Ursula Rogg
Teilhaben oder Mehrgeben
Ursula Rogg

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Partizipation im System Schule

Kurzbeschreibung

Workshop 12: Kunst und Kultur – was geht mich das an? Partizipation und Mitsprache von Schülerinnen und Schülern in und bei Kooperationen Zauberformel Partizipation? Lehrerinnen und Lehrer kennen die Forderung: Unterricht soll Schülerinnen und Schülern die Mitverantwortung für ihr Lernen ermöglichen und Raum für selbstständiges Handeln und eigenverantwortliches Arbeiten schaffen – zum Recherchieren, Kommunizieren, Kooperieren, Interviewen, Erforschen und Produzieren. Aber in welchem Maße und zu welchem Zeitpunkt werden die Schülerinnen und Schüler im Unterricht, in einem Projekt, in einer Kooperation mit einbezogen? Wie erkundet man, wo ihre Interessen und Wünsche liegen? In diesem Workshop werden wir uns darüber austauschen, wie Schülerinnen und Schüler bei der Ausgestaltung von Kooperationen und einzelner Projekte mitwirken und inwieweit sie auch bei der Planung, Entwicklung und Umsetzung von Kulturangeboten in Kulturinstitutionen beteiligt werden können.

"Das Wort Partizipation kommt aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus pars (Teil) und capere (ergreifen, aneignen, fangen). Das Konzept spielt in der attischen Demokratie und in Platons Ideenlehre als Teilhabe-Konzept eine tragende Rolle […]. Nicht zuletzt ist Partizipation eine anthropologische Disposition, ohne die dem Menschen die vorgefundene Welt äußerlich bliebe und Willensbildung und Entscheidungsfähigkeit undenkbar wären: er kommt nicht umhin, Teil der Welt zu sein, durch sein Interesse mit ihr in Beziehung zu treten, teilzuhaben an Gegebenem, es durch Teilnehmen zu verändern. Partizipation zielt auf sich einlassen, mitbestimmen, mittun, interagieren, eingreifen […]."1

Was sich nach Hanne Seitz wie eine perfekte Lehr-Lern-Disposition darstellt, steht, das zeigt die Empirie, in spannungsvollem Verhältnis zur Praxis schulischer Realitäten. Dieser Text greift die wesentlichen Fragen, Haltungen und Reflexionen der Workshopgruppen auf, in denen es um eine Bearbeitung der Frage ging, was wir eigentlich meinen können, wenn wir im Kontext Schule und der Praxis kultureller Bildung von Partizipation sprechen. Sind Mitbestimmung und Teilhabe in diesem Zusammenhang Inhalt oder bereits Teil künstlerischer Interventionsstrategie, sind sie übergeordnete Bildungsziele oder sind sie zwingend jeglicher Glaubwürdigkeit künstlerischer Praxis mit und in gesellschaftlichen Gruppen geschuldet? Wer unter den Beteiligten erfährt die Ermächtigung, teilzuhaben und mitzubestimmen, und wer nicht? Wovon ist das tatsächlich abhängig? Wer kann es beeinflussen? Kann es im schulischen System überhaupt echte Teilhabe geben oder ist – wie Maike Aden schreibt – Schule zutiefst antipartizipatorisch? "Solange sie Selektionsfunktion hat, um den Schülerinnen und Schülern ihren zukünftigen Platz in der Gesellschaft zuzuweisen, tun sich zwischen den Zielen und den Möglichkeiten der Partizipation eklatante Widersprüche auf", heißt es bei ihr.2

Analog zu diesen widersprüchlichen Einschätzungen der Potenziale von Partizipation in der kulturell-schulischen Praxis wird in den folgenden Beiträgen deutlich, wie unterschiedlich Partizipation auch von den Akteuren kultureller Praxis gesehen wird: Die Beurteilungen reichen von Empowerment bis hin zu der Überzeugung, Partizipation sei vor allem an Schulen eine Mogelpackung. Tatsächliche Mitbestimmung sei an Schulen weder möglich noch wirklich erwünscht.

