir uns je nach Entscheidung unterschiedlicher Zugangsweisen bedienen müssen."

Und nicht zuletzt fließen in die gemeinsamen Planungen zur Organisation Fragen ein, wie: "Geht es uns bei unseren Vorhaben in erster Linie um die Erreichung klar definierter Ziele? Oder sollen möglichst offene Experimentierräume geschaffen werden, die den Akteuren die Mitwirkung an ergebnisoffenen Prozessen ermöglicht? Erwarten wir nachweisbare Belege der Zielerreichung oder sehen wir gerade im Scheitern besondere Lernpotenziale?" Diese Fragen umkreisen Wimmers Denken genauso wie meines damals und heute. Wie viel Partizipation durch wen, wann und wo? Welche Zeit- und Personenressourcen sind möglich und notwendig? Das alles sind Fragen, die im Vorfeld meiner Begleitung für die Schulen mit den Künstlerinnen und Künstlern bzw. Kulturpartnern gemeinsam geklärt werden müssen und sich dann später im jeweiligen Projektprofil widerspiegeln.

Inzwischen verstehe ich mich immer mehr als Netzwerkerin, Kunstvermittlerin und Prozessbegleiterin zwischen zwei Systemen. Die Schule als eigener Kulturort mit der Kunst und Kultur für Projekte zusammenzubringen und temporär, bestenfalls mit nachhaltiger Wirkung zu vereinen, das steht ganz oben auf meiner täglichen Agenda. Es gilt für mich die beiden Systeme zu verzahnen, zu verflechten und zu vernetzen, sodass jede Seite maximale Gewinne in ihrem Tun und in ihren Entwicklungen verzeichnen kann. Die Schnittstellen sind gegeben, alle Beteiligten sind aufgefordert sie zu suchen, zu sehen und nutzen zu lernen.

Ich darf sie in meinem neuen Kleid dabei begleiten! Nur hier und da kneift es mal. Kleine Änderungen – zum Beispiel die jeweilige Sicht aus der Perspektive des Anderen schulen – zeigen ihre Wirkung und dann passt alles wieder!

Erinnerung 4 – In dem Kleid steckt noch viel mehr!

September 2013

Gerne erinnere ich mich an den großen Kraftakt im Juni zurück, an unser erstes Netzwerkprojekt mit allen drei Schulen. In Zusammenarbeit mit einem Berliner Künstler schuf jeweils eine 6. Klasse der Netzwerkschulen gemeinsam mit dem Kunsthaus Erfurt und mir ein äußerst berührendes Setting. Als mittelalterliche Ritter und Jungfrauen in selbst geschneiderten Kleidern und Gewändern zum Thema "1354 – Eine Geschichte aus Liebe und Blut" zogen die Schülerinnen und Schüler mit eigens komponierter Musik und erdichtetem Gesang durch die Altstadt Erfurts zum Kunsthaus. Hier erlebten sie die Eröffnung der Ausstellung, in der ihre Arbeitsergebnisse als Installation und Filmloop für mehrere Wochen neben anderen Kunstwerken zu bewundern waren.

Ein neues, erhabenes Gefühl für alle! Im Gegensatz zum eher üblichen Konsumieren von Kunst und Kultur befanden sich die Schulakteure in einer produktiven und aktiven Situation, die nur in dieser Weise so komplex menschliche Emotionen ansprechen kann. Jeder der jungen Akteure trug ein eigenes, selbst geschneidertes Ritterkostüm oder Jungfrauenkleid mit Stolz und Spaß durch den warmen Sommerabend. Viele der Passanten beäugten abwartend den Zug, der irritierte und so manche Sehgewohnheit im üblichen Straßenbild in Frage stellte. Was für ein Spaß war das! Unverhofft, aus dem Nichts tauchen 60 junge Menschen Fahnen tragend und im Mittelalterkostüm auf, singen ein berührendes Lied von Liebe, Entführung und Tod inmitten der altehrwürdigen Kulisse Erfurts. Zielbewusst bewegen sie sich von Platz zu Platz, begleitet von mehreren Filmern und einem Fotografen.

