Rahel Puffert
Unerfüllt und trotzdem lehrreich
Rahel Puffert

Unerfüllt und trotzdem lehrreich

Ko-operationen in Zonen des Theaters und der Schule von Kunst und ihrer Vermittlung aus

Kurzbeschreibung

Workshop 11: Veränderung und Öffnung als Leitprinzip – Chancen und Herausforderungen für das institutionelle Selbstverständnis von Schulen und Kulturinstitutionen Kultureller und künstlerischer Arbeit werden immer wieder Heilserwartungen zugeschrieben, insbesondere in Bezug auf ihr gesellschaftliches Emanzipationspotenzial. In diesem Zusammenhang werden die Öffnung der Kulturinstitutionen und eine selbstkritische Reflexion über inhärente Ausschlussmechanismen gefordert. Aber wie können künstlerische Vermittlungsprojekte zur institutionellen Veränderung beitragen? Wie müssen Kunstprojekte aussehen, damit sie die Kinder und Jugendlichen auch wirklich erreichen? In Bezug auf die Schulen ist gerne von der „Sprengkraft der Kunst“ die Rede. Was ist damit gemeint, wie kann Kunst in der Schule eine solche Kraft entwickeln? In diesem Workshop wird es darum gehen, Projekte und Institutionen dahingehend zu befragen und zu diskutieren, inwiefern einzelne Projekte zum besseren Verständnis der strukturellen Bedingungen von Schulen und Kultureinrichtungen beitragen.

Sprechakt

"School first", so lautete die kurzfristige Absage des geplanten Beitrags eines Lehrers zum Workshop 11. Unvorhersehbare organisatorische Vorbereitungen hielten den Oberstudienrat und Kulturbeauftragten einer Grund- und Stadtteilschule in Hamburg davon ab, nach Dortmund zu kommen. Er hatte von seinen Erfahrungen mit der Projektarbeit (vor allem in den Bereichen Theater, Tanz, Film) berichten wollen und deren Einfluss auf die Schulkultur reflektieren. Ein bedauerlicher Perspektivverlust? Ja schon. Kooperation geplatzt? Vielleicht. Aber ließ sich die lapidare Absage nicht ebenso gut als überlegte Ansage interpretieren? Ob intendiert oder nicht – meinem Forschungsinteresse an Verfahren der Reduktion kam es jedenfalls entgegen, die Absage im Sinne eines programmatischen Slogans und damit als performativen Akt zu verstehen: "School first". Was diese Priorisierung für das Thema der Tagung bedeuten könnte, untersuche ich hier exemplarisch, indem ich zunächst ihre konkreten Folgen für den Workshop beschreibe. Das liefert den Auftakt, um noch in weiterer Hinsicht das Fehlen, Situationen der Leere sowie unsichtbare Operationen in ihrer Sinnhaftigkeit und Produktivität für die Ausbildung einer Schulkultur zu reflektieren. Denn vom Blickpunkt der Kunst und ihrer Vermittlung aus spielten sie im Verlauf des Workshops eine entscheidende Rolle.

Probe

Die Absage hatte zunächst den Effekt, dass der Zeitplan durcheinandergeriet. Telefonate, hektische Absprachen, kurzfristige Umplanung. Als Nebeneffekt stifteten die notwendigen Änderungen einen recht emotionalen, aber anregenden Erstkontakt mit Nicola May, der Intendantin des Theaters Baden-Baden, der in einer engagierten Diskussion über die Frage des Verhältnisses von Kunst und Bildung mündete. Der Kulturagent Ralf Eger bewies seine Stärke als ausgleichender Vermittler, und Nicola May vertrat ihren kritischen Standpunkt im Vorfeld mit Humor. Meine Person stimmte sich schon mal auf einen moderaten Tonfall ein. Die Tagungsorganisatorinnen überwachten fürsorglich und aus der Distanz das Geschehen. Gewissermaßen im Stehgreif hatten wir schon einmal unsere Plätze eingenommen und die Rollen für den bevorstehenden Morgen geprobt.

