Johanna Niedermüller
Teamteaching
Johanna Niedermüller

Teamteaching

Kooperationen zwischen Lehrern und Künstlern

Juni 2012. Ich stehe in meiner Funktion als Theaterpädagogin im Musiksaal einer Schule in Stuttgart und möchte mit einer Gruppe der Klasse 7 einen Text für das Tanztheaterstück "The Tree" erarbeiten. Meine Kollegin, eine Choreografin, und ich sind für die Erarbeitung eines Tanztheaterstücks engagiert worden. Die Klasse, mit der wir arbeiten, ist die laut Lehrkräften "schlimmste" Klasse der Schule. Die beiden Künstlerinnen sollen dieser Klasse jetzt "etwas Gutes tun" (O-Ton Rektor). Insgeheim hofft man, dass es auch gut gehen wird und wir etwas schaffen, was die Lehrerinnen und Lehrer bis jetzt nicht geschafft haben, nämlich die Klasse zu disziplinieren. Ob das denn gut gehen kann, frage ich mich? Immerhin habe ich den Job angenommen. Jetzt würde ich gerne den Schülerinnen und Schülern die Aufgabe stellen, den Satz "Wenn ich auf einem Baum sitze, fühle ich mich (wie) …" zu ergänzen, aber ich komme nicht dazu. Die Lehrerin hat in Absprache mit mir schon vor einigen Wochen meinen Workshop verlassen, weil es ihr zu laut sei. Sie hat Kopfschmerzen bekommen, und bei ihr herrschten Regeln, die sie – wie sie mir sagte – bei meiner Art der kreativen Arbeit nicht durchsetzen kann. Welche das genau sind, darüber finden wir nicht die Zeit zu sprechen. Ein Jammer! Mir ist sie eigentlich sympathisch, und ich bin durch ihre Reaktion verunsichert. Ich brauche etwa 20 Minuten, bis die Schülerinnen und Schüler ruhig sind und mir zuhören. Dann teilen mir einige mit, dass sie noch nie auf einem Baum gesessen hätten. Es mangelt an Erfahrung und/oder Bereitschaft, die Aufgabe zu lösen. Gerne hätte ich jetzt die Lehrerin an meiner Seite!

Die Interviews

Juli 2014. Ich bin jetzt seit zwei Jahren als Kulturagentin tätig und habe in den von mir zusammengestellten Lehrer-Künstler-Teams gute Zusammenarbeiten in künstlerischen Projekten an Schulen miterleben können. Das veranlasst mich dazu, Teams aus den drei von mir betreuten Schulen zum Thema "Teamteaching" zu interviewen. Es handelt sich um Teams aus folgenden Schultypen:

a) Förderschule (1 Team)

b) Werkrealschule (2 Teams)

c) Realschule (1 Team)

Die befragten Künstlerinnen und Künstler sowie Lehrerinnen arbeite(te)n in Projekten unterschiedlicher Sparten zusammen. Zwei der Projekte haben eine Laufzeit von zwei Schuljahren. In dem Projekt "Sturm und Klang", einem zweijährigen Musik-/Tanzprojekt an der Realschule Ostheim, bilden der Cellist, Komponist und Musikpädagoge Scott Roller vom Freien Musiklabel Open_Music, einer Plattform für experimentelle Musik, und die Musiklehrerin Sia Theuringer ein Team. Das Team, bestehend aus der Referendarin Annika Plum von der Berger Schule (Förderschule) und dem Hörspielautor, Musiker und Sprecher Jonas Bolle erarbeiteten im Rahmen des zweijährigen Radioprojekts "On Air – Wir gehen auf Sendung" gemeinsam ein Hörspiel. Sandra Weber, Musiklehrerin an der Werkrealschule Ostheim, hat zum ersten Mal mit der Figurentheaterspielerin Anja Müller kooperiert. Und Ute Birrel, ebenfalls von der Werkrealschule Ostheim und dort als Kunstlehrerin tätig, konnte bereits zum zweiten Mal mit der Bildenden Künstlerin und Kunstpädagogin Renate Liebel ein Projekt realisieren.

