Silke Ballath, Nils Steinkrauss, Claudia Hummel
Wechselspiele –Verantwortungs- statt Methodenübernahme
Silke Ballath, Nils Steinkrauss, Claudia Hummel

Wechselspiele –Verantwortungs- statt Methodenübernahme

Eine Reflexion zum künstlerischen Pädagog_innenworkshop „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt …“

Kurzbeschreibung

Das Projekt bestand aus mehreren Workshops für Lehrerinnen und Lehrer, in denen die Teilnehmenden ästhetisch-forschende Strategien aus den Bereichen experimentelle Musik, Theater, Tanz, Text/Literatur, Film und Bühnenbild/Objektbau für den Einsatz in der Schule kennenlernten. Neben dem Kennenlernen von künstlerisch-experimentellen Herangehensweisen und der Erprobung von Methoden zur Wahrnehmungssensibilisierung lag der Fokus insbesondere auf der Gestaltung von Raumsettings für eine lebendige, kreative Lernkultur.

Bundesland

Berlin

Ort

Berlin

Thema

Künstlerischer Lehrerworkshop

Format

Projekttage

Projektdauer

Oktober 2012 – September 2013

Durchführungsorte

In der Schule
im Theater und in kommunalen Gebäuden

Beteiligte Lehrkräfte

Jährlich ca. 25
im Theater-Spielprojekt je 7
13

Kulturagent

Silke Ballath

Geben Sie die Schule frei und transformieren Sie sie in etwas anderes.
(Dr. Oliver Tempel, Experte zum Thema "Mehrfachidentitäten")1

Ich mach" mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt …

Für das Schuljahr 2012/13 haben das Internationale JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27 (Nils Steinkrauss, künstlerische Leitung) und das Programm Kulturagenten für kreative Schulen (Silke Ballath, Kulturagentin) mit Unterstützung der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft und der Regionalen Fortbildung Friedrichshain-Kreuzberg die einjährige ästhetisch-forschende Workshopreihe2 "Ich mach" mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt …" entwickelt.

Das Konzept zielte auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Pädagog_innen3, Lehrer_innen, einem festen Künstler_innenteam, den Dramaturg_innen und Prozessbegleiter_innen (Pippilottas: Dirk Wullenkord, pädagogischer Leiter, Schlesische 27, und Claudia Hummel, Institut für Kunst im Kontext, Universität der Künste Berlin) ab. Der Workshop richtete sich an Pädagog_innen der Fichtelgebirge-Grundschule und der Refik-Veseli-Schule. Die Teilnehmer_innen sollten ästhetisch-forschende Strategien aus den Bereichen experimentelle Musik, Theater, Tanz, Text/Literatur, Film und Bühnenbild/Objektbau für den Einsatz in der Schule kennenlernen. Hierbei wurden sie von dem Künstler_innenteam Rainer Untch, Antonia Isabelle Weisz, Anja Scheffer und Stefan Roszak begleitet. Neben dem Kennenlernen von künstlerisch-experimentellen Herangehensweisen und der Erprobung von Methoden zur Wahrnehmungssensibilisierung lag der Fokus insbesondere auf der Gestaltung von Raumsettings für eine lebendige, kreative Lernkultur.

Prozesse und Dramaturgie

Die existierenden Formate für Fortbildungen künstlerischer Arbeit in Schulkontexten zielen zumeist auf das Erlernen künstlerischer Techniken und Methoden mit einem pragmatischen Übertragungsmoment auf den Unterricht. Die Fortbildungsangebote richten sich zudem selten an ganze Kollegien und zielen noch weniger auf eine professionsübergreifende Zusammenarbeit von Erzieher_innen, Sozialarbeiter_innen und Lehrer_innen ab. Bei der Zusammenarbeit aller beteiligten Akteur_innen entstand folgende Vision: Der im Folgenden beschriebene Workshop sollte das Arbeiten mit künstlerisch-experimentellen Ansätzen vorstellen und einen Transfer in den Schulalltag für langfristig-strukturelle Veränderungsprozesse eröffnen. Davon ausgehend sollte eine Analogie zwischen Sinnlichkeit, Lerninhalten, Atmosphäre und (Schul-)Raum, ein thematischer Zusammenhang zwischen spezifischen Schulthemen und den künstlerischen Workshops entstehen.