Ausführung mit diversen Vorhängen und Zwischenstücken

Im Workshop sollte es um Veränderung gehen. Durch Kunst oder durch Kunstvermittlungsprojekte. Jedenfalls an Schulen. Und auch an Kulturinstitutionen. Was könnten Projekte "zum besseren Verständnis der strukturellen Bedingungen von Schulen und Kultureinrichtungen beitragen?" lautete eine zentrale Frage.1 Es ging also um viel. Zu viel?

Ein lichter, etwas kühler, aber weitläufiger Raum. Um den als Tafel angeordneten Tisch saß eine Runde von etwa 25 Personen: Kulturagenten, Schulbeauftragte, Schulleiterinnen und Schulleiter, die Theaterpädagogin einer Oper ebenso wie Vertreterinnen und Vertreter von Kulturinstitutionen, der Politik und von Bildungseinrichtungen. Ute Pinkert, Professorin für Theaterpädagogik, war geladen, den ersten "Input" zu geben. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde verteilte Pinkert ein Handout und begann in einer Mischung aus akademischer Rede und persönlichem Bericht ihren Vortrag. Eine konzentrierte Stimmung stellte sich ein.

In Anlehnung an den Titel des Workshops "Veränderung und Öffnung als Leitprinzip – Chancen und Herausforderungen für das institutionelle Selbstverständnis von Schulen und Kulturinstitutionen" – bestand Ute Pinkerts Input aus drei Eingaben: Öffnung I–III.

Sie stellte damit nicht einfach drei Beispiele in den Raum, die anschließend diskutiert wurden. Eher verwies sie auf drei Ebenen der Betrachtung – oder besser: Sie lud in drei Zonen ein, in denen sich das Erwartete ereignen könnte oder zu denken wäre. Dieses Etwas, welches mit Öffnung assoziiert wird und als Anspruch an Kunst beziehungsweise an die Kooperation zwischen Schulen und Kultureinrichtungen mehr oder weniger explizit regelmäßig im Raum steht, sollte im Folgenden besser fassbar gemacht werden.

Öffnung I

Ute Pinkert berichtete von einem Projekt, das im Rahmen von "ARTuS! Kunst unseren Schulen!2 stattfand. Im Vergleich zu einer Vielzahl von Programmen zur Förderung kultureller Bildung an Schulen unter Einbeziehung von Künstlerinnen und Künstlern, kennzeichnete Pinkert ARTuS! als gut ausgestattete und durchdachte Struktur. Auf drei Jahre angelegt setze ARTuS! auf "Kontinuität und eine starke Einbeziehung der Lehrer/innen an den Schulen",3 wobei damit engagierte Lehrende aller Fächer gemeint waren und die Künstlerinnen und Künstler als deren "unterstützende Spezialisten" angesehen wurden. Der Hauptfokus von ARTuS! lag damit auf der "längerfristigen Zusammenarbeit zwischen Lehrer/innen und Künstler/innen" und dem Anspruch, die Schulkultur verbessern, also im besten Sinne transformieren zu wollen.

Das Projekt des Bildhauers Lothar Oertel gehörte hier in die Kategorie c) "Begreifen der Schule als "soziale Plastik" (Beuys)".4

Der für seine raumgreifenden Arbeiten bekannte und auf die Kraft des Materials setzende Bildhauer Oertel entschied sich in diesem Projekt zunächst dazu, sich "nur" in der Schule aufzuhalten und im Lehrerzimmer viel Zeit damit zu verbringen, mit den neuen Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Über Wochen tat er das und erzeugte dabei sowohl im Kollegium als auch bei den von ARTuS! eingesetzten Begleitforscherinnen und -forschern eine gewisse nervöse Aufmerksamkeit. Die Lehrenden genossen durchaus die Möglichkeit, in Oertel einen Ansprechpartner zu haben, bei dem man unterhalten werden und unter Umständen sogar strukturelle Fragen reflektieren konnte.

