Julia Eplinius
Reflexion: Potenzial- und prozessorientierte Qualifizierung
Julia Eplinius

Reflexion: Potenzial- und prozessorientierte Qualifizierung

Als Mittler zwischen den Systemen "Schule" und "Kultur" sind die Kulturagentinnen und Kulturagenten vielen Anforderungen von außen ausgesetzt und laufen leicht Gefahr, als Einzelkämpfer verbrannt oder von einem der Systeme absorbiert zu werden. Wichtige Gelingensfaktoren für ihre Arbeit sind deswegen die Zugehörigkeit zu einem Team und ein gemeinsamer Ort, an dem sie sich untereinander austauschen, sich qualifizieren und ihre Arbeit reflektieren können.

Um dies zu gewährleisten, entwickelten die fünf Länderbüros für die Kulturagentinnen und Kulturagenten einen strukturierten und angeleiteten, aber auch einen freien und zu gestaltenden Raum außerhalb der Schulen, der es ihnen ermöglichte, übergeordnet zu denken, gemeinsam Konzepte zu entwickeln und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Denn nur durch einen klaren Blick von außen konnte es gelingen, Zielsetzungen und die sich daraus ergebenden konkreten Maßnahmen nicht aus den Augen zu verlieren, sich immer wieder neu auszurichten, Strategien zu überdenken und Prozesse kritisch zu begleiten.

Da es zu Beginn des Kulturagentenprogramms vor allem auch darum ging, ein neues Berufsprofil im Feld der kulturellen Bildung mit zu entwickeln, war die professionelle Reflexion der eigenen Aufgaben, Rollen und Funktionen unerlässlich. Ziel der Hamburger Qualifizierungsangebote war es daher von Beginn an, ein Kulturagententeam zu bilden, das diesen Prozess gemeinsam gestaltete.

Das Landesbüro Hamburg kann hierfür auf eine ausgewiesene Expertise zurückgreifen. conecco UG – Management städtischer Kultur, Träger des Hamburger Landesbüros, verfügt über gebündelte Kompetenz und Erfahrung an der Schnittstelle von Schul-Kultur-Kooperationen. Auf der Grundlage von Erfahrungen in der Begleitung von Kulturorganisationen und Künstlerinnen und Künstlern bei der Kooperation mit Schulen sowie bei der Umsetzung eigener Schul-Kultur-Kooperationsprojekte (wie beispielsweise das Tanz-in-Schule-Projekt "Step by Step") entwickelte conecco eine Projektmanagementstruktur, in die im Laufe der Jahre durch Evaluation und Qualitätsentwicklung eine Vielzahl von Gelingensbedingungen implementiert werden konnte. Diese komplexe Projektmanagementstruktur in Verbindung mit einer konsequenten Ziel- und Qualitätsorientierung diente als Matrix für die Umsetzung des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen". Das Initiieren von Reflexionsräumen zur Weiterentwicklung der Projekte und des Programms sowie zur Teamentwicklung und ein besonders vertrauensvolles Verhältnis zu allen unseren Projektpartnern bilden den Kern unserer Arbeit.

Reflexion als fortlaufende Überprüfung der eigenen Praxis

Donald Schön unterscheidet in seinem Buch "The Reflective Practitioner: How Professionals think in Action"1 zwischen "reflection in action" als fortlaufendem, intuitivem und kreativ kognitivem Prozess, der es uns ermöglicht, unser Handeln zu überdenken und zu verbessern, während wir handeln. Er bezeichnet "reflection on action" als den Moment, in dem wir auf das Getane zurückblicken und erkennen, dass unser Handlungswissen eventuell zu einem unerwarteten Ergebnis geführt hat.

Es war daher ein zentrales Element der Qualifizierung der Länderbüros, vielgestaltige Reflexionsräume zu schaffen, in denen übergeordnete Themen identifiziert und aufbereitet, inhaltliche Impulse gegeben, strukturiert, dokumentiert, hinterfragt, beraten und nicht zuletzt Einzel- und Gesamtprozesse gesteuert wurden. Auf diese Weise konnten sich die Kulturagentinnen und Kulturagenten regelmäßig auf Reflexionsprozesse einlassen und diese mitgestalten.

