Carsten Cremer, Nora Sternfeld
Spielregeln der Partizipation – Ein Gespräch mit Nora Sternfeld
Carsten Cremer, Nora Sternfeld

Spielregeln der Partizipation – Ein Gespräch mit Nora Sternfeld

Der Kulturagent Carsten Cremer im Gespräch mit Nora Sternfeld über die Partizipation und Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern in Kunstprojekten, Schülerkunstwerke und neoliberale Aspekte in der kulturellen Bildung.

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Carsten Cremer: Nora, als Kunstvermittlerin, Kuratorin und Mitbegründerin von trafo.K arbeitest du seit 1999 an Forschungs- und Vermittlungsprojekten an der Schnittstelle von Bildung und Wissensproduktion.1 Teilhabe ist dementsprechend oft ein zentrales Thema deiner Forschung. Dein Text "Um die Spielregeln spielen"2 beschreibt unter anderem die Stärke von offenen Prozessen, wenn es um Partizipation geht. Du schlägst vor, "Partizipation nicht als bloßes ,Mitmachen" zu begreifen, sondern als eine Form der Teilnahme und Teilhabe, die die Bedingungen des Teilnehmens selbst ins Spiel bringt"3. Dein Text thematisiert Möglichkeitsräume im Museum, Räume des Unerwartbaren, in denen die eigentliche Partizipation stattfindet. Kann man diese transformativen Räume auch in Schule finden? Anders gefragt: Ist es deiner Meinung nach möglich, im Organisationssystem Schule um die Spielregeln zu spielen?

Nora Sternfeld: Für mich ist es wichtig, dass um die Spielregeln gespielt wird, wenn von Partizipation die Rede ist. Einerseits ist der Gedanke der Partizipation sehr wichtig, da er demokratische Potenziale im Museum und auch in Schule sichtbar macht beziehungsweise hinterfragt. Andererseits bin ich leider auch sehr enttäuscht, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass immer, wenn von Partizipation die Rede ist, eigentlich von Neoliberalisierung gesprochen wird, also Neoliberalisierung erfahren wird …

Schülerinnen und Schüler lernen, Probleme zu lösen, sie verlieren aus dem Blick, die Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen …

Genau. Wenn wir jetzt über das System Schule reden, glaube ich, dass das Verhältnis von Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern in der Schule extrem wichtig fürs Lernen ist, weil es in gewisser Weise ein Übertragungsverhältnis darstellt. Nicht wie in der Psychoanalyse, aber es ist ein Verhältnis, in dem es möglich wird, jemand anderem ein Wissen zu unterstellen, sich dazu zu positionieren und sich somit zu entwickeln. Ich halte es für eine sehr beängstigende Entwicklung, wenn dieses Verhältnis nicht mehr gelebt werden kann, sondern jeder zum Agenten/zur Agentin seiner/ihrer eigenen Bildung werden muss. Als Konsequenz können die Schülerinnen und Schüler nur noch böse auf sich selbst sein, nicht mehr auf den Stoff, die Lehrenden usw. Zusätzlich muss er oder sie zusammen mit dem Lehrer oder der Lehrerin zur Development Discussion einmal im Jahr. Ungefähr ab der Grundschule müssen die Schülerinnen und Schüler ihre Stärken und Ziele kennen. In diesem Übertragungsverhältnis wird die Lehrerin/der Lehrer zum Consulter. Und ein ganz wichtiger Teil vom Lernen und von der Schule, nämlich die Emanzipation, die durch eine Wut auf den Unterrichtsstoff und auf die Lehrenden entsteht, ist nicht mehr möglich. Um diese Möglichkeit zu haben, muss um die Spielregeln, die in der Schule herrschen, gespielt werden dürfen.

In Schule überlagern sich zwei Lehr- und Lernverhältnisse: ein Verhältnis des Wissenstransfers und eines, das durch einen starken demokratischen Partizipationsbegriff geprägt ist. Ist das ein Entweder-Oder, ein Sowohl-als-Auch? Sollte man diese Verhältnisse lieber zyklisch denken, dass jedes "seine Zeit" beziehungsweise seine Berechtigung hat?