Leere 1: Seiteneffekt der Aktion des Sprechens über die Dauer: Die Erwartung an Kunst wurde spürbar, und zwar in ihrer immateriellen Hülle der Nicht-Erfüllung; vermutlich mehr als eine klassische Skulptur es heute noch kann.

Wenn an Kunst die Erwartung geknüpft wird, dass sie den unerfüllten Raum füllt, dann kann ihr bewusstes Ausbleiben das Unerfüllte, das bereits Angefüllte sehr konkret erfahrbar machen. Darin besteht unter anderem auch die Stille-Lehre bei John Cage.5 An Kunst werden Ansprüche gestellt. Aber diese meist uneingestandenen Ansprüche (an Aktivität, an Material, an Arbeit, an Ästhetik) machen sich besonders dann bemerkbar, wenn sie enttäuscht werden, wenn sie im Unsichtbaren verhaftet die Aufmerksamkeit nicht auf das Ausbleibende, sondern auf das Vorhandene lenken. In diesem Fall machte das Fehlen von Material auf den schulischen Raum und dessen Fülle (an visuellen, rituellen, architektonischen Elementen) aufmerksam. Oertel beließ es nicht dabei, sondern überraschte die Lehrenden offenbar nach mehreren Wochen seiner Anwesenheit eines Morgens mit einem neuen Eindruck der Fluretage: Sämtliche Poster, Zettel, Bekanntmachungen waren abgehängt. Die Informationsflut an Vorschriften war entfernt. Es muss erholsam gewesen sein. Und wiederum eine Sichtbarmachung durch Entzug: Womit sind unsere Räume eigentlich angefüllt? Hinweisschilder, Formulare, Regeln, Plakate der Schülerschaft … Warum sieht das eigentlich so aus, und wie sieht es überhaupt aus? Habe ich eigentlich je wirklich hingeguckt?

Leere 2: Um den schulischen Raum verändern zu können, muss ich ihn bemerken. Eine dritte Intervention Oertels bestand daher darin, in einem besonders frequentierten Eingangsbereich kleine handgeformte Tontiere auf dem Boden so anzuordnen, dass man sich beim Durchlaufen des Flures vorsehen musste, sie nicht zu zertreten oder auf andere Art zu übersehen. Laut Pinkert ging der Verteilung der ungebrannten Tonskulpturen die Beobachtung eines recht unbekümmerten Umgangs von einigen Schülerinnen und Schülern mit den Schulräumlichkeiten voraus. Eine Ausdehnung von Zerbrechlichkeit auf dem Boden. Stille Tiere. Sensibilisierung für den eigenen Körper im Raum. Widerstand des Feinsinns.

Oertels Interventionen mündeten in einer per Schulkonferenz beschlossenen Strukturveränderung. Sogenannte Tage der Stille wurden eingeführt, für deren regelmäßiges Stattfinden sich Schülerschaft wie Lehrende engagierten. Das Projekt war also erfolgreich. Es beeinflusste das Geschehen und die Kommunikation in der Schule und mündete in einer strukturellen Veränderung. Nur: Ohne die Anwesenheit des Künstlers wurden die Tage der Stille seltener, in der Routine des Alltags ging offenbar auch die Erinnerung an den Aufbruch verloren.

Leere 3: Veränderung von Schule ist möglich, allerdings kostet gerade der intensive und situationsspezifische künstlerische Eingriff mit "seiner starken Konzentration auf die Persönlichkeit des Künstlers für diesen eine extreme Kraftanstrengung […], der sich der entsprechende Kollege nach einem Schuljahr nicht mehr gewachsen fühlte".6

Inwiefern trägt Oertels Projekt nun zum besseren Verständnis der strukturellen Bedingungen von Schulen und Kultureinrichtungen bei?

