Heinz Gniostko
Kulturelle Bildung und Kulturkooperationen als Motor für Schulentwicklung
Heinz Gniostko

Kulturelle Bildung und Kulturkooperationen als Motor für Schulentwicklung

Kurzbeschreibung

Workshop 14 Kreativität auf Knopfdruck? Freiräume für künstlerische Kooperationen in der Stundentafel Kreativität in 45- oder 90-Minuten-Einheiten ist nicht immer möglich, denn Kreativität benötigt Raum und Zeit. Wie können Zeitfenster für Kulturarbeit erschlossen oder eine Rhythmisierung des Unterrichts eingeführt werden? Macht es Sinn, ein Neigungsfach „Kultur“ fest im Stundenplan zu etablieren? In diesem Spannungsfeld und auf der Grundlage der Erfahrungen und Ideen der Workshopteilnehmenden wird diskutiert, wie groß die Spielräume der Schulen sind und welche Formate wie umgesetzt werden können.

Einleitend wies der Moderator auf das weit verbreitete Bild der Schule mit festen Strukturen hin, insbesondere dem 45-Minuten-Raster des Unterrichts, und verdeutlichte somit den dem Workshop zugrunde liegenden Konflikt von Kultur und dem klar geplanten Schulalltag, der im weiteren Verlauf diskutiert wurde. Er untermalte dies mit einem Zitat der Schulentwicklerin Florence Buchmann:

"Jeder und jede ist mit der "Institution Schule" im Verlauf seiner/ihrer Biografie in empfindsame Berührung gekommen und trägt davon ein Bild in sich. Die Schule ist eine Institution und dass sie es ist, macht sie so schwer veränderbar. Das Bild, das der Begriff ,Schule" in einem erweckt, wird unter den individuellen Vorstellungen wohl ein vergleichbares Gefüge von Elementen und Beziehungen aufweisen: ein Gebäude mit einer großen Eingangstür und von dort aus Gänge, die zu Einzeltüren von Einzelzimmern führen. Darin sitzende Kinder, vor ihnen Tische und ganz vorne: die Lehrerin, der Lehrer. Dahinter eine falsch geputzte Tafel, ein Overhead-Projektor in der Ecke und neuerdings vielleicht an der Decke das blaue Auge eines Beamers. Jede Stunde erheben sich die Schülerinnen und Schüler von ihren Stühlen, packen ihre Schulsachen, verlassen den Raum und dringen in einen neuen ein. Raum und Zeit in der Schule scheinen unverrückbare Dimensionen zu sein: Unterricht ist die 45 Minuten andauernde Anwesenheit von Lernenden in einem Klassenzimmer vor einer unterrichtenden Person, die die Sitzordnung auf den Gong genau auflöst, um sie zehn (fünf) Minuten später erneut einzufordern. Der hochritualisierte Schulalltag lässt seine Akteure (Lehrerinnen und Lehrer) allzu oft vergessen, dass sie es sind, ob jung oder alt, die durch ihr tagtägliches Handeln diese Strukturen heute erneut bestätigen, um sie morgen von neuem erwarten zu dürfen. In diesem Bild erscheint die Schule als eine über Jahrzehnte stabilisierte Organisation, deren Wirklichkeit sich in Zeitgefäßen, in Klassenzimmern, in Rollen, als Lehrende, als Lernende, in Lehrplänen, Zeugnissen und Abschlüssen vergegenständlicht hat. Die Schule als legitimierter Ort des Lernens hat sich im Verlauf ihrer Geschichte zu einer Wirklichkeitsordnung objektiviert und in dieser Objektivation nimmt sie sich und insbesondere die Gesellschaft sie heute wahr. Die Schule ist dennoch kein statisches und ,objektives" Gebilde, dessen Geschehen von außen beobachtet, vermessen und bewertet werden könnte, sondern sie ist im konstruktivistischen Organisationsverständnis als soziale Konstruktion zu verstehen und als solche veränderbar."1

