Andreja Dominko
ART 21 – ein neues Profilfach
Andreja Dominko

ART 21 – ein neues Profilfach

An der Stadtteilschule Niendorf eröffnen neue Lernorte

Kurzbeschreibung

Das an der Stadtteilschule Niendorf neu konzipierte Profil „art 21" ist ein künstlerisches, fächerübergreifendes Profil mit starkem Bezug zur zeitgenössischen Kunst unter Anwendung der englischen Sprache. „art 21“ wird seit Sommer 2013 erstmalig im Jahrgang 8 an der Stadtteilschule Niendorf angeboten und eröffnet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, über einen Zeitraum von vier Schulhalbjahren kontinuierlich begleitet durch eine Lehrkraft, in Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle sowie acht eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern, zu einem spezifischen künstlerischen Themenfeld arbeiten zu können.

Bundesland

Hamburg

Ort

Hamburg

Beteiligte Klassenstufen

8 bis 9

Thema

neues Profilfach mit Kunst und Englisch

Sparten

Bildende Kunst

Format

im Unterricht

Beteiligte Schülerinnen und Schüler

23

Projektdauer

1x die Woche über 4 Schulhalbjahre (August 2013 – Mai 2015)

Durchführungsorte

In der Schule
im Museum und in der Stadt

Kulturagent

Andreja Dominko

"Die neueste Umfrage des National Endowment of the Arts zur Teilnahme der Bevölkerung an kulturellen Ereignissen […] bestätigte, dass die Teilnahme an der so genannten Hochkultur weiter sinkt. Dies gilt für die Sparten Museum, Ballett, Theater, Oper und Symphonie. Besorgniserregend ist insbesondere der Besucherschwund bei der jungen, gut ausgebildeten Bevölkerung, die traditionell den Nachwuchs für das Kernpublikum der oben genannten Sparten bildete […]. Die Erwartungen an die Präsentation und Vermittlung von Kunst und Kultur haben sich maßgeblich verändert."1

art 21 – die Idee

Seit 2012 unterrichtet die an der Leuphana Universität in Lüneburg ausgebildete Lehrkraft Aileen Stahl die Fächer Kunst und Englisch an der Stadtteilschule Niendorf in Hamburg. Im Februar 2013 trug Frau Stahl die Idee an mich heran, gemeinsam im Rahmen des Kulturagentenprogramms ein neues Profilangebot für die Mittelstufe zu entwickeln, das die Fachbereiche Kunst und Englisch vereint, mit besonderem Fokus auf die Vermittlung zeitgenössischer Kunst. Aktuelle Positionen der Gegenwartskunst bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte zur englischen Sprache und daher eine Vielfalt sinnstiftender Vermittlungsformate zur Annäherung an die englische Sprache in Wort und Schrift, sodass nicht nur eine ausschließlich kunstaffine Schülerschaft für dieses Profil gewonnen werden konnte. Nach einer intensiven produktiven Entwurfsphase entstand im Sommer 2013 das Konzept für das neue Profilfach art 21 (art twentyone) in Kooperation mit der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle.

An der Stadtteilschule Niendorf wird in den Jahrgängen 8 und 9 sowie 12 und 13 in Profilklassen gelernt. Sie setzen unterschiedliche fachliche Schwerpunkte und haben für den Profilunterricht einen ganzen Tag pro Woche zur Verfügung. Diese Struktur ermöglicht ein gezielt projektorientiertes Lernen. Das im Rahmen des Kulturagentenprogramms konzipierte Profilfach art 21 knüpft an diese Struktur an.

Struktur und Konzeption von art 21
Grafik: Aileen Stahl

art 21 – die Ziele

23 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 8 arbeiten intensiv mit ihrer Lehrkraft über vier Schulhalbjahre mit acht Künstlerinnen und Künstlern und der Hamburger Kunsthalle im Bereich der zeitgenössischen Kunst unter Anwendung der englischen Sprache zusammen. Das Konzept sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler über einen Zeitraum von vier Schulhalbjahren, kontinuierlich von der Lehrkraft Aileen Stahl und mehreren professionellen Künstlerinnen und Künstlern begleitet, zu einem spezifischen künstlerischen Themenfeld arbeiten. Die künstlerische Praxis wird außerdem mit Sequenzen in englischer Sprache verbunden, in denen die Schülerinnen und Schüler in Wort und Schrift künstlerische Positionen rezipieren, darüber reflektieren und sie dann präsentieren. Hierzu wurden folgende künstlerische Erfahrungsfelder zur Bearbeitung spezifiziert:

