Kristin Haug
Menteroda: Die andere Seite der Schüler
Kristin Haug

Menteroda: Die andere Seite der Schüler

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Fotograf Matthias Ritzmann bringt den Schülerinnen und Schülern der Regelschule in Menteroda bei, sich zu inszenieren und zu fotografieren. Der Fotografie-Workshop ist nicht nur Kulturereignis an der Schule, sondern, deckt auch geheime Talente der Schülerinnen und Schüler auf, findet die Kulturbeauftragte Heike Cott.

Felix ist an diesem Tag für ein paar Stunden nicht mehr Felix. Und Michelle ist nicht mehr Michelle. Michelle hat Felix einen weißen und einen schwarzen Strich über das Auge gesetzt. Sie hat ihm die Hände schwarz gemalt. Und Felix hat sich ein Indianerkostüm angezogen. "So lange ich denken kann, mochte ich schon Indianer", sagt er. Felix ist 14 Jahre alt und geht in die 9. Klasse der Staatlichen Regelschule in Menteroda. Er hat sich an diesem Tag im September ebenso wie Michelle verkleidet und geschminkt: Ein Fotografie-Workshop findet in der Schule statt und der Dozent hat ihnen vorgeschlagen, sich etwas auszudenken für die Fotos. Sich zu inszenieren.

Menteroda ist ein kleiner Ort im Norden Thüringens. Mühlhausen ist nicht weit. Nordhausen auch nicht. Aus Mühlhausen kommt Pflaumenmus und Nordhausen ist für seinen Doppelkorn bekannt. Felix und Michelle sind befreundet. Michelle hat sich für diesen Tag eine schwarze lange Bluse von ihrer Oma ausgeliehen und eine Kette um den Hals gelegt, an der ein Kreuz hängt. Mit einer großen Brille sieht Michelle aus wie eine Nonne. Alles nur für die Fotos. Felix und Michelle interessieren sich für Kunst, Kultur und Fotografie. Aber viel davon gibt es nicht in der Region.

Heike Cott engagiert sich dafür, dass es ein bisschen mehr davon gibt. Sie unterrichtet Deutsch und ist die Kulturbeauftragte der Regelschule. Auf 110 Schülerinnen und Schüler kommen hier 14 Lehrerinnen und Lehrer. Die Schule ist einzügig, das heißt von jeder Klasse gibt es nur eine. Eine fünfte, eine sechste, eine siebte, achte, neunte und eine zehnte Klasse. "Die jungen Leute ziehen alle weg", sagt Heike Cott. Sie ist 52 Jahre alt, sieht aber viel jünger aus und lacht sehr viel. "Die Schule hat hier einen größeren Stellenwert als in großen Städten", sagt sie. Vieles spiele sich hier vor Ort ab, jeder kenne sich und wenn einmal ein Fest sei, kämen alle her. Die Schule und der Ort – sie seien eng miteinander verbunden.

Kulturell wird nicht viel geboten

Für die Jugend gibt es in Menteroda kaum Angebote. Ein Jugendclub. Eine ganze Reihe Vereine. Kulturell ist nicht viel los. Cott freut sich, dass es das Kulturagentenprogramm an der Schule gibt. Sie ist Kulturbeauftragte, weil Kultur auch ihr Hobby ist. Sie setzt sich gern dafür ein, möchte, dass die Kultur die Menschen näher zusammenbringt.

So wie durch den Fotografie-Workshop, der von Freitag bis Sonntag an der Schule stattfindet und den die Lehrerin mit betreut, obwohl eigentlich Wochenende ist. "Hier lerne ich die Schüler von einer ganz anderen Seite kennen", sagt sie. Heike Cott meint zum Beispiel Leonie Schmidt damit. Die 15-Jährige hatte am Vortag gezeigt, was sie in ihrer Freizeit alles schon fotografiert hat. Ihre Bilder bearbeitet sie bereits äußerst professionell am Computer. "Ich hätte nie gedacht, dass sie so tolle Fotos machen kann", sagt Cott.

Fotos: Kristin Haug

Matthias Ritzmann hat die Aula der Schule an diesem Wochenende zum Fotostudio umfunktioniert. Er ist der Dozent an diesem Wochenende. Der Fotograf hat an der Burg Giebichenstein in Halle studiert und ist nach dem Ende des Studiums vor fünf Jahren in der Saalestadt geblieben. Mittlerweile fotografiert er unter anderem für die Fotoagentur Corbis und unterrichtet Fotografie. Kindern beizubringen zu fotografieren, sei nicht wesentlich anders, sagt Ritzmann. "Sie sind nur ein bisschen schüchterner."