Wichtige Fragen in den praxisorientierten Reflexionsräumen der Anfangszeit waren und sind bis heute:

  • Wie erhalte ich mir den Blick von außen?
  • Wie gelingt es mir, nicht zu sehr vom System Schule absorbiert zu werden?
  • Was sind meine konkreten Aufgaben und was nicht?
  • Wie kann ich meine künstlerischen Fertigkeiten in meine neuen Aufgaben zielführend einbringen?
  • Welche eigenen Schwerpunkte setze ich, um auch individuell sichtbar zu bleiben und mein Profil zu schärfen?
  • Wie bin ich an den Schulen sichtbar und schaffe mir gleichzeitig Freiräume für kreatives Arbeiten und Konzeptentwicklung?
  • Wie grenze ich mich ab, was bringe ich ein?
  • Wie gewinne ich verlässliche und engagierte Mitstreiter?
  • Wer bin ich als Kulturagentin/Kulturagent?

 

Um Reflexionsräume zu öffnen und sie zu einem wirksamen Instrument der inhaltlich-konzeptionellen Weiterentwicklung des Modellprogramms zu machen, wurden gemeinsam mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten verschiedene Formate entwickelt, erprobt und spezifiziert. Dabei gab es Formate, die prozessbegleitend regelmäßige Reflexionsräume eröffneten, wie beispielsweise Teammeetings, kollegiale Beratungen oder Feedbackgespräche ("reflection in action"), und solche, die in einer gewissen Distanz zur eigenen Arbeit einen Rückblick auf den Prozess und eine strukturierte Vorausschau bevorstehender Herausforderungen ermöglichten, wie beispielsweise Klausurtage, Zwischenauswertungen, Fortbildungen und Visionstage ("reflection on action").

Die Taktung und der zeitliche Umfang variierten aufgrund der unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Bundesländern (Stadtstaat und Flächenland), die Formate waren aber durchaus vergleichbar.

reflection in action

Teammeetings

In Hamburg beispielsweise waren der wichtigste Baustein zur Reflexion die regelmäßigen Teammeetings im Abstand von ein bis zwei Wochen. Diese Treffen bildeten die Grundlage für einen regelmäßigen Austausch über aktuelle Themen, Fragestellungen und Herausforderungen. Das Landesbüro übernahm die Themensetzung, die Vor- und Nachbereitung sowie die Moderation. Der Seminarraum, in dem die Treffen stattfanden, stand den Kulturagentinnen und Kulturagenten ganztägig zur Verfügung, sodass er im Anschluss einen Ort zum informellen, vertiefenden Austausch bot. Die Teammeetings bestanden aus zwei Teilen: Der erste diente allen Programm-, Organisations- und Landesbürothemen, während der zweite als inhaltlich-konzeptioneller und als Reflexionsraum genutzt wurde. Hier stellten die Kulturagentinnen und Kulturagenten beispielsweise Elemente ihrer Arbeit anhand von selbst gesetzten Fragestellungen vor: Was macht meine spezifisch-künstlerische Arbeitsweise aus? Was bleibt an den Schulen nach Ende des Modellprogramms? Wie kann Schülerpartizipation gelingen? Diese und andere Themen wurden mit den Kolleginnen und Kollegen diskutiert; eine gemeinsame Schärfung des eigenen Profils wurde erarbeitet.