Barbara Meyer, Programmexterne Expertin in diesem Workshop, ist Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin des Internationalen JugendKunst- und Kulturhauses Schlesische27 in Berlin-Kreuzberg. Sie vertritt die Ansicht, dass es an Schulen immer nur um scheinbare Mitbestimmung gehen könne, die letztlich in einer Überforderung aller Beteiligten münde. Sie verwendet das Bild eines Kuchens, um ihre Einschätzung zu vermitteln. "Der ganze Kuchen" gehöre immer schon jemandem – und das seien die Anderen. Teilhabe an etwas Ganzem, das in seiner Qualität bereits fertig gemacht, gedacht und vergeben sei, kann keine wirksame Teilhabe sein: Das Ganze in seiner Qualität mitzugestalten von vornherein und mit dem Risiko, dass etwas genuin anderes dabei entsteht, wäre ein Gegenmodell zum Akt des hier als paternalistisch begriffenen Akts des Abgebens von Einzelsegmenten. Aus dieser Sicht ist Partizipation ein Stück vom Kuchen: nur kurzfristig sättigend, eine kalkulierte Mogelpackung.

Dem gegenüber stehen die Ansätze zweier Kulturagenten des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen". Matthias Vogel und Carsten Cremer sehen ihre erste Aufgabe darin, Impulse für Schulentwicklung zu geben und damit in einem politisch-emanzipatorischen Aufbruch aller Beteiligten zu agieren. Ihre Umsetzungskonzepte weisen eine pragmatische Nähe zu dem von Seitz beschriebenen Charakter von Partizipation als Handlung aus; Ausgangspunkt jeglicher Partizipation sind bei ihr die Handlung, der (Spiel-)Raum und die Erfahrung – wesentliche Elemente performativer Praxis. Entsprechend wird Partizipation hier "[…] weniger ideologisch und auf Zukunft ausgerichtet, [sie] sucht vielmehr pragmatisch im Hier und Jetzt nach Handlungsspielräumen". Im Schulterschluss mit künstlerischer Praxis wird sie als "Aktivierung und Ermächtigung" insofern akzeptiert, als sie Menschen "[…] an Produktion beteiligt und das Hervorbringen von Sinn und Bedeutung kollektiv erfahren werden kann".3

In zwei 90-minütigen Workshops zum Thema "Partizipation und Mitsprache" wurde in zwei verschiedenen Gruppen mit je einem Praxisbeispiel sowie einem externen Input der Begriff in seiner Relevanz für Schulen mit Kooperationspartnern diskutiert.

Behüten und Erproben. Partizipation an der "Schlesischen27"

Barbara Meyer betonte bei ihrer Selbstvorstellung das Interesse ihrer Institution an künstlerisch-ästhetischen Produkten und Ergebnissen, die Prozesse sichtbar machen. Kollaborative Prozesse "ästhetischer Praxis" von Kindern und Kunstschaffenden stehen hier im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Als "Paralleluniversum zu Schule" bietet sie dafür einen offenen Raum, experimentelle Anlagen und professionell betreute Angebote. Das "leidenschaftlich Listige" von Kindern im Schulleben, mit Spickzetteln, Verstecken und heimlichen Sammlungen begreift Meyer als künstlerische Strategie. In einen anderen Zusammenhang gebracht, bergen diese wertvollen eigenen Strategien der Kinder für Wissensaneignung und -wahrung in Verbindung mit gestalterischen Fähigkeiten verborgene Wissensorganisationen und ein Können, welche/s an der Schule oftmals zu kurz komme. Nach Meyer mangele es im Schulleben häufig an Möglichkeiten und Räumen, in denen Kinder selbst initiativ werden können; sie spricht von "kreativen Halden", in denen das Selberfragen und Selbermachen kultiviert wird.4 Meyer nennt Partizipation im Kontext des Schulunterrichts ein "Monstrum": Leidenschaftliche Lehrerinnen und Lehrer gerieten unter Druck, Interaktion im Unterricht nicht mehr entlang ihres absolut wertvollen (Experten-)Wissens aufzubauen, sondern nur noch methodische Alternativen zum Frontalunterricht zu suchen, weit weg von der inhaltlichen Substanz ihres Unterrichtens. Dabei sei es genau diese Kompetenz gepaart mit Empathie, die in ihren Augen das wertvollste Gut einer Lehrperson ausmache, das Beste, das sie einem Lernenden gegenüber zu bieten habe. Eine ideale Lernform sieht sie im klassischen Lehrling-Meister-Verhältnis, einem Verhältnis, das von der Autorität der Könnerschaft und einem empathischen Auftrag des "Behütens" (Meyer) geprägt sei.

