Constanze Eckert im Gespräch mit Eva Hertzsch und Adam Page
Partizipationskunst und Schule
Constanze Eckert im Gespräch mit Eva Hertzsch und Adam Page

Partizipationskunst und Schule

Constanze Eckert: Was versteht ihr unter guter Partizipationskunst?

Hertzsch/Page: Partizipationskunst gelingt am besten, wenn sie eine starke thematische Relevanz für die Beteiligten hat. Dazu müssen Künstlerinnen und Künstler in der Lage sein, die Zusammenarbeit aus der Perspektive der Beteiligten zu sehen. Aus diesem Blickwinkel heraus entsteht für sie eine Art Prüfinstanz, sie denken immer wieder über den passenden Anspruch, die Wortwahl und die Ästhetik, über das Tempo, das Ergebnis und das Wissen nach.

Welche (künstlerischen) Selbstverständnisse und Überzeugungen fließen in eure Arbeit mit Schulen ein? Was möchtet ihr durch diese Arbeit erreichen? Was braucht es dafür?

Uns beschäftigen Defizite in der Gesellschaft. Wir sind überzeugt, dass wir anhand unserer Projekte in Schulen positive Veränderungen, wie klein auch immer, verursachen können. Gegenwartskunst bringt eine komplett neue Sprache in den Schulalltag hinein, die die Leute wach werden lässt, überrascht, neugierig macht und oft sehr persönlich anspricht.

Weil sie so anders als der den üblichen Frust erzeugenden Lehrplan daherkommt, verwirklichen viele Schülerinnen und Schüler und so manches Schulpersonal in unseren Projekten eine Art "Bedürfnis nach Widerstand" und "solidarisieren" sich mit den Inhalten, zum Teil auf sehr persönliche Weise. Weil uns das Persönliche sehr wichtig ist, setzen wir auf langfristige Anwesenheit unsererseits in der Schule. Hierfür brauchen wir die entsprechenden finanziellen und schulpolitischen Rahmenbedingungen.

Seht ihr einen Unterschied zwischen Bürgerbeteiligungsprojekten beziehungsweise künstlerischen Projekten im öffentlichen Raum und Projekten mit Schulen?

Grundsätzlich nicht. In beiden Fällen agieren wir innerhalb der Rahmenbedingungen von öffentlichen Verwaltungen, deren Hierarchien wir transparenter und demokratischer machen wollen. Und in beiden Fällen sehen wir uns und die Projektbeteiligten als Bürgerinnen und Bürger, die ein Recht haben, über ihre Umgebung mit diesen Verwaltungen ebenbürtig zu verhandeln.

 Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten seht ihr in der Zusammenarbeit mit Schulen?

Wir sind überzeugt, dass wir mit Hilfe der uns gleichwertigen Zusammenarbeit mit Schulleitung, Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, Schul- und Grünflächenämtern und Senat einen Teil der Stadt Berlin mitgestalten. Wir glauben an die stetigen, kleinen Synergieeffekte, die durch das zukünftige Agieren eines Teiles der Beteiligten in der Stadt fortgesetzt werden.

Schwierig wird es, wenn die Schule als "repräsentative" Instanz beziehungsweise als Eigentum für die Ewigkeit gehandhabt wird, die keinen Experimenten und keiner Provokationen (auch keiner "schlechten" Presse) von einzelnen Personen oder Gruppen ausgesetzt sein darf. Denkmalschutzamt und Elternbeirat können diesbezüglich lange Schatten werfen.

Mit welcher Art von sich womöglich widerstreitenden Interessen, Erwartungen, Ansprüchen, Wünschen und Hoffnungen werdet ihr bei eurer Arbeit mit Schulen konfrontiert? Wie geht ihr damit um? Wie bringt ihr das mit eurem künstlerischen Anspruch zusammen?

 Wie auch sonst in der Gesellschaft gibt es in Schulen vom Hausmeister bis zur Schulleitung, vom Erstklässler bis zur Abiturientin streitbare Meinungen über die Definition von Kunst. Wir geben anhand von Beispielen aus der Gegenwartskunst Impulse und Denkrichtungen hinein, die manche Leute sofort annehmen. Andere Leute haben ihre eigenen Ausdrucksformen und setzen sie auch durch. Ein großer Vorteil ist, dass Kinder und Jugendliche von klein auf gewohnt sind, sich mit Hilfe von Zeichnen, Malen, Basteln und Rollenspielen kompetent auszudrücken. Somit sind sie gut in der Lage, ihren Ideen eine Form zu geben. Wenn ihre Begründung und Ausarbeitung die Projekt- beziehungsweise die Schulmehrheit überzeugt, dann setzen wir die Ideen eins zu eins um, egal ob es uns künstlerisch gefällt oder nicht.