Die Darstellung des Praxisbeispiels zum "Kulturprofil" des Robert- Blum-Gymnasiums in Berlin-Schöneberg2 belegte eindrucksvoll die nach Buchmann3 änderbare soziale Konstruktion der Schule. Bernd Fiehn, Schulleiter des Robert-Blum-Gymnasiums in Berlin- Schöneberg, einem sogenannten Problembezirk Berlins, stellte seine Schule vor: 65 Prozent der Schülerinnen und Schüler stammen aus Familien mit nicht deutscher Herkunftssprache, viele davon vermutlich aus bildungsfernen Familien. Trotz der damit verbundenen Herausforderungen, aber vielleicht auch aufgrund der dadurch entstehenden Vielfalt der Schule, kamen im letzten Schuljahr 65 Prozent der Neuanmeldungen aus anderen Regionen. Dies erklärte Herr Fiehn mit der neuen Profilierung der Schule: Nachdem sie im Rahmen der Schulreform 2009 keine aus anderen Schulformen in die Oberstufe einsteigenden Schülerinnen und Schüler mehr aufnehmen konnte und die Schülerzahlen dramatisch sanken, stand sie kurz vor der Schließung. Dies wurde als Anlass zu einer grundlegenden Umstrukturierung genutzt. Seit dem Schuljahr 2010/11 bietet das Robert-Blum-Gymnasium drei Profile, die Profile Naturwissenschaften, Englisch Intensiv und Kultur, an.

Die Einrichtung dieser neuen Strukturen führte dazu, dass die Schule mittlerweile zur nachgefragtesten in der Region Berlin-Tempelhof gehört. Die Möglichkeit zur Etablierung der Profile bietet sich durch zwei in jedem Schuljahr gewährte Stunden, über deren Nutzung die Schule frei verfügen kann. So arbeiten am Robert-Blum-Gymnasium im Kulturprofil in diesen Profilstunden jeweils zwei Lehrerinnen und Lehrer (aus den Fächern Kunst und Musik) in Kooperation handlungs- und produktorientiert mit den Schülerinnen und Schülern zusammen, um aus den Bereichen Musik, Kunst, darstellendes Spiel und Literatur ein Vorhaben präsentieren zu können.

Ab 2011/12 begann die Zusammenarbeit mit dem Kulturagentenprogramm, vertreten durch Friederike Holländer. Die große Vielfalt stellte für sie zunächst eine erhebliche Herausforderung dar, insbesondere die Überlegung, welche Aspekte des Schullebens verstärkt und weitergeführt werden müssen. Dementsprechend gab es im ersten Jahr der Zusammenarbeit viele unterschiedliche "Experimente", Projekte aus verschiedenen Bereichen. Ab 2012/13 wurde mithilfe des Kulturagentenprogramms explizit das Kulturprofil des Gymnasiums gefördert.

Dr. Dorothea Ruthemeier (eine der beiden zuständigen Lehrerinnen) stellte die einzelnen verschiedenen Kooperationsformen vor: eine Künstlerin/ein Künstler mit fertigem Konzept kommt zur Umsetzung an die Schule; Lehrpersonen und Kunstschaffende erarbeiten zusammen ein Projekt; Lehrpersonen erarbeiten allein das Konzept; Lehrpersonen holen sich für eigene Ideen Hilfe bei Kunstschaffenden für Teilaspekte. In diesen verschiedenen Kooperationsformen kommt unter anderem die Frage der Lehrinnen und Lehrer zum Ausdruck, welche Rolle sie in dieser Zusammenarbeit einnehmen, ob sie selbst Gestaltende sind oder sein wollen oder ob sie eher Vermittelnde zwischen Kunstschaffenden und Schülerschaft darstellen sollen. Diese Rolle unterliegt einem ständigen Wandel, und Dr. Dorothea Ruthemeier brachte den Wunsch nach mehr Hilfestellung bei dieser Rollenfindung zum Ausdruck. Das Kulturprofil ist für die Schülerinnen und Schüler der siebten und achten Klassen wählbar, es gibt also jedes Schuljahr vier Kulturklassen.