Dem von Anleitung und Wissenstransfer gezeichneten "Lehrling- Meister-Verhältnis" stellte Meyer ein Werkstattkonzept für Kinder und Jugendliche zur Seite, das konsequent auf Selbstorganisation baut; eine Werkstatt zum Erproben eigener Experimente und "Betriebsideen". Dafür werden reale, offene Räume zur Verfügung gestellt, die den Kindern und Jugendlichen gehören und nicht durch ein "erwachsenes" Vermittlungsprogramm vorstrukturiert sind. Die "Schlesische27" hat diesem Anspruch ein berlinweites Projekt gewidmet: "Die jungen Pächter" übernehmen die Schlüsselgewalt und die damit verbundene Verantwortung für einen Raum, beispielsweise ein leer stehendes Ladenlokal. Sie definieren und gestalten selbst, was dort stattfindet. Im Beispiel war das eine Fahrradwerkstatt, ein Goa-Partyraum in Kombination mit einem analogen Schwarz-Weiß-Fotolabor.

Barbara Meyer betonte die Notwendigkeit dieser beiden grundsätzlich sehr unterschiedlichen Modelle und begründete damit ihre Skepsis gegenüber "Partizipation" an Schule: Die Schule mit einem gesetzten Curriculum muss interessanter für die Lernbedürfnisse der Kinder werden, sie muss an der Relevanz des Stoffes weiterdenken, kritisch "ausmisten" und den Mut haben zu "entscheiden". An "entschiedenen" Stellen sollte sie nicht so tun, als ob Mitbestimmung oder gar Verantwortungsübernahme von Kindern zu leisten sei. Vielmehr sollte sie leidenschaftlich vertiefte, fachlich kompetente Lehrpersonen in ihrer positiven Meisterposition stärken: Nichts sei so bereichernd wie Lehrende, die, von ihrer Sache begeistert, mit Leidenschaft anleiteten. Ausgehend von den Fragen der Schülerinnen und Schüler würde ihr (Experten-)Wissen so zur Anwendung gebracht – deshalb: "Keine Angst vor Anleitung!"

Partizipation heißt für Meyer: Mit eigenen Fragen am Wissen und Können der Erfahrenen teilzuhaben, denn Lernen sei "wie Tuschepusten", den ausufernden Abzweigungen auf sicherem Grund nachzugehen.

Im Workshop wurde diese zunächst überraschende Polarisierung diskutiert: Entweder wird gemeinsam mit den Lehrenden nach dem Lehrling-Meister-Verhältnis gelernt oder indem Kinder mit voller Konsequenz (beispielsweise bei einem Mietvertrag) Dinge entscheiden, die notwendigerweise reflektiert werden müssen. An die Stelle des in der Schule so oft verwendeten hypothetischen Erörterns tritt hier die reale Erfahrung. Die Jugendlichen des Pächtersystems fragen nicht: "Wie sollten wir es machen?", sondern fragen sich: "Wie machen wir das?" Partizipation heißt hier: eigenes Wissen und Können mit Verantwortung zum Einsatz bringen.

Das Gespräch im Anschluss konzentrierte sich auf die Rollen der einzelnen Akteure in Mitwirkungszusammenhängen an Schulen. Die Attraktivität von Künstlerinnen und Künstlern bestehe, so der Konsens, vor allem auch darin, dass sie nur auf Zeit an der Schule sind und in erster Linie als Vertreter einer professionellen Welt außerhalb von Schule wahrgenommen würden. So würden sie in ihrem Spezialistentum ernst genommen.

