Stephan Bock
Identitätsstiftung mit Kunst - Die Marie-Curie-Realschule, Mannheim
Stephan Bock

Identitätsstiftung mit Kunst - Die Marie-Curie-Realschule, Mannheim

Bundesland

Baden-Württemberg

Beteiligte Schülerinnen und Schüler

300

Beteiligte Lehrkräfte

22

Kulturagent

Judith Denkberg

-

Für die Humboldt-Realschule Mannheim war das Schuljahr 2012/2013 von einschneidenden Veränderungen geprägt. Sie erhielt einen neuen Namen: Marie-Curie-Realschule und bereitete den Umzug in ein neues Haus vor. Daraus ergaben sich Chance und Notwendigkeit, die Schulidentität zu reflektieren. Für das Kulturagentenprogramm – das im Jahr zuvor startete – bot sich die einmalige Gelegenheit, diesen Veränderungsprozess zu begleiten und mitzugestalten.

An der vergleichsweise kleinen Schule wird die Vielfalt an Nationen und Kulturen, die dort herrscht, besonders sichtbar. Kunst und Kultur als universelle Sprache wurden daher schon immer als verbindende Elemente geschätzt, die zur Verständigung und Identifikation beitragen, und in die sich alle Schülerinnen und Schüler einbringen können. Die bestehenden Ansätze durch Qualität aufzuwerten und weiterzuentwickeln sowie das besondere Profil "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" durch Kunst noch stärker sichtbar zu machen, waren die wesentlichen Motive für die Teilnahme am Kulturagentenprogramm. Es herrschte daher zu Beginn große Offenheit und Lust, etwas Neues zu initiieren, auch wenn nicht ganz klar war, wie sich das gestalten würde.

Diese Euphorie wich allerdings erst einmal der Ernüchterung. Für die Schule war die größte Herausforderung der Anfang, als das Kulturagentenprogramm selbst sozusagen noch in den Kinderschuhen steckte und die Schule sich mit Informationen versehen sah, die sie als widersprüchlich erlebte. Damit neben dem anstrengenden Alltagsbetrieb zu Beginn eines neuen Schuljahres umzugehen, war für die Schule nicht ganz einfach. Andererseits war es gut, dass Unebenheiten und Hürden gleich zu Beginn auftauchten, denn nach deren Überwindung konnte man sich der zweiten großen Herausforderung, dem Umzug, stellen.

Ein Umzug in ein neues Gebäude ist immer mit Aufbruch und Veränderung verbunden, aber auch mit Stärkung und Pflege des Bewährten; an der Marie-Curie-Realschule betrifft das vor allem die Themen Toleranz, Respekt, Verantwortung und Zusammenleben. Der Umzug gestaltete sich in drei Phasen: dem Abschiednehmen, dem eigentlichen Umzug und dann dem Ankommen – der Suche nach der Identität an einem neuen Ort.

Das vom Kulturagentenprogramm geförderte Projekt "Identitätsstiftung mit Kunst" zwischen September 2012 und April 2013 griff die darin enthaltenen Themen auf. Alle fünf Workshops für rund 120 Schülerinnen und Schüler begleitete die Leitfrage: "Wer sind wir und wie können wir uns ästhetisch-gestalterisch ausdrücken?"

Fotogramm aus dem Projekt "Kunst als Experiment" der Marie-Curie-Realschule Mannheim in Kooperation mit dem Wilhelm-Hack-Museum
Foto: Nelmin Spahic

Partizipation fördert Identifikation

Vor allem bei der Entwicklung des Corporate Designs wurde auf breite Beteiligung der Schülerschaft gesetzt. So entwarfen und gestalteten die Schülerinnen und Schüler der Klasse 8a ein neues Schullogo, über das Identität grafisch zum Ausdruck gebracht werden sollte. In einem Auswahlverfahren, an dem die gesamte Schule beteiligt war, wurde aus allen Entwürfen das neue Logo gekürt. Es ist jetzt überall sichtbar – auf dem Briefkopf, auf Einladungen für Elternabende, im Außenbereich auf dem Banner und auf der Homepage. Auch die neue Homepage wurde von Schülerinnen und Schülern einer 8. Klasse entwickelt. Im Mittelpunkt standen dabei Funktionalität und Ästhetik und insbesondere die Farbgestaltung. Im Projekt "Kunst für Toleranz" stellte sich die 9. Klasse die Frage: "Wie kann man mit künstlerischen Mitteln für Toleranz werben?" Zu vorgegebenen Mottos – beispielsweise "Vielfalt ist Reichtum" – entstanden Collagen von selbst angefertigten Fotografien, die als Basis für die Gestaltung von Postkarten dienten. Einzelne Entwürfe wurden in einem reflektierten Abstimmungsprozess ausgewählt, gedruckt und in einem breiten Umfeld verteilt.