Bilder, die in Hochglanzmagazinen erscheinen könnten

Ritzmann hat in Halle Vereine fotografiert. Sportvereine, Opelfanvereine, Fußballvereine. Eigentlich wollte er auch die Schüler aus Menteroda Vereine fotografieren lassen. Doch erst mal sei es wichtig, ein bisschen Theorie zu kennen und die Technik zu beherrschen. Deswegen inszenieren und fotografieren sie an diesem Tag ihre Freunde – oder Lehrer. So wie die Schülerin Paola, die an diesem Nachmittag vor ihrer Lehrerin, Frau Cott, steht und ihr Anweisungen gibt: "Frau Cott, Sie müssen böse gucken!" "Kann ich nicht", sagt Frau Cott. Paola drückt auf den Auslöser der Kamera, an der ein Ringblitz befestigt ist. Der Blitz lässt das Gesicht der Lehrerin hell und glamourös erscheinen. Es entstehen Bilder, auf denen Frau Cott dann doch ein bisschen böse aussieht. Bilder, die auch in Hochglanzmagazinen erscheinen könnten, so professionell kommen sie daher.

Matthias Ritzmann motiviert und gibt mit ruhiger Stimme Tipps, wie man besser fotografieren kann: "Man darf das Model nie verhungern lassen" und meint damit, das Model sollte immer Spaß beim Shooting haben. Oder: "Geh ein Stück nach hinten, dann ist die Gitarre noch mit drauf." Er fragt sich, ob er seinen Ansatz richtig gewählt hat. Porträtfotografie? Doch, die Schüler sind begeistert, überlegen schon nebenbei, welche Fotos sie als Facebook-Profilbild einstellen können.

Es ist Nachmittag geworden und Felix trägt nicht mehr das Indianerkostüm. Sein Gesicht sieht noch immer ein bisschen blau aus, denn Michelle hat ihn nicht nur als Indianer, sondern auch als blaues Monster geschminkt. Matthias Ritzmann, Heike Cott und die Schüler schauen sich nun die Ergebnisse an. An eine Leinwand projiziert der Fotograf die Bilder und diskutiert mit den Jugendlichen, welche Fotos am gelungensten sind und später noch bearbeitet werden sollen.

Eine gute Vernetzung und frühe Absprachen

Auch Kulturagent Thomas Kümmel hört aufmerksam zu. Kümmel wohnt in Halle und pendelt zu den Schulen, in denen er tätig ist. Allesamt liegen sie im Norden Thüringens: Menteroda, Hüpstedt, Rodeberg. Nach zwei Jahren, sagt er, sei gefühlt nicht die halbe Zeit erreicht, sondern Aufbruchsstimmung liege in der Luft. Es habe ein bisschen gedauert, bis er einschätzen konnte, was die Schulen eigentlich wollten und welche Aufgaben jeder zu erfüllen habe. Doch nun seien die Lehrer mit vollem Elan bei der Sache.

Um Kunst- und Kulturprojekte so erfolgreich wie möglich an die Schulen zu bringen, hat Kümmel sein eigenes Konzept. Er setzt auf eine gute Vernetzung und frühe Absprachen. Auf Facebook hat er eine Gruppe gegründet, um intensiver mit den Schülern zu kommunizieren. Früh bringt er Lehrer und Künstler in Kontakt, damit sie sich vor dem Start der Projekte kennenlernen können. Das sei sein Erfolgsrezept, sagt Kümmel.

Und wie soll es in Zukunft weitergehen? Der Kulturagent hat die Lehrer schon darauf vorbereitet, später einmal selbst Projekte zu beantragen. "Wenn die Partner klar sind, dann bitte ich die Lehrer die Ziele und den Ablauf vorzuformulieren." Er hilft ihnen, die Anträge so zu schreiben, dass sie zum Projekt passen und geht fest davon aus, dass die Lehrer auch allein Projektanträge stellen werden, wenn das Kulturagentenprogramm in zwei Jahren ausläuft.

Doch nun steht erst einmal das zweite Wochenende des Workshops an. Dabei werden die Schüler mit einer guten theoretischen Grundausbildung ausgestattet einen Schritt weiter gehen und das fotografieren, was ihre Heimat noch prägt: Die Vereine.