Das Thema, das ich aus diesen Gesprächen extrahieren und hier zusammenfassen möchte, betrifft die jeweiligen Haltungen und Kompetenzen der beiden Partnerinnen und Partner im Teamteaching-Set. Wann und unter welchen Bedingungen funktionieren Kooperationen zwischen Lehrkräften und Kunstschaffenden? Ist die Arbeitsweise des Teams ein Indikator für ein gelungenes Arbeitsergebnis? Dabei handelt es sich meines Erachtens um die Kernparameter, die eine Zusammenarbeit durchgängig prägen. Von besonderem Interesse ist dabei für mich, was an dieser Teamarbeit seitens der Beteiligten jeweils als besonders gelungen wahrgenommen wurde. Ist die Bestätigung, etwas im Team gut geschafft zu haben, nicht die Motivation für die gemeinsame weitere Arbeit, die Problemstellungen überwinden lässt und ein gemeinsames Aufgehen in einer Tätigkeit erst möglich macht? Wer bestärkte wen worin? Die Lehrerin die Künstlerin oder die Künstlerin die Lehrerin? Oder bestärkten sie sich im besten Fall gegenseitig? Und wie haben sie das erreicht? Das Ziel meiner Ausführungen ist es, auf Rahmenbedingungen hinzuweisen, die Schülerinnen und Schülern vor allem ästhetische Erfahrungen ermöglichen.

Meine Forschung beginnt.

Vorerfahrungen mit Teamteaching

Teamteaching ist allen interviewten Lehrerinnen aus der Zeit des Referendariats bekannt. Für die Referendarin Annika Plum beispielsweise war das Hörspielprojekt "On Air – Wir gehen auf Sendung" in Zusammenarbeit mit dem Hörspielautor Jonas Bolle das erste Projekt kultureller Bildung an einer Schule und die erste Erfahrung in Kooperation mit einem Künstler überhaupt.

Radioprojekt "On Air – Wir gehen auf Sendung" der Berger Schule
Foto: Johanna Niedermüller

Annika Plum: "Als Referendarin ist man im Unterricht immer im Team in der Klasse, mit dem Mentor. Man spricht sich dabei immer ab. Wer macht welchen Unterricht, inwieweit greift man ein, wenn der andere vorne steht, oder ist das seine Stunde und man selbst ist vollkommen raus. […] Im Projekt wusste Jonas immer genau, womit wir anfangen und was der nächste Schritt ist, er hat Struktur reingebracht. Und das erleichterte es mir natürlich als Lehrerin, da ich noch nie ein Hörspiel gemacht habe."

Sandra Weber war bereits Klassenlehrerin an einer Schule in Konstanz, in der Lehrkräfte meist zu zweit den Unterricht gestalteten, da die Kinder eine individuelle Betreuung brauchten. Das führte zu einer großen Offenheit im Kollegium. Allerdings waren viele Absprachen untereinander nötig. Über ihre Zeit an der Konstanzer Schule sagt sie: "Ich hatte nur einen halben Lehrauftrag in dieser Klasse. Die Elternabende gingen beispielsweise bis zwölf Uhr Mitternacht, und ich hatte auch noch ein Privatleben."

Aufgrund meiner eigenen Erfahrung als lehrende Künstlerin (unter anderem auch in Teamteaching-Situationen als Lehrende an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart) und meiner Beobachtungen als Kulturagentin weiß ich, dass zu Beginn einer Zusammenarbeit viel untereinander geklärt und miteinander vorbereitet werden muss. Mehraufwand lässt sich nicht verhindern. In der Folge muss Teamteaching jedoch in irgendeiner Form Erleichterung schaffen, sonst stimmt möglicherweise die Teamkonstellation nicht.

Sia Theuringer hat die Erfahrung gemacht, dass man mit einigen Kollegen gut und mit anderen weniger gut zusammenarbeiten kann. Verläuft die Kooperation gut, versucht man sie zu verstetigen. Lehrerteams werden aber auch immer wieder von der Schulleitung zusammengestellt, ohne sich freiwillig zusammenzufinden. Das kann zur Folge haben, dass der Aufwand groß ist, der Gewinn aber minimal bleibt.