Die Schulleitung richtet den Stundenplan der Klassen so ein, dass jede Klasse einen "Kulturtag" erhält, an dem blockweise musische Fächer und das Fach "Kultur" unterrichtet werden. Für die siebte Klasse gibt es beispielsweise je zwei Stunden Musik, Kultur und Kunst. Da die Lehrerinnen und Lehrer für Musik und Kunst gemeinsam das Fach Kultur unterrichten, kann in gemeinsamer Absprache auch der ganze Tag zur Arbeit am jeweiligen Projekt genutzt werden, oder es können vierstündige Blöcke gebildet werden. Für die achten Klassen gibt es immerhin vier Stunden musische Fächer am Kulturtag.

Diese "Autonomie" des Kulturtags hat neben der Möglichkeit der Blockbildung zwei weitere positive Effekte: Es werden keine anderen Kernfächer (beispielsweise Mathematik, Deutsch, Englisch) in ihrem Stundenumfang berührt, was die Akzeptanz des Kulturprofils auch im Kollegium und der Elternschaft enorm fördere; da jede Klasse an einem anderen Tag ihren Kulturtag hat, gibt es keine Raumprobleme, die jeweiligen Räume können im Vorfeld für die Klasse reserviert werden. Gleichzeitig bleibt auch die Konkurrenz der verschiedenen Profile untereinander in einem gesunden Rahmen, es gibt jährlich ca. vier bis sechs Projekte in den beiden anderen Profilen und circa sechs im Kulturprofil.

Auf Nachfrage erläuterte Dr. Dorothea Ruthemeier Fragen zur Leistungsbewertung. Im Fach Kultur werden keine Klausuren oder Tests geschrieben, bewertet wird nach einem Kompetenzraster, das die Lehrerinnen und Lehrer des Kulturprofils erarbeitet haben und das auf dem erarbeiteten Projekt und der Zusammenarbeit im Laufe des Projekts fuße. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass keine "Sozialnoten" vergeben werden. Ergebnis dieser Bewertung sei eine auf dem Zeugnis angegebene Kulturnote.

Das Kulturprofil kann auch die weitere Laufbahn prägen, da nach der achten Klasse im Wahlpflichtfach Kultur der Schule interessierte Schülerinnen und Schüler weiterhin ihrer Neigung nachgehen können. Abschließend fasste Bernd Fiehn die Antworten auf die Frage zusammen, ob die Verankerung von Kultur im Stundenplan sinnvoll sei. Seiner Erfahrung nach biete die Integration in den wöchentlichen Stundeplan insbesondere drei große Vorteile gegenüber AGs und Projektwochen:

  • Die Wahrnehmung des Fachs Kultur seitens der Schülerschaft, der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Eltern sei eine andere als bei einer AG. Es werde als "echter Unterricht" wahrgenommen, der mit entsprechendem Engagement verbunden sein muss. Außerdem gebe es durch die hohe Schulbelastung von 33 Stunden keine Nachfrage nach AGs mehr.
  • Die Widerstände im Kollegium würden minimiert, da es kaum Reibung oder Störung des Kulturfachs mit dem sogenannten echten Unterricht gibt.
  • Die Unterrichtsgestaltung in diesem Fach werde "reformiert" in Richtung handlungs- und projektorientiertes Arbeiten.

 

Es zeigen sich jedoch auch einige Nachteile. So bedeute der wöchentliche Ablauf beispielsweise mehr Planungsaufwand und Abstimmungsnotwendigkeit zwischen Lehrpersonen und Kunstschaffenden. Außerdem lehnen manche potenzielle Partnerinnen und Partner diese Art der Kooperation ab, da sie nur in Blöcken oder eben Projektwochen usw. arbeiten möchten.