In der später im Workshop geführten Diskussion wurde deutlich, dass Oertels Projekt bei den Teilnehmenden einen starken Eindruck hinterlassen hatte. Etwas wie Verwunderung war noch im Raum, als sich die ersten Bedenken artikulierten. Die Übertragbarkeit auf andere Schultypen wurde geprüft, Zweifel angemeldet und skeptisch nach dem (implizit als zu hoch oder unerreichbar eingestuften) finanziellen und personellen Aufwand gefragt. Diese Reaktionen lassen sich vielleicht am Besten verstehen, wenn man sie nicht von sich abspaltet, sondern an sich selbst qua selbstkritischer Reflexion analysiert. In meiner Wahrnehmung sind sie Symptome für die Unwahrscheinlichkeit, die Kunst hervorzubringen vermag. Dabei passiert zweierlei: Verunsichert durch die Begegnung mit einer neuen Möglichkeit, werden reflexartig die gewohnten und irritierten Denkbahnen auf ihre Verlässlichkeit hin kontrolliert. Gleichzeitig wird das für unmöglich Gehaltene einem Reality-Check unterzogen. Dabei ist es eigentlich schon zu spät, denn die gerade erfolgte ästhetische Differenzbildung lässt sich ja nicht einfach rückgängig machen, selbst wenn die Sprachbildung meist noch ein Weilchen hinterherhinken sollte.7 Die Kunst Oertels hatte uns unwiderruflich gezeigt, dass da etwas anders geht. Schwer zu glauben zwar. Aber selbst die Kategorie des Glaubens führte an dieser Stelle auf eine schiefe Bahn. Denn an der Stelle, wo die Wahrnehmung das Denken anregt, muss der Glaube gar nicht bemüht werden.

Ute Pinkert setzte ihren Vortrag fort:

Öffnung II

"Es geht eben nicht darum, Minderheiten in bestehende Institutionen einzugliedern oder einfach neue Politiken zu den bestehenden hinzuzuaddieren. Es gilt vielmehr, den Kern der Institutionen zu befragen, sie daraufhin abzuklopfen, ob die Räume, die Leitideen, die Regeln, die Routinen, die Führungsstile, die Ressourcenverteilungen sowie die Kommunikation nach außen im Hinblick auf die Vielheit gerecht und effektiv sind."8

Um das Verhältnis zwischen Kulturinstitution und Schule zu problematisieren, bezog sich Pinkert nun auf die Frage, was eigentlich Kulturinstitutionen aus theaterpädagogischer Sicht zur Veränderung von Schule, aber mehr noch zu einer der zeitgemäßen Theatervermittlung beitragen könnten. Mit Referenz auf die viel zitierte Kategorisierung kunstvermittelnder Arbeit von Carmen Mörsch9 argumentierte sie: Wenn es darum gehe, Theater als "veränderbare Organisationen" zu begreifen und weniger darum, Gruppen an das Theater heranzuführen als andersherum das Theater an die sie umgebende Welt – beispielsweise an ihr lokales Umfeld –, wie werden dabei dann Theaterkunst und "Umfeld" konzipiert und welches Theater wird wie produziert? An welche (auch theaterpädagogische!) Erfahrungen wäre hierfür anzuknüpfen?10