Sia Theuringer: "Es ist möglich so zusammenzuarbeiten, aber ohne Herzblut. Man muss alle Dinge absprechen. Mit gewissen Personen muss man sie eben nicht absprechen, und es läuft trotzdem. Wir sind gemeinsam im Unterricht, ich erläutere etwas, stocke kurz, und der Teampartner spürt, dass ich gerade nicht weiter weiß, und übernimmt dann einfach."

Projekt "Sturm und Klang" der Realschule Ostheim
Foto: Reiner Pfisterer

Generell sehen es alle befragten Personen als Chance an, eine Gruppe zu zweit in den Blick zu nehmen. So kann einer auf die Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler achten und auf einzelne intensiver eingehen. Das bedeutet einerseits einen Mehraufwand. Anderseits können so die Erfahrungen unterschiedlicher Blickwinkel aufgriffen und ausgewertet werden und zu einer differenzierten Planung und Gestaltung führen. Die Qualität des Angebotenen kann durch unterschiedliche Professionen und/oder Schwerpunkte gesteigert werden. Die Kunstschaffenden, die durch ihre künstlerische Praxis geschult sind, kreative Prozesse mit Höhen und Tiefen zu durchschreiten, können die Realisierung von künstlerischen Ideen besser überblicken, auf den Entstehungsprozess einwirken und die Schülerinnen und Schüler bei der Umsetzung konkret anleiten. Die Lehrkräfte ihrerseits, mit der Schülerschaft vertraut, können deren Reaktionen auf das Neue einschätzen und einen vertrauensvollen Rahmen für das künstlerische Projekt schaffen.

Die Schülerinnen und Schüler profitieren also, wie im Falle der Projekte im Rahmen des Kulturagentenprogramms, von zwei Persönlichkeiten mit verschiedenen Ausbildungen, der künstlerischen in Kombination mit der pädagogischen. Zudem ist es möglich, große Klassenverbände punktuell in Kleingruppen zu teilen, um mit den Schülerinnen und Schülern intensiv künstlerisch arbeiten und ihnen für das Erlebte eine Reflexionsebene bieten zu können.

Haltungen und Kompetenzen: Lehrerinnen in Kooperation mit Kunstschaffenden

Innerhalb der Teams konnte ich zwei Grundhaltungen seitens der Lehrerinnen eruieren:

A.) Die Lehrerin arbeitet der Künstlerin/dem Künstler zu, versteht sie/ihn als Verantwortliche/n in Bezug aufs Künstlerische und sieht sich selbst mehr für das Pädagogische und das Organisatorische zuständig. (2 Teams)

Annika Plum beschreibt die Zusammenarbeit so: "Bei dem Projekt musste ich den organisatorischen Rahmen setzen, aber wenn es dann ums Thema "Hörspiel" ging, war der Künstler der Experte. Ich konnte einfach mal zugucken, was passiert."

Die BK-Lehrerin Ute Birrel hat 25 Jahre lang als Modedesignerin gearbeitet und ist seit einem Jahr als Kunstlehrerin an der Werkrealschule Ostheim tätig. Innerhalb des Projekts "Kubus 1–4" entwarfen und realisierten die Schülerinnen und Schüler, ausgehend von der Ausstellung "Line as object" im Kunstmuseum Stuttgart und mit Unterstützung der Bildenden Künstlerin Renate Liebel, vier Kuben aus Holz, die sie mit Schnüren verspannten.

Projekt "Kubus 1–4" der Grund- und Werkrealschule Ostheim
Foto: Johanna Niedermüller

Ute Birrel: "Ich genieße es, im Kulturagentenprogramm die Möglichkeiten zu haben, im Team zusammenarbeiten zu können, und empfinde die Teamarbeit aus zwei Gründen als eine große Bereicherung. Erstens bilde ich mich selber weiter, indem ich die Anregungen von Renate aufnehme und es miterlebe, wie sie Sachen angeht. Ich wäre beispielsweise nie auf so ein großes Format gekommen. Jetzt könnte ich mir das auch vorstellen. Und zweitens finde ich es schön, wenn ich nicht die einzige Person bin, die sich mit den Schülern beschäftigt. Man nimmt sie so anders wahr. Ich habe heute noch zu den Schülern, mit denen wir im November 2013 unser erstes gemeinsames Kunstprojekt gemacht haben, ein ganz anderes Verhältnis als zu allen anderen. Das hat uns zusammengeschweißt. Und von Renate habe ich die Haltung gelernt: Locker in der Art, aber wirklich ernsthaft in der Sache, was die Kunst angeht."