Auf Sachensuche – sinnliche Fundstücke

Auf Sachensuche – sinnliche Fundstücke

Auf Sachensuche – sinnliche Fundstücke

Die Figur Pippi Langstrumpf stand für ein spielerisches Herangehen im Spannungsfeld von künstlerischem und pädagogischem Selbstverständnis und für eine Selbstermächtigung, bestehende Handlungsräume infrage zu stellen und zu erweitern. Es entstanden daraus folgende Themen:

  • Auf-Sachen-Suche (Arbeit mit sinnlichen Artefakten, Spuren und Eindrücken)
  • Spunk (Aufbrechen und Umgang mit Definitionen)
  • Was sollen wir lernen? (Der Schulkanon – eine kritische Bestandsaufnahme)
  • Die Villa Kunterbunt (Raumwahrnehmung, -forschung, -gestaltung)
  • Plutimikation (Transfer in die Schule)

Die Dramaturgie der Workshops war als Ereignisplanung innerhalb eines offenen, modifizierbaren Prozesses geplant. Als Dramaturg_innen sorgten wir für ein Gleichgewicht der unterschiedlichen Perspektiven, Bedürfnisse und Vorgehensweisen von Künstler_innen und Pädagog_innen. Jeder einzelne Termin wurde von uns, ausgehend von den thematischen Setzungen und auf die Erfahrungen des vorangegangenen Termins reagierend mit den Künstler_innen zusammen diskutiert und geplant.

Komme ich morgens in die Schule habe ich einen Plan A und evtl. einen Plan B. Oft kommt dann Plan C zum Tragen, der auf der Schwelle des Klassenzimmers entworfen wird. Und das entbehrt nicht weniger Dramatik als ein Mittelklassekrimi im Regionalprogramm. Künstlerische Energie erfordert dies allemal. Und doch: Wird das dadurch veredelt zu künstlerischer Dramaturgie? Komme ich morgens in die Schule und will künstlerisch dramatisch lehren, brauche ich dennoch einen Inhalt, den ich künstlerisch, dramatisch bewegen will (…) Ist der Lehrende, die Lehrende der große Dramaturg, der gleich einem Regisseur alle Schüler zur Einsicht, zur Klärung, zum Erfolg, zur Frage bewegt? Oder ist er nur der Bühnenarbeiter, der die Schauplätze dieses Geschehens bereitstellt und im rechten Moment das Saallicht ausknipst?
Dr. Bojka Bokdanovic, Expertin zum Thema "Rollenwechsel: vom Unterrichtsplan zur künstlerischen Dramaturgie"

Auf Sachensuche – sinnliche Fundstücke

Auf Sachensuche – sinnliche Fundstücke

Auf Sachensuche – sinnliche Fundstücke

Die Veranstaltungsreihe folgte also nicht einem Ablaufplan von Themen, intendierte nicht das Lehren und Zurverfügungstellen von Methoden und Techniken, sondern beinhaltete eine Dramaturgie von Angeboten, die sich spielerisch zu einem facettenreichen Kaleidoskop von Perspektiven, Zugängen und Möglichkeiten zusammensetzte. Eine Dramaturgie der Abläufe war dabei nicht allein Grundlage unserer Arbeit, vielmehr wollten wir den Begriff selbst erweiternd zu Lehrplan und Unterrichtsplanung setzen, verbindet er doch theatrale Überlegungen von Anordnung und Spiel mit kontinuierlichen Prozessen der Wahrnehmung und Reflexion, die wir in den Bildungskontexten an Schulen verbindlich – und nicht wie bisher temporär als etwas Besonderes – etablieren wollten. Neugier auf ästhetische Forschungsprozesse sollte entstehen. Wir wollten die Teilnehmer_innen darin bestärken, sich persönlich zu involvieren, Erfahrungen im Gruppenprozess zu erleben und Verantwortung für gemeinsame künstlerische Prozesse zu übernehmen.

  1. Es gibt keinen Müll.
  2. Wenn es doch Müll geben sollte, ist unsere ästhetische Wahrnehmung so anzupassen, dass daraus Hochkultur wird (…).
  3. Basteln Sie sich doch gefälligst Ihre eigenen Methoden!
    Dr. Alexander Müller, Experte zum Thema "Do it yourself - der kleine Methodenrucksack"

Raum als Medium

Die Praxis des Umfunktionierens von Räumen und Raumanordnungen war eines der wesentlichen Grundanliegen der künstlerischen Workshops, um Irritationen innerhalb der bestehenden Ordnungen einzuleiten und zu hinterfragen. Flure, Klassen- und Lehrerzimmer, die Aula, Toiletten und Sportanlagen und nicht zuletzt das Schulgebäude selbst: Die Potenzialität eines Raumes definiert sich in der Regel ausschließlich über seine Funktion. Der Wahrnehmung des Klassenzimmers als einem Raum, dessen Zweck durch Tafel, Tische und Stühle zugewiesen wird, wollten wir ein Spiel mit Veränderungen entgegensetzen, das als Eröffnung lustvoller Möglichkeiten und nicht als Bedrohung rezipiert wird.