Feedbackgespräche

Regelmäßige Einzel- und Feedbackgespräche mit Vertreterinnen der Länderbüros boten konkrete Unterstützung bei der Bewältigung der umfassenden Arbeitsbereiche. Sie regten die Kulturagentinnen und Kulturagenten dazu an, ihre Arbeit zu reflektieren und das Gelernte auf die kommende Zeit zu übertragen.2

Statusberichte

Ein weiterer wichtiger Baustein waren die Statusberichte. Zu Beginn wurde das Format des offenen Logbuchs eingeführt, in dem die Kulturagentinnen und Kulturagenten ihren Einstieg in ihre Tätigkeit in den Schulen festhalten sollten. Es zeigte sich jedoch schnell, wie wichtig es war, die Entwicklungsschritte und Herausforderungen an den Schulen systematischer festzuhalten, um auch langfristig ein Bild der Prozesse zeichnen zu können. Deshalb wurde das Logbuch durch einen Statusbericht abgelöst beziehungsweise ergänzt, der eine Reflexion anhand von Leitfragen ermöglichte. Die Leitfragen umfassten die Themen "Stand der Prozessbegleitung an den Schulen und in den Projekten", "Stand der Entwicklung der Kulturfahrpläne", "Arbeit im Netzwerk", "Öffentlichkeitsarbeit", "Aufbau von Kooperationen", "aktuelle Kunstgeldanträge" und reichten bis zur kritischen Reflexion möglicher Konflikte an den Schulen. Im weiteren Programmverlauf folgten dann Themen, die sich mit dem Strukturaufbau und der nachhaltigen Einführung von Projektformaten und Profilen, Qualifizierungsangeboten und der Position der Kulturagentinnen und Kulturagenten an der Schule beschäftigten. Es wurde dabei immer Raum geboten, spezifische Erlebnisse oder ungeplante Zwischenfälle im Statusbericht festzuhalten, da durch diese Aha-Erlebnisse und O-Töne oft verdeckte Themen zum Vorschein kamen, die gezielte Fragen nicht sofort erfassen konnten. In der Beratung zu den Statusberichten gaben diese Punkte oft den Anstoß, unterschwellige Konflikte oder Rollenunklarheiten zu bearbeiten.

Kollegiale Beratungen

In der kollegialen Beratung formulierten die Kulturagentinnen und Kulturagenten nach einem klaren Regelwerk Herausforderungen ihres Arbeitsalltags. Diese wurden dann im Team diskutiert und Empfehlungen für Lösungswege gegeben.3

reflection on action

Das Landesbüro Hamburg hat viele Fortbildungsformate mit externen Referentinnen und Referenten, Visionstage, Zwischenauswertungen und gezielte Workshops veranstaltet, die in einer gewissen Distanz zur eigenen Arbeit einen Rückblick auf den Prozess und eine strukturierte Vorausschau auf bevorstehende Herausforderungen ermöglichten. Es wurde hier vor allem "reflection on action" praktiziert, das heißt, dass diese Formate dazu dienten, die Außensicht der Kulturagentinnen und Kulturagenten auf die Schulen zu bewahren, und eine regelmäßige Analyse der Entwicklungen anhand verschiedener inhaltlicher Aspekte ermöglichten. Die Qualifizierungen dienten auch der Qualitätsentwicklung: Erreichtes wurde reflektiert, zukünftige Schwerpunkte wurden definiert.

Aus den Berichten der Kulturagentinnen und Kulturagenten ging hervor, dass an Schulen häufig keine Zeitfenster und keine Ressourcen für Reflexionsräume vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund war es von Programmbeginn an eine wichtige Aufgabe der Kulturagentinnen und Kulturagenten, Reflexionsräume für Kulturbeauftragte, beteiligte Lehrkräfte und Kunstschaffende zu etablieren. Wenn möglich, sollte nicht nur eine Auswertung am Ende der Projekte, sondern auch eine Zwischenauswertung gewährleistet werden. In vielen Bundesländern wurden die Kulturagentinnen und Kulturagenten deshalb auch zum Thema "Kreative Methoden der Auswertung" fortgebildet. Aber auch strukturell haben die Kulturagentinnen und Kulturagenten Räume geschaffen, in denen Reflexion überhaupt erst möglich wurde.

Inhalte der Qualifizierung zur Reflexion

Ausgehend von den Zielsetzungen des Programms hat das Hamburger Landesbüro beispielsweise drei Qualitätsbereiche definiert – Inhalt, Prozess und Struktur ­–, auf die sich die Aufgaben der Kulturagentinnen und Kulturagenten und damit auch die bedarfsorientierte Fortbildung beziehen ließen. Im Folgenden werden diese Qualifizierungsangebote den einzelnen Qualitätsbereichen zugeordnet.