Zu diesem abschließenden Statement gab es noch einige Verständnisfragen, beispielsweise in welcher Form die Arbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern stattfinde, wie mit ihnen im Unterricht konkret gearbeitet werde und wie hier eine Qualitätssicherung des Unterrichts aussehe. Die Künstlerinnen und Künstler würden meist ausgehend von kulturellen Institutionen ausgesucht. Im Vorfeld des Arbeitsbeginns finden Besprechungen statt, in denen vor allem sehr darauf geachtet werde, dass sie den Schülerinnen und Schülern selbstständiges künstlerisches Arbeiten und Denken vermittelten. Denn es solle nicht darum gehen, den Künstlerinnen und Künstlern lediglich eine Bühne für ihre eigenen "glanzvollen Projekte" zu bieten. Im Unterricht werden die meist circa 32 Schülerinnen und Schüler starken Klassen in drei Gruppen zu etwa zehn Personen aufgeteilt, die jeweils mit einer Lehrperson beziehungsweise der Künstlerin/dem Künstler zusammenarbeiten.

An einem zweiten Input außerhalb des Kulturagentenprogramms stellte Ulrich Kügler als Verantwortlicher des Kulturkonzeptes des Ratsgymnasium Minden4 dar, wie sich nach Buchmann5 über die Organisationsentwicklung des Ratsgymnasiums zur Ganztagsschule der soziale Wandel der Schule zum "Kulturgymnasium" vollzog. Ein Meilenstein für diese Entwicklung war die Umwandlung des Gymnasiums in eine Ganztagsschule im Jahr 2008, was neue Möglichkeiten in der Stundenplangestaltung eröffnete. In dieser neuen Gestaltung sollte individuelle Förderung mit Kultur Hand in Hand gehen. Zu diesem Zweck wurde das sogenannte Neigungsfach Kultur eingeführt. Dieses Fach wird – in den Jahrgängen fünf bis neun – mittwochnachmittags unterrichtet und kann jährlich gewechselt werden.

Die Schülerinnen und Schüler der fünften Klassen (dieses Schuljahr 110) können im Neigungsfach Kultur aus sechs verschiedenen Themen (sog. Profilfächern) wählen, mit denen sie sich genauer beschäftigen. Alle zusammen erarbeiten aber ein Projekt, beispielsweise ein Theaterstück, das innerhalb einer Woche auf die Beine gestellt wird und zur Aufführung kommt. Zum Teil wird auch jahrgangsübergreifend gearbeitet.

Die Schule arbeitet mit vielen Kooperationspartnern zusammen. Neben vielen kleineren Partnern kooperiert das Ratsgymnasium Minden mit dem Stadttheater Minden, der Fachhochschule Minden und dem Filmstudio Wiese. Ersteres bietet den Kindern die Möglichkeit, ihre Aufführungen auf einer "echten" Bühne zu zeigen. Das Filmstudio Wiese bildet die Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Film und Fototechnik aus und leiht ihnen das professionelle Equipment für eigene Produktionen ("Rats-TV"). Ein wichtiger Punkt dabei ist das Konzept "Lernen durch Lehren": Ältere, erfahrene Schülerinnen und Schüler bilden die jüngeren aus – somit findet eine Verstetigung der Projekte statt. Diese Kooperationen erstrecken sich sowohl auf das Neigungsfach Kultur, also den "echten" Schulunterricht, aber auch auf viele AGs, die teilweise in Kleinstgruppen von fünf bis acht Schülerinnen und Schülern durchgeführt werden.

Bei der Aufzählung der vielen Kooperationen kam die Frage auf, wie diese denn bezahlt würden. Ulrich Kügler erklärte, dass der Schule durch die Umwandlung des Gymnasiums in eine Ganztagsschule zusätzliche Lehrstellen zugesprochen wurden, die zum Teil jedoch auch kapitalisiert werden könnten. Das dadurch entstehende Kapital, zwischen 80.000 Euro und 90.000 Euro im Schuljahr, kann zur Bezahlung freier Kunstschaffender mit angemessenem Stundenlohn genutzt werden. Somit könnten auch zusätzliche AGs für die oft sehr kleinen Gruppen kostenlos angeboten werden. So beschäftigt die Schule bei 900 Schülerinnen und Schülern je sechs Kunst- und Musiklehrpersonen.