Nicht ohne sich vorher bei der Moderatorin die Erlaubnis für eine kritische Perspektive auf bereits Gesagtes einzuholen, bekundete die Theaterintendantin Nicola May eine vollkommen andere Sicht auf die Dinge. Entgegen der derzeit in Mode geratenen starken Tendenz zu partizipatorischen Projekten und der Hinwendung zu Bildungsarbeit sei sie als Leiterin des Theaters nicht für die Bildung zuständig, sondern für die Kunst. Zwar habe sie ein Interesse an einem neuen und jungen Publikum, selbst habe sie mit einem Kinder- und Jugendtheater in Baden-Baden begonnen, dennoch verstünde sie nichts von Bildung, sondern habe ihre Expertise in künstlerischen Fragen. Zustimmung machte sich bei den Zuhörerinnen und Zuhörern bemerkbar. Aber auch Pinkert stieß auf Resonanz, als sie entgegnete, dass Kulturinstitutionen oft extrem hierarchisch organisiert seien und in ihrer Personalstruktur oftmals veraltet, weshalb sie den Veränderungsbedarf weniger aufseiten der Schulen, denn aufseiten der Kulturinstitutionen vermute. Eine Pädagogin, die für eine Oper arbeitet, berichtete von den großen Schwierigkeiten, in diesen Strukturen mit neuen Ideen zu landen. May zeigte nicht nur Verständnis für diese Situation, sondern gab offen preis, dass sie ihre Leitungsposition dazu nutze, Beweglichkeit "zu verordnen". Jetzt fand auch das Plädoyer für ein Theater von Professionellen, welches sich nicht ausschließlich auf "Helden des Alltags" konzentriere, Widerhall. May spezifizierte ihr Interesse an den Jugendlichen als zukünftiges Publikum. Auch die Produktion müsse sich an seinen jungen Zuschauerinnen und Zuschauern orientieren, sonst bestehe die Gefahr, dass die "Stücke veralten". Der Kulturagent Ralf Eger berichtete von der konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Theater Baden-Baden und seinen drei Netzwerkschulen. Die Schauspieler des Theaters böten Workshops auch mit als "schwierig" geltenden Klassen an. Außerdem würden Theaterbesuche in der Schule vorbereitet und nachbereitet. Die Zusammenarbeit mit dem Theater wird in und mit den Schulen begleitet und regelmäßig evaluiert. Was Nicola May von den Schülerinnen und Schülern brauche? "Stoffe, Themen, Wahrnehmung." Exzeptionell sei die frühzeitige Kooperation des Theaters Baden-Baden vor allem deshalb, weil hier eine fünfjährige Kooperation per Vertrag zwischen Theater und Schulen beschlossen wurde, ohne dass die inhaltliche Ausrichtung festgelegt worden sei. Anschließend, May und Eger berichteten nun als eingespieltes Team, wäre es darum gegangen, die gegenseitigen Interessen herauszufinden und daraus etwas zu entwickeln. Weder eine Kritik noch Strukturfragen hätten am Anfang gestanden: "Es passiert einfach."11 Dabei verändere man sich.

Öffnung III

Egers und Mays Darstellung der Zusammenarbeit bildete ein gutes Beispiel für eine "strukturelle Koppelung", die Pinkert mit Luhmann als theoretisierende Beschreibung einer gelungenen Kooperation skizziert hatte.12 Dennoch gab es Widerspruch von verschiedenen Seiten: Bildungsarbeit an Kulturinstitutionen passiere höchstens auf dem Konzeptpapier "einfach", insbesondere die Beschäftigung von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern an Kulturinstitutionen erfolge nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche". Man könne den Institutionen ihren Bildungsauftrag nicht aufzwingen und stoße in der Regel auf große Widerstände. Wie repräsentativ das Theater Baden-Baden als vergleichsweise kleine und sich durch Beweglichkeit auszeichnende Kulturinstitution sei, wurde diskutiert.

Leere 4: Eine systemtheoretische Analyse nach Luhmann müsste im Einzelfall klären, auf welches andere System oder "Milieu" oder welche "Umwelt" das System Schule durch die jeweilige Kooperation eigentlich trifft. Für eine strukturelle Koppelung im transformativen Sinne sind reziproke Erwartungen – und seien sie noch so unausgesprochen – Bedingung. Deutlich wurde, dass die Interessen der zahlreich im Workshop erschienenen Einzelkünstlerinnen und -künstler nicht mit denen der Kulturinstitutionen gleichzusetzen sind. Was nicht ausschließen soll, dass es in beiden Fällen zu gelungenen Kooperationen mit Schulen kommen kann. Nur: ein ungleichgewichtiges Verhältnis von Erwartungen kann Kooperationen stark belasten.

