Stephan Bock
Erfolgreiche Wege – fünf exemplarische Schulporträts
Stephan Bock

Erfolgreiche Wege – fünf exemplarische Schulporträts

aus dem Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“

Einleitung

138 Schulen in den fünf Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen sind im Schuljahr 2011/2012 von sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen aus in das Kulturagentenprogramm gestartet. Alle hatten sich für die Teilnahme an dem Modellprogramm beworben und sich von Anfang an zu den Zielen bekannt, langfristige Kooperationen mit Kulturinstitutionen aufzubauen und vier Schuljahre kontinuierlich in einem selbst gesteuerten Prozess einen künstlerischen Schwerpunkt und/oder ein individuelles künstlerisch-kulturelles Profil für ihre Schule zu erarbeiten und umzusetzen. Alle Schulen haben jedoch die Möglichkeiten, die ihnen durch das Programm und die Unterstützung der Kulturagentinnen und Kulturagenten eröffnet wurden, auch ganz unterschiedlich zur Entwicklung ihres kulturellen Profils eingesetzt. Die folgenden fünf Schulporträts – aus jedem beteiligten Bundesland eines – sollen exemplarisch dieses Spektrum wiedergeben.

Einige Schulen, wie die Gesamtschule Weierheide in Oberhausen oder die Anna-Seghers-Schule in Berlin, waren mit vielfältigen künstlerisch-kreativen Angeboten und Aktivitäten sowie bereits existierenden Kooperationen mit externen Kulturpartnern schon weit in ihrer kulturellen Profilentwicklung fortgeschritten. Auch nutzten sie im Schulalltag bereits besondere Formate, wie beispielsweise die Projektarbeit. Für sie war das Kulturagentenprogramm hilfreich, um sich kulturell noch mehr zu professionalisieren und besondere Vorhaben zu ermöglichen, die ohne das Kunstgeld nicht realisierbar gewesen wären. Andere standen noch am Anfang dieses Weges, konnten aber einzelne kulturelle Aktivitäten und künstlerische Ansätze im Regelunterricht oder in Profilklassen nachweisen. Diese wurden mit Hilfe des Kulturagentenprogramms weiterentwickelt und ausgebaut und bildeten den Ausgangspunkt für neue Angebote, Formate und Strukturen.

Bei der Auswahl der zu porträtierenden Schulen spielten auch deren unterschiedliche Größe und räumliche Verortung eine Rolle – das Spektrum reicht von 170 bis 1.200 Schülerinnen und Schüler und vom ländlichen Raum bis zu den Metropolen Berlin und Hamburg. Es befanden sich auch viele Schulen beim Programmstart in einer weitgreifenden Umbruchsituation; sie sahen darin die Chance, diese mit dem Kulturagentenprogramm zu verknüpfen, zu begleiten oder zu unterstützen. So fand in Hamburg eine Schulreform statt, bei der mehrere Schularten an mehreren Standorten – meistens Haupt- und Realschulen – zu großen Stadtteilschulen zusammengelegt wurden. In Thüringen und Berlin entstanden in einem ähnlichen Prozess die Gemeinschaftsschulen. Die Marie-Curie-Realschule in Mannheim befand sich zu Beginn des Programms mitten im Umzug in ein anderes Gebäude und gab sich dabei auch den jetzigen Namen und damit eine neue Identität.

Die Porträts entstanden auf der Grundlage von Interviews vor Ort unter Beteiligung der Schulleitungen, Kulturagentinnen und Kulturagenten, Kulturbeauftragten sowie teilweise auch von Schülerinnen und Schülern. Ergänzt wurden die Interviews durch Materialien der Schulen, wie die Kulturfahrpläne, Visionspapiere und Projektbeschreibungen.

Ein Fokus der Interviews lag auf den Entwicklungsschritten der Schulen innerhalb der vier Jahre. Grundlage war die Beschreibung von Paul Collard, der diese Schritte für das englische Programm "Creative Partnerships"1 in einem dreistufigen Phasenmodell "School of Inquiry", "School of Change" und "School of Creativity" nennt; von Max Fuchs übersetzt in "Erkundungsphase", "Veränderungsphase" und "Phase der kreativen Schule".2 Die Selbstverortung der Schulen in diese Phasen war zumeist subjektiv – da nicht vergleichend, sondern aus der jeweiligen Innenperspektive betrachtet – und teilweise auch nicht eindeutig festzulegen. Viele befanden sich gegen Ende des Programms zwischen der "Veränderungsphase" zur "Phase der kreativen Schule", manche pendelten aber auch zwischen ihnen hin und her; aus dem Status der "kreativen Schule" zurück zur "Veränderungsphase", um neu gewonnene Erkenntnisse aufzugreifen und umzusetzen; und manchmal musste auch noch einiges neu "erkundet" werden.

Fünf Schulen heißt fünf ganz unterschiedliche Herangehensweisen: von der Setzung inhaltlicher Schwerpunkte über die Entstehung der Kulturfahrpläne und der Arbeit mit diesen bis hin zur Erprobung von Formaten (Einbindung in den Unterricht, ergänzende Angebote wie Workshops, AGs und Projekte) und der Entwicklung ganz neuer Unterrichtsstrukturen. Keine dieser in den folgenden Porträts beschriebenen Herangehensweisen kann als "Königsweg" zur kreativen Schule betrachtet werden; jede Schule hat mit Unterstützung der Kulturagentin oder des Kulturagenten den für sie passenden und gangbaren Weg gefunden. Die wichtigste Gelingensbedingung war der Wille aller, diesen Weg gehen zu wollen.

Lesen Sie im Folgenden fünf exemplarische Porträts:

Identitätsstiftung mit Kunst - Die Marie-Curie-Realschule, Mannheim
Marie-Curie-Realschule, Mannheim
www.mcr-mannheim.de
 
Bundesland
Baden-Württemberg
 
Stadt
Mannheim
 
Schulform
Realschule
 
Anzahl Schülerinnen und Schüler
300
 
Anzahl Lehrerinnen und Lehrer
22

Für die Humboldt-Realschule Mannheim war das Schuljahr 2012/2013 von einschneidenden Veränderungen geprägt. Sie erhielt einen neuen Namen: Marie-Curie-Realschule und bereitete den Umzug in ein neues Haus vor. Daraus ergaben sich Chance und Notwendigkeit, die Schulidentität zu reflektieren. Für das Kulturagentenprogramm – das im Jahr zuvor startete – bot sich die einmalige Gelegenheit, diesen Veränderungsprozess zu begleiten und mitzugestalten.

An der vergleichsweise kleinen Schule wird die Vielfalt an Nationen und Kulturen, die dort herrscht, besonders sichtbar. Kunst und Kultur als universelle Sprache wurden daher schon immer als verbindende Elemente geschätzt, die zur Verständigung und Identifikation beitragen, und in die sich alle Schülerinnen und Schüler einbringen können. Die bestehenden Ansätze durch Qualität aufzuwerten und weiterzuentwickeln sowie das besondere Profil "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" durch Kunst noch stärker sichtbar zu machen, waren die wesentlichen Motive für die Teilnahme am Kulturagentenprogramm. Es herrschte daher zu Beginn große Offenheit und Lust, etwas Neues zu initiieren, auch wenn nicht ganz klar war, wie sich das gestalten würde.

Diese Euphorie wich allerdings erst einmal der Ernüchterung. Für die Schule war die größte Herausforderung der Anfang, als das Kulturagentenprogramm selbst sozusagen noch in den Kinderschuhen steckte und die Schule sich mit Informationen versehen sah, die sie als widersprüchlich erlebte. Damit neben dem anstrengenden Alltagsbetrieb zu Beginn eines neuen Schuljahres umzugehen, war für die Schule nicht ganz einfach. Andererseits war es gut, dass Unebenheiten und Hürden gleich zu Beginn auftauchten, denn nach deren Überwindung konnte man sich der zweiten großen Herausforderung, dem Umzug, stellen.

Ein Umzug in ein neues Gebäude ist immer mit Aufbruch und Veränderung verbunden, aber auch mit Stärkung und Pflege des Bewährten; an der Marie-Curie-Realschule betrifft das vor allem die Themen Toleranz, Respekt, Verantwortung und Zusammenleben. Der Umzug gestaltete sich in drei Phasen: dem Abschiednehmen, dem eigentlichen Umzug und dann dem Ankommen – der Suche nach der Identität an einem neuen Ort.