Die Stunden für das Profilfach werden durch Verzicht der anderen Fächer über die vier Jahre freigemacht, in denen das Neigungsfach unterrichtet wird. Durch die Deklaration als interdisziplinärer Unterricht werden die Stunden im Rahmen der Stundentafelvorgaben ausgeglichen. Ulrich Kügler machte deutlich, dass das Lehrerkollegium am Ratsgymnasium die Erfahrung gemacht habe, dass Schülerinnen und Schüler die Freiräume und gebotenen Chancen intensiv und begeistert aufnehmen und nutzen. Sie zeigen viel Eigeninitiative innerhalb der Neigungsfächer bzw. AGs. Es sei zwar viel Kooperationsbereitschaft von allen Beteiligten vonnöten, jedoch werde ein enormer Mehrwert erzeugt.

Für Annette Rüggeberg, stellvertretende Direktorin der Gesamtschule Bremen-Ost, "hat die Zukunft schon begonnen"6, so zitiert und umschreibt sie eine in der Tat beeindruckende Kooperation der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (DDKB) und der Gesamtschule Bremen-Ost:7 "Ein klassisches Orchester von Weltrang und eine Schule im sozialen Brennpunkt – wie soll das gehen? "Anfangs sehr zögerlich", beschrieb Paavo Järvi [der estnische Dirigent ist seit 2004 künstlerischer Leiter der DDKB. Anm. d. Red.] Menschen aus zwei unterschiedlichen Welten, die sich langsam aufeinander einließen. Man lächelte sich an, winkte sich zu. Das Orchester habe sich intensiv bemüht, dass die Schüler sich in ihrer Gesellschaft wohlfühlten. Dieses Modell scheint tatsächlich wie ein Impulsgeber in den Stadtteil hineinzuwirken und ihn merklich zu verändern. Die Schüler und Eltern aus OTe sind jedenfalls stolz auf "ihr" Orchester. Die Wellen dieses Impulsgebers weichen aber auch unsichtbare Grenzen in die andere Richtung auf: Musikfreunde aus der ganzen Stadt kommen in die Schule in Osterholz-Tenever, in einen Stadtteil, der ihnen eigentlich so fern ist."8

Die Gesamtschule Bremen-Ost liegt im Stadtteil Osterholz-Tenever, lange Zeit ärmster Stadtteil Bremens, und etwa 48 bis 50 Prozent der Lernenden sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die keinen oder nur geringen Zugang zu kulturellen Veranstaltungen und kultureller Bildung haben. Aus diesem Grund beschloss die Schule in den 1990er Jahren die kulturelle Förderung ihrer Schülerschaft. Ab 1995 wurden Musikklassen eingerichtet, in denen die Schülerinnen und Schüler das Spielen eines Instrumentes erlernen. Dies wird und wurde durch die Zusammenarbeit mit der Musikschule Bremen ermöglicht, von der auch die Instrumente gemietet werden.

2006 begann eine neue Form der kulturellen Förderung: Die Musikerinnen und Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie zogen in frei gewordene Räume der Schule, um hier ihren Probenraum einzurichten. Seit dem Einzug gibt es jährlich mehrere Projekte verschiedener Größen, die in Zusammenarbeit von Kammerphilharmonikern und der Schülerschaft entstehen. Dazu zählen beispielsweise "Melodie des Lebens", die 2014 zum 15. Mal aufgeführt wird, oder auch Großprojekte, die Stadtteilopern sowie wie eine Open-Air-Inszenierung von "Faust 2".

Der direkte Umgang mit Musikern, die sonst auf großen Bühnen stehen, ist für die Schülerinnen und Schüler überaus spannend und herausfordernd, macht aber auch sehr viel Spaß. Sie hören, wenn die Musiker im Gebäude proben, treffen sie beim Mittagessen oder in den Gängen. Die Arbeit mit den Profis bringt ihnen enorme Vorteile, motiviert sie. Die stetige Zusammenarbeit und Kontinuität hilft vor allem jenen, die in dieser Form sonst nicht in Kontakt mit Kultur kommen würden.