Eher zyklisch: Teilhabe der Schülerinnen und Schüler an allem ist nicht immer überall notwendig: Man muss sehen, ob nicht auch andere Lehr- und Lernverhältnisse ihre Stärken haben. Das soll kein Plädoyer für Autorität sein; im Gegenteil ist es ein Plädoyer für eine emanzipatorische, pädagogische Beziehung.

Wenn also Künstlerinnen und Künstler als Externe an die Schule kommen, ist es meistens ihre Absicht, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit einer künstlerischen Erfahrung zu bieten. Sind die Projekte, die sie zusammen machen, eher temporäre Auszeiten beziehungsweise Pausen des normalen, das heißt des anerkannten Lehrverhältnisses? Und am Ende verpuffen sie als schöne Erinnerung?

Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich glaube, das sind sehr wichtige Momente in der Schule. Ich glaube, dass sich Schülerinnen und Schüler sehr lange an eine künstlerische Erfahrung erinnern können, manche vergessen sie schnell, vielen bringt sie nichts, für wenige kann sie sehr, sehr viel bedeuten.

Erhalten Schülerinnern und Schüler die Möglichkeit, beispielsweise bei der Entwicklung von Projekten mitzubestimmen oder selbst zu bestimmen, verstummen sie oft und sind mit dieser Situation überfordert. Da braucht es Geduld und vor allem Vertrauen in das Projekt. Vonseiten der Schule heißt es allerdings oft: Die Schülerinnen und Schüler brauchen neben der Form auch Vorgaben für den Inhalt. Mir scheint, dass damit aber häufig Verhandlungsräume von Anfang an dicht gemacht werden.

Mir ist sehr wichtig, Erfahrungen in der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern nicht immer sofort zu deuten, sondern zu versuchen zu verstehen, was da eigentlich passiert, was sozusagen auf dem Spiel steht. Wir müssen auch anerkennen, dass wir, wenn wir mit trafo.K eingeladen werden, beispielsweise in Berufsschulen einen Queer-Workshop zu machen, dass wir auch Agenten eines Herrschaftsdiskurses sind, den wir in die Schule hineintragen. Und aus dieser Perspektive werden Widerstände seitens der Schülerinnen und Schüler durchaus verständlich. Man muss diese anerkennen und damit arbeiten. Selbstkritisch muss man sagen, dass wir mit unserer künstlerischen Arbeit auch jene Herrschaftsdiskurse unterstützen, denen wir mit unserem Anspruch, um die Spielregeln zu spielen, eigentlich kritisch begegnen wollen.

Wie kann man diesen Herrschaftsdiskurs thematisieren beziehungsweise damit arbeiten? Das Thema ist ja wichtig …

Indem man in der Konzeption des Workshops auf ein breiteres Verständnis von Solidaritäten setzt, das auf der Basis von Ungleichheiten und Ungerechtigkeitserfahrungen erwächst und das auch den Schülerinnen und Schülern bekannt ist, wenn auch aus anderen Zusammenhängen. Dieses Verständnis muss man zum Ausgangspunkt machen. Gleichzeitig bedingt die Solidarisierung mit denjenigen, die Ungerechtigkeiten erfahren, natürlich eine berechtigte Skepsis gegenüber dem Projekt, das wir in die Schulen hinein tragen. Das ist ein wirklich problematischer Aspekt eines Projekts.

Oft brauchen Künstlerinnen und Künstler, die Lehrerschaft und die Schülerinnen und Schüler genau an dieser Stelle eine Vermittlerin: die Kulturagentin/den Kulturagenten, die/der genügend Raum für neue Erfahrungen in der Zusammenarbeit von Künstlern und Schule lässt.