Eine Schulleiterin sprach sich für die Arbeit in Fächer vernetzenden Zusammenhängen aus: Forschendes Lernen, wie es dem fragegeleiteten Ansatz entspräche, sei nur möglich, wenn die Legitimation des Fachs durch die Legitimation des Forscherauftrags ersetzt werde. Kompetenzzuwachs heiße für sie, in Zusammenhängen zu denken, also nicht an den Grenzen der Fächer haltzumachen. Oft bleibe dies in der Unterrichtspraxis auf das Zeitreservoire der künstlerischen Fächer beschränkt. Unterricht, so eine andere Lehrerin, sei für sie ein an sich partizipatives Geschehen, wenn er sich tatsächlich an den Fragen und Interessen der Kinder und Jugendlichen orientiere. Grundsätzlich, so eine dritte Lehrerin, sei ein forschender Habitus mit dem Schulsystem schwer vereinbar. Meyer reagierte mit der Feststellung, sie beobachte ein Straucheln der Lehrpersonen zwischen Effizienzdruck und dem Bemühen, Freiräume zu schaffen. Entlastung könne nur stattfinden, wenn die schulischen Freiräume von vornherein ausgemacht und konsequent genutzt werden würden. Sie schlug ein Prinzip im Dreischritt von "Terrain beschreiben – Rahmen setzen – Fenster finden" vor, bei dem das gefundene Fenster eben diesen Freiräumen entspricht.

Eine Neubewertung von Schüleraktivität schilderte zum Ende dieses Gesprächs ein Lehrer einer Gemeinschaftsschule in Berlin-Kreuzberg. Seine Beobachtung äußerte er im Tonfall sachlichen Interesses, das gleichzeitig von ästhetischer Differenz und pädagogischer Empathie sprach: Auch dieses "Rahmensetzen", sagte er, sei eine Frage der Definition: Mit großer Aufmerksamkeit verfolge er die schöpferische Fantasie, die seine Schülerinnen und Schüler immer dann entwickelten, wenn es darum gehe, dem System zu Leibe zu rücken. Beim Bohren von Löchern in Tischplatten und beim Anwenden von Hebeln im Zerlegen von Schulmobiliar werde ihre Ausdauer und Leidenschaft in Bezug zu Destruktion und Kreativität sichtbar. Destruktion, so schloss er, sei eine besondere Kraft, wenn es darum gehe, Teilhabe zu erwirken: Nur durch sie werde Platz für Neues frei.

Auf dem Hof

Carsten Cremer, Kulturagent im Schulnetzwerk Charlottenburg-Wilmersdorf/Spandau, ist im ersten Beruf Ethnologe. In seinem "Büro für urbane Kommunikation" tüftelte er Beteiligungsverfahren für die Weddinger Stadtraumentwicklung aus, bevor er seine Arbeit als Kulturagent aufnahm. Er definiert sich selbst als Vernetzer: "Es fällt mir leicht, die künstlerische Verantwortung abzugeben", sagt er von sich. In seinem Projekt "Die Hofhelden" kooperiert er an der Carl-Friedrich-von-Siemens-Oberschule, einem Berliner Gymnasium, mit dem Künstlerduo Eva Hertzsch und Adam Page. Beide haben jahrelange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Schulen. Das gemeinsame Projekt verfolge "explizit das im Kulturfahrplan der Schule formulierte Ziel, "das eigenständige Lernen in ökologischer und sozialer Verantwortung am Campus Siemens nach und nach im Schulalltag zu verankern" und als "Schwerpunkte/Lerninhalte in den Fachunterricht zu integrieren". Die Präsentation soll zeigen, dass "ökologische und soziale Verantwortung" konkret bedeuten kann, demokratische und nachhaltige Gestaltung von Veränderungsprozessen in der Schule unter Beteiligung der Schülerinnen und Schüler in den Alltag zu implementieren".5