Die Projekte werden jeweils ein halbes bis ein dreiviertel Jahr zum Teil im Unterricht, aber auch außerhalb erarbeitet. Dies geschieht im Rahmen des normalen Unterrichts. Hinzu kommen Projekttage und Projektwochen, die frei verteilt werden können.

Dies habe jedoch keinen negativen Effekt auf die schulischen Leistungen der Schülerschaft. Ganz im Gegenteil, die Arbeit im Unterricht der Profilklassen wird von den Lehrpersonen wie von der Schülerschaft als Mehrwert wahrgenommen und führt zur Stärkung der Schülerinnen und Schüler in ihrer Lern- und Entwicklungsprogression. Profilklassen wurden in verschiedenen Bereichen der Jahrgänge fünf bis dreizehn eingeführt.

Auf die Frage, welche Wirkung die Zusammenarbeit mit dem Orchester habe, erklärte Annette Rüggeberg, dass an jedem Orchester-Schul-Projekt zwischen 380 bis 500 Schülerinnen und Schüler der verschiedenen Profile und Jahrgänge beteiligt seien und dass die Kooperation mit dem Orchester dazu geführt habe, dass Projektarbeit insgesamt in allen Klassen fester Bestandteil geworden sei. Die zunächst bestehende Skepsis bei einigen Kollegen, mit den Berufsmusikern zusammenzuarbeiten, sei durch die Wahrnehmung des Mehrwerts für den Unterricht und des potenziellen Kompetenzzuwachses bei den Kindern deutlich verringert worden. Die ersten Ergebnisse und die erarbeiteten Aufführungen hätten die Zweifel dann weitestgehend zerstreut.

Dass die Zusammenarbeit von Anfang an so gut funktioniert habe, erklärt sich Annette Rüggeberg auch damit, dass die Kammerphilharmoniker ihre Professionalität durchweg in die Arbeit miteingebracht hätten. Infolgedessen wäre auch die Leistungsbereitschaft und Motivationsfähigkeit der Schülerschaft enorm gestiegen. Auch die Lehrerinnen und Lehrer der Profilklassen Musik, die ja im Studium auch ein Instrument erlernen mussten, profitierten enorm von der Arbeit mit den Kammerphilharmonikern, mit dem zunehmenden Öffentlichkeitsinteresse kämen auch immer mehr Bewerbungen von Lehrerinnen und Lehrern anderer Schulen, die in Bremen-Ost unterrichten möchten, obwohl dies deutlich mehr Arbeit bedeute als der Unterricht an anderen Schulen.

Die Finanzierung der Profilklasse Musik, das heißt den Musikunterricht, die Instrumentenmiete und so weiter, tragen die Schülerinnen und Schüler zum Teil selbst; es wird ein monatlicher Beitrag von rund 27 Euro fällig. Eine Teilnehmerin äußerte in diesem Zusammenhang die Sorge, die an ihrer Schule vor der Einrichtung einer dritten Profilklasse bestünde, weil sie mit Materialkosten für die Schülerinnen und Schüler einhergingen. Es bestünde die Gefahr, dass finanziell Schwächere eventuell von diesem Angebot ausgeschlossen werden könnten.

Annette Rüggeberg betonte abschließend, dass diese Zusammenarbeit vor allem durch den Mut zum Tun der Schule erreicht worden sei. Die Kooperation mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen war ein Wagnis, zu dem die Schule bereit war. Ohne die Eigeninitiative hätte dies nicht funktioniert, und dies müsste Beispiel auch für andere Schulen und Institutionen sein. Schule ist eben, wie Buchmann feststellt, als "eine soziale Konstruktion zu verstehen und als solche veränderbar"9.