Das fällt auf, selbst zur immer wiederkehrenden "Langen Nacht der Museen" in der Thüringer Landeshauptstadt. Solche künstlerischen, partizipativen Prozesse, in denen die Ideen der Schülerinnen und Schüler erfragt werden und die sie selbst in Begleitung von Künstlerinnen und Künstlern umsetzen, beeinflussen mit nachhaltiger Wirkung das kollektive Gedächtnis jeder Schule. Natürlich werden dabei auch konträre Meinungen recht intensiv und mit Elan diskutiert und ausgehalten, im Rückblick aber auch von allen als notwendige Entwicklung bewertet. Echte Reibung schafft ja immer Wärme, teilweise mit Funkenflug! Das gilt es auszuhalten.

Nach dieser Erfahrung teilten mir die Theaterlehrerinnen aller drei Schulen ihren Wunsch für das kommende Schuljahr mit: Auch sie möchten mit mir ein gemeinsames Netzwerkprojekt gestalten. Das erkenne ich als einen großen Gewinn für alle an und nehme es zugleich als wichtige Bereicherung in meinen Erinnerungskoffer auf.

Rück- und vorausschauend zwischen beiden Netzwerkprojekten schaffe ich mir kleine Inseln zum Innehalten und Nachdenken. Dabei ergeben sich erneut Fragen. Was kann, soll, muss für diese Prozesse in Schulen und Kulturinstitutionen konkret implementiert werden? Was brauche ich dafür?

  1. Grundsätzlich sind feste Partner wichtig

In der Schule sind das an erster Stelle und unabdingbar die kulturbeauftragte Lehrkraft und eine wirklich positiv unterstützende Schulleitung. Zusätzlich muss eine kleine Gruppe von Mitstreitern die Projektprozesse tatkräftig und kreativ begleiten. Das sind in meinen Schulen zum einen die projektbegleitenden Lehrer selbst und/oder eine schulinterne Kultursteuergruppe. Ähnliches lässt sich für die Kulturinstitution ableiten: Da sind einmal als fester Partner der Künstler oder die Künstlerin und mindestens eine koordinierende Person aus der Institution, die von ihrer Leitung volle Unterstützung haben muss.

  1. Meine Anforderungen an die Arbeitsprinzipien

Ich wünsche mir eine Arbeitshaltung, die von gegenseitigem Respekt und dem Agieren auf Augenhöhe zwischen allen Partnern gekennzeichnet ist. Meine Botschaft dafür lautet: Lasst uns Konflikte nicht mit Machtbewusstsein, sondern mit Verstand lösen. Schulen, in denen bereits ein solcher Umgang gepflegt wird, haben es auch in der Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der Schule leichter. Verhandlungen mit Kulturpartnern können auf der Grundlage von Offenheit und Toleranz stattfinden. Ist dem nicht so, überträgt sich das auf alle Kommunikationsprozesse während des Projekts und erschwert alle notwendigen Verhandlungen.

Meine Erfahrungen zeigen: Funktionierende Kommunikationswege zu schaffen, ist eine zwar schwierige, aber lohnenswerte Aufgabe. Um Vertrauen als Basis einer guten Zusammenarbeit zu erzeugen, ist besonders am Anfang echte Begleitung unerlässlich. Jede Form der Besserwisserei ist hier kontraproduktiv. Es geht darum, die Verschiedenheit der Gedanken und Ansichten zuzulassen, sie auf Augenhöhe mit gegenseitigem Respekt und wachsendem Verständnis für den anderen zu besprechen und mit Bedacht abzuwägen, um anschließend gemeinsam neu denken zu können. Diese Prozesse kosten Zeit, manchmal sehr viel Zeit, da Einstellungen sich nicht von heute auf morgen ändern. Positive Erlebnisse und intelligent gesteuerte Erfahrungen im gemeinsamen praktischen Tun helfen dabei, neue Horizonte im Denken und erweiterte Perspektiven bei allen Beteiligten zu eröffnen. Geduld in der Begleitung und erneutes "Luftholen" für den nötigen langen Atem innerhalb dieser Prozesse sind für mich Garantien für einen lohnenswerten Wechsel der Sicht auf die Dinge. Entwicklung braucht Zeit, nur selten springt der Funke beim ersten Mal über! Aus meiner Erfahrung aber kann ich sagen: Es lohnt sich, durchzuhalten! Lasst uns mit Lust und Optimismus in ein neues Kleid schlüpfen und in den Spiegel schauen! Vieles sieht im Nachhinein sowieso ganz anders aus als erwartet.