Aus dem Zuschauerinraum

Wie sich in den vorhergehenden Gesprächsrunden bereits herausgestellt hatte und als Eindruck auch späterhin verdichtete, war die Tagung "Gemeinsam etwas bewegen: Kooperationen von Schulen und Kulturinstitutionen" durch unterschiedliche Gefühlslagen gekennzeichnet: Hohe Motivation und eine gewisse, geteilte Grundüberzeugung über die Wichtigkeit des Unterfangens gesellten sich zu dem Bewusstsein von und zum Teil ernüchternden Erfahrungen mit strukturellen Hindernissen. Ob diese als Gegenüber kritisiert oder als Voraussetzung eigenen Handelns begriffen werden, ob sie an Lehrplänen von Schulen, prekären Bedingungen von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern, veralteten Hierarchiemodellen in Institutionen oder der ungeklärten Finanzierung des Kulturagentenprogramms über 2015 hinaus festgemacht wurden. Viele der beteiligten Kunstschaffenden, Lehrenden sowie Kulturagentinnen und Kulturagenten problematisierten die Diskrepanz zwischen den hohen Ansprüchen und Erwartungen an ihre Arbeit einerseits und der fehlenden Sicherheit in Bezug auf den Fortbestand ihrer Bemühungen.13 Dieses richtete sich an die Politik, aber auch an die mit ihnen in Verhandlung tretenden Stiftungen: An die Adresse Letzterer wurde gegen Ende der Wunsch gerichtet, die Laufzeit des Kulturagentenprogramms um mindestens ein Jahr zu verlängern. Schließlich gab es den kollegialen Hinweis darauf, dass die realistische Einschätzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen am Anfang stehen müsse. Das richtete sich wiederum an überengagierte Kulturproduzenten.

Was die Brandenburger Schule exemplarisch durch die Einrichtung der Tage der Stille nach außen dokumentiert hat, ist zudem ein Bedürfnis nach Ruhe, nach Konzentration und Besinnung. Und das sei nicht im Sinne eines Rückzugs, sondern als gemeinsame, ritualisierte Erfahrung zu verstehen, die vielleicht auch eine Sensibilisierung des Hörsinns zur Folge haben könnte. Überlastung, übertriebene eigene und an die Arbeit herangetragene Ansprüche, ein hohes Konfliktpotenzial und der permanente Druck, sich nach außen offen und flexibel zu zeigen, werden in der Regel nicht nur im Bildungsbereich, sondern in fast allen Arbeitsgebieten zu Stressfaktoren. Paradoxerweise wird auf diese Weise sogar verfehlt, was der eigentliche Grund für das Tempo ist: produktiver und steigender Output. "School first" könnte als Echo auf diese hohen Erwartungen verstanden werden. Reicht es nicht vorerst aus, mithilfe von künstlerischen Interventionen, eine Schulkultur auszubilden, die sich durch Sensibilität und Offenheit gegenüber dem Anderen auszeichnet? Dass man freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern im Gegenzug faire und vergleichsweise verlässliche Arbeitsbedingungen anbietet, sollte aus meiner Sicht vor dem Hintergrund ihres freiwilligen Engagements für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe selbstverständlich sein. Und um nicht weniger handelt es sich ja bei der Arbeit an solchen Schulen, die an ihrem öffentlichen und demokratischen Auftrag festhalten. Dass Kulturinstitutionen, insbesondere die der Hochkultur, von beiden – der Unwahrscheinliches evozierenden Kunst und den zum Teil extrem avancierten institutionellen Schulstrukturen – viel lernen könnten, scheint mir ein wichtiges Ergebnis unseres Workshops zu sein.

 

1 Vergleiche Workshopankündigung der Tagung.

2 Ein Modellprojekt des Landesinstituts für Schule und Medien Brandenburg in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport sowie dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, das sich zum Ziel setzt, neue Formen von künstlerisch-ästhetischem Lernen im Sinne einer neuen Schul- und Lernkultur in den Schulen zu erproben. Vgl. http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/7019.html [11.7.2014].

3 Pinkert, Ute: ARTuS! – Kunst unseren Schulen! – Dynamiken eines Projektes. Zusammenfassender Bericht der wissenschaftlichen Begleitung, online: http://www.udkberlin.de/sites/theaterpaedagogik/ content/e348/e110993/e110995/infoboxContent160031/ARTuSKunstunserenSchulenAbschlussbericht_ ger.pdf [11.7.2014].