Hier werden Aushandlungsprozesse wichtig, die unbedingt moderiert werden sollten. Aber auch hier sollten wir nicht vorschnell deuten. Widersprüche müssen, wenn sie auftauchen, ganz im Sinne der Kontaktzonen James Cliffords gesehen werden …

… der beispielsweise Museen als Contact Zones beschreibt, in denen (postkoloniale) Machtverhältnisse immer mit thematisiert werden sollten.4 Trotzdem: Die Auseinandersetzung mit Inhalten auf Augenhöhe ist in Schule letztlich oft nur im Projektkontext möglich. Ungleichheiten bestimmen schnell den Alltag der Schülerinnen und Schüler. Teilhabe ist wieder nur temporär möglich …

Die Frage ist: Wie schaffe ich einen Raum, der offen ist und gleichzeitig Grenzen hat? Es gibt Spielregeln, die auf den Tisch müssen, denn sie sind diskutierbar. Aber auch nicht absolut diskutierbar. Das ist das Paradoxe an Demokratie, dass sie nur soweit demokratisch ist, solange sie sich nicht selbst abschafft – das ist ein absurder Widerspruch. Wir sagen, wir machen, was die Schülerinnen und Schüler wollen, sie können mitbestimmen. Aber kaum wollen sie etwas, was wir nicht wollen, geht das nicht.

Und wenn man die Regeln transparenter macht und sagt: Das sind die Regeln, um die wir nicht spielen!?

Von Anfang an sollte man sich und den anderen klarmachen, dass Offenheit und Schließung keine Gegensätze sind, sondern zusammengehören.

Aber die Disziplinarlogik beruht doch gerade auf dem Nichthinterfragen der bestehenden Ordnung …

In meiner Arbeit mit Schule habe ich sehr stark die Erfahrung gemacht, dass zwei durchaus problematische Logiken aufeinandertreffen: die Disziplinarlogik der Schule mit all ihren Hierarchien und Entscheidungen, mit ihren Prüfungen, Noten und komischen Spielchen. Und dann ist da unsere Logik, nämlich die neoliberale Logik des Projekts mit ihrer ganz eigenen Herstellung von Effektivität und Produktivität durch permanente Mobilisierung von allem. Werden diese beiden Logiken nicht produktiv, sondern destruktiv verbunden, wird zum Beispiel permanente Produktivität benotet und somit Druck ausgeübt. Dann wird ein Scheitern auf Kosten der Schülerinnen und Schüler entstehen. Deswegen ist es falsch, ein Projekt aufzusetzen und damit anschließend in die Schule zu gehen. Es ist viel besser, Projekte mit Lehrenden gemeinsam zu konzipieren, um diese beiden Logiken von Anfang an produktiv gegeneinander auszuspielen, sodass sie sich auf beiden Seiten etwas enthebeln lassen.

In meiner Arbeit als Kulturagent war es mir sehr wichtig, "unproduktive" Zeiten in die Abläufe der Projekte zu integrieren. Ich meine sogar, dass das eine notwendige Bedingung für ein gutes Projekt ist, damit es möglichst viele Beteiligte als gelungen bezeichnen. Das ist häufig das Gegenteil von "best practice", dennoch wird hier Unproduktivität zum Katalysator für Produktivität.

Da sitzen wir im selben Boot! Aber ich frage mich, aufgrund welcher Allianzen und Zufälle, Kontingenzen und Tricks ich etwas einweben kann? Ist es möglich, Strategien zu finden, die eine andere Zeitlichkeit oder auch eine andere Politik, eine andere Freiheit erlauben? Mit trafo.K analysieren wir unsere Projekte sehr ehrlich. Auch dann, wenn wir sie auf Tagungen vorstellen. Aber nicht im Sinne der Optimierung, sondern um besser zu verstehen, was in den Projekten eigentlich vor sich gegangen ist. Oft ist viel Widersprüchliches passiert. Oft ist ganz anderes geschehen, als man es selbst glaubte. Aber wir sind absolut gegen "best practice", weil wir glauben, dass unsere Arbeit an dem Tag, an dem sie "best practice" wird, verloren ist. "Best practice" hat eine ganz bestimmte Funktion: Sie hierarchisiert und normiert.

Die Normierung macht die Bewertung einfacher. Und Bewertung schafft Konkurrenz. Das gilt für das Verhältnis zwischen Schülerinnen/Schülern und Lehrerinnen/Lehrern, aber auch für das Verhältnis von Lehrerinnen/Lehrern und Künstlerinnen/Künstlern. Und nicht zuletzt auch für Schulen untereinander.