Die Initiatoren und Projektleiter betonen, dass ihr Projekt sich als ein explizit politisches verstehe, das Partizipation als "Bürgerbeteiligung" und Schülerinnen und Schüler als "Bürger mit Rechten und Pflichten" ansehe. Im Projektzusammenhang und darüber hinaus hieße das für sie, dass im Projekt "Die Hofhelden" Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte "auf Augenhöhe und mit gleichen Rechten arbeiten, konzipieren und entscheiden".6 Schule wird hier als Möglichkeitsraum für real praktizierte Mitbestimmung gesehen. In ihrem Kampf gegen die Hässlichkeit des Schulhofs lassen die Schülerinnen und Schüler in einer medialen Inszenierung US Präsident Obama für ihre Hofbühne und zivilgesellschaftliches Engagement werben. Werbeclips mit Obama, Rihanna und Ronaldo wurden gedreht, Sponsoren gewonnen, eine Neugestaltung umgesetzt. Bei der Bezirkspolitik und bei lokalen Firmen stieß das Projekt auf Interesse, intern fragen die Initiatoren aber: "Wie kann man die Schulleitung inhaltlich beteiligen?"

Standbilder und Dialog aus "Die Hofhelden im Gespräch mit Barak Obama", Video, 3 Min., 2013
Foto: Eva Hertzsch und Adam Page

Im Nachgespräch zur Präsentation der "Hofhelden" durch Adam Page schildert eine Künstlerin ihre Erfahrungen mit partizipativen Ansätzen an Schulen: Die Schülerschaft erhielte und erwartete nicht das notwendige Vertrauen der Schulleitung. Im dargestellten Projekt würden die notwendigen Kompetenzen für verantwortungsvolle Teilhabe auf allen Seiten unterschätzt. Dem stehe jetzt die Erfahrung der beteiligten Jugendlichen gegenüber, so die Künstlerin, dass kulturelle Teilhabe nichts kosten müsse und in einem konkreten Rahmen mit einem selbst definierten Ziel möglich sei. Diese Erfahrung hätten die Jugendlichen gemacht, und von dieser Erfahrung könnten sie auch in anderen Zusammenhängen profitieren. Im anschließenden Gespräch hielt man es allgemein für wichtig, dass die Akteure in einer neu geschaffenen Offenheit ihre Interessen und auch "ihre Schmerzgrenzen" von Anfang an möglichst klar benennen. Die unverzichtbaren Bestandteile Glaubwürdigkeit und Vertrauen könnten unter den Schulakteuren eben gerade nur durch deren definierte Grenzen deutlich werden. Eine Aufgabe der Kunstschaffenden sowie Kulturagentinnen und Kulturagenten in diesem Zusammenhang hingegen könne es sein, Irritation als Strategie zu nutzen, um alle Beteiligten immer wieder neu ins Gespräch zu bringen. Hier würden dann wiederum Fragen von Können, Zutrauen und Verbindlichkeit neu ausgehandelt werden können.

Mach es zu deinem Projekt!

Matthias Vogel, Rechtswissenschaftler, Filmemacher und Kulturagent im Schulnetzwerk Hamburg Nord/Wandsbek, schilderte eine Situation an der Stadtteilschule Winterhude, in der dreimal jeweils 100 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge acht bis zehn sechs Wochen lang für acht Schulstunden wöchentlich mit externen Künstlerinnen und Künstlern gearbeitet haben. Die Jugendlichen sind an der reformpädagogisch orientierten Schule von klein auf mit Projektarbeit vertraut, hatten aber zu diesem Zeitpunkt noch wenig Erfahrung mit künstlerischen Arbeitsweisen. Partizipation, wie Matthias Vogel sie versteht, fand hier bereits beim Aushandeln von Rahmenbedingungen statt. Wer, wie und was im Projekt wichtig sein würde, erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler selbst: Interessierte Künstlerinnen und Künstler hatten sich einem Casting zu unterziehen, bei dem sie von demokratisch gewählten Schülerräten über ihre Arbeit befragt wurden und man sich über mögliche Projektthemen austauschte. In diesen Aushandlungsprozessen wurden gemeinsam Ideen und mögliche Vorgehensweisen besprochen. Aus diesen unterschiedlichen Projektkonzeptionen wählten die Räte dann ihre Favoriten. Das Künstler-Casting war eine konkrete Aufgabe, die den Schülerinnen und Schülern in Absprache mit dem Kollegium vom Kulturagenten und den Kulturbeauftragten gestellt wurde. Das Setting war im Sinne einer pädagogisch motivierten Rahmensetzung von Lehrerinnen und Lehrern in Zusammenarbeit mit dem Kulturagenten konzipiert worden. Dieser Gruppe war es wichtig, die Entscheidungen der beteiligten Schülerinnen und Schüler von Anfang an in Prozesse einzubinden, die bereits das Arbeitssetting betrafen. Die Frage: "Mit wem wollen wir woran arbeiten?" sollten die Jugendlichen selbst anhand der Darstellung der künstlerischen Arbeit und eines Vorgesprächs mit den Bewerberinnen und Bewerbern entscheiden.