Reflexion von Qualität

Einen Schwerpunkt hat die Reflexion über inhaltlich-konzeptionelle, künstlerische und/oder pädagogische Qualität der Projekte eingenommen. Hierzu gehörten beispielsweise die Weiterentwicklung der künstlerischen Identität der Kulturagentinnen und Kulturagenten im Zusammenspiel mit ihren neuen Aufgaben sowie die regelmäßige Auseinandersetzung mit dem eigenen professionellen Hintergrund – auch in Angrenzung oder im Zusammenspiel mit den Vorstellungen von künstlerischer Qualität der Akteure an den Schulen.4Der durch Reflexion immer wieder gestärkte Zugang zu ihrer eigenen künstlerischen Identität ermöglichte den Kulturagentinnen und Kulturagenten gegenüber den Schulen eine klare Fokussierung ihrer künstlerischen Perspektive und eine konsequente Umsetzung ihres von der Kultur her definierten Auftrags. Ausgehend von dieser Perspektive formulierten sie entsprechende Qualitätsansprüche und Aufgaben für die Projektbeteiligten, die ans System Schule sonst so nicht gestellt worden wären.

Ein berufsspezifischer Qualifizierungsansatz war es, die Kulturagentinnen und Kulturagenten immer wieder in ihren künstlerischen Strategien zu bestärken. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit mit inneren Bildern für die Schulen, die je nach Profession auch theatraler oder musikalischer Form sein konnten. Es hat sich gezeigt, dass es sich sehr positiv auf den Erfolg der Arbeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten ausgewirkt hat, wenn es ihnen gelungen war, die Verbindung zwischen ihren künstlerischen Strategien und der Arbeit in den Schulen herzustellen und diese Schnittstellenperspektive immer wieder neu einzunehmen.

Reflexion der Prozesse

Der Qualitätsbereich "Prozess" fokussiert besonders die Arbeitsorganisation und die übergeordnete Projektmanagementstruktur als Geländer für die Prozessbegleitung der Schulen und für die Organisation der eigenen Arbeit. Hierunter fallen beispielsweise das Kooperationsmanagement zwischen Schule und Kulturorganisation sowie die Gestaltung von partzipativen ergebnisoffenen Prozessen. Der Reflexionsprozess fand hier auf der Ebene der "reflection in action" statt. Schwerpunkte waren regelmäßige Treffen mit den Kulturagentinnen und Kulturagenten zur Auswertung der Projekte und Entwicklungsprozesse in den Schulen sowie die individuelle Weiterentwicklung des eigenen Kulturagentenprofils. Auch das Format der kollegialen Beratung lässt sich in diesem Qualitätsbereich verorten.

Auf der Ebene der Reflexion in Schule ging es neben dem Methodentraining auch um die Entwicklung von Strategien, wie den Projektbeteiligten die positive Wirkung von Reflexion deutlich gemacht beziehungsweise wie in den engen und komplexen Schulstrukturen überhaupt Reflexionsräume geschaffen werden konnten. Eine Strategie war zum Beispiel die Setzung von Zwischenauswertungen und Auswertungstreffen in der Projektstruktur bereits zu Beginn des Schuljahres, in der vor allem die Rollenverteilung, die Arbeitsorganisation und übergeordnete Aufgabenbereiche betrachtet wurden. Ziel dieser Treffen war es, allen Beteiligten den konkreten Nutzen von Reflexionsräumen bewusst zu machen und die Motivation für die Weiterentwicklung zu stärken.

Wichtig für Reflexionsräume in Schulen ist die Anerkennung und Ermöglichung durch die Schulleitung. In einer Schule, in der die Kulturgruppe einen regelmäßigen unterrichtsfreien Zeitraum für gemeinsame Treffen im Stundenplan hat und in der alle Mitglieder entlastet sind, kann Reflexion stattfinden. Auch regelmäßige Jours fixes mit Kulturbeauftragten ermöglichen die Reflexion von Prozessen.