Die erste Hälfte des Workshops fand in und rund um die Räumlichkeiten des Internationalen JugendKunst- und Kulturhauses Schlesische27 statt. Die Workshopräume, die Ateliers und das Theater, selbst der Lesesaal und die Küche erzählen von vergangenen Veranstaltungen und künstlerischen Projekten. Die Teilnehmer_innen sprachen explizit von einer inspirierenden Atmosphäre, die sie einlud, sich auch auf ungewohnte und eigenwillige Unternehmungen einzulassen. Dabei war nicht allein die Wahl des Ortes konzeptionell verankert, sondern explizit auch ein daraus resultierendes – quasi doppeltes – Missverständnis, das während der Fortbildung thematisiert werden sollte: die konventionelle Trennung von Kultur- und Schul- respektive Lernort und die dramaturgische Funktion des Raumes selbst.

Viel zu selten wird Schule als (trans-)kultureller Versammlungs- und Interaktionsraum wahrgenommen. Die Räumlichkeiten werden stattdessen eher be- denn entgrenzend begriffen und in der Folge eher negiert als in die Arbeit eingebunden. Die Einrichtung der Workshopräume erfolgte entsprechend einem Inszenierungsgedanken, der sich an der Idee eines Bühnenbilds orientierte, im Sinne einer "Ausstattung" eines Stücks, einer Aufführung, nicht an der Dramaturgie eines Moderationskoffers. Während der Vorbereitungen machten wir uns Gedanken über den Einsatz von Licht, die Auswahl und Anordnung von Sitz- und Arbeitsgelegenheiten, die Zurverfügungstellung von Requisiten (vulgo Material) und situationsgebunden auch Kostüm und Maske. Zumeist – aber nicht immer – erwartete die Gäste eine warme, in jedem Fall einladende Atmosphäre: Benötigtes Material etwa wurde in Pools oder Ressourcenhaufen in Szene gesetzt, seine Auswahl hatte eher Improvisations- denn reinen Funktionscharakter; die sich durch die Konvention und Gewohnheit anbietenden Raumnutzungen wurden teils bewusst verändert oder verdreht; vorgefundene – banale – Gegenstände in die Aktivitäten integriert.

Der französische Phänomenologe Michel De Certeau begreift narrative Handlungen als Grundformen von Praktiken, die den Raum durch den Index des Körpers im Diskurs organisieren. Ihm zufolge ist der "[…] Raum ein Geflecht von beweglichen Elementen".4 Raum entsteht also aus Aktivitäten, die in ihm stattfinden, und ist demnach grundsätzlich veränderbar, da ihm die jeweilige Aktivität seine Bedeutung, seinen Inhalt, seine Form einschreibt. In Bezug auf Lernsituationen wird in dieser Definition deutlich, dass sich der Raum aus den Gegebenheiten, die in ihm stattfinden entwickelt und kein statisches Konstrukt ist, sondern flexibel und transformierbar sein kann.

Schlesische27: Dort flossen die Ideen; Leute, mit denen ich sonst nichts anfangen kann, mit denen konnte ich sogar etwas gemeinsam gestalten.
Dr. Sandra Borckwart, Expertin zum Thema "Druck im Kessel? Anleitung zur Muße"

Hürden zeigten sich dann jedoch beim Wechsel des Ortes von der Schlesischen27 in eine der beteiligten Schulen. Viel schwerer schien es den Lehrpersonen und Erzieher_innen dieser Schule zu fallen, in den Räumen ihres beruflichen Alltags denselben Flow zu erfahren, der an den Nachmittagen in der Schlesischen 27 zu erlangen war.