B.) Die zweite Haltung der Lehrerinnen gegenüber den Kunstschaffenden innerhalb der Teamarbeit gestaltete sich folgendermaßen: Die Lehrerin arbeitet schwerpunktmäßig als Partnerin mit der Künstlerin/dem Künstler zusammen. Dies kann sowohl mit gleichem künstlerischem Schwerpunkt als auch ohne gemeinsamen künstlerischen Schwerpunkt der Fall sein. (2 Teams)

Sia Theuringer beispielsweise hat bereits vier musikalische Projekte zusammen mit Scott Roller realisiert. Nach und nach hat sie eine klare Arbeitshaltung entwickelt, nämlich die des kreativen Rollenmodells. Dies bedeutet, dass sie sich nicht alleine für Organisatorisches zuständig sieht, sondern sich als Teampartnerin auf der kreativen Ebene begreift.

Sia Theuringer: "Ich muss entscheiden, ob ich die Erfahrungen mit meinen Schülern machen und mit ihnen gestalten möchte. Ich habe eigentlich keine Lust, nur für das Disziplinarische zuständig sein. Das entspricht mir nicht, außer es handelt sich um künstlerische Bereiche, in denen ich mich nicht auskenne, dann habe ich kein Problem damit. [… ] Ursprünglich konnte ich gar nichts mit muskalischer Improvisation anfangen. Aber dadurch, dass ich viele verschiedene Projekte mit Scott gemacht habe, habe ich gemerkt, ich lerne für mich etwas dazu. Während der ersten Projekte war ich Beobachterin und wirklich diejenige, die nach den Schülern geguckt hat. Aber nachdem ich selber schon gewisse Erfahrungen gemacht hatte, war mir das nicht mehr genug. Ich wollte aktiv sein."

Bezüglich der Haltungen der Kunstschaffenden gegenüber den Lehrerinnen konnte ich unterschiedliche Aspekte eruieren. Alle Kunstschaffenden nahmen die Unterstützungen durch die Lehrerinnen, die ihnen halfen, ihre künstlerische Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern optimal umzusetzen, dankbar an. Jonas Bolle zu Annika Plum: "Was mir geholfen hat, war, dass wir vor dem Workshop immer eine viertel Stunde Zeit hatten. Ich konnte kommen, und es war klar, ich kann beispielsweise noch was ausdrucken. Es war klar, ich schreib dir eine E-Mail, und du beantwortest sie. Du warst einfach zuverlässig. Das hat funktioniert, darüber musste ich mir keine Gedanken machen."

Welche Möglichkeit es gibt, unterschiedliche Vereinbarungen in Bezug auf Rollenmodelle in der Zusammenarbeit zu treffen, resümiert Scott Roller: "Künstler können am Anfang einer Kooperation sehr stark führen, und die Pädagogin guckt erst mal und managt Dinge. Und dann gibt es Teams wie Sia und mich. Wir haben bereits gemeinsam Erfahrungen gemacht. Deswegen können wir sehr schnell entscheiden, wie wir etwas umsetzen. Eine erfolgreiche Partnerschaft ist eine, in der die Erwartungen, die Verantwortungen und die Zielsetzungen möglichst harmonisch miteinander abgestimmt werden, sodass alle das bekommen, was sie eigentlich bekommen wollten, oder noch etwas Besseres. Es gibt keine Reibungen, im Sinne von "Das habe ich nicht gewusst" oder "Das wollte ich nie" oder "Ich hätte das nie gemacht, wenn ich gewusst hätte, dass …". Man stimmt sich so gut wie möglich miteinander ab. […] Aber wie dann die Beziehung zwischen Künstler und Lehrer oder auch beispielsweise mit Kulturagenten oder anderen Trägern sind, das kann sehr unterschiedlich sein."