Essenzielle Aspekte der Prozessreflexion sollten auch die Beteiligungsprozesse an der Ausgestaltung des jeweiligen Projekts bzw. Vorhabens sein: Wer gestaltete auf welcher Ebene zu welchem Zeitpunkt in welchem Maße mit? Reflexion in diesem Sinne bedeutet auch Reflexion über Ermächtigung und Wirkungsmächtigkeit – auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf Erfahrungen von Selbstwirksamkeit. Deshalb ist das Thema Reflexion auch auf der Ebene von Partizipation wichtig. Denn nur, wenn es ein ernsthaftes Interesse an der Meinung und Mitgestaltung von Schülerinnen und Schülern zu den Projekten gibt, haben diese eine Chance, Veränderungen zu bewirken. Als Beispiel für partizipative Reflexionsprozesse lässt sich die Teilnahme von Vertreterinnen und Vertretern der Schulsprecherteams an einigen Kulturgruppen nennen. Ein weiteres Beispiel sind Feedbackgespräche, die sowohl zwischen Lehrkräften und Kunstschaffenden als auch mit den beteiligten Schülerinnen und Schülern stattfanden.

Reflexion der Strukturen

In diesem Bereich standen Grundlagen der Organisationsentwicklung und des Kooperationsmanagements sowie die Steuerung und Begleitung von Schulentwicklungsprozessen im Mittelpunkt. Der Reflexionsprozess findet vornehmlich auf der Ebene der "reflection on action" statt und umfasst alle strukturellen Dimensionen, wie Rolle und Funktion des Schulleitungsteams, Befugnisse und Kompetenzen der Kulturagentinnen und Kulturagenten sowie der Kulturbeauftragten an den Schulen, die Einrichtung und Weiterentwicklung von Kultursteuergruppen, die Verankerung von Kunst und Kultur im schulischen Leitbild, die Curricula und so weiter. Außerdem wurden Fragen der Rollenklärung sowie der individuelle Stand der Kulturagentinnen und Kulturagenten im System Schule aufgegriffen und behandelt. Insbesondere in herausfordernden Konfliktsituationen wurden Methoden und Strategien für einen Reflexionsprozess auf der Ebene der "reflection in action" eingesetzt.

Eine besondere Herangehensweise war die Anwendung von künstlerischen Methoden zur Visualisierung und Verdeutlichung von Prozessen und aktuellen Thematiken. Ein Beispiel hierfür war der sogenannte Visionstag in Hamburg zum Ende des ersten Schuljahrs. Ziel war es, die Kulturagentinnen und Kulturagenten an ihre anfänglichen Visionen für die Arbeit in den Schulen zu erinnern. Aus dieser Metaperspektive heraus sollten sie dann die Weichen für das nächste Schuljahr stellen und dabei ihre Rolle im Blick behalten. Der Tag fand an einem außergewöhnlichen Ort am Elbstrand in Hamburg statt. Anhand von Schreibaufträgen, Postkarten und Bildern aus der Hafenkulisse entwarfen die Kulturagentinnen und Kulturagenten ihre Visionen für ihre weitere Arbeit im jeweiligen Schulnetzwerk.

Ein Kulturagent beispielsweise definierte anhand seines ersten Eindrucks in Schule den Kern seiner eigenen Arbeitsweise: Er wollte Projekte initiieren, die einen Wow-Faktor enthalten und Strahlkraft entfalten. Zu Beginn des Programms fehlte es ihm aber an aktiven Mitstreitern, und deshalb musste er eine Strategie entwickeln, wie Mitstreiter gefunden werden konnten. In einem zweiten Schritt erprobten die Kulturagentinnen und Kulturagenten dann verschiedene kreative Methoden zur Visionsarbeit, um den erfahrenen Prozess auch an ihren Schulen initiieren und begleiten zu können. In der Planungsphase entwickelten sie konkrete nächste Schritte und tauschten sich untereinander über ihre eigenen Workshopkonzepte für die Schulen aus.