Die Frage nach den Bedingungen von Raum wurde im Erleben und Erfahren von unterschiedlichen Raumanordnungen und durch die verschiedenen Settings, auch beim Transfer aus der Kulturinstitution in die Schule, immer wieder aufgeworfen. "Die Erzählung von Räumen ist auf unterster Stufe eine gesprochene Sprache, das heißt ein Sprach-System, das Orte aufteilt, indem es sich durch eine Fokussierung der Äußerung und durch den Akt seiner praktischen Ausführung artikuliert."5 Beispielsweise veränderte sich das anfangs formulierte Ziel der Pädagog_innen, einen Lernort (Labor- oder Werkstattcharakter) zur Anwendung und Erprobung künstlerischer Strategien aufzubauen. Im Laufe der Workshops ging es immer weniger darum, einen fertigen Raum zu gestalten. Die Uminterpretation vorhandener Architektur wurde zur künstlerischen Strategie.

Warum stinkt's hier so?
Warum ist hier so viel Staub?
Wer hat sich das Gelb hier ausgedacht?
Warum ist das Licht hier so aggressiv? Fühl mich wie im Krankenhaus. Fühl mich eingesperrt.
Und welche Verbindung haben Musik und Bilder?
Wo ist eigentlich der Teppichboden?
Wo ist mein Orchester?
Zitate von Pädagog_innen aus dem Raumforschungsfilm, der im Rahmen der Workshopreihe entstanden ist.

Widerstände

Unser Versuch, nicht allein kontinuierliche Beteiligungsmöglichkeiten anzubieten, sondern Mitverantwortung für die Dramaturgie der gesamten Workshopreihe einzufordern, stieß bei den Teilnehmer_innen auf erhebliche Widerstände und wurde partiell mit dem Wunsch nach stärkerer Führung und Autorität beantwortet. In der Folge entwickelten wir deshalb gemeinsam mit Anja Scheffer, Antonia Isabelle Weisz und Rainer Untch das folgende Setting: Das Szenario für ein Casting einer Produktionsfirma, das Schauspieler_innen für einen Film sucht. Die beteiligten Künstler_innen und Dramaturg_innen hatten selbst – durchaus autoritär angelegte – Rollen (Regisseur_in, Produktionsleitung und andere), deren anordnender Charakter über den gesamten Zeitraum des Workshops gespielt und nicht infrage gestellt werden durfte. Die Pädagog_innen waren spielerisch zu einem Vorsprechen eingeladen. Ihnen wurden unterschiedliche Rollen zugeschrieben. Nach dem Vorsprechen arbeiteten wir mit Improvisationsübungen aus dem Theater, um Fragestellungen und Begriffe aus der Prozessbegleitung aufzugreifen (sich und den eigenen Alltag überwinden, Team sein, Gefühle, Rollenwechsel, etwas mitnehmen/etwas mitgeben, vermitteln, Form/Inhalt, Expert_innen und anderes). Aus diesem Setting entstanden karikierende Szenen, die überspitzt mit vorgegebenen Rollen, Mustern und Vorurteilen spielten.

In einem zweiten Setting wurde der karikierende Umgang mit Rollen provozierend auf die Spitze getrieben, indem wir den Teilnehmer_innen Expert_innenkenntnisse zuschrieben. Beim "Gründungskongress: Institut für kreative Forschung (IKF)" sollte von ihnen zu Themen referiert werden, die explizit die Verantwortungsübernahme thematisierten respektive antizipierten, wie beispielsweise "parallele Leben – Strategien zur Überwindung", "Perspektivwechsel als Möglichkeit und Spiel", "Meine Haltung, deine Haltung: Einstellungen mit Veränderungspotenzial", "Druck im Kessel? Anleitung zur Muße", "Plutimikation: künstlerischer Wahnsinn und Grenzüberschreitung" oder "Meckern und Vision? Ein Überbrückungsversuch".

In dem Moment, wo ich die Grenze spüre und sie überschreiten will, habe ich sie bereits überschritten.
Dr. Ulrike Lenz, Expertin zum Thema "Plutimikation: künstlerischer Wahnsinn und Grenzüberschreitung"

Wir bedienten die formulierte Erwartung der Pädagog_innen nach mehr Führung und Autorität mit einem von uns gesetzten Szenario. Wir arbeiteten bewusst mit einem Bruch zu den bisherigen partizipativen Strukturen der Workshopreihe. Der Wunsch oder die Forderung, nicht selbst entscheiden zu müssen/wollen, wie ein Workshop gestaltet ist, war immer wieder Teil unserer gemeinsamen Auseinandersetzungen. Bewusst (über-)erfüllten wir die Forderung nach stärkerer Führung, um das permanente Changieren zwischen Selbstbestimmtheit und Dienstleistung zum Thema der künstlerischen Auseinandersetzung zu machen. Brüche und Widerstände sollten mit diesem Setting nicht als Belastung empfunden, sondern als notwendiger Bestandteil eines kreativen Prozesses wahrnehmbar und erlebbar werden. Aus diesem Erleben erwuchs für uns ein entscheidender emanzipatorischer Akt: die Transformation von Selbstbestimmung in Selbstermächtigung und die Bereitschaft, die persönliche Haltung aus eigenem Antrieb infrage zu stellen und zu modifizieren. Der anfängliche Konflikt führte letztendlich in eine selbstorganisierte Abschlussveranstaltung der Teilnehmer_innen, zu der sie ihre Schulkolleg_innen einluden. Die Abschlussveranstaltung beinhaltete eine verbal unvermittelte künstlerisch-performative Dramaturgie, die ästhetisch erfahren werden konnte oder auch nicht.