Die Folgediskussion im Workshop kreiste um die Aufgabe der Lehrenden: "Was geben wir vor, was nicht?" Vogel äußerte sich zur Meinung, man müsse Kinder und Jugendliche langsam an ein größer werdendes Maß an Partizipation heranführen, folgendermaßen: "Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass Schülerpartizipation immer gelingt, wenn man den Schülern echte Entscheidungsgewalt gibt, und dass das Scheitern von Partizipationsprojekten immer daran liegt, dass man Schülern eben keine echte Entscheidungsgewalt gegeben hat. Ein weiterer Punkt ist, dass die Schüler nicht daran glauben, dass sie wirklich auch Entscheidungen treffen können, die den Lehrenden/Erwachsenen nicht gefallen. Sobald Schülern klar wird, dass sie in voller Konsequenz eine Entscheidung treffen, nehmen sie ihre Entscheidungsprozesse auch ernst."7

Vogel vertrat die Ansicht, dass die Aufgabe der begleitenden Erwachsenen darin bestehe, dafür zu sorgen, dass zum einen der zeitliche Abstand zwischen Entscheidung/Aktion und konkreten Folgen dieser Entscheidung nicht zu weit auseinanderliege und dass neben, durch oder in der Übernahme von Verantwortung und Entscheidungsgewalt auch das Dazulernen, das Kennenlernen von Neuem nicht zu kurz komme.

Die Herausforderung des Projekts lag nach Vogel nicht in erster Linie bei den Schülerinnen und Schülern, sondern bei den Lehrpersonen! Denn die fraglich gewordene Lehrerrolle barg Zündstoff: Mit der Verlagerung von Verantwortung und der Abgabe von Initiative sank ihre empfundene Zugehörigkeit zum Projekt und damit ihr Interesse rapide ab. Für die meisten beteiligten Lehrerinnen und Lehrer führte die veränderte Position zu einem Gefühl, überflüssig (geworden) zu sein.

Die Diskussion im Workshop konzentrierte sich daraufhin auf das Thema Rollen und Zuständigkeiten und deren Verschiebungen: Die größten Probleme und Widerstände tauchten da auf, wo vorher Entlastung eingeklagt worden war: Offenbar war diese Art der Entlastung bei den Lehrpersonen nicht als die "richtige" angekommen. Die Interpretation eines Workshopteilnehmers dafür lautete folgendermaßen: "Die Situation, die es den Lehrpersonen erlaubte, passiver zu sein, führte nicht zu einer Entspannung, sondern kollidierte mit der Schwierigkeit, das "Anderssein und Andersmachen" zuzulassen – eine Herausforderung, die mit dem Auftauchen von Künstlern an Schulen generell entsteht." Gemeinsam leiteten die Teilnehmenden davon den Auftrag an sich selbst ab, dass frau/man bei Partizipationsprojekten, die auf strukturelle Veränderungen zielten, aufmerksamer und konsequent an alle Beteiligten denken müsse und daran, welche Konsequenzen durch die Verschiebung in der Entscheidungsgewalt auch für jede/jeden persönlich entstünden.

Abschließend wurden folgende Einschätzungen zu der Frage formuliert, ob Schulen mehr Partizipation bräuchten: Schülerinnen und Schüler schwenkten schneller um, was Rollen und Aufgaben angehe als die Lehrpersonen, da es für sie leichter sei. Andererseits trauten sie oft der Sache im schulischen Zusammenhang nicht. Hier müsse Glaubwürdigkeit hergestellt werden, indem

  • das Mitspracherecht konkret formuliert werde (Geldentscheidung = Verantwortung)
  • zwischen der Aktivität der Kinder und Jugendlichen und deren sichtbarer oder spürbarer Konsequenz eine möglichst kurze Zeitspanne liege (Zeitfaktor nicht gleich Zeitempfinden)
  • das Verhältnis von Begleitung versus Einflussnahme, von Anleiten und Behüten versus Erfahrung von Eigenwirksamkeit bei jedem Projekt neu austariert werden müsse.