Genau, das wäre die Frage: Können wir – und damit meine ich prekäre Vermittler, freie Kuratorinnen, "Public Programmer", neue selbständige Kulturarbeiterinnen und so weiter, aber durchaus auch als Lehrende in neoliberalen Institutionen, die ständig Unsicherheit und Kompetitivität erleben – entgegen dieser Konkurrenz andere Strategien für die Art unserer Zusammenarbeit entwickeln? Strategien, die dann wahrscheinlich allen mehr nützen? Das könnten Solidaritäten sein, aber es könnte auch nur sein, dass man sich miteinander verbindet. Ich finde das so lustig: Wir wissen alle, dass wir in diesen Strukturen arbeiten und dass wir zu Ich-AGs werden, die kein symbolisches Kapital akkumulieren können, weil keine Netzwerke wirklich halten. Aber warum bestehen sie nicht? Warum kommt alles zusammen und geht dann wieder auseinander? Das wiederholt sich die ganze Zeit. Und wie könnte es gelingen, dass irgendetwas von diesen Netzwerken bestehen bleibt, dass etwas anhält?

Die neoliberale Logik hat schon längst die Schulen erreicht. Bildung wird zu einer Ware, die Qualität der Bildung zum Distinktionsmerkmal. Für gelungene Projekte kultureller Bildung kann man Preise gewinnen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass solche Preise den Stellenwert der kulturellen Bildung und nicht zuletzt auch meiner Arbeit aufgewertet haben. Abgesehen davon, dass die Qualität des Projekts absolut situationsabhängig und dementsprechend nicht übertragbar ist, sind die Kriterien solcher Preise nicht transparent.

Genau das meine ich. Die Kapitalisierung der Bildung ist überall gegenwärtig. Wieso muss man einen Preis für kulturelle Projekte gewinnen? Wieso müssen Schülerinnen und Schüler eigentlich immer um einen Preis antreten? Das hierarchische Notensystem der Schule wird später durch das hierarchische System von Ausschreibungen, Open Calls, Preisverleihungen und was weiß ich nicht alles ersetzt. Abgesehen davon, dass diese Hierarchisierung sehr früh in der Schule stattfindet, ist ja nichts weniger disziplinierend, hierarchisch, ausschließend als die klassische Schule. Im Gegenteil, sie funktioniert nach der Logik der Ökonomisierung.

In deinem Text "Verlernen vermitteln"5 schreibst du, wie wichtig es ist, sich mit Machtverhältnissen in Hinblick auf ihre Veränderung auseinanderzusetzen. Du zitierst Gayatri Spivak, die in diesem Zusammenhang den Begriff "Unlearning" nutzt, um Machtverhältnisse aktiv zu verlernen. Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und zu verlernen, stelle ich mir besonders bei Lehrenden schwierig vor. Oft höre ich in Lehrerzimmern von mangelndem Respekt. Da wird der aufregend-lustvolle Prozess der Überschreitung und des Abarbeitens der antrainierten Sicherheiten schnell zum Macht- und Autoritätsverlust.

Es ist natürlich logisch, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr verlernen müssen, weil sie die Instanzen sind, die diese Machtverhältnisse einüben und auch deswegen eingeübt haben, damit andere sie einüben. Das verlangt ein Metaverlernen und ist dementsprechend sehr schwierig, besonders in den Institutionen. Es gibt in jeder Schule, in jeder Lernsituation, Leute, die verlernen, weil sie fest davon überzeugt sind, dass Bildung nicht nur eine Herrschaftstechnologie ist, sondern auch eine Befreiungstechnik. Wenn ich davon überzeugt bin, dann muss ich mich eben der Frage stellen: Inwieweit legitimiere ich gerade diese bestehende Herrschaft oder inwieweit kann ich daran arbeiten, sie infrage zu stellen? Wenn ich mir diese Fragen stellen will, dann hat das etwas mit Verlernen zu tun. Und das kann man nie alleine, aber man ist auch nie allein.