Die Kunstvermittlerin und Kuratorin Nora Sternfeld beschreibt diese Aktionsräume wie folgt: "Es ist vielleicht ein Raum der Kritik im Foucault"schen Sinne, in dem Entunterwerfung stattfinden kann – ein Raum der ,freiwilligen Unknechtschaft" und ,reflektierten Unfügsamkeit", ein Raum für die Möglichkeit des Unmöglichen. Das ,entschiedene Vielleicht" will einem Unverhältnis gerecht werden, das sowohl die Notwendigkeit der Entscheidung als auch jene der Kritik an den bestehenden Angeboten zur Entscheidung zugleich möglich macht. Ausgehend davon, dass es eine Alternative zu den zur Entscheidung stehenden Alternativen gibt, gilt es, sich für diese zu entscheiden, ohne sie bereits zu haben."6 Insofern lassen sich autoritäre Dispositionen spielerisch durchaus nutzen, wenn sie ihre eigene Auflösung zur Folge haben.

Aneignung

Aus der Perspektive der Prozessbegleiterin Claudia Hummel ergab sich folgende Beobachtung: Rückblickend hat die Workshopreihe in ihrem Verlauf eine deutliche Klimax entwickelt. Von verschiedenen ersten Erfahrungen im ästhetischen Forschen und künstlerischen Handeln, angeleitet durch die Künstler_innen, sind eigene Vorlieben beziehungsweise eigene "Forschungsschwerpunkte" entstanden (beispielsweise experimentelle Musikinstrumente bauen, immer das Medium Sprache nutzen und Texte, die in einer der ersten Workshops geschrieben wurden, später wieder aufnehmen). Im Verlauf zeigte sich, dass sich die Teilnehmer_innen die Veranstaltungen mehr und mehr aneigneten. Offenbar bildeten sie einen zeitlichen und räumlichen Rahmen – einen geschützten Raum, den sie schätzten, als Genuss empfanden und für sich selbst (auch wenn sie in Teams arbeiteten) zu nutzen lernten. Mit der Zeit wurde auch deutlich, dass sie ihn sogar ganz für sich selbst nutzen wollten – ohne Verwertungsdruck im Hinblick auf die Schule und ohne Absicht auf Selbstoptimierung für die Zukunft. Immer wieder wurde betont, dass die Workshopnachmittage ein genussvolles Gegenstück zum beruflichen Alltag darstellten, gleichwohl dadurch legitimiert, dass es sich um Veranstaltungen im beruflichen Kontext handelte.

Obgleich die Teilnehmer_innen sich am Ende entschieden haben, mit verschiedenen Zwischenergebnissen und eigens für den Abschluss konzipierten Performances an die Öffentlichkeit (ihres Kollegiums) zu gehen – und hier potenziell als Multiplikator_innen der Idee auftraten, künstlerisch-ästhetische Arbeitsweisen in die Schule einzubringen –, reklamierten sie die Workshops doch in erster Linie für sich selbst. Die (Zweck-)Freiheit, die es durch ästhetisches Forschen und künstlerisches Handeln zu gewinnen gibt, war hier stärker als die implizierte Aufforderung der Workshops, die erfahrenen Dinge zur Anwendung zu bringen und damit die eigene Unterrichtspraxis und langfristig Schule als Ganzes zu verändern.

Die zur Halbzeit der Workshops vom Konzeptionsteam teilweise geäußerte Kritik, dass es auch eine Frage der Haltung sei, ob und wie man künstlerisch-ästhetische Arbeitsweisen in den eigenen Unterricht integriert, wurde zumindest während der Veranstaltung von den meisten Teilnehmer_innen mit Widerständigkeit beantwortet. Entweder vertraten einzelne die Meinung, dass sie das bereits tun würden, oder es wurde argumentiert, dass diese hier praktizierten Weisen des Arbeitens mit einer ganzen Schulklasse nicht durchgeführt werden könnten.