Das vom Kulturagentenprogramm geförderte Projekt "Identitätsstiftung mit Kunst" zwischen September 2012 und April 2013 griff die darin enthaltenen Themen auf. Alle fünf Workshops für rund 120 Schülerinnen und Schüler begleitete die Leitfrage: "Wer sind wir und wie können wir uns ästhetisch-gestalterisch ausdrücken?"

Partizipation fördert Identifikation

Vor allem bei der Entwicklung des Corporate Designs wurde auf breite Beteiligung der Schülerschaft gesetzt. So entwarfen und gestalteten die Schülerinnen und Schüler der Klasse 8a ein neues Schullogo, über das Identität grafisch zum Ausdruck gebracht werden sollte. In einem Auswahlverfahren, an dem die gesamte Schule beteiligt war, wurde aus allen Entwürfen das neue Logo gekürt. Es ist jetzt überall sichtbar – auf dem Briefkopf, auf Einladungen für Elternabende, im Außenbereich auf dem Banner und auf der Homepage. Auch die neue Homepage wurde von Schülerinnen und Schülern einer 8. Klasse entwickelt. Im Mittelpunkt standen dabei Funktionalität und Ästhetik und insbesondere die Farbgestaltung. Im Projekt "Kunst für Toleranz" stellte sich die 9. Klasse die Frage: "Wie kann man mit künstlerischen Mitteln für Toleranz werben?" Zu vorgegebenen Mottos – beispielsweise "Vielfalt ist Reichtum" – entstanden Collagen von selbst angefertigten Fotografien, die als Basis für die Gestaltung von Postkarten dienten. Einzelne Entwürfe wurden in einem reflektierten Abstimmungsprozess ausgewählt, gedruckt und in einem breiten Umfeld verteilt.

Um Toleranz, Respekt und Verantwortung ging es auch im Projekt "Bitte mit Respekt!", in dem zwei 5. Klassen untersuchten, was respektvolles Verhalten in der Klassengemeinschaft und im Schulalltag bedeutet. Die Ergebnisse dieser tanz- und theaterpädagogischen Prozesse wurden zusammengefasst und vor Publikum in der Schule aufgeführt. Im Projekt "Gedicht am Kubus" erarbeiteten Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse mit einer Theaterpädagogin sprachlich und szenisch das Gedicht "Jeder Mensch hat einen Namen" der Dichterin Zelda Schneersohn Mishkowsky. Am Glaskubus – dem Denkmal für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Mannheim – führten die Schülerinnen und Schüler anlässlich des Jahrestages der Deportation eine bewegende Performance auf und wirkten so auch in das städtische Umfeld hinein.

Die Ängste der Schülerinnen und Schüler, die mit Veränderungsprozessen verbunden waren, wurden ebenfalls thematisiert. So entstand ein Rap-Video, in dem der Umzugsprozess mit all seinen positiven und negativen Eindrücken verarbeitet wurde.

Neue Erfahrungen, erweiterter Kunstbegriff und Rollentausch

Im Projekt "Nur Skulptur" ging es um die partizipative Gestaltung des neuen Schulortes. Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 7b näherten sich unter Anleitung eines Bildhauers und Kulturpädagogen dem Thema "Skulptur im öffentlichen Raum" und durchliefen alle Arbeitsphasen eines künstlerischen Schaffensprozesses. Angeregt von den Werken des Künstlers Eugène Delacroix und seiner Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution und ihrem Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" entstanden in einer Themenwoche Entwürfe, die dann unter Anleitung des Bildhauers als Stahlskulpturen gefertigt wurden und seither das Schulgelände schmücken.

Die Beteiligten sammelten wichtige neue Erfahrungen: Zusammenarbeit im Team, gegenseitige Unterstützung wie auch selbstständiges Arbeiten und Auseinandersetzung mit einem für sie neuen Kunstbegriff. Eine Schülerin beschrieb es so: "Wenn man an Kunst denkt, denkt man meistens nur ans Malen von Bildern. Aber nach diesem Projekt haben wir gemerkt, dass Kunst vieles andere sein kann und ermöglicht, dass man seine eigenen Stärken findet oder was man eigentlich noch kann. Und dann ist man stolz auf sich."

Eingebettet war dieses Projekt in die Ausstellung "Nur Skulptur" in der Kunsthalle Mannheim. Eine zweite Gruppe der Siebtklässler erprobte den Rollentausch – aus Schülerinnen und Schülern wurden Lehrende, und aus den Lehrerinnen und Lehrern wurden Lernende. Seit Schuljahresbeginn gingen die Siebtklässler ein- bis zweimal die Woche in die Kunsthalle und erhielten von zwei erfahrenen Kunstpädagogen Anleitung und Unterstützung in der Vorbereitung einer Führung. Am Ende kam das gesamte Kollegium im Rahmen eines Lehrerausflugs in der Ausstellung zusammen, und die Schülerinnen und Schüler stellten jeweils zu zweit oder zu dritt den Lehrkräften ein Kunstwerk vor, darunter Werke von Auguste Rodin, Max Ernst, Gustav Seitz oder Thomas Rentmeister. Dabei agierten die Jugendlichen schon fast wie Profis; sie ließen die Lehrerinnen und Lehrer zeichnen, stellten Fragen und regten zum Nachdenken an. Die Schülerinnen und Schüler lernten nicht nur viel über die Künstler und ihre Werke, sondern auch, wie schwierig es ist, vom Publikum Aufmerksamkeit zu erhalten.

Projektarbeit und/oder Unterricht?

Projekte außerhalb des regulären Unterrichts durchzuführen, ist oft mit einem enormen Kraftakt verbunden. Er erfordert die Abstimmung des Stundenplans mit den Zeitplänen externer Künstlerinnen und Künstler und den Interessen der davon betroffenen Lehrerinnen und Lehrer. So erlebte die Kulturbeauftragte, "dass dann der Mathelehrer sagt, ja, meine Güte, das ist ja ganz toll, was ihr da macht, aber ich muss dringend Mathe machen. Wir haben am Ende des Jahres Prüfungen". Es hat sich daher bewährt, die künstlerische Arbeit mit in den Unterricht hineinzunehmen. Dadurch kann die Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern auch kontinuierlich über einen längeren Zeitraum wachsen. So wurden viele Projekte in den Unterricht integriert, auch um Verknüpfungen zu den nichtmusischen Fächern herzustellen und Synergieeffekte zu nutzen.

Die Führung durch die Ausstellung "Nur Skulptur" war beispielsweise eng mit dem Schulprojekt "Wirtschaften, Verwalten, Recht" (WVR) verknüpft. Ein Ziel dieses Pflichtprojektes ist, dass Schülerinnen und Schüler lernen, sowohl selbstständig als auch im Team zu arbeiten und dies in der Abschlussprüfung zu demonstrieren. Diese Fähigkeiten konnten die Schülerinnen und Schüler in der Museumsarbeit trainieren. Das Projekt wirkte sich auch auf den Deutschunterricht aus, da Kunstvermittlung viel mit Sprache und ihrer Anwendung zu tun hat. Das Vorhaben "Gedicht am Kubus", dem Mahnmal für die deportierten Juden, war ebenfalls fächerübergreifend angelegt. Es ging um die Verknüpfung von Literatur und szenischer Darstellung mit dem Geschichts- und Deutschunterricht.

Förderlich für die Umsetzung von Kulturprojekten war die Tatsache, dass die Schule schon länger in Form von Blockunterricht arbeitet und sich dieses Format bewährt hat.

Ein großes Projektformat ist die jährlich stattfindende Themenwoche, an der alle Klassen und das gesamte Kollegium beteiligt sind. Es ging darum, das umzusetzen, was die Schule ausmacht. Die Themenwoche ist eng mit dem Leitbild der Schule – "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" – und den sich daraus ergebenden Anforderungen verknüpft. Für die Schulleiterin Daniela Götz ist es das, "was an oberster Stelle steht, und wir schauen, was sich in dem Schuljahr verändert hat. Woran sollten wir noch mal arbeiten? Aus dieser Auseinandersetzung ergeben sich die Jahresthemen. Aber wie diese dann ausgestaltet werden, wird wiederum gemeinsam mit unserer Kulturagentin Judith Denkberg überlegt."

Die Auswirkungen künstlerisch-kreativer Prozesse auf den Unterrichtsalltag beobachtete Götz eher indirekt. "Messen kann man das nicht, das kann man nur subjektiv wahrnehmen." Die Erfahrung des selbstständigen Arbeitens in Projekten, die Übernahme von Verantwortung, das Zusammenarbeiten in Teams, aber auch mit fremden Personen, wie den Künstlerinnen und Künstlern – hier ist die Schule überzeugt, dass es Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler, auf ihre Persönlichkeit und auf die Art des Arbeitens in der Schule hat. Aber auch auf die Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie zum Beispiel in die Schülerrolle schlüpfen und sich durch das Museum führen lassen.