  1. Entwicklung durch gemeinsames praktisches Tun

Das Bearbeiten von Problemfeldern bei der Organisation und Durchführung von Projekten unterstützt und stärkt die permanente Balance zwischen allen. Letztere halte ich für unentbehrlich. Hier ist der ausgleichende Einfluss durch mich als Kulturagentin besonders wichtig, da die jeweiligen Akteure dazu neigen, zu sehr im Sinne ihrer Systeme zu handeln.

Der Schnitt und die Stoffauswahl meines Kleides lassen sich weiter variieren. Die Vielfalt der Möglichkeiten ist noch lange nicht ausgeschöpft. In meinem Koffer ist noch viel Platz!

Erinnerung 5 – Was ist wirklich neu am Kleid der Kulturagentin?

August 2014

Nun stehe ich am Beginn des letzten Jahres im Modellprogramm, und die Fragen "Was ist erreicht? Was wird bleiben?" treiben mich um. In allen drei Schulen wurden vielfältige Themen und Inhalte mit verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern aus fast allen Genres mal in traditionellen und mal in zeitgenössischen Kontexten für die Schulprojekte organisiert. Nun gilt es, Gestaltetes zu stärken und Erreichtes zu verstetigen.

Die Kulturagentinnen und Kulturagenten – sind sie nun eine echte Erfindung? Ich kann eindeutig sagen: Ja, sie sind eine neue Erfindung, ganz und gar. Sie sind weder "nur im System Schule" noch "nur im System Kunst und Kultur" verankert, sie bedienen beide Seiten. Das ist das Neue! Sie erfüllen eine Brückenfunktion und befinden sich in einer unabhängigen Position, die ihnen den wichtigen Blick in beide Richtungen erlaubt, was weder von Lehrkräften noch von Kunstschaffenden allein zu leisten wäre. In der Berücksichtigung beider Sphären entwickeln die Kulturagentinnen und Kulturagenten gemeinsam mit den Akteuren thematische Rahmen, schaffen so tragende Verbindungen und führen die Partner zu Kooperationen zusammen. Neben diesen grundlegenden Funktionen übernehmen sie auch den Aufbau und die Pflege von Netzwerken, begleiten vielfältige Prozesse bei der Organisation, Durchführung und Reflexion der Projekte, unterstützen die Schulen beim Schreiben der Anträge und helfen ihnen bei der Finanzorganisation.

Drei Erfahrungen, auf die auch Wimmer in seinem Vortrag hinwies, stellen für mich eine Art Quintessenz meiner Erinnerungen dar:

"… sorgfältige(n) Vorbereitung jeglicher Aktivitäten …"
Die von Wimmer angesprochene Sorgfalt bedeutet für mich die langfristige und gründliche Planung von Projekten und nicht Aktionismus innerhalb kürzester Zeit. Wo viele Akteure aus sehr unterschiedlichen Zusammenhängen gemeinsam agieren, muss Zeit und Raum für gemeinsame Verhandlungen sein.

"…gegenseitig wertschätzende Einbeziehung der unterschiedlichen institutionellen Logiken, Sprachregelungen und Zielerwartungen…"
Im Aushandlungsprozess plane ich diese teilweise beträchtlichen Differenzen ein und versuche sie im Sinne von Win-win-Situationen an die beteiligten Partner zu vermitteln und zusammenzuführen, auch wenn ich dabei hin und wieder als Projektionsfläche für Meinungsverschiedenheiten diene. Nach erfolgreichem Abschluss der Projekte mit lohnenswerten Erlebnissen und Ergebnissen gleichen sich solche Unebenheiten oftmals aus und können als positive Erfahrung des Einzelnen und als nötiger Entwicklungsschritt zur Förderung einer gemeinsamen Sache fortwirken.

"…künftige gemeinsame Vorhaben zugunsten der jungen Menschen nachhaltig zu begründen…"
Das ist wohl das Allerwichtigste. Möglichkeiten mit kreativem Anspruch für junge Menschen schaffen, ohne Gängelei, sondern als Experimentierraum auf dem Weg ins eigene, selbst bestimmte Leben. Diese Chance gehört jedem!

Nach all diesen Erfahrungen und Reflexionen stelle ich eindeutig fest: Mein neues Kleid ist eine echte Innovation, und es passt mir hervorragend!