Carmen Mörsch formuliert, dass kulturelle Bildung – und als eine Praxisform derselben könnte man die hier beschriebenen Workshops bezeichnen – gesellschaftlich nicht als Instrument der Selbstoptimierung genutzt werden sollte. Die kulturelle Bildung "dient der Förderung von gesellschaftlicher Emanzipation und Mitbestimmung und damit der permanenten (Selbst-)Befragung […]. Sie dient der Ausbildung von Widerborstigkeit. Sie betont das Potenzial der Differenzerfahrung beim Bilden mit Kunst und setzt dem Effizienzdenken die Aufwertung von Scheitern, von Suchbewegungen, von offenen Prozessen und offensiver Nutzlosigkeit als Störmoment entgegen. Anstatt Individuen den Willen zur permanenten Selbstoptimierung als beste Survival-Option anzubieten, stellt sie Räume zur Verfügung, in denen – neben Spaß, Genuss, Lust am Machen und Herstellen, Schulung der Wahrnehmung, Vermittlung und Bildwissen und allem anderem, was für kulturelle Bildung konstitutiv ist – auch Probleme identifiziert, benannt und bearbeitet werden können."7

Die Workshopreihe hat einiges von dem erbracht, was Mörsch als Möglichkeit formuliert. Würde sie fortgesetzt, wäre ein nächster Schritt in der Auseinandersetzung mit der ästhetischen Gestaltung und Gestaltbarkeit von Schule und Unterricht möglicherweise das Identifizieren, Benennen und Bearbeiten von Problemen – beispielsweise in Bezug auf strukturelle Defizite des eigenen beruflichen Alltags, den gesellschaftlichen Druck auf die Lehrer_innen, die Geringschätzung der bereits vorhandenen schulischen Arbeitsweisen durch Akteur_innen der Kunst und Kultur, die Freiheiten von künstlerischem Handeln in der Bildung bei gleichzeitigem Zwang, der den Programmen für Künste in der Bildung innewohnt.

1 Dieser und alle folgenden Zitateinschübe in kursiver Schrift entstammen den Vorträgen zum Gründungskongress IKF (Institut für kreative Forschung) im Rahmen der künstlerischen Workshops. Doktortitel und Fachbezeichnungen gehören zur Rolle, die den Pädagog_innen in dem künstlerischen Workshop des Gründungskongresses IKF von dessen Dramaturg_innen zugeschrieben wurden.

2 Der künstlerische Workshop für Pädagog_innen zielte darauf ab, das Kollegium der Fichtelgebirge-Grundschule und der Refik-Veseli-Schule weiterzubilden mit der Intention, einen Transfer in den Schulalltag herzustellen und ähnliche Arbeitsweisen mit den Schüler_innen zu entwickeln. Tatsächlich ist aus der Workshopreihe ein neues Format entstanden, das die erprobten Ansätze aus dem Workshop in den Unterricht einbaut. Siehe dazu: Roszak, Stefan; Ballath, Silke: "Ach Meiz, get i chmex, tua hfna del. Lautpoetische Stimmexperimente und ein Co-Mentoring zwischen Künstler, Kulturagentin und Lehrerinnen", in: Mission Kulturagenten - Onlinepublikation des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen 2011–2015", Berlin 2015.

3 Eine Anmerkung zur Schreibweise in diesem Artikel: Es bestehen viele Möglichkeiten der Indikation von Geschlechtervielfalt in der Schriftsprache. Die Autor_innen des vorliegenden Textes bevorzugen die Verwendung des Unterstrichs, der gerade durch die Unterbrechung von Substantiven performative Hinweise auf real existierende Geschlechtervarianz jenseits von Männlichkeiten und Weiblichkeiten produziert. Die "Erschwerung" der Lektüre durch diese Unterbrechung ist insofern intendiert.

4 Certeau, Michel de: Kunst des Handelns, Berlin 1988, S. 218.

5 Ebd., S. 238.

6 Sternfeld, Nora: Das pädagogische Unverhältnis. Lehren und lernen bei Rancière, Gramsci und Foucault, Wien 2009, S. 129.

7 Mörsch, Carmen: "Glatt und Widerborstig – Begründungsstrategien für die Künste in der Bildung", in: Netzwerke weben – Strukturen bauen. Künste für Kinder und Jugendliche, Band 1, Zürich 2009, S. 53f.