Um Toleranz, Respekt und Verantwortung ging es auch im Projekt "Bitte mit Respekt!", in dem zwei 5. Klassen untersuchten, was respektvolles Verhalten in der Klassengemeinschaft und im Schulalltag bedeutet. Die Ergebnisse dieser tanz- und theaterpädagogischen Prozesse wurden zusammengefasst und vor Publikum in der Schule aufgeführt. Im Projekt "Gedicht am Kubus" erarbeiteten Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse mit einer Theaterpädagogin sprachlich und szenisch das Gedicht "Jeder Mensch hat einen Namen" der Dichterin Zelda Schneersohn Mishkowsky. Am Glaskubus – dem Denkmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Mannheim – führten die Schülerinnen und Schüler anlässlich des Jahrestages der Deportation eine bewegende Performance auf und wirkten so auch in das städtische Umfeld hinein.

Die Ängste der Schülerinnen und Schüler, die mit Veränderungsprozessen verbunden waren, wurden ebenfalls thematisiert. So entstand ein Rap-Video, in dem der Umzugsprozess mit all seinen positiven und negativen Eindrücken verarbeitet wurde.

Neue Erfahrungen, erweiterter Kunstbegriff und Rollentausch

Im Projekt "Nur Skulptur" ging es um die partizipative Gestaltung des neuen Schulortes. Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 7b näherten sich unter Anleitung eines Bildhauers und Kulturpädagogen dem Thema "Skulptur im öffentlichen Raum" und durchliefen alle Arbeitsphasen eines künstlerischen Schaffensprozesses. Angeregt von den Werken des Künstlers Eugène Delacroix und seiner Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und ihrem Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" entstanden in einer Themenwoche Entwürfe, die dann unter Anleitung des Bildhauers als Stahlskulpturen gefertigt wurden und seither das Schulgelände schmücken.

Die Beteiligten sammelten wichtige neue Erfahrungen: Zusammenarbeit im Team, gegenseitige Unterstützung wie auch selbstständiges Arbeiten und Auseinandersetzung mit einem für sie neuen Kunstbegriff. Eine Schülerin beschrieb es so: "Wenn man an Kunst denkt, denkt man meistens nur ans Malen von Bildern. Aber nach diesem Projekt haben wir gemerkt, dass Kunst vieles andere sein kann und ermöglicht, dass man seine eigenen Stärken findet oder was man eigentlich noch kann. Und dann ist man stolz auf sich."

Eingebettet war dieses Projekt in die Ausstellung "Nur Skulptur" in der Kunsthalle Mannheim. Eine zweite Gruppe der Siebtklässler erprobte den Rollentausch – aus Schülerinnen und Schülern wurden Lehrende, und aus den Lehrerinnen und Lehrern wurden Lernende. Seit Schuljahresbeginn gingen die Siebtklässler ein- bis zweimal die Woche in die Kunsthalle und erhielten von zwei erfahrenen Kunstpädagogen Anleitung und Unterstützung in der Vorbereitung einer Führung. Am Ende kam das gesamte Kollegium im Rahmen eines Lehrerausflugs in der Ausstellung zusammen, und die Schülerinnen und Schüler stellten jeweils zu zweit oder zu dritt den Lehrkräften ein Kunstwerk vor, darunter Werke von Auguste Rodin, Max Ernst, Gustav Seitz oder Thomas Rentmeister. Dabei agierten die Jugendlichen schon fast wie Profis; sie ließen die Lehrerinnen und Lehrer zeichnen, stellten Fragen und regten zum Nachdenken an. Die Schülerinnen und Schüler lernten nicht nur viel über die Künstler und ihre Werke, sondern auch, wie schwierig es ist, vom Publikum Aufmerksamkeit zu erhalten.

Projektarbeit und/oder Unterricht?