  • Material_ • Linie_• Film_ • Fotografie_

Die Schülerinnen und Schüler sollen die Möglichkeit erhalten, die Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle sowie ausgewählte zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler und deren Werke kennenzulernen. Unter Anwendung der englischen Sprache soll die zeitgenössische Kunst durch die unmittelbare Begegnung mit Kulturschaffenden für Schülerinnen und Schüler als lebendiges und vielschichtiges Phänomen ihrer Gegenwart erfahrbar gemacht werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit professioneller, künstlerischer Begleitung und unter Anwendung vielfältiger künstlerischer Techniken eigene Kunstwerke kreieren sowie deren Präsentation selbstständig planen und umsetzen. Sie können auf diese Weise ihre individuellen kreativen Stärken und Interessen selbstbestimmt entdecken.

Soweit die Theorie, nun zur Praxis:

art 21 – die Durchführung

"Damit sich Menschen als Rezipienten für Kunst interessieren, damit sie sich eigene Urteile zutrauen und offen für die Anregungen sind, die Kunst bieten kann, müssen sie zu aktiven geistig tätigen Kulturnutzern, im besten Falle selbst zu künstlerisch Tätigen werden. Wie Besucherforschungen zeigen, sind diejenigen, die selbst als Kunstamateure tätig sind, auch das aktivste Kulturpublikum."2

Im August 2013 wurde das neu konzipierte Profilfach art 21 erstmalig im Jahrgang 8 an der Stadtteilschule Niendorf angeboten.

Erste Einheit: Material

Zu Beginn des Schuljahres 2013/2014 stand eine Einheit zum Erfahrungsfeld "Material" in der zeitgenössischen Kunst im Fokus.

Ein übergreifender Kontext für künstlerisches Handeln kann sich aus dem gewählten Material ergeben. Seine stofflichen Qualitäten fordern zur Handhabung heraus und sind zugleich Träger von Bedeutung. Der Eigensinn des Materials prägt die Gestaltung, wenn Aktivitäten, Bearbeitungs- und Darstellungsmöglichkeiten auf Form, Struktur und Beschaffenheit der Dinge antworten. Anregungen zur Erschließung solch künstlerisch-kreativer Erfahrungsfelder sammelten die Schülerinnen und Schüler während der Ausstellungsbesuche zu 25 Jahre Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle. Im Anschluss führten die Künstlerin Sabine Mohr und der Künstler Rüdiger Knott jeweils einen Workshop an unterschiedlichen Lernorten (Museum/Atelier/Galerie/öffentlicher Raum) durch.

art 21, Material
Foto: Aileen Stahl

Zweite Einheit: Linie

Die zweite Einheit im zweiten Schulhalbjahr befasste sich mit dem künstlerischen Erfahrungsfeld "Linie". Die Linie ist ein elementarer Bestandteil einer jeden Zeichnung. Als Kontur dient sie als erstes bildnerisches Mittel beim Darstellen eines Gegenstands, zugleich ist sie von hohem künstlerischen Abstraktionsgrad. Linien finden wir allgegenwärtig in unserem Alltag wieder, beispielsweise bei Leitsystemen zur Orientierung oder als Spurenmarkierung auf der Straße. Der je nach Gestaltungsart variierende optische Charakter der Linie – ab- oder ansteigend, schlängelnd, im Zickzack verlaufend – kann unterschiedliche psychische Wirkungen erzielen.

Gemeinsam mit der Künstlerin Karin Haenlein und dem Künstler Jonathan Sachau besuchte die Profilklasse art 21 die Ausstellung der Künstlerin Gego "Line as Object" in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle. Dort begaben sie sich gemeinsam auf eine inhaltliche Spurensuche zum Themenfeld "Linie". Führungen im Dialog unterstützten den prozesshaften und partizipativen Charakter der Ausstellungsbesuche.