Kulturelle Kooperation und damit die schulische Schwerpunktsetzung hin zu mehr kultureller Bildung wird so zum Motor schulischer Entwicklung. Mut, die scheinbar unverrückbaren, organisatorischen Rahmenbedingungen infrage zu stellen und zu verändern, gibt vor allem der Blick über die eigenen Schulgrenzen hinaus. Diesen, da waren sich alle Teilnehmenden einig, fördert das Kulturagentenprogramm in eindrucksvoller Art und Weise.

Profile des Robert-Blum-Gymnasiums: Naturwissenschaften, Kultur, Englisch Intensiv

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Stundenplan mit Fach Kultur des Robert-Blum-Gymnasiums

Kulturlabor des Robert-Blum-Gymnasiums

Präsentationen des Kulturprofils des Robert-Blum-Gymnasiums

Musterstundenplan des Ratsgymnasiums Minden

"Faust II" – erste Stadtteil-Oper der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen zusammen mit der Gesamtschule Bremen-Ost mit und im Stadtteil Osterholz-Tenever/Schuljahr 2008/2009
Foto: Jörg Sarbach

Gemeinsame Bühne für Schule und Orchester bei der vierten Stadtteil-Oper "Iolanta"/Schuljahr 2012/2013
Foto: Jörg Sarbach

In einer abschließenden, reflexiven Phase des Workshops formulierten die Teilnehmenden aus ihrer Sicht Gelingensbedingungen für schulische Veränderungsprozesse im Sinne von kultureller Bildung:

  • Strukturen ändern
  • Kultur sollte in den normalen Stundenplan eingebunden und in die Stundentafel integriert werden
  • Umdenken schafft Möglichkeiten
  • Plattformen, Strukturen als Grundlage sind wichtig
  • Statt Schule "Mehrinstitutionenhaus"?
  • Jede Schule muss ihr eigenes System finden → gemeinsames Engagement
  • Vor-Ort-Bedingungen nutzen; Ideen der anderen "modifizieren"
  • Strukturen ändern Inhalte
  • Kleine Räume (Zeiträume) schaffen
  • Die Kooperation mit außerschulischen Partnern ist ein Riesengewinn
  • Mut zum Wollen
  • Es gibt immer mehr Wege, als unmittelbar sichtbar sind
  • Konkrete, praktische Qualifizierung deutlich herausstellen
  • Fachinhalte für interdisziplinäre Kulturprojekte ausweisen, damit die in die Stundentafel integrierbar sind
  • Kulturstunde verankern
  • Raum schaffen durch Verbindlichkeit der Strukturen und der Freiräume
  • Es ist das hohe Engagement vieler nötig
  • Kreative Beteiligung sollte auf Langfristigkeit angelegt sein
  • Wie kann Schule das planen?
  • Beispiele in großen Dimensionen, aber: Kleine Schulen können durchaus Ideen in kleiner Form kreativ übernehmen
  • Was offenbleibt: Schulen im ländlichen Raum! Städte zwischen 3.000 und 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern mit einer Schule haben wenige Partner (Betriebe, Museen usw.)

 

1 Buchmann, Florence: Schulentwicklung verstehen. Die soziale Konstruktion des Wandels, Internationale Hochschulschriften, Bd. 526, Münster 2009, S. 32ff. Siehe auch Gniostko, Heinz: ",Es geht!" – Gesellschaftliche Vorgaben für Schule als systemische Herausforderungen für Schulentwicklung", in: Onlinepublikation des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen 2011–2015", Berlin 2015. 

2 http://www.robert-blum-schule.de/ [11.7.2014].

3 Vgl. ebd.

4 http://www.ratsgymnasium.de/ [11.7.2014].

5 Vgl. ebd.

6 Leitartikel im Wirtschaftsteil des "Weser Kuriers" vom 29. August 2009.

7 http://502.joomla.schule.bremen.de/ [11.7.2014].

8 Leitartikel im Wirtschaftsteil des "Weser Kuriers" vom 29. August 2009.

9 Vgl. http://502.joomla.schule.bremen.de/ [11.7.2014].