Projekte außerhalb des regulären Unterrichts durchzuführen, ist oft mit einem enormen Kraftakt verbunden. Er erfordert die Abstimmung des Stundenplans mit den Zeitplänen externer Künstlerinnen und Künstler und den Interessen der davon betroffenen Lehrerinnen und Lehrer. So erlebte die Kulturbeauftragte, "dass dann der Mathelehrer sagt, ja, meine Güte, das ist ja ganz toll, was ihr da macht, aber ich muss dringend Mathe machen. Wir haben am Ende des Jahres Prüfungen". Es hat sich daher bewährt, die künstlerische Arbeit mit in den Unterricht hineinzunehmen. Dadurch kann die Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern auch kontinuierlich über einen längeren Zeitraum wachsen. So wurden viele Projekte in den Unterricht integriert, auch um Verknüpfungen zu den nichtmusischen Fächern herzustellen und Synergieeffekte zu nutzen.

Die Führung durch die Ausstellung "Nur Skulptur" war beispielsweise eng mit dem Schulprojekt "Wirtschaften, Verwalten, Recht" (WVR) verknüpft. Ein Ziel dieses Pflichtprojektes ist, dass Schülerinnen und Schüler lernen, sowohl selbstständig als auch im Team zu arbeiten und dies in der Abschlussprüfung zu demonstrieren. Diese Fähigkeiten konnten die Schülerinnen und Schüler in der Museumsarbeit trainieren. Das Projekt wirkte sich auch auf den Deutschunterricht aus, da Kunstvermittlung viel mit Sprache und ihrer Anwendung zu tun hat. Das Vorhaben "Gedicht am Kubus", dem Mahnmal für die deportierten Juden, war ebenfalls fächerübergreifend angelegt. Es ging um die Verknüpfung von Literatur und szenischer Darstellung mit dem Geschichts- und Deutschunterricht.

Förderlich für die Umsetzung von Kulturprojekten war die Tatsache, dass die Schule schon länger in Form von Blockunterricht arbeitet und sich dieses Format bewährt hat.

Ein großes Projektformat ist die jährlich stattfindende Themenwoche, an der alle Klassen und das gesamte Kollegium beteiligt sind. Es ging darum, das umzusetzen, was die Schule ausmacht. Die Themenwoche ist eng mit dem Leitbild der Schule – "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" – und den sich daraus ergebenden Anforderungen verknüpft. Für die Schulleiterin Daniela Götz ist es das, "was an oberster Stelle steht, und wir schauen, was sich in dem Schuljahr verändert hat. Woran sollten wir noch mal arbeiten? Aus dieser Auseinandersetzung ergeben sich die Jahresthemen. Aber wie diese dann ausgestaltet werden, wird wiederum gemeinsam mit unserer Kulturagentin Judith Denkberg überlegt."

Die Auswirkungen künstlerisch-kreativer Prozesse auf den Unterrichtsalltag beobachtete Götz eher indirekt. "Messen kann man das nicht, das kann man nur subjektiv wahrnehmen." Die Erfahrung des selbstständigen Arbeitens in Projekten, die Übernahme von Verantwortung, das Zusammenarbeiten in Teams, aber auch mit fremden Personen, wie den Künstlerinnen und Künstlern – hier ist die Schule überzeugt, dass es Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler, auf ihre Persönlichkeit und auf die Art des Arbeitens in der Schule hat. Aber auch auf die Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie zum Beispiel in die Schülerrolle schlüpfen und sich durch das Museum führen lassen.

Ideal verteilte Rollen

Die konstruktive Zusammenarbeit von Schulleitung, Kulturbeauftragter und Kulturagentin mit einer klaren Aufgabenverteilung war eine wichtige Gelingensbedingung für den kulturellen Entwicklungsprozess. Sie sorgte auch für den notwendigen Kommunikationsfluss und erleichterte damit die Umsetzung einzelner Maßnahmen. Die Schulleitung schätzte die Kompetenz der beiden, die in ihren Augen die eigentliche Arbeit machten. Ihre Aufgabe sah sie darin, ihnen den Rücken frei zu halten und für optimale Rahmenbedingungen zu sorgen, zum Beispiel den Stundenplan den aktuellen Bedürfnissen anzupassen, im Vorfeld – gegen Ende des Schuljahres – entsprechende Zeitfenster zu setzen und für eine umfassende Kommunikation des Programms in die Lehrerkonferenzen und in den Elternbeirat zu sorgen. Gerade diese Bereitschaft zur offenen Kommunikation erlebte die Kulturagentin von Beginn an als positiv und als eine Besonderheit an der Schule.