Das Gleiche gilt für Künstlerinnen und Künstler, auch sie müssen sich positionieren. Und auch der Kulturagent muss sich fragen lassen: Wie setze ich den Anspruch des Programms "Kulturagenten für kreative Schulen" um, Kindern und Jugendlichen die Teilhabe an Kunst und Kultur zu ermöglichen. Teilhabe durch kulturelle Bildung ließe sich definieren als Möglichkeit, einen Gegenstandpunkt einnehmen zu können …

Ja, aber die Frage ist: wessen Teilnahme, wessen Teilhabe? An sich ist ja gegen Teilhabe nichts einzuwenden, im Gegenteil. Ich glaube, das Gute an Kunst ist, dass sie nicht die gesellschaftliche Funktion verfolgt, inklusiv zu sein. Künstlerische Strategien haben ja nicht wie die Schule die Funktion, alle in die Gesellschaft einzugliedern, sondern sie haben eine andere Funktion in der Gesellschaft. Sie sind vielleicht sogar ein Ventil, Dinge zu sagen, die überhaupt nicht gesagt werden können, oder politische Fragen zu stellen, die woanders nicht gestellt werden. Das ist auch eine Chance. Aber nicht, weil wir das jetzt mit einer kompletten, ja, moralischen Vorstellung verknüpfen, mit dem Bild einer bestimmten Persönlichkeitsentwicklung. So verliert Kunst natürlich an Schärfe. Was mich eher an dieser Arbeit zwischen Kunst und Bildung interessiert, sind die Zwischenräume und an welchen Stellen es vielleicht doch heterogen und schwierig wird und wo eben Widersprüche auftauchen. Diese Widersprüche sind es, die uns ja eigentlich an Kunst interessieren.

Kannst du dir, auf Schule bezogen, einen festen Ort für die Kunst vorstellen, an dem sie wirkt und nicht nur integriert wird? Schülerkunst scheint immer noch eine Nischenkunst zu sein. Entweder wird sie in den Schulen lieblos und ohne Konzept an die Wand gepinnt, oder sie fungiert als Pausenprogramm.

Das ist ein interessanter Anspruch, dass Schülerkunst einen eigenen Ort haben sollte, das gefällt mir. Die Idee, dass Schülerinnen und Schüler auch Kunst machen, die ausgestellt werden kann, hat ja auch eine lange Tradition. Lustigerweise haben wir mit trafo. K das nie verfolgt. Bisher haben wir gesagt, wir machen schon einen Unterschied zwischen der Kunst, die Künstlerinnen und Künstler machen, und künstlerischen Strategien, die Schülerinnen und Schüler anwenden. Wir haben das "Strategien" genannt, weil wir einen Zugang haben, der sich weniger dafür interessiert, Kunst als Ausdruck zu titulieren, sondern daraus eine Strategie zu machen: eine Strategie, um zu hinterfragen, zu stören, zu verlernen. Aber auch eine Strategie, um Spaß zu haben, etwas miteinander zu machen, vielleicht auch eine Strategie, um subversiv zu sein, oder auch eine Strategie, wie du es vorhin gesagt hast, um Unterricht anders zu denken. Uns geht es nicht darum, dass wir Kunst machen. Sondern uns geht es darum, dass Jugendliche das machen, was sie wollen, und dabei künstlerische Strategien anwenden, wenn ihnen das für das, was sie wollen, sinnvoll erscheint. So haben wir die Zusammenarbeit mit Schulen immer angelegt und ausgelegt. Dadurch haben wir das Gefühl gehabt, es sind alle freier, weil die Kinder und Jugendlichen keine Künstler sein müssen: Sie können Schüler sein oder was auch immer sie sein wollen.

Müsste dann nicht auch die Autorenschaft bei den Schülerinnen und Schülern liegen?

Total. Und deswegen finde ich deine Idee sehr stark, die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler einfach Schülerkunst zu nennen, weil dann klar ist, dass diese mit einer Autorenschaft ausgestattet ist. Denn alle, die an einem solchen Projekt beteiligt sind, sind Autorinnen und Autoren, was wiederum die Funktion hat, dass sie Urheberinnen und Urheber sind. Das heißt auch, dass sie alle in die Ökonomie dieser Produktion mit gleichem Recht eingebunden sind. Alle haben einen Namen, alle machen das, was sie machen. Ob man sie unbedingt Künstler nennen muss, davon bin ich noch nicht ganz überzeugt, darüber muss ich noch nachdenken.