Auch in anderen Bundesländern wurde mit künstlerischen Methoden gearbeitet. So gab es beispielsweise in Baden-Württemberg eine Fortbildung zum Thema Schulentwicklung, in deren Rahmen die Kulturagentinnen und Kulturagenten anhand von gezeichneten Landkarten den Entwicklungsstand ihrer Schulen reflektieren konnten.

System Schule

Das System Schule birgt spezifische Herausforderungen in sich, die eine künstlerische Arbeitsweise (prozessorientierte Herangehensweise) oft erschweren. Zentrale Themen der vielfältigen Reflexionsräume waren daher Funktion, Arbeitsweise und Charakteristik des Systems Schule und die daraus resultierenden Arbeitsansätze und -strategien für die Kulturagentinnen und Kulturagenten.

Wichtiger Bestandteil dieses Qualitätsbereiches waren Fortbildungen und Workshops, in denen es um die Schulung eines systemischen Blicks auf die Entwicklungen in Schule und das Denken in übergeordneten Strukturen ging. Fortbildungen im Bereich Organisationsentwicklung und Change Management stärkten den Blick der Kulturagentinnen und Kulturagenten von außen auf Schule als System und führten zu einer Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Arbeit. Diese Auseinandersetzung förderte auch eine vertiefende Rollenklärung.

Im Rahmen dieser Fortbildungen arbeiteten viele der Länderbüroteams mit Psychologen, Kommunikationsexperten und Schulentwicklern zusammen. Dabei wurden Themen, wie "Umgang mit Widerständen", "Logik von Veränderungsprozessen"5, "Knotenpunkte der Kommunikation", "Eigene Stärken stärken" – Active Constructive Responding (ACR) oder "Beziehungsebenen positiv gestalten", behandelt, die zur Reflexion der eigenen Arbeit im System Schule beitrugen.

Resümee

Insgesamt hat sich bei der Entwicklung der regionalen Qualifizierungsangebote gezeigt, dass es vor allem auf eine an den Themen der Kulturagentinnen und Kulturagenten orientierte und dem Programmverlauf folgende, gut geplante, aber doch flexible Mischung von Formaten und Inhalten ankommt.

Besonders im Rahmen der Reflexion galt das Prinzip des Voneinander- und Miteinander-Lernens. Denn nur über die Auseinandersetzung mit und die Abgrenzung zu den Kolleginnen und Kollegen waren alle in der Lage, das neue Berufsprofil "Kulturagent" zu entwickeln und auch ganz konkrete und praxisnahe Unterstützung bei den vielfältigen Aufgaben einer Kulturagentin bzw. eines Kulturagenten zu erhalten.

Die Arbeit im Team hat sich dafür aus der Sicht des Hamburger Landesbüros sehr bewährt. Aufgrund der räumlichen Situation des Stadtstaates waren regelmäßige Teamtreffen möglich, zudem bot das Büro einen gemeinsam von den Kulturagenteninnen und Kulturagenten nutzbaren Workspace. Alle Kulturagentinnen und Kulturagenten haben in diesem Setting den Raum gefunden, eine für sich passende Arbeitssituation zu gestalten und ihr individuelles Expertenwissen einzubringen – und neue Kulturagentinnen und Kulturagenten konnten von den Erfahrungen der anderen profitieren. Durch das prozesshafte Arbeiten und die regelmäßigen, durch das Landesbüro geschaffenen Reflexionsräume konnte ein kooperatives kollegiales Klima erlangt werden, in dem es auch möglich war, von Misserfolgen zu berichten, unterschiedliche Meinungen frei zu äußern und Beratung anzunehmen.

Die dabei generierten Auswertungen flossen in die Weiterentwicklung des Programms: Ziele wurden konkretisiert, Aufgabenbereiche modifiziert, Rollen geschärft und eine Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen abgeleitet. Dieses prozesshafte Arbeiten ermöglichte es auch neuen Teammitgliedern, von den Erfahrungen der anderen zu profitieren und ihre jeweilige Expertise sofort mit einzubringen.