Die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Kunstschaffenden war für die Schule ein Gewinn. Künstlerinnen und Künstler bringen eine andere Sicht auf Schule und neues Know-how mit ein. Sie achten auf die künstlerische Freiheit, während Lehrerinnen und Lehrer es eher gewohnt sind, nach einem genauen Plan zu arbeiten; entlang einer klaren Struktur. Zudem haben sie einen anderen Zugang zu den Schülern, wenn es zum Beispiel um Disziplin geht. Letztendlich waren die Art, wie der Künstler auf Kinder und Jugendliche reagiert, und die Frage, inwieweit er schon Erfahrung mit Lerngruppen hat – mit jüngeren wie mit älteren, mit vielen wie mit wenigen – ausschlaggebend für die weitere Zusammenarbeit.

Netzwerkarbeit

Eine unmittelbare Kooperation im Dreiernetzwerk der Schulen fand nicht statt; dazu sind die Schulen zu unterschiedlich und außerdem geografisch sehr weit voneinander entfernt. Allerdings spielte die Kulturagentin als Informationsknotenpunkt eine wichtige Rolle. "Es hat sich bewährt, dass ich den Schulen immer von Erfahrungen, die ich in anderen Schulen gemacht habe, berichtet habe. Gemeinsam haben wir versucht, aus diesen Erfahrungen zu lernen", meint Judith Denkberg. Dies betraf sowohl Künstler als auch Projektideen.

Wie geht's weiter?

Die Schule hat im Verlauf der vier Jahre arbeitsfähige Strukturen und nachhaltige Formate für die kulturelle Profilentwicklung geschaffen, aber die Schulleiterin Daniela Götz sieht – trotz aller Erfolge – die "Phase der kreativen Schule" noch nicht angebrochen; dafür sind für sie noch zu viele Fragen offen: "Das Kulturagentenprogramm … bedeutet sehr viel Arbeit. Und wir haben immer gesagt, das tragen wir; wir sind uns auch der Verantwortung bewusst, weil es eben auch Geld für die Schule bedeutet. Aber im Umkehrschluss muss ich auch sagen: Anders geht es nicht. Wenn es keine Entlastung für meine Kollegen und wenn es kein Geld gibt, dann ist die Qualität einfach nicht so, wie sie sein muss."

Es ist nicht nur die Qualität, die außerschulische Partner mitbringen; es sind auch neue Ideen, die vonseiten der Schule allein nicht realisierbar und die auch häufig mit dem Verlassen der schulischen Räume und dem Aufsuchen von anderen Lernorten verbunden sind. So geht es jetzt vor allem darum, entweder selbst Sponsoren zu finden oder Künstlerinnen und Künstler oder Institutionen, die ihrerseits über Kontakte zu Stiftungen und anderen Fördertöpfen verfügen.

Daneben müssen die personellen Rahmenbedingungen stimmen. Die Rolle der Kulturagentin wird als unverzichtbar angesehen; nicht nur als diejenige, die die vielen Ideen der Schule bündelt, zu Papier bringt und hilft, sie mit ihrem Know-how umzusetzen, sondern die auch in der Lage ist, den zusätzlichen administrativen Aufwand – netzwerken, Kontakte herstellen, Vertragsverhandlungen führen, Anträge schreiben und abrechnen – zu bewerkstelligen. Dies gelingt nur in enger Zusammenarbeit mit der Kulturbeauftragten, die dafür zeitlich entlastet werden muss.

Auf dem Weg zur "kreativen Schule" setzt man auf bewährte Kooperationen. So wird die Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum wie auch mit freiberuflichen Künstlerinnen und Künstlern, mit denen die Schule gute Erfahrungen gemacht hat, fortgeführt. Unterstützung erfährt die Schule auch durch das Regionale Bildungsbüro Mannheim, das eine systematische Netzwerkarbeit zwischen Schulen und außerschulischen Partnern fördert. So trifft man sich bereits am Runden Tisch, um auszuloten, wie es weitergehen kann. Auch besteht ein enger Kontakt zur Stadt Mannheim, die ein großes Interesse an der kulturellen Profilierung der Schule zeigt. Sie lud zur Eröffnungsfeier der neuen Schule ein, und Vertreter der Stadt sind häufig bei wichtigen kulturellen Anlässen anwesend.

Für die Kulturagentin Judith Denkberg ist die Schule ein "Musterbeispiel", weil sie von Anfang an verstanden hat, welches Potenzial das Kulturagentenprogramm für sie beinhaltet. Die Schule hat es genutzt und mit Hilfe des Programms eigene Potenziale geschaffen, auf denen sie ihre Zukunft als "kreative Schule" aufbauen kann.