Schülerinnen und Schüler sind in diesem kollaborativen Prozess zumindest Teil einer relevanten künstlerischen Praxis, die oft als "educational turn" in den Künsten bezeichnet wird. Ich habe das Gefühl, dass dieser "turn" immer wichtiger wird, und ich frage mich warum? Warum ist Kunst als Pädagogik so angesagt?

Es gibt seit den 1980er Jahren eine gesellschaftliche Abwertung von Pädagogik. So scheint es etwa schon an der Universität eine deutliche Unterscheidung zwischen einer vermeintlich "echten" Kunst und der Kunstpädagogik, zwischen echter "Philosophie" und ihrer schulischen Tradierung, zwischen Geschichte oder Mathematik als Wissenschaft einerseits und als Lehrgegenstand andererseits zu geben. Die Hierarchien sind in der Accademia und im gesellschaftlichen Diskurs spürbar. Aber warum? Sollten Forschung und Lehre nicht vereinbar sein, nicht produktiv zueinander wirken? Um die Hierarchie zu verstehen, schlage ich vor, die konstruierte Differenz mit der feministischen Unterscheidung von Produktion und Reproduktion zu fassen – in diesem Fall von Wissen. Die Reproduktion des Wissens wird gesellschaftlich abgewertet. Das zeigt sich übrigens auch darin, dass die schulische Lehre in vielen Fächern ein feminisierter Bereich ist. Und vielleicht hast du Recht, dass das auch für die Kunst zutrifft, dass, sobald sie in diese Bildungszusammenhänge kommt, weniger symbolisches Kapital da ist.

Eventuell kann eine neue Ausstellungspraxis dieses Missverhältnis aufgreifen, in der sich diese Themenfelder wiederfinden.

Es macht total Sinn, darüber nachzudenken. Wie kann die Ausstellung dieser Zusammenhänge genauso ernst genommen werden wie die künstlerische Arbeit selbst. Mir sind im Ausstellungskontext neben den visuellen auch die analytischen Fähigkeiten beziehungsweise die Verbindung von räumlichen, visuellen und analytischen Fähigkeiten wichtig: Machtverhältnisse im Raum zu denken, zu benennen, zu verschieben und so weiter. Und das würde ja heißen, dass eine Ausstellung genau mit diesen sehr wichtigen kuratorischen Fragen arbeitet.

In der Theorie klingt das so einfach: Alle forschen, alle lernen, alle sind Künstler. Aber alle machen dies unter unterschiedlichen Bedingungen, in unterschiedlichen Diskursen, unter unterschiedlichen Machtverhältnissen. Tut man aber so, als ob alles gleich wäre, würde das nicht die Unterschiede zwischen professioneller Kunst und Schülerkunst nivellieren?

Und ich frage: Was ist eigentlich ein Ausstellungsraum in der Schule? Ausstellungsräume verstehen sich zunehmend als postrepräsentative Foren. Jetzt werden Ausstellungsräume zu Foren, und Schulen bauen Ausstellungsräume. Und Ausstellungsräume werden zu Lernräumen, und ein Lernraum baut einen Ausstellungsraum: Wie gehen wir damit um? Und macht man diese Widersprüche bewusst, macht man sie sichtbar? Ist das die kuratorische Strategie, oder freut man sich, dass sich alles vermischt? Das sind die Fragen. Und deshalb braucht es eine wirklich gute, genaue kuratorisch-künstlerische Arbeit.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

1Siehe http://www.trafo-k.at/ [08.04.2015].

2 Sternfeld, Nora: "Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum", in: Gesser, Susanne u. a. (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012, S. 119–126.

3Ebd., S. 121.

4Siehe Clifford, James: "Museums as Contact Zones", in: Clifford, James: Routes, Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge 1997, S. 188–219.

5 Sternfeld, Nora: "Verlernen vermitteln", in: Sabisch, Andrea; Meyer, Torsten; Sturm, Eva (Hg.): Kunstpädagogische Positionen, Band 30, Hamburg 2014.