Mit Jonathan Sachau wurden zum Thema "Linie 8" großflächige Graffitis auf dem Schulgelände entwickelt und gesprüht. Nach einer intensiven Spurensuche konzipierten die Schülerinnen und Schüler unter Anleitung der Künstlerinnen und Künstler in der Schule ein eigenständiges künstlerisches Vorhaben zum Thema "Linie" und erforschten praktisch in vier Einheiten das gestalterische Potenzial einer Linie.

art 21 in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle
Foto: Aileen Stahl

art 21 – Durchführung im Prozess

Dritte Einheit: Film

Im dritten Schulhalbjahr steht das künstlerische Erfahrungsfeld "Trickfilm" im Zentrum von art 21. Zwei Trickfilmer werden an die Stadtteilschule Niendorf eingeladen, um in sechs Einheiten gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern ein Trickfilmprojekt durchzuführen. Das Medium Trickfilm vereint die Ausdrucksmittel fast aller Kunstformen: Malerei, Bildhauerei, Literatur, Musik, Grafik, Typografie, Fotografie, Objektkunst – alles kann hier eingesetzt werden. Die besonderen Möglichkeiten, die der Film durch die zeitliche Abfolge von Bildern bietet, werden beim Trickfilm am konsequentesten genutzt, denn hier arbeitet die Regisseurin/der Regisseur mit jedem einzelnen Bild der Filmsekunde. Die unendlichen Möglichkeiten, die der Fantasie keine Grenzen setzen, dazu die Genauigkeit im Detail, mit der sich jeder Gedanke auf den Punkt bringen lässt – diese Faktoren machen Trickfilm zum idealen Kommunikationsmittel. Seine Stärke ist die Konzentration von komplexen Inhalten auf wenige Sekunden.

Die Schülerinnen und Schüler erforschen das Medium Trickfilm in eigenen Projekten; sie werden darin unterstützt, selbst erfundene Geschichten und Bilder vom Einzelbild bis zum vorführbaren Film umzusetzen. Dabei werden sie zum Austausch und zur Kooperation untereinander ermuntert und von den Künstlerinnen und Künstlern während der technischen Umsetzung professionell begleitet.

Vierte Einheit: Fotografie

Die Fotografie steht im Zentrum der vierten Einheit. Auch hier werden sich zwei der geladenen Künstlerinnen und Künstler gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern thematisch der Begrifflichkeit "art 21" widmen.

Die Fotografie ist zu einem festen Bestandteil der künstlerischen Praxis geworden. Sie definiert sich dadurch, dass die Kamera Wirklichkeit einerseits maschinell-instrumentell in objektiver Weise registriert, andererseits das fototechnische Medium aber von der subjektiven Sichtweise, Fantasie und Bildinterpretation desjenigen abhängig ist, der das Bild macht. Indem Subjektivität und individuelle Erlebnisweise eingebracht werden, kann ein eigenes Bild entstehen.

Eine öffentlichkeitswirksame, abschließende Ausstellung des Profilfachs art 21 findet an dem im Rahmen des Kulturagentenprogramms neu installierten Kulturtag FORUM ARTIS an der Stadtteilschule Niendorf im Sommer 2015 statt.

art 21 in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle
Foto: Aileen Stahl

art 21 – ein innovatives, übertragbares Format mit Zukunft?

"Kulturvermittlung ist nicht nur Verständnishilfe zwischen Kunst und Publikum, sondern meint auch, die spezifischen Stärken der Künste für das Zusammenleben im Alltag zu nutzen, ihre Fähigkeit, kommunikative Prozesse in Gang zu setzen, die Wahrnehmung auf das Gewohnte zu verrücken, zu zeigen, dass alles auch ganz anders sein könnte."3

Regelmäßig berichtet die Lehrerin Aileen Stahl im Rahmen der Kulturgruppentreffen und der Fachbereichskonferenz Künste an ihrer Schule über die gesammelten Erfahrungen im neu installierten Profil. Ziel ist es, dem Kollegium das fächerübergreifende Potenzial von zeitgenössischer Kunst zur Vermittlung der englischen Sprache für ihre eigenen Unterrichtsvorhaben zu verdeutlichen sowie die neu geschaffenen Netzwerke aus einzelnen Kooperationspartnerschaften für alle Interessierten nutzbar zu machen.