Die Kulturagentinnen und Kulturagenten wurden auch darin qualifiziert, Reflexionsprozesse auch in Schulen zu initiieren und zu moderieren. Um die Schulen (und gegebenenfalls Kulturinstitutionen) bei der Reflexion und Auswertung der Aktivitäten zu unterstützen, erhielten die Kulturagentinnen und Kulturagenten in Form von Fortbildungen ein gezieltes Methodentraining, Kenntnisse über Instrumente und Techniken von Auswertung, über Qualitätsrahmen und ein Wissen über Entwicklungsprozesse in den Schulen.

Empfehlungen

Ein Kernarbeitsbereich des Hamburger Landesbüros war die prozessorientierte Qualifizierung, und dazu gehörten als wichtigste Elemente die Teamentwicklung und die gemeinsame Reflexion von Arbeitsprozessen. Nach vier Jahren Modellprogramm können wir sagen, dass es einige Gelingensbedingungen für Reflexionsprozesse gibt, die es lohnt zu berücksichtigen.

Ein wichtiger Punkt ist die strukturelle Setzung von Reflexionsräumen: Auch wenn Reflexion ein freiwilliger Prozess sein sollte, entstehen Reflexionsräume aus unserer Erfahrung nicht aus dem Nichts. Bereits zu Beginn des Schuljahrs definierte Termine für Zwischenauswertung, Auswertung und regelmäßige Feedbackgespräche werden später nicht mehr infrage gestellt. Die Setzung sollte zur Steigerung der Verbindlichkeit und Wirkungsmächtigkeit die Einbeziehung einer Person mit Leitungsfunktion (beispielsweise Schulleitung, didaktische Leitung etc.) beinhalten. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass plötzlich alle Teilnehmer absagen oder Besprochenes (beispielsweise Lessons Learned) später nicht umgesetzt wird. Wichtig sind auch die gute Vor- und Nachbereitung von Reflexionstreffen sowie ein passendes Setting und eine sehr gute Dokumentation. Außerdem sollte mindestens eine Person den gesamten Prozess im Auge behalten und in der Lage sein, die Reflexion zu strukturieren und zu moderieren.

Zu beachten ist außerdem, dass eine Reflexion immer Teil eines Entwicklungszyklus sein sollte, damit es nicht zum "Gut-dass-wir-darüber-geredet-haben-Phänomen" kommt und alle Erkenntnisse einfach verpuffen. Es braucht also neben dem Handwerkszeug der Moderation auch Projektmanagement-Tools wie beispielsweise Meilensteinpläne oder Konzepte, die angepasst werden können.

Es ist von großer Bedeutung, dass die Beteiligten positive Erfahrungen mit Reflexionsprozessen machen, und die erfolgen meistens auf vier Ebenen:

  1. Das, was ich gesagt habe, wurde gehört und meine Veränderungsvorschläge wurden aufgenommen.
  2. Ich habe gehört, wie die anderen mit bestimmten Situationen umgehen, und konnte von ihren Erfahrungen profitieren.
  3. Ich konnte meine eigene Arbeit durch den Blick der anderen noch einmal neu bewerten.
  4. Durch den Austausch mit den anderen habe ich eine umfassendere Sicht auf die Wirkungsweisen und Effekte des Projekts/gemeinsamen Vorhabens gewinnen können und identifiziere mich jetzt stärker mit den Zielen.

 

Es gibt zwei bisher noch nicht genannte Voraussetzungen, die mindestens genauso unabdingbar sind wie eine gute Vor- und Nachbereitung: einerseits eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der auch Misserfolge einen Platz haben; andererseits der große Respekt vor der Arbeit aller Mitstreiter – die sich in dem sehr komplexen System Schule mit seinen unterschiedlichen Anforderungsbereichen bewegen. Denn über die eigene Arbeit zu sprechen und anderen einen Einblick in Unsicherheiten zu geben, erfordert vor allem eines: Mut. Für einen effektiven Reflexionsprozess braucht es daher auch ein ehrliches und von den Reflektierenden selbstgewähltes Anliegen und keine versteckten Entwicklungsaufträge.