Unseren künstlerischen Anspruch verwirklichen wir weniger in den einzelnen "Kunstwerken" (Entwürfe, Modelle, Videos und Interventionen) als im "Gesamtkunstwerk". Unsere Kunst ist es, diese einzelnen Kunstwerke in einen Gesamtzusammenhang zu setzen, der auch außerhalb der Schule eine gesellschaftspolitische Relevanz hat und durch unser Dranbleiben irgendwann eine öffentliche Wirksamkeit erreicht. Zum Beispiel haben die über zwei Jahre lang stets von unserer Schüler-AG durchgeführten temporären Gestaltungen auf dem vernachlässigten Schulvorhof des Albert-Schweitzer-Gymnasiums schließlich dazu geführt, dass der Platz vom Bezirksamt saniert wird. Es ist dabei sogar ein Minimum an Schülerbeteiligung, vielen öffentlichen Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern, Nachbarn, Künstlerinnen, Künstlern und Ämtern möglich gewesen, die zum Schluss zur Gründung einer regelmäßigen "Nachbarschaftsrunde" geführt hat.

Kann Kunst zur Entwicklung/Veränderung von Schulkultur beitragen? 

Unsere Kunstprojekte sind eine Ergänzung zum Schulalltag, die viel zu einer Veränderung beitragen können, wenn diese Veränderung schon im Gang beziehungsweise von der Schulgemeinschaft gewollt ist. Im besten Fall regen sie zur kritischen Reflexion über den Alltag an und machen alternative Methoden des Gestaltens, des Lernens, der Zusammenarbeit auf, jenseits von Notensystemen, Prüfungsstress und Hierarchien. Für viele ist das inspirierend und vielversprechend, diese Alternativen zu entdecken.

Wie definiert ihr darin eure Rolle? Welche Positionen haben die unterschiedlichen Beteiligten? Wer weist wem welche Rolle zu?

Über unterschiedliche Zeiträume von ein bis fünf Jahren weisen wir uns in Schulen selbst vielseitige Rollen zu. Für die Schulleitung wollen wir Projektmanager sein, die neue Formen der Geldakquise, der Gestaltung von Schulräumen, der Öffentlichkeitsarbeit und der Vernetzung umsetzen. Für die Lehrerinnen und Lehrer wollen wir impulsgebende Partner sein, mit denen sie zusammen im Klassenzimmer experimentieren. Für die Schülerinnen und Schüler möchten wir Sympathisanten für ihre systemgegnerischen Bedürfnisse und vor allem für ihre Kreativität sein. Für die interessierte Teilöffentlichkeit um die Schule herum wie Ämter, Anwohner, Künstler, NGOs und Stiftungen möchten wir Ansprechpartner sein, die an einer Öffnung der Institution Schule zur Nachbarschaft hin mitwirken.

 Hat Kunst in Schulen immer auch einen Bildungsauftrag?

Das muss nicht sein, aber wenn die Projekte als anwendbare Alternative zum klassischen Unterricht eingegliedert werden möchten, dann sollten sie Bildungsauftrag sein und auf pädagogische Inhalte aus dem Lehrplan, auf Dauerhaftigkeit und auf Relevanz setzen.

 Seht ihr Unterschiede zwischen Partizipationskunst und kultureller Bildung?

"Partizipationskunst" und "kulturelle Bildung" sind Begriffe, die sich in unserer Arbeitsweise erst einmal nicht unterscheiden lassen. Partizipation bedeutet gerade, Teilhabe zu ermöglichen unter anderem an kulturellem Wissen und Handeln. Um sie auseinanderzudividieren, bräuchten wir mehr Denk- und Lesezeit.

Zitat Eva Sturm (2001): "Das Entscheidende an der Repräsentation war seit je, wie und warum jemand in welcher Form "dargestellt, abgebildet, vorgeführt, vergegenwärtigt" wird, welchem Zweck sie dient und was dabei ausgeschlossen bleibt, d. h. durch Sichtbarkeit unsichtbar gemacht wird. Es geht um die Macht des Zu-Sehen-Gebens."1

Wie geht ihr mit dieser "Macht des Zu-Sehen-Gebens" um?

"Repräsentation" und "Macht" bei Partizipationskunst existiert, sobald die Künstlerinnen und Künstler darauf abzielen, dem Projekt Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zu geben. Meistens ist das auch für ein Projekt wichtig und richtig. Als Künstler haben wir die "Macht" beziehungsweise das Privileg, schnellen Zugang zu temporären Genehmigungen im öffentlichen Raum, zu den Kompetenzen unserer mitarbeitenden Künstlerkollegen, zu Presseredaktionen oder Stiftungsleitungen zu erhalten. Die Nutzung dieses Privilegs und die Bekanntmachung sollen dem Projekt dienen. Wenn sie gleichzeitig unsere persönliche Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten auf dem Kunstmarkt dienen würde, wäre das unserem Empfinden nach Machtmissbrauch. Das Betriebssystem Kunst folgt der Logik des "Personenkults" und das passt nicht mit der Gruppenorientierung der Partizipationskunst zusammen. Als Konsequenz aus der Gefahr dieses Machtmissbrauchs haben wir ganz aufgehört, Kunst "allein" zu produzieren und arbeiten seit über fünf Jahren nur in gruppenorientierter Projektarbeit, auf Einladung von Stiftungen und Verwaltungen. An Ausstellungen werden wir nicht mehr beteiligt.

 

1 Sturm, Eva: "Zusammenarbeit mit gangart. Zur Frage der Repräsentation in Partizipations-Projekten", in: eipcp webjournal 4, 2010, online: eipcp.net/transversal/0102/sturm/de [24.06.2015].