Im November 2014 wurde art 21 im Rahmen der Halbzeittagung des Kulturagentenprogramms sowie des Netzwerktreffens der Hamburger Kulturagenten einem breiten Fachpublikum unter großem Zuspruch vorgestellt. Die spezifischen Gelingensbedingungen sowie Kriterien der Übertragbarkeit wurden von den beteiligten Akteurinnen und Akteuren intensiv diskutiert.

Folgende Grundanforderungen wurden hierzu erarbeitet:

  • eine langfristige Bereitstellung benötigter personeller und finanzieller Ressourcen an den Schulen zur Sicherung von Qualitäten und Strukturen solcher Pilotprojekte
  • eine stärkere curriculare Implementierung von ganztägigen, fächerübergreifenden, künstlerischen Formaten bereits in der Mittelstufe
  • eine Verbesserung/Modernisierung vorhandener Kunsträume/Werkstatträume und deren Ausstattung

Ein fortwährender Austausch in der Fachschaft weit über das eigene Schulnetzwerk Hamburg-Eimsbüttel hinaus konnte erfolgreich angeregt werden.

art 21
Foto: Aileen Stahl

art 21 – Fazit und Ausblick

art 21 bietet den Schülerinnen und Schülern der Stadtteilschule Niendorf die Entdeckung neuer Möglichkeiten, Perspektivwechsel und transformatorische Selbstbildungsprozesse. Alle Beteiligten sind sich einig: art 21 stellt eine gelungene kulturelle Bildungssituation her, verabschiedet sich von den traditionellen Vermittlungsvorstellungen an Schulen und am Museum und öffnet sich vielmehr aktueller Didaktik, neuen Lerntheorien und neuen Lernorten!

Selbstverständlich verläuft eine solche Profilentwicklung weder linear noch glückt sie immer im Sinne der ursprünglich formulierten Zielperspektiven, sondern unterliegt erfahrungsgemäß Schwankungen. Das ist gut so. Denn weder überzogene Euphorie noch regressive Skepsis tragen zur Stabilität im Gestaltungsprozess bei. So können und sollten auch Stolpersteine als wesentliche Bestandteile von Lernprozessen akzeptiert werden.

Noch während ich im Dezember 2014 an diesem Artikel schreibe, erreicht mich eine freudige Nachricht: Die Leitungsgruppe der Stadtteilschule Niendorf hat bezüglich der finanziellen Ressourcen zur zukünftigen Umsetzung von art 21 eine positive Entscheidung treffen können, die die Sicherung von Strukturen und Qualitäten des Profilfachs auch über das Programmende hinaus ermöglichen. Die Honorare der Kulturpartner sowie die Sachmittel zur Projektumsetzung werden zukünftig von der Schule finanziert. Eine Mut machende Botschaft, die nicht nur das außerordentliche Engagement einer einzelnen Lehrkraft sowie ein inhaltlich überzeugendes Konzept belohnt. Die Stadtteilschule Niendorf setzt damit ein deutliches Zeichen: Sie hat sich auf den vielversprechenden Weg gemacht, um den Prozess der kulturellen Schulentwicklung schulintern und -extern erfolgreich voranzutreiben. Mögen ihr viele folgen!

 

Eine Informationsbroschüre über art 21 finden Sie hier.

1 Das Zitat stammt von der Marketing-Direktorin des US-amerikanischen Cincinnati Symphony Orchestra, Sonja Ostendorf-Rupp, vgl. Ostendorf-Rupp, Sonja: US-Kulturmarketing. Trendwörter 2013, US-Blog vom 31.10.2013, zitiert nach Fuchs, Max: "Elfenbeinturm oder menschliches Grundrecht? Kulturnutzung als soziale Distinktion versus Recht auf kulturelle Teilhabe", in: Mandel Birgit, Renz, Thomas (Hg.): MIND THE GAP. Zugangsbarrieren zu kulturellen Angeboten und Konzeptionen niedrigschwelliger Kulturvermittlung, Hildesheim 2014, S. 16–21, hier S. 16, online: http://www.kulturvermittlung-online.de/pdf/tagungsdokumentation_mind_the_gap_2014.pdf [12.12.2014].

2 Mandel, Birgit: Kulturvermittlung. Zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005, S. 54.

3 Dies.: Konzeptionen und Handlungsfelder der Kulturvermittlung, München 2008, S. 16.