4 Für die diversen Projekte gab es unterschiedliche Formate, die regelten, wie die Künstlerinnen-/ Künstler-Kooperationen in den Schulbetrieb eingebunden waren. Die gesamte Liste: a) Arbeit mit einer kleinen Gruppe freiwilliger und interessierter Schülerinnen/Schüler außerhalb der regulären Unterrichtsstruktur b) Organisation einer festen Unterrichtsstruktur innerhalb derer verschiedene Methoden sinnlich-emotionaler Wirklichkeitsaneignung erprobt wurden c) Begreifen der Schule als "soziale Plastik" (Beuys) d) Künstlerisch-ästhetisches Lernen innerhalb eines "Extra"-Unterrichts e) Integration künstlerisch-ästhetischer Lernformen in einen projektorientierten Kunst- bzw. Medienunterricht, vgl. ebd. S. 10f.

5 John Cage, der an den Übergängen zwischen den Genres (zum Beispiel Bildende Kunst und Musik) interessiert war, hat in seinen Arbeiten eindrücklich auf den Entzug von Erwartetem gesetzt. Vgl.: Puffert, Rahel: Die Kunst und ihre Folgen. Zur Genealogie der Kunstvermittlung, darin: "Aktivierung (John Cage)", Bielefeld 2013, S. 166–170.

6 Pinkert, Ute: ARTuS! – Kunst unseren Schulen!, a. a. O., S. 11.

7 Pierangelo Maset beschreibt dieses Dilemma zwischen begrifflicher bzw. deskriptiver Fassung und Differenzbildung ästhetischer Praxis auch als Prozess der Reduktion von Differenz, bei dem "die Besonderheiten in die Zwangsjacke des Begriffs" geraten. Vgl. ders.: Ästhetische Bildung der Differenz. Kunst und Pädagogik im technischen Zeitalter, Stuttgart 1995, S. 123.

8 Terkessidis, Mark: "Die Heimsuchung der Migration. Die Frage der interkulturellen Öffnung des Theaters", in: Heart of the City. Recherchen zum Stadttheater der Zukunft. Theater der Zeit, Heft 7/8, Arbeitsbuch 2011, S. 42–53.

9 Mörsch, Carmen: "Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation", in: Dies. und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojektes, Zürich/Berlin 2009, S. 9–33.

10 Pinkert, Ute: "Theatervermittlung als Forschungsgegenstand", in: Art Education Research, Dezember 2011, Jg. 2 (4), S. 5.

11 Dank an Sahar Rahimi, Protokollantin des Workshops.

12 ""Strukturelle Koppelung" im Sinne von Niklas Luhmann beschreibt das Phänomen, wie zwei unterschiedliche Systeme, beispielsweise eine Kultureinrichtung und eine Schule, auf ein "Ereignis" in unterschiedlicher Weise – nach den Regeln, die sie jeweils bestimmen – reagieren und ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Dabei lassen sich manifeste (andauernde) von operativen (zeitlich begrenzten) strukturellen Koppelungen unterscheiden und richtet sich das Augenmerk auf die Veränderungen innerhalb der beiden Systeme, aufgrund derer es ihnen gelingt, sich miteinander zu verkoppeln." Hummel, Claudia; Fehr, Michael: "Elf ZOOM Patenschaften in Berlin – Abschlussbericht", in: Institut für Kunst im Kontext UdK Berlin (Hg.): ZOOM, Berliner Patenschaften Künste und Schule. Berichte und Materialien. Berlin 2011, S. 11.

13 Dass diese Sorge durchaus ihre Berechtigung hat, lässt sich nachlesen bei: Mörsch, Carmen: "Eine kurze Geschichte von KünstlerInnen in Schulen", in: Nanna Lüth/Carmen Mörsch (Hrsg.): Kinder machen Kunst mit Medien, München 2005 (Text auf DVD).