Renate Liebel, Bildende Künstlerin und Kunstpädagogin, empfindet den persönlichen Aspekt der Sympathie zwischen Partnern als erleichternd für die Arbeit: "Das Wichtigste ist, dass die Kommunikation stimmt, dass wir, wenn wir als Team ein Problem haben, es thematisieren können. Es ist einfach so, dass ich mit Leuten, die ich sympathisch finde, lieber und besser arbeite. Das muss natürlich im professionellen Sinne nicht unbedingt sein, aber es ist erleichternd. Es erleichtert die Kommunikation, wenn man nicht immer darüber nachdenken muss, wie man etwas formuliert."

Sie unterstreicht auch, wie wichtig es ihr sei, in Projekten der kulturellen Bildung in der Schule Künstlerin bleiben zu können: "Als Lehrerin arbeitet man in einem Klassenverbund, man kennt die Leute, man weiß, wie man sie pädagogisch leiten muss. Wenn ich als Künstlerin von außen in die Klasse komme, überlasse ich die pädagogische Arbeit größtenteils der Lehrerin oder dem Lehrer. Ich versuche zwar auch, so viel wie möglich von meinem pädagogischen Know-how einzubringen, aber da ich die Leute gar nicht kenne, ist das schwierig. Das gefällt mir am Künstlersein, dass ich kommen und wieder gehen kann, ich muss mich nicht mit den täglichen Problemen der Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen."

Künstlerinnen und Künstler können sich auf diese Weise in der Teamarbeit mit Lehrkräften auf den künstlerischen Prozess mit Kindern und Jugendlichen konzentrieren. Sie haben dabei zwar die Klasse im Blick, aber nicht schwerpunktmäßig unter pädagogischen Gesichtspunkten.

Auf die Frage, welche Eigenschaften eine Person besitzen sollte, die eine künstlerische Arbeit an einer Schule gut begleiten kann, zählten die Lehrerinnen und Kunstschaffenden folgende Begriffe auf :

  • Ein positives Menschenbild
  • Offenheit und Flexibilität
  • Die Bereitschaft, Neues auszuprobieren
  • Die Fähigkeit, Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler zu setzen
  • Demut und Respekt vor den Ideen und der Arbeit der Schülerinnen und Schüler
  • Erfahrung mit künstlerischen Workshops an Schulen
  • Begeisterungsfähigkeit
  • Große Gelassenheit
  • Einfühlungsvermögen
  • Durchsetzungsvermögen
  • Autorität
  • Humor
  • Präsenz

Sandra Weber unterstreicht die Wichtigkeit der Werte, die eine Person ihrer Ansicht nach mitbringen muss, um für Kinder und Jugendliche Lernprozesse ermöglichen zu können: "Ich muss eine klare Vorstellung davon haben, was mir selbst wichtig ist an Werten, an Miteinander, an Sozialem, das finde ich sehr entscheidend. Vor allem, wenn man mit schwierigen Schülern oder an Brennpunktschulen arbeitet. […] Wenn ich eine Sache überzeugend darstelle, dann springt auch bei Unbekanntem, nach einem kurzen Moment des Unverständnisses, eigentlich immer der Funke über. Die Schüler sagen: ,Mensch, derjenige macht das aus Überzeugung. Der kann das und der ist davon begeistert." Dann entsteht ein gegenseitiges Gefühl der Achtung. Und eben auch die Bereitschaft, das mal auszuprobieren."

Scott Roller hat bei der Zusammenarbeit mit der Musiklehrerin Sia Theuringer im Projekt "Sturm und Klang" zum Thema "Erwachsenwerden" eine, wie er es nennt, "wahre" Teamteaching-Situation erlebt: "Ich glaube, es war sehr hilfreich für die Klasse, dass Sia sich vor sie hinstellen und sagen konnte: ,Was Scott macht, das ist ganz anders als das, was ich mache, aber ich kann sagen, ich hab das schon oft mit ihm gemacht, und das wird immer toll." Das ist eine Vertrauensäußerung, die sehr hilfreich für mich ist. Das gibt mir plötzlich freie Bahn nach dem Motto, der ist schon komisch, aber es hat Hand und Fuß, was der macht. […] Ich würde sogar so weit gehen, dass ich sage, genau in dem Ausmaß, mit der die Schule, der Lehrer oder wer auch immer sich zu mir und zu diesem Projekt bekennt, ist fast eins zu eins das, wie das Projekt verlaufen kann. Es hängt unglaublich viel davon ab. Ich spüre es immer sofort und während der ganzen Entwicklung des Projekts. Es gibt fast keinen Zeitpunkt, zu dem dieser Faktor nicht maßgebend ist."