Ideal verteilte Rollen

Die konstruktive Zusammenarbeit von Schulleitung, Kulturbeauftragter und Kulturagentin mit einer klaren Aufgabenverteilung war eine wichtige Gelingensbedingung für den kulturellen Entwicklungsprozess. Sie sorgte auch für den notwendigen Kommunikationsfluss und erleichterte damit die Umsetzung einzelner Maßnahmen. Die Schulleitung schätzte die Kompetenz der beiden, die in ihren Augen die eigentliche Arbeit machten. Ihre Aufgabe sah sie darin, ihnen den Rücken frei zu halten und für optimale Rahmenbedingungen zu sorgen, zum Beispiel den Stundenplan den aktuellen Bedürfnissen anzupassen, im Vorfeld – gegen Ende des Schuljahres – entsprechende Zeitfenster zu setzen und für eine umfassende Kommunikation des Programms in die Lehrerkonferenzen und in den Elternbeirat zu sorgen. Gerade diese Bereitschaft zur offenen Kommunikation erlebte die Kulturagentin von Beginn an als positiv und als eine Besonderheit an der Schule.

Die Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Kunstschaffenden war für die Schule ein Gewinn. Künstlerinnen und Künstler bringen eine andere Sicht auf Schule und neues Know-how mit ein. Sie achten auf die künstlerische Freiheit, während Lehrerinnen und Lehrer es eher gewohnt sind, nach einem genauen Plan zu arbeiten; entlang einer klaren Struktur. Zudem haben sie einen anderen Zugang zu den Schülern, wenn es zum Beispiel um Disziplin geht. Letztendlich waren die Art, wie der Künstler auf Kinder und Jugendliche reagiert, und die Frage, inwieweit er schon Erfahrung mit Lerngruppen hat – mit jüngeren wie mit älteren, mit vielen wie mit wenigen – ausschlaggebend für die weitere Zusammenarbeit.

Netzwerkarbeit

Eine unmittelbare Kooperation im Dreiernetzwerk der Schulen fand nicht statt; dazu sind die Schulen zu unterschiedlich und außerdem geografisch sehr weit voneinander entfernt. Allerdings spielte die Kulturagentin als Informationsknotenpunkt eine wichtige Rolle. "Es hat sich bewährt, dass ich den Schulen immer von Erfahrungen, die ich in anderen Schulen gemacht habe, berichtet habe. Gemeinsam haben wir versucht, aus diesen Erfahrungen zu lernen", meint Judith Denkberg. Dies betraf sowohl Künstler als auch Projektideen.

Wie geht's weiter?

Die Schule hat im Verlauf der vier Jahre arbeitsfähige Strukturen und nachhaltige Formate für die kulturelle Profilentwicklung geschaffen, aber die Schulleiterin Daniela Götz sieht – trotz aller Erfolge – die "Phase der kreativen Schule" noch nicht angebrochen; dafür sind für sie noch zu viele Fragen offen: "Das Kulturagentenprogramm … bedeutet sehr viel Arbeit. Und wir haben immer gesagt, das tragen wir; wir sind uns auch der Verantwortung bewusst, weil es eben auch Geld für die Schule bedeutet. Aber im Umkehrschluss muss ich auch sagen: Anders geht es nicht. Wenn es keine Entlastung für meine Kollegen und wenn es kein Geld gibt, dann ist die Qualität einfach nicht so, wie sie sein muss."

Es ist nicht nur die Qualität, die außerschulische Partner mitbringen; es sind auch neue Ideen, die vonseiten der Schule allein nicht realisierbar und die auch häufig mit dem Verlassen der schulischen Räume und dem Aufsuchen von anderen Lernorten verbunden sind. So geht es jetzt vor allem darum, entweder selbst Sponsoren zu finden oder Künstlerinnen und Künstler oder Institutionen, die ihrerseits über Kontakte zu Stiftungen und anderen Fördertöpfen verfügen.

Daneben müssen die personellen Rahmenbedingungen stimmen. Die Rolle der Kulturagentin wird als unverzichtbar angesehen; nicht nur als diejenige, die die vielen Ideen der Schule bündelt, zu Papier bringt und hilft, sie mit ihrem Know-how umzusetzen, sondern die auch in der Lage ist, den zusätzlichen administrativen Aufwand – netzwerken, Kontakte herstellen, Vertragsverhandlungen führen, Anträge schreiben und abrechnen – zu bewerkstelligen. Dies gelingt nur in enger Zusammenarbeit mit der Kulturbeauftragten, die dafür zeitlich entlastet werden muss.

Auf dem Weg zur "kreativen Schule" setzt man auf bewährte Kooperationen. So wird die Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum wie auch mit freiberuflichen Künstlerinnen und Künstlern, mit denen die Schule gute Erfahrungen gemacht hat, fortgeführt. Unterstützung erfährt die Schule auch durch das Regionale Bildungsbüro Mannheim, das eine systematische Netzwerkarbeit zwischen Schulen und außerschulischen Partnern fördert. So trifft man sich bereits am Runden Tisch, um auszuloten, wie es weitergehen kann. Auch besteht ein enger Kontakt zur Stadt Mannheim, die ein großes Interesse an der kulturellen Profilierung der Schule zeigt. Sie lud zur Eröffnungsfeier der neuen Schule ein, und Vertreter der Stadt sind häufig bei wichtigen kulturellen Anlässen anwesend.

Für die Kulturagentin Judith Denkberg ist die Schule ein "Musterbeispiel", weil sie von Anfang an verstanden hat, welches Potenzial das Kulturagentenprogramm für sie beinhaltet. Die Schule hat es genutzt und mit Hilfe des Programms eigene Potenziale geschaffen, auf denen sie ihre Zukunft als "kreative Schule" aufbauen kann.

Vom "Sahnehäubchen" zur Kulturschule - Die Anna-Seghers-Schule, Berlin
Anna-Seghers-Schule Berlin
www.anna-seghers-os.de
 
Bundesland
Berlin
 
Stadt
Berlin
 
Schulform
Gemeinschaftsschule
 
Anzahl Schülerinnen und Schüler
1.200
 
Anzahl Lehrerinnen und Lehrer
120

Der erste Eindruck der Kulturagentin Carolin Berendts von "ihrer" Schule war: "Die haben da schon alles!" Ein schön gestaltetes Schulgebäude mit viel Kunst an den Wänden, künstlerisch sehr präsente Fachbereiche – Darstellendes Spiel, Deutsch mit kreativem Schreiben, Musik und Kunst – sowie eine TuSch-Partnerschaft mit dem Theater im Palais. Außerdem bestehen mit der Anna-Seghers-Festwoche einschließlich Literaturwettbewerb und dem Theaterfest zwei erfolgreiche Präsentationsformate und durch die regelmäßige Teilnahme am Adlershofer Herbstfest auch Außenwirkung im Kiez.

Auf den zweiten Blick stellte die Kulturagentin aber auch fest, dass diese Fachbereiche mit ihren Aktivitäten Leuchtturmfunktionen übernahmen, während die anderen – vor allem in kulturellen Dingen – sehr zurückhaltend agierten.

Vom Zuschuss zur Vision

Die Motivation zur Teilnahme am Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen" hat sich im Laufe der Zeit verändert. Zu Beginn, als die Aufgaben der Kulturagentin und die Möglichkeiten, die in der Zusammenarbeit mit ihr steckten, noch nicht sichtbar waren, sah die Schule vornehmlich die Chance, über das Kunstgeld neue Dinge realisieren zu können. Die Kulturagentin ist davon überzeugt, dass sich "… viele Schulen des Geldes wegen beworben haben und wegen der Möglichkeit, mit dem Geld etwas künstlerisch-Kreatives zu gestalten". So plante die Anna-Seghers-Schule den Aufbau eines Medienstudios, um den Fachbereich "Medien" zu stärken; die Schule hatte sogar schon einen medienerfahrenen Kulturagenten im Visier. Im Auswahlverfahren erhielt sie jedoch eine andere Kulturagentin, und damit war der Gestaltungsprozess erst einmal wieder offen. Das Medienstudio ist trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen zustande gekommen.