 

Die kooperierenden Künstlerinnen und Künstler würden diesen Prozess begünstigen, indem sie irritierend andere Sichtweisen und Erfahrungen einbringen. Eine Gefahr liege in der möglichen Verwirrung von Verantwortungen und Versprechungen auf allen Seiten und in Vorhaben, die nicht umgesetzt werden können.

Die Problematik der sich verändernden Lehrerrolle muss unterstützend mitreflektiert werden, wenn Lehrpersonen sich zum Abgeben von Verantwortung genötigt fühlen, ohne dass klar wird, was sie (stattdessen) erhalten. Die Meinung der Workshopteilnehmenden tendierte dahin, Partizipation an Kooperationsschulen verlange von den Lehrerinnen und Lehrern vor allem, sich eine abwartende Haltung zuzulegen. Sie müssten lernen, Prozesse zu beobachten, ohne in sie einzugreifen.

Deutlich wurde die Notwendigkeit, grundsätzlich schulische Territorien, Grenzen und Zuständigkeiten neu zu verhandeln, wenn Partizipation stattfinden soll. In diesem Zusammenhang könnten nicht Teile eines Systems neu definiert und vergeben werden, ohne dass sich das ganze System mitbewege. Im Sinne eines Rituals könnte das so aussehen wie es Thomas Hirschhorn formuliert: "Ich denke, dass Partizipation ein Geschenk ist, eine Gabe. Es ist eine Gabe im Sinne eines Potlatschs: Ich muss zuerst etwas geben und damit den anderen herausfordern zu geben, mehr zu geben!"8

 

1 Seitz, Hanne: "Partizipation. Formen der Beteiligung im zeitgenössischen Theater." Impulsvortrag, gehalten während des Kongresses "Was geht II – Was können wir, was nur wir können?" Arbeitskreis Berliner Theaterpädagogen in Kooperation mit der UdK Berlin, Deutsches Theater, März 2012, online: http://www.was-geht-berlin.de/sites/default/files/hanne_seitz_partizipation_ 2012.pdf [11.7.2014].

2 Aden, Maike: "Das Mantra der Partizipation. Sein heimlicher Lehrplan als Herausforderung für die Kunstpädagogik", in: Burckhardt, Sara; Mayer, Torsten; Urlaß, Mario (Hg.): convention. Ergebnisse und Anregungen. Schriftenreihe Kunst Partizipation Pädagogik, Buch03, München 2013, S. 51–57, hier: S. 52.

3 Seitz, H., a. a. O., S. 3–4.

4 In Entsprechung sei hier nochmals die kritische Lesart zitiert: Aden benennt diese Ambivalenz als "Erweiterung von Verführungsmacht von Schüler/-innen" und als "Interessen und Machtansprüche des Staatsapparats Schule". Im Partizipationsanspruch dehne sich diese Ambivalenz in Richtung einer selbstdisziplinierenden Mechanik der absoluten Kontrolle aus, da partizipatorische Praktiken nach Antonio Gramsci "einer besseren Disziplinierung und Regulierung des "inneren Ichs" durch Kulturpraktiken" dienten. Das gelinge dadurch, als diese "ein "pädagogisches Verhältnis" dar [stellten], das nicht durch Zwang und Gewalt, sondern durch moralische Einbindung geprägt ist", Aden, M., a. a. O., S. 54.

5 Zitiert aus dem den Workshop vorbereitenden Papier von Carsten Cremer.

6 Ebd.

7 Mathias Vogel in der E-Mail-Korrespondenz mit der Autorin während der Nachbearbeitung des Workshops.

8 Thomas Hirschhorn im Gespräch mit Sebastian Egenhofer anlässlich seines Bataille-Monuments (2007), zitiert nach Seitz, H., a. a. O. , S. 1.