Projekt "Sturm und Klang" der Realschule Ostheim
Foto: Reiner Pfisterer

Renate Liebel ist gleicher Meinung: "Die Schüler brauchen das Vertrauen zum Lehrer, dass die ,Reise", auf die sie geschickt werden, in Ordnung ist." Und auch ich bin zur Überzeugung gelangt, dass die Lehrkraft, die die Klasse gut kennt, die Basis für einen guten Einstieg der Künstlerin/des Künstlers schafft, indem sie vor der Klasse Anerkennung und Wertschätzung gegenüber den Kunstschaffenden äußert. Damit trägt sie dazu bei, dass sich die Schülerinnen und Schüler auf ergebnisoffene Prozesse einlassen können.

Zwei der vier von mir befragten Teams hatten keinen gemeinsamen künstlerischen Schwerpunkt. An dieser Stelle möchte ich explizit betonen, dass auch fachfremde Pädagoginnen und Pädagogen einen wertvollen Beitrag in Projekten kultureller Bildung leisten können und sollen. Lehrkräfte, die nicht projekterfahren und auch nicht vom selben Fach wie die Kunstschaffenden sind, sehen sich manchmal in einer zu eingeschränkten Funktion innerhalb einer Kooperation. Sie neigen dazu, die Zuständigkeiten in Disziplinierung und Kunstpraxis einzuteilen und ausschließlich erstere zu übernehmen. Diese distanzierte Haltung dem Künstlerischen gegenüber ist einer erwünschten ästhetischen Erfahrung der Schülerinnen und Schüler nicht zuträglich. Sie bietet ihnen meines Erachtens keine Hilfestellung, wie sie mit der neuen Situation umgehen könnten, die jede künstlerische Suchbewegung bedeutet. Denn die einzig vertraute Komponente für den "First Contact" mit kultureller Bildung und mit Kunstschaffenden besteht für die Schülerinnen und Schüler in der Person der Lehrkraft. Auch wenn sie keine bestimmte fachspezifischen Kenntnisse oder keine Projekterfahrung hat, kann sie Offenheit und Neugierde entwickeln und damit eine unabdingbare Vorbildfunktion einnehmen. Denkbar ist auch, dass sie fächerübergreifende Verbindungen herstellt und damit den Projektradius erweitert oder sich die pädagogische Freiheit nimmt, selbst Schwerpunkte zu setzen. Es ist immer die Lehrkraft, die den (Möglichkeits-)Raum öffnet, den kulturelle Bildung an Schulen braucht.

Sandra Weber: "Gerade in einer Werkrealschule hat man Freiheiten. Man hat natürlich gewisse Sachen, die man abarbeiten muss, aber wie man da hinkommt und wie der Weg ist, das ist die pädagogische Freiheit." Das "Wie" flexibel zu gestalten und detaillierte Entscheidungen erst im Laufe eines Prozesses zu fällen, ist auch dem künstlerischen Handeln immanent.

Meiner Erfahrung nach ist die Teamarbeit mit Lehrkräften, die die Klasse sehr gut kennen, am sinnvollsten. Oft ist dies die Klassenlehrerin/der Klassenlehrer. Ihr/sein Wissen um die Kinder und Jugendlichen kann wesentlich zum Gelingen eines Projekts beitragen und sollte unbedingt in ein künstlerisches Projekt einfließen. Dabei geht es weniger um Detailwissen über die Schülerinnen und Schüler als vielmehr um die Einschätzung ihrer Handlungen, Reaktionen und individuellen Leistungen.