Mit der Zeit kristallisierten sich weiter gefasste Ziele heraus: statt weiterer Leuchttürme die stärkere Einbindung aller Fachbereiche auf gleichem Level sowie die Verankerung von Kultur im Sinne einer Lern- und Gemeinschaftskultur. Es galt, ein gemeinsames Verständnis darüber herzustellen, was kulturelles Arbeiten an der Schule bedeuten kann, damit es von allen Kolleginnen und Kollegen als Bereicherung empfunden wird. Dazu gehörte auch die Erweiterung des Kulturbegriffs. Bisher war er ein eher enger, klassischer, der an die künstlerisch aktiven Fachbereiche und deren Arbeit gekoppelt war. Diese hatte und hat zwar immer noch ein sehr hohes Niveau; die Erkenntnis und die Entwicklung gingen jetzt jedoch in die Richtung, dass es nicht immer nur das künstlerisch Beste sein muss, solange es einem Gesamten dient.

Die Schule hatte sich mit den beiden anderen Gemeinschaftsschulen im Bezirk Treptow-Köpenick als Dreiernetzwerk beworben. Sie befanden sich seit 2008/2009 im "Schulversuch Gemeinschaftsschule", bei dem es auch darum ging, Schule anders zu denken: Angestrebt wurden das gemeinsame Lernen von Klasse 1 bis 13 und die kontinuierliche Weiterentwicklung von Unterrichtspraxis und Schulleben. Es lag also nahe, dies mit dem Kulturagentenprogramm zu verknüpfen.

Mit dem so genannten Startgeld wurden erste kleine Projekte initiiert, um auszutesten, was möglich ist, wie weit man gehen kann. Beispielsweise entstand die Idee, im Kunstunterricht mit einer Künstlerin zusammenzuarbeiten. Sie entwickelte im Innenhof eine Installation mit fluoreszierenden Neonwollfäden, was zu den ersten grundsätzlichen Diskussionen führte. Die Kunstlehrerin war begeistert, die anderen Lehrkräfte waren geschockt, auch weil die Künstlerin im Innenhof der Schule arbeitete, dem öffentlichsten Ort überhaupt, den alle sehen können. Carolin Berendts erinnert sich, dass viele äußerten: "Das ist ganz schrecklich, das hat mit Kunst nicht zu tun, wann ist das wieder weg?" Sie beschreibt dies aber auch als einen wichtigen Moment der Provokation: "Wir haben auf einmal angefangen, auch inhaltlich zu diskutieren: Muss es denn immer das sein, was allen gefällt, oder kann Kunst nicht auch Irritation auslösen?"

Der Kulturfahrplan – ein "lebendiges" Instrument

Die Entwicklung des Kulturfahrplans war ein gemeinsamer Verständigungsprozess, an dem neben dem Kulturbeauftragten und der Kulturagentin ein kleiner Kollegenkreis beteiligt und der eng mit der Schulleitung abgestimmt war. Diese setzte auch klare Zeichen, was machbar ist und was nicht.

Der erste Schritt war die Standortbestimmung – "Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie viel Zeit benötigen wir dafür?" Es folgten die Formulierung von Visionen und die Ableitung von Zielen. Diese wurden durch den Kulturbeauftragten in einer "Maßnahmenplanung" so heruntergebrochen, dass eine tabellarische Übersicht mit Aufgabenbeschreibungen, Zeitfenstern sowie den Namen der jeweiligen Verantwortlichen entstand, mit der die unmittelbar Beteiligten planen und an der sich alle im Kollegium orientieren konnten.

Ein weiteres Ergebnis des Kulturfahrplans war die Installation eines "Kulturrats", in dem auch Schülerinnen und Schüler sowie Eltern vertreten sind. Er trifft sich regelmäßig mindestens einmal im Jahr und überprüft den Kulturfahrplan hinsichtlich seiner Zielerreichung, justiert nach und schreibt ihn fort. Derzeit wird an der nächsten Version gearbeitet, in der bereits der Zeitpunkt festgehalten ist, wann an der übernächsten Version gearbeitet wird. Der Kulturfahrplan wird also als lebendiges Instrument verstanden, das sich beständig weiterentwickelt.

Kulturerwachen

Einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Kulturfahrplans hatte die Einbindung sowohl des Gesamtkollegiums als auch der Schülerschaft in zwei Formaten im zweiten Schulhalbjahr 2011/2012. Beim "Kulturerwachen" konnten alle Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe in Schnupperworkshops – beispielsweise zwei Stunden Improvisationstheater oder Bodypercussion – unterschiedliche Kunstformen und -formate kennenlernen, um danach ihre Wünsche und Vorschläge zu äußern. Auch wenn nicht viele neue Ideen kamen, da die Schülerinnen und Schüler immer noch unter dem Eindruck der vergangenen zwei Stunden standen, war die Veranstaltung ein voller Erfolg. Dieser bestand im "Kollateralnutzen" – der Begeisterung der Lehrkräfte, die ihre Schülerschaft auf einmal ganz anders erlebte. "Wir wollten eigentlich an die Schülerinnen und Schüler ran, und auf einmal hatten wir lauter begeisterte Kollegen, die uns Anerkennung für die Arbeit ausgesprochen haben", so die Beobachtung der Kulturagentin.

Zwei Monate später fand ein Studientag für das gesamte Kollegium aller drei Stufen statt, bei dem allgemein zum Thema "Kultur" gearbeitet wurde. Die Schulleitung hatte dieses Vorhaben aktiv unterstützt und auch entschieden, ihn nicht – wie üblich – am Ende, sondern zu Beginn des Schuljahres durchzuführen.

Der Tag war zweigeteilt: in einen Fachvortrag und in Workshops. Der Vortrag befasste sich mit der Fragestellung: "Warum machen wir das überhaupt? Nur um der Kunst willen? Oder geht es auch um Entwicklung?" Anschließend gab es verschiedene Workshops, in die man sich einwählen und dann eigene künstlerische Erfahrung sammeln konnte. In einem Workshop entstand beispielsweise unter Anleitung eines Regisseurs innerhalb von zwei Stunden ein Film zur "Winkelsonne im rechtwinkligen Dreieck", der insbesondere die Relevanz künstlerischen Arbeitens für andere Fächer deutlich machte. Die abschließende Präsentation war nicht nur künstlerisch beachtlich, sondern vor allem fröhlich. "Und ich glaube, dadurch hat man viele der Kollegen gewonnen. Also, Kunst kann fröhlich sein, Kultur ist fröhlich. Es geht darum, dass wir gemeinsam etwas erschaffen. Oft hat Schule doch was sehr Ernstes. Und man ist ständig mit Problemen konfrontiert", so die Einschätzung des Kulturbeauftragten Bastian Buchtaleck.

Gut besetzte Schlüsselpositionen

Für die Kulturagentin sind die Kulturbeauftragten die Schlüsselpersonen zum Erfolg, denn aus ihrer Sicht ist jeder Kulturagent nur so gut, wie sein Kontakt in die Schule. Carolin Berendts betrachtet den Kulturbeauftragten als Türöffner, der sie an die Hand nimmt und mit dem sie partnerschaftlich zusammenarbeitet.

Und sie beobachtete bei den Kulturbeauftragten im Laufe der Jahre eine Professionalisierung. Von jemandem, der sich für Kultur interessiert, zu einem, der fragt, wie man alle Kollegen einbezieht: "Wie schaffen wir es, dass ein Kollege nicht nur über sein Projekt nachdenkt, sondern auch darüber, was das in der Gesamtkommunikation bedeutet?" Zur Qualifizierung der Kulturbeauftragten hat auch die berlinspezifische kontinuierliche Fortbildung in enger Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung als Kooperationspartner des Modellprogramms beigetragen.3

Auch für Angelika Jurczyk, die Leiterin der Anna-Seghers-Schule, ist der Kulturbeauftragte ein wichtiger Ansprechpartner, dem sie den notwendigen Freiraum gibt, um beispielsweise in der Gesamtkonferenz über den Stand des Kulturagentenprogramms zu informieren.

Der Schulleiterin kommt aus Sicht der Kulturagentin bei der erfolgreichen Umsetzung der kulturellen Profilierung der Schule ebenfalls eine Schlüsselfunktion zu, indem sie ihre Leitungsfunktion ernst nimmt und auch ein offenes Ohr hat, wenn Kollegen Bedenken wegen der vielen Projekte äußern und befürchten, dass ihr Unterricht zu kurz kommt. Andererseits bezieht sie auch klar Position und überraschte im Kulturamt mit einem klaren Bekenntnis: "Liebe Kollegen, kulturelle Bildung ist hier nicht das Sahnehäubchen, das wir am Schuljahresende machen, sondern integraler Bestandteil unseres Bildungsauftrages für junge Menschen." Die Kulturagentin, die daneben saß, dachte in diesem Moment: "Das ist die Grundlage, und auf dieser Grundlage entwickeln wir uns weiter."

Aus Sicht des Kulturbeauftragten hat die Kulturagentin eine zentrale Rolle inne, vor allem beim Aufbau von Netzwerken. Diese Netzwerke sollten nicht nur an einem einzelnen Kollegen mit einer bilateralen Beziehung zum Beispiel zu einem externen Unternehmen andocken. "Denn wenn dann die Person wegbricht, bricht ja auch der Inhalt weg", so Buchtaleck. Durch diese mehrdimensionale Netzwerkarbeit – innerhalb des Kollegiums, zwischen dem Kollegium und den Kulturpartnern, im Schulnetzwerk Treptow-Köpenick und auch mit den übrigen Berliner Programmschulen – wurden personenunabhängige und damit nachhaltige Strukturen geschaffen, in denen sich multiprofessionelles Know-how bündelt, von dem alle profitieren.

Traditionen hinterfragen

Das "Kulturerwachen" und der anschließende Studientag zu Beginn des zweiten Programmjahres im Herbst 2012 markierten eine Zäsur im Entwicklungsprozess. Für die Schule war es die Schwelle von der "Erkundungsphase" zur "Veränderungsphase". Sie führte im Kulturrat zur Diskussion über künftige Formate. Man traute sich auch, Traditionen zu hinterfragen, vor allem wenn sie nur noch um der Tradition willen bestehen. Dabei wurde auch die Anna-Seghers-Festwoche kritisch unter die Lupe genommen und den neuen Erkenntnissen angepasst.

Herausgekommen ist, nicht mehr wie bisher in viele einzelne Projekte zu investieren und sich zu verzetteln, sondern Kraft, Energie, Zeit und das verbleibende Geld in einer gemeinschaftlichen künstlerischen, stufen- und fachübergreifenden Projektwoche für alle Klassen im Mai 2015 zu bündeln. Hier sollte vor allem der Prozess – die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler im künstlerisch-kreativen Tun aber auch des Kollegiums im Umgang mit diesem Format – und nicht nur das Ergebnis – die Präsentation – im Vordergrund stehen. Das galt insbesondere auch für die zweijährige Planungsphase, die als Change-Management-Prozess im Sinne einer lernenden Organisation verstanden wurde und an der alle Ebenen, einschließlich der Schüler- und Elternvertretung, beteiligt waren. Es wurde viel diskutiert und gestritten, aber auch konstruktiv weiterentwickelt. Kamen die Vorschläge aus den Fachbereichen anfangs nur schleppend, waren auf einmal wesentlich mehr da als die erwarteten drei. Und dies auch aus den nichtmusisch-künstlerischen Fächern. In Mathematik wollte man geometrische Formen auf dem Schulhof nachbauen, in Physik und Chemie Experimente ausführen, diese filmen und aufbereiten, andere wiederum wollten Sitzgelegenheiten bauen.

Grenzen der Schülerpartizipation

Auch wenn die Schülerinnen und Schüler im Kulturrat vertreten sind, in der Projektwoche eine eigene Säule "Kultur von Schülern für Schüler" haben oder im Kunstbereich Verantwortung für Projekte übernehmen – etwas, wovon viele andere Schulen träumen –, scheint aus Sicht der Kulturagentin die Schülerpartizipation "… leider ein bisschen unter den Tisch gefallen zu sein". Dies liegt zum Teil daran, dass es für Schülerinnen und Schüler wesentlich schwerer ist, Kontinuität herzustellen als für die Lehrer. Entweder passt der Stundenplan nicht, oder sie gehen nach der 10. oder 13. Klasse ab. So haben in den Kulturratssitzungen die Schülervertreter häufig gewechselt. Auch die Begeisterung, die sich während der Schülersprecherfahrt – eine der Traditionen an der Schule – in vielen tollen Ideen niederschlug, verebbte im schulischen Alltag schnell wieder. Andererseits machte man aber auch überraschende Erfahrungen, dass beispielsweise in einer Kulturbeiratssitzung der anwesende Schülervertreter spontan angeboten hat, bei der Abrechnung auszuhelfen. Für die Kulturagentin sind das Beispiele von Schülerbeteiligung, an die sie vorher, selbst in ihren "wildesten Träumen", nicht glaubt habe.

Wie die Berliner netzwerken

Das Dreiernetzwerk, bestehend aus der Anna-Seghers-Schule, der Grünauer Schule und der Sophie-Brahe-Schule existierte durch den gemeinsamen "Schulversuch Gemeinschaftsschule", in dem die drei Schulleitungen eng zusammenarbeiteten, schon vor dem Kulturagentenprogramm.

Bereits zu Beginn des Kulturagentenprogramms gab es einerseits zwei große Netzwerkprojekte; eines in Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt zum Thema Schulhausarchitektur, an dem auch drei Nichtprogrammschulen teilgenommen haben. Andererseits wollte man sich auf die individuellen Schulentwicklungen konzentrieren, und da stand jede Schule an einem unterschiedlichen Punkt. Trotzdem trafen sich über die gesamte Programmlaufzeit regelmäßig zweimal im Jahr alle Schulleitungen und Kulturbeauftragten der drei Schulen.

Zusätzlich gab es vom Landesbüro Berlin organisierte berlinweite Netzwerktreffen. Sie entwickelten sich zu einem wichtigen Fachforum, in das ständig neue Kollegen hinzukamen; über die Kulturbeauftragten hinaus mittlerweile bis zu drei Kolleginnen und Kollegen pro Schule. Berendts erzählt: "Wir waren im Hamburger Bahnhof, und ich erinnere mich genau daran, weil auf einmal ganz viele Leute meinten, das ist so großartig, das müssen wir festigen und weiterführen. Und wir Kulturagenten saßen da und dachten uns, jetzt sind nicht mehr nur wir die Fürsprecher des Programms. Am Anfang war unsere Position, immer zu motivieren und zu sagen, das und das muss sein. Und auf einmal können wir uns zurücklehnen […]."

Was bleibt, was kommt?

Die Anna-Seghers-Schule sieht sich einerseits schon in der "Phase der kreativen Schule". Andererseits erlebt sie sich aber auch immer wieder in der "Veränderungsphase". Für die Kulturagentin hat das Prozessqualität, "… aber auch deswegen, weil wir mit Partnern aus Kunst und Kultur zusammenarbeiten. Dieses Programm hätte nicht denselben Erfolg gehabt, wenn es ein reines Schulentwicklungsprogramm gewesen wäre. Die Qualität liegt in der Arbeit, in der Möglichkeit, in andere professionelle Kontexte zu schauen, in einem weiten Kulturbegriff, in neuen Begegnungen, mit Leuten, die hier schräge Ideen reinbringen, die nicht immer nur konform gehen mit dem System Schule."

Die "Phase der kreativen Schule" zeigt sich auch am hohen Organisationsgrad der Fachkollegen, am fest etablierten Kulturrat, an der rückhaltlosen Unterstützung durch die Schulleitung und an der Etablierung dauerhafter Angebote und Strukturen. Das Medienstudio hat sich mit regelmäßigen Lernangeboten etabliert, in denen zum Beispiel die "Kleinen" der Klassen 5 und 6 lernen, mit Technik umzugehen. Und der Fachbereich Darstellendes Spiel hat sich mit Hilfe des Kulturagentenprogramms professioneller aufgestellt. So verfügt er über eine gut ausgestattete professionelle Bühne, die die Arbeit mit theatralen Mitteln erlaubt. Hinzu kommt die Fortführung des TuSch-Programms in Partnerschaft mit dem Theater im Palais.

Die Kulturagentin sieht das Modellprogramm als eine Initialzündung. "Ein Programm oder auch ein Agent kann Ideen geben, Wege weisen, Kontakte herstellen, aber die Schritte kann nur die Schule gehen. Und dafür braucht man die Freistellungen der Kulturbeauftragten und eine Anlaufstelle, die das organisiert, die einlädt, sonst passiert nichts. Und auf jeden Fall die Möglichkeit einer Fachberatung durch Externe, wie die Kulturagenten." So wird in Berlin über ein "Beratermodell" nachgedacht, das auf Bezirksebene angesiedelt ist und in dem zum Beispiel auch eine Schule, die nicht am Programm beteiligt ist, die Möglichkeit hat, Expertenrat einzuholen, wenn es um die Entwicklung eines Kulturfahrplans geht.