Sandra Weber: "Ein Mädchen in der Klasse hat gesagt: ,Ich spiel da nicht mit." Ich weiß, dass es in diesem Moment gar nichts bringt, weiter darauf einzugehen. Ich kann sie in einer anderen Situation noch mal anders ansprechen und versuchen, sie positiv dem Projekt gegenüber zu stimmen. Ich finde es entscheidend, dass das der Lehrer übernimmt. Man kann und darf das nicht von einem Künstler erwarten. Ich halte es deswegen auch für sehr schwierig, einen Künstler alleine in eine Klasse zu lassen. Also mit einzelnen Schülern ja, jederzeit, aber auch erst, wenn Erstkontakt stattgefunden hat. In einer größeren Gruppe sollte er immer zu zweit mit dem Lehrer sein. Weil das wirklich ein Geben und Nehmen ist und weil nur dann ein Verständnis für verschiedene Prozesse aufgebaut werden kann. Sonst kann es sein, dass sich Fronten sofort verhärten, weil man sich in einem kurzen Prozess nicht ausgiebig kennenlernen kann und dann auch viele Sachen missversteht. Also beispielsweise, wenn eine Sache boykottiert wird wie etwa: ,Ich spiel da nicht mit." Ich weiß als Klassenlehrerin, dass es für die Schülerin heute schon eine super Leistung war, dass sie überhaupt da ist, pünktlich zum Unterricht gekommen ist, denn sie hat zu Hause massive Probleme."

Figurentheaterprojekt "Der magische Ring" der Grund- und Werkrealschule Ostheim
Foto: Johanna Niedermüller

Die Künstlerinnen und Künstler haben sich innerhalb der Projekte im Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen" alle einen besonderen Status bei den Kindern und Jugendlichen erarbeitet, weil sie – anders als es an vielen Schulen üblich ist – prozessoffen arbeiten. Sie brennen für das, was sie tun, und verzichten in vielen Fällen auf finanzielle Sicherheit. Damit eröffnen sie den Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu ideellen Werten jenseits ökonomischer Orientierung.

Derzeitige Entwicklung

Trotz der vielen Vorteile von Künstler-Lehrer-Teams werden Workshops an Schulen vielfach allein von Kunstschaffenden ohne pädagogische Lehrkraft angeleitet. Der Ausbau der Ganztagsschulen motiviert Städte und Verbände außerdem dazu, Künstlerinnen und Künstler pädagogisch fortzubilden, um sie im Nachmittagsbereich alleine einsetzen zu können. Positiv zu beurteilen ist, dass das Engagement von Kunstschaffenden so in Bildungseinrichtungen zum festen Bestandteil des Unterrichts werden soll. Zu fragen bleibt jedoch, welche Aufgaben sie wirklich an Schulen wahrnehmen sollen und können und welche Rahmenbedingungen sie brauchen, um dort nicht nur als Ersatzpädagoge zu arbeiten. Die vielfachen, bereits vorhandenen Expertisen von Kunstschaffenden müssten daher stärker erfasst und evaluiert werden, um sie in Kombination mit den pädagogisch didaktischen Expertisen von Lehrkräften für Kinder und Jugendliche nutzbringend anwenden zu können.

Gelingensbedingungen

Bei einem gemeinsam als erfolgreich empfundenen Projekt kultureller Bildung ergänzen und decken sich also die Haltungen und Kompetenzen des Teams, die Partnerinnen und Partner konkurrieren nicht miteinander und behindern sich nicht gegenseitig. Ich konnte im Laufe meiner Tätigkeit als Kulturagentin in Schulen feststellen, dass schnell eine Atmosphäre entstehen kann, die zum Scheitern von Projekten beitragen kann und die keinen Erkenntnisgewinn ermöglicht. Das gewisse Maß an Sympathie und Wohlwollen, das im Zuge eines Erstgesprächs aufgebaut werden kann, spielt eine wesentliche Rolle in der späteren Zusammenarbeit. In funktionierenden Teams wird mit Stärken und Schwächen, Vorlieben und Abneigungen und mit Ängsten möglichst offen umgegangen. Das erfordert Vertrauen, das sukzessive und nur mit viel Zeit wachsen kann.