Nach den vier Jahren ist die Kulturagentin davon überzeugt "… dass die Schule nun viele Schritte alleine gehen kann". Aus den "Sahnehäubchen" ist ein Gesamtkunstwerk mit einem soliden Tortenboden entstanden, aus dessen Grundteig immer wieder etwas Neues entstehen kann.

Umbruch als Chance - Die Stadtteilschule Niendorf in Hamburg
Stadtteilschule Niendorf Hamburg
www.stadtteilschule-niendorf.de
 
Bundesland
Hamburg
 
Stadt
Hamburg
 
Schulform
Stadtteilschule
 
Anzahl Schülerinnen und Schüler
1100
 
Anzahl Lehrerinnen und Lehrer
120

Die Stadtteilschule Niendorf liegt im Nordwesten Hamburgs in einem relativ jungen, städtischen Wohnquartier mit einer ausgewogenen Sozialstruktur. Es gibt wenig Gewerbe und kaum Industrie, Ein- und Mehrfamilienhäuser mit viel Grün dazwischen prägen das Bild.

Das Kulturagentenprogramm erreichte die Schule, als sie sich in einer Umbruchphase befand. Wie alle Stadtteilschulen in Hamburg entstand sie 2010 im Rahmen einer Schulreform aus der Zusammenlegung mehrerer Schularten und Standorte; hier waren es die Gesamtschule sowie die Haupt- und Realschule; es gibt somit drei Standorte, die zehn Gehminuten voneinander entfernt sind. Dadurch haben die Schüler- und Lehrerzahlen stark zugenommen. Hinzu kamen umfassende curriculare Veränderungen. Auch wenn dieser mit vielen Turbulenzen verbundene Umstrukturierungsprozess noch lange nicht abgeschlossen war, hat die Schule im Kulturagentenprogramm direkt die Chance erkannt, neben den extern vorgegebenen organisatorischen Entwicklungen auch eigene inhaltliche Akzente zu setzen und diese von Beginn an in den allgemeinen Schulentwicklungsprozess zu integrieren.

Zuvor gab es schon einzelne musische und künstlerische Projekte als "Highlights". Es gelang aber nicht, diese als kulturellen Bestandteil der gesamten Schule zu sehen, sondern sie blieben auf einzelne Fachbereiche und wenige, engagierte Kolleginnen und Kollegen begrenzt, die sich über diese Arbeit jedoch stark identifizierten. In Einzelfällen wurde dabei bereits mit außerschulischen Partnern zusammengearbeitet. Die Präsentation der künstlerischen Ergebnisse fand in über das Schuljahr verteilten Abendveranstaltungen statt. Einen Austausch und eine Abstimmung innerhalb der künstlerischen Fachbereiche zu Inhalten und Präsentationen gab es nicht.

Die "Erkundungsphase"

Das Kulturagentenprogramm war Anlass, sich mit dem Thema "kulturelle Bildung" neu auseinanderzusetzen. So hat sich ein Kulturteam aus vier bis sechs Kolleginnen und Kollegen der künstlerischen Fachbereiche sowie der Kulturbeauftragten gegründet, das sich im ersten Programmjahr dreimal getroffen hat.

Darüber hinaus fanden im ersten Jahr zwei größere Workshops unter Leitung der Kulturagentin Julia Strobel statt. Im ersten ging es um die Vorstellung des Kulturagentenprogramms, eine Bestandsaufnahme der künstlerischen Fächer sowie um erste Formulierungen möglicher Ziele und Ideen. Im zweiten Workshop durfte nach dem Motto "Was ich schon immer mal gerne machen wollte …" auch "gesponnen" werden, und es wurden Projektideen für das kommende Schuljahr diskutiert und konkretisiert. Daraufhin entwickelte sich der Kulturfahrplan; gegen Ende des Schuljahres 2011/2012 ausformuliert, markierte er den eigentlichen Start in der Umsetzung des Kulturagentenprogramms.

Vorrangige Ziele waren, die bestehende Vielfalt künstlerischer Aktivitäten an der Schule weiter auszuschöpfen, in der Zusammenarbeit mit externen Kulturpartnern das Niveau der kreativen Arbeit und damit der künstlerischen Ergebnisse anzuheben und das Schulleben durch mehr und qualitätsvolle Präsentationsformate zu bereichern. Ergebnisse aus künstlerischen Fächern sollten stärker als bisher in der Schule sichtbar werden, um für mehr Begegnung innerhalb der Schule zu sorgen, den Austausch untereinander zu fördern und Räume zu schaffen, in denen Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern und die Stadtöffentlichkeit miteinander ins Gespräch kommen. Damit sollte die Wahrnehmung und Wertschätzung von Kunst und Kultur an der Schule nachhaltig gestärkt werden. Kulturelle Bildung sollte zunehmend das Profil der Schule prägen und die Schule nach außen repräsentieren.

Diese Ziele fanden sich auch in den Projektanträgen wieder. Sie bildeten einerseits die Breite des künstlerischen Unterrichtsangebotes – Bildende Kunst, Theater, Musik sowie Modedesign als schulspezifische Besonderheit – ab und förderten andererseits die Qualitätsentwicklung und Kooperationen mit externen Partnern.

Repräsentative Beispiele

Die folgenden Projektbeispiele aus den Jahren 2012 bis 2015 spiegeln exemplarisch die einzelnen Ziele des Kulturfahrplans wider.4

Das Projekt "Hier spielt die Musik" in Kooperation mit dem Jungen Orchester Hamburg gab einen nachhaltigen Impuls beim Aufbau eines Schulorchesters aus dem bestehenden Instrumentalensemble. Es war der Wunsch der Schule, sich als einer der größten Schulstandorte in Hamburg auch mit einem qualitativ hochwertigen Schulorchester zu präsentieren. Die Qualität und Attraktivität des Kooperationspartners – junge engagierte Musikerinnen und Musiker zwischen 15 und 35 Jahren – sorgten bei den mitwirkenden Schülerinnen und Schülern für Begeisterung, und es entstand ein spannender Ort musikalischen Ausdrucks. Durch die öffentlichkeitswirksame Kooperation wurden die Schul- und Stadtteilöffentlichkeit zusehends auf das kulturelle Profil der Schule aufmerksam.

Im Projekt "Das ganze Leben ist Theater" wurden mit externer Unterstützung eine neue Theaterform und -ästhetik eingeführt und in einem begleitenden Lehrerworkshop die Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen vermittelt. Die Biografien der Schülerinnen und Schüler waren Grundlage für die zu entwickelnde Szenencollage. Die persönlichen Bezüge in der Inszenierung boten auch den zuschauenden Schülerinnen und Schülern einen ganz neuen und unmittelbaren Zugang zum Theater, indem ihre Lebenswelten in den Mittelpunkt gestellt wurden.

Die Projekte "Kleider machen Leute" und "Verwandel" stärkten den Profilunterricht "Design" des 8. und das Kunstprofil des 12. Jahrgangs durch neue Kunst- und Präsentationsformen – auch an außerschulischen Orten – sowie die Zusammenarbeit mit externen Kunstschaffenden der Bildenden Kunst, des Modedesignsund der Choreografie. Dabei ging es nicht nur um die Gestaltung, sondern auch um Themen wie Identität, Geschlecht, Körperlichkeit sowie um Recycling und die sozialen Bedingungen des Herstellungsprozesses von Mode.

Mit dem "Philosophischen Kunstsalon" wurde an ein erstes Projekt angeknüpft, das sich das Ziel gesetzt hatte, gedanklich und real Räume für den Austausch und das Nachdenken über Kunst und Kultur in Verbindung mit Philosophie zu schaffen. Schülerinnen und Schüler konnten hier lernen, Fragen zu entwickeln, Standpunkte zu formulieren, einander zuzuhören und neue Perspektiven zu gewinnen. Das Projekt kombinierte das Arbeiten an einem außerschulischen Kulturort – den Deichtorhallen, einem der größten Ausstellungshäuser für zeitgenössische Kunst und Fotografie in Europa – und die Rückführung der dort gewonnenen Überlegungen in die Schule.

"Art 21" ist der Name eines neu konzipierten, fächerübergreifenden Profils (Kunst und Englisch) mit starkem Bezug zur zeitgenössischen Kunst unter Anwendung der englischen Sprache in den Jahrgängen 8/9. Es eröffnet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, über einen Zeitraum von vier Schulhalbjahren zu einem spezifischen künstlerischen Themenfeld zu arbeiten.

Wirkungsmächtige Strukturen

Einen erheblichen Anteil am Erfolg des Programms an der Stadtteilschule Niendorf hat der Schulleiter Ingo Kangarlou. Als Musiklehrer – ein Glücksfall für die Schule – identifiziert er sich in besonderer Weise mit der musisch-kulturellen Bildung an der Schule und auch mit dem Kulturagentenprogramm. Er interessiert sich für die Projekte und Prozesse und die damit verbundenen Anforderungen und versucht, bei Herausforderungen oder Schwierigkeiten zeitnah Lösungswege zu finden. Die Kulturgruppenmitglieder wurden häufig für Qualifizierungsmaßnahmen und Veranstaltungen freigestellt, Projekttage kurzfristig ermöglicht und besondere Anforderungen bezüglich benötigter Räumlichkeiten und Ausstattung unbürokratisch geklärt. Auch die Kommunikation in das Leitungsteam erfolgte persönlich über den Schulleiter. Damit wird sichergestellt, dass die Arbeiten im Rahmen des Kulturagentenprogramms in die Breite der Schule getragen werden und Rückhalt erfahren.

Die Kulturgruppe hat sich seit 2013 um drei neue Mitglieder vergrößert. Sie besteht mittlerweile aus acht bis zehn Kolleginnen und Kollegen der musisch-künstlerischen Fächer, die zum Teil auch Fachleitungen innehaben. Die Gruppe trifft sich verlässlich alle sechs bis acht Wochen. Die Aufgaben sind die Besprechung aktueller Projekte und neuer Ideen, ihre Umsetzung und die Planung des neu installierten "Kulturtags". Durch die Schulleitung erfahren die Mitglieder der Kulturgruppe hohe Wertschätzung und große Unterstützung.

Stellte sich für die Kulturagentin anfangs die Frage, ob ihre Arbeit wohl irgendwann überflüssig wäre, wird sie mittlerweile von allen schulischen Akteuren als unverzichtbarer Dreh- und Angelpunkt der Prozesssteuerung gesehen. Ihre besondere Rolle als Netzwerkerin, Vermittlerin zwischen "innen" und "außen", als Kuratorin und Projektbegleiterin – von der Beantragung über die Durchführung von Projekten bis hin zur Abrechnung von Fördergeldern –, ist durch niemanden in der Schule zu ersetzen. Die Akzeptanz bei allen in der Schule ist daher sehr groß. Die vier Jahre haben gezeigt, dass es durchaus sinnvoll ist, im Sinne einer multiprofessionellen Teamarbeit in einer so großen und komplexen Einrichtung eine Kulturagentenstelle – zumindest als Teilzeitstelle – fest in der Schule zu verankern. Das Problem ist allein die Finanzierung. Erfolgt sie aus bestehenden Unterrichtsmitteln, die sich in der Lehrerzuweisung niederschlagen, gehen sie dem allgemeinen Unterricht verloren, " … und das ist für Eltern oftmals schwer nachvollziehbar", befürchtet der Schulleiter.

Der Kulturfahrplan – Anspruch und Alltagsrealität

Der Kulturfahrplan wurde an der Stadtteilschule Niendorf von Beginn an als Instrument verstanden, mit dem nicht nur ferne Ziele, sondern auch die Zwischenschritte und konkrete Maßnahmen mit den dazugehörigen Zeitfenstern beschrieben werden können, die auch einer Überprüfung – "Was haben wir erreicht, was war erfolgreich, was nicht?" – standhalten. Er sollte auch in sich stimmig sein und nicht eine bloße Aneinanderreihung von Projekten, sondern aufeinander abgestimmte Entwicklungsschritte enthalten. Und tatsächlich liest er sich auch so detailliert.

Rückblickend stellte die Kulturgruppe fest, dass man sich – vielleicht auch der Anfangseuphorie geschuldet –zu viel vorgenommen und den Kulturfahrplan "zu groß geschrieben" hatte. Schnell wurde erkannt, dass die zur Umsetzung nötigen Kapazitäten nicht vorhanden sind. Zum anderen musste man sich selbstkritisch eingestehen, dass mit dem Plan – nachdem er erst mal geschrieben worden war – kaum gearbeitet wurde. Hindernisse waren neben der alltäglichen Arbeitsbelastung auch, dass die Arbeit mit einem solchen Instrument für die meisten Lehrkräfte ungewohnt war. Man denkt mittlerweile viel kleinschrittiger von Projekt zu Projekt und ist sich bewusst, dass die Prozesse meist sehr langsam ablaufen, nicht selten auch anders als geplant. Aus Fehlern zu lernen, Dinge neu zu denken und dann anders zu machen, war den Beteiligten wichtiger, als an einem Plan zu "kleben". Die Vorstellung, dass der Kulturfahrplan wie "eine geteerte Autobahn ist, auf der man losrasen kann", ist bei der Kulturbeauftragten schnell der Erkenntnis gewichen, dass man sich auf einem "Zickzackkurs" befindet. Trotzdem hat man die einst formulierten Ziele und Maßnahmen nicht aus dem Auge verloren. Jetzt steht an, zu überprüfen, was erreicht wurde, an welcher Stelle nachjustiert werden muss, und was man gestrichen werden kann, weil man sich verzettelt hat. Gleichzeitig geht es auch darum, Themen stärker einzugrenzen und sie so zu formulieren, dass sie von allen verstanden werden.

Gelingensfaktoren – überzeugende Beispiele und motivierte Künstler

Um das Kollegium zu überzeugen, fanden die Kulturgruppenmitglieder Good-practice-Beispiele besonders hilfreich: Erfolgsmodelle, die aufgezeigt haben, was machbar ist und funktioniert. Dies steht im Gegensatz zur Überforderung bei der Umsetzung neuer, extern entwickelter Schulkonzepte. Die kulturbeauftragte Lehrerin Beatrix Hägele erzählt: "Die didaktischen Werkstätten [die hierzu im Rahmen der Lehrerbildung angeboten werden; Anmerkung des Autors] erschlagen einen. Man geht raus und denkt, es gibt so viele Möglichkeiten, ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll, mach ich doch lieber meinen "alten Stiefel". Da hilft es viel mehr, wenn man sagt: ,So, pass mal auf, ich hab hier was ganz Nettes, Griffiges, das kannst Du direkt morgen machen. Und so ähnlich empfinde ich auch unsere Projekte. Die sind mal klein und auch mal richtig groß, aber man hat das Gefühl, das ist jetzt kein Zaubertrick oder man wird erschlagen, sondern man hat die Struktur, dadurch die Ansprechperson, und man kann Erfolge sehen, die relativ leicht nachzumachen sind." So ist in der Kulturgruppe die Überlegung entstanden, in der Lehrerkonferenz solche Beispiele als "Spotlights" zu zeigen, um in 15 Minuten zu demonstrieren, wozu Schülerinnen und Schüler in der Lage sind.

Ein weiterer Gelingensfaktor liegt in der überwiegenden Zusammenarbeit mit freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern. Auch wenn Hamburg mit großen institutionellen "Playern" auf Weltniveau gesegnet ist, hat sich gezeigt, dass viele der Kulturinstitutionen zu schwerfällig sind, um schnell und flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Schule und der Projekte reagieren zu können. Aufseiten der Kunstschaffenden besteht ein großes Interesse, mit Schulen zusammenzuarbeiten, nicht nur, um den Broterwerb zu sichern, sondern weil es für das künstlerische Selbstverständnis und die Arbeitsweise wichtig ist, das, wofür sie brennen, auch zu vermitteln. Die Schule hat die Erfahrung gemacht, dass ihre Bereitschaft, gemeinsam mit den Lehrkräften ein Projekt zu entwickeln, meist größer ist als die der Institutionen, die oft fertige Vermittlungsformate anbieten.

Auch finden Künstlerpersönlichkeiten einen ganz anderen Zugang zu den Jugendlichen. "Sie freuen sich, wenn ein Profi vor ihnen steht und Breakdance vorführt. Und wenn die Musical-Gruppe kommt, ist das manchmal wie ein "Bootcamp". Viele von uns Lehrern sagen erst mal nein, bekommen einen Schreck und fragen sich, kann man das machen, wenn beispielsweise einer sagt, du hast jetzt Mist gemacht, also zehn Liegestütze. Und ich sage, na klar, das ist das Beste, was den Jugendlichen passieren kann. Befristet, für eine Woche oder zehn Tage – grandios!". Davon ist der Schulleiter überzeugt.

Netzwerken – Ja, aber mit den Richtigen!

Der Netzwerkgedanke – im Kulturagentenprogramm wurden drei Schulen in einem gemeinsamen Netzwerk betreut – war an der Stadtteilschule Niendorf schwer zu realisieren. Die Schule ist selbst auf drei Standorte verteilt und hat Schwierigkeiten, als eine Schule wahrgenommen zu werden; sie ist in sich bereits ein Netzwerk. Lediglich im Rahmen des Projekts "Verwandel" im Fachbereich Modedesign entstand eine Kooperation mit der Stadtteilschule Stellingen in Form von gegenseitigen Besuchen, dem Austausch der Fachlehrkräfte untereinander und einer gemeinsamen Präsentation.

Die Kulturagentin könnte mit ihrer gesamten zur Verfügung stehenden Arbeitszeit allein an der Stadtteilschule Niendorf beschäftigt sein und wäre vollkommen ausgefüllt. Sinnvoller erscheint ihr daher der Austausch über das Netzwerk hinweg. "Wenn ich sehe, hier ist ein Theaterlehrer, der macht ein spannendes Projekt, und das macht übrigens auch der Kollege in Mümmelmannsberg oder in Winterhude, dann versuche ich sie zusammenzubringen, anstatt den Stellinger und den Eidelstedter Lehrer, obwohl sie ein Netzwerk bilden und sich geografisch näher wären."

Wie geht"s weiter?

Bis zum Sommer 2015 hat sich nach vier Jahren Kulturagentenprogramm im Bereich Kunst und Kultur an der Stadtteilschule Niendorf Wesentliches bewegt. Der "Kulturtag" ist als wichtigstes Präsentationsformat etabliert. Das neu entwickelte Mittelstufenprofil "art 21" wird in der Zusammenarbeit mit Hamburger Künstlerinnen und Künstlern weiter verstetigt, und auch die Kooperation mit dem Jungen Orchester Hamburg wird fortgeführt. Der Schulleiter hat erkannt, dass für die kulturelle Profilierung seiner Schule die Rahmenbedingungen stimmen müssen, sowohl für die künstlerisch-kreative Arbeit als auch für deren Präsentation. Er hat dazu beigetragen, dass sie ständig verbessert wurden. Dazu gehören die Finanzmittel für gut ausgestattete Fachräume und vielfältige Bühnentechnik, die Ermöglichung flexibler Zeiteinheiten im Schuljahresplan und die Festlegung von maximalen Gruppengrößen.

Auch organisatorische Prozesse werden inzwischen besser abgestimmt, insbesondere der Informationsfluss innerhalb und zwischen den drei Standorten. Die Funktion der Kulturbeauftragten ist fester Bestandteil der Schulkultur geworden; dazu gehört die geplante Einrichtung einer A13-Beförderungsstelle. Damit ist die "Veränderungsphase" abgeschlossen, und die Stadtteilschule Niendorf ist auf einem guten Weg zur "kreativen Schule".

"Endlich habe ich das Gefühl, fürs Leben zu lernen." - Die Gesamtschule Weierheide
Gesamtschule Weierheide Oberhausen
www.ge-weierheide.de
 
Bundesland
Nordrhein-Westfalen
 
Stadt
Oberhausen
 
Schulform
Gesamtschule
 
Anzahl Schülerinnen und Schüler
1000
 
Anzahl Lehrerinnen und Lehrer
100

Dieses Zitat eines Schülers könnte kein besseres Lob sein, was den Weg der Gesamtschule Weierheide im Oberhausener Stadtteil Sterkrade hin zur "kreativen Schule" betrifft. Sie hat schon immer in Projektformaten gearbeitet und war kulturell nach innen und außen aktiv. Dies hat der Schule das nötige Selbstvertrauen gegeben, sich für das Kulturagentenprogramm zu bewerben, das für sie auch einen besonderen Anreiz zur Weiterentwicklung bot. Das Programm hat einen Entwicklungsprozess ausgelöst, der die Schule nicht nur stark gefordert, sondern auch gefördert hat. Und es hat Wege aufgezeigt, die der Schülerschaft angemessen waren.

Ein turbulenter Auftakt

"Wir haben uns von unserem alten Schulprogramm getrennt und sind noch mittendrin, ein neues zu formulieren. Eine Notwendigkeit, die sich daraus ergab, war: Wir müssen uns neu aufstellen, neu orientieren und uns nicht nur am Kulturagentenprogramm ausrichten", so beschreibt der Schulleiter Hermann Dietsch die Neuausrichtung der Schule.

Die Kulturagentin Anke Troschke hat die Schule als überaus engagiert, offen und beweglich wahrgenommen: "Im Grunde wehte schon ein bestimmter Geist hier durch die Räume, bevor das Programm begann. Meine wichtigste Aufgabe war, dies zu kanalisieren, zu bündeln und in eine Struktur zu bringen. Nicht immer verlief das reibungslos." Dennoch hat sie sich von Anfang an gut aufgenommen und wertgeschätzt gefühlt, auch wenn sie mit ihren Ideen nicht immer "den Nerv" der Schule traf. Der stellvertretende Schulleiter Michael Poetz – selbst Musiker – kam an die Schule, gerade als der Diskussionsprozess um die Verortung der Künste im Unterricht stattfand. "Die Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen waren heftig, da einige die Sorge hatten, dass wir ihnen etwas wegnehmen würden. Beispielsweise diejenigen, die Darstellende Kunst und Gestalten unterrichten. Sie dachten auf einmal, wenn der Bereich Kulturschule ein neues Angebot macht, zieht er auch die guten Schülerinnen und Schüler an, die wir aber auch in unserem Hauptfach brauchen." So ist die Idee entstanden, die neuen Angebote in den Jahrgängen 8 bis 10 im Bereich der Ergänzungsstunden zu verorten. Auch musste der Stundenplan neu gestaltet und mit den Plänen des gesamten Kollegiums sowie den Nutzungsplänen der Fachräume abgestimmt werden. Dies war eine besondere Herausforderung für den Stundenplaner, da er auch die zeitliche Verfügbarkeit der Künstlerinnen und Künstler mit berücksichtigen musste.

Die wesentliche Aufgabe des Kulturfahrplans bestand darin, die geplanten Maßnahmen in eine jahrgangsgebundene Struktur einzubetten. Allerdings wollte man "…kein elitäres System aufbauen, in dem die Kinder in Klasse 5 anfangen und dann hervorragende Bläser werden" – so die Kulturagentin –, sondern alle Schülerinnen und Schüler sollten durch die einzelnen Jahrgänge hindurch mit eigenem kreativem Tun alle künstlerischen Sparten durchlaufen und die Möglichkeit haben, die umliegenden Kulturinstitutionen kennenzulernen. Dies wurde fest in der Stundentafel verankert.

Von "Culture Kids" zu "KreSCH"-Kursen

Der Kulturfahrplan beginnt in den Jahrgängen 5 und 6 mit den "Culture Kids". Das Format ist im Musikunterricht verankert und soll einen Einblick geben, wie kulturelle Institutionen in Oberhausen arbeiten und welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit sie bieten. Es ist als Projekt zwischen drei und fünf Tagen organisiert, in denen die Schülerinnen und Schüler in die Kulturinstitutionen gehen oder diese beziehungsweise einzelne Künstlerinnen und Künstler in der Schule ein Projekt mit einer Klasse entwickeln, zum Beispiel eigene Songs komponieren. Organisiert von der Kulturagentin sowie dem Kulturbeauftragten und verantwortet von den Klassenlehrern, arbeitet dabei ein Team von acht Lehrkräften sowie Referendaren und Kunstschaffenden zusammen. Außerdem kooperiert die Schule mit einem Theater sowie im Musikunterricht mit der Christoph-Schlingensief-Schule, einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung.

Im Jahrgang 7 steht das Projekt Tanz an. Hierfür wurde der Sportunterricht von ursprünglich zwei Wochenstunden auf vier erweitert, wovon zwei Stunden für den Tanz reserviert sind. Alle vier Klassen des 7. Jahrgangs und alle Sportlehrerinnen und -lehrer beteiligen sich unter Anleitung eines Choreografen.

In den Jahrgängen 8 bis 10 finden im Ergänzungsstundenbereich die "KreSCH"-Kurse (KreativeSCHule) als Wahlfach statt. Darin können die Schülerinnen und Schüler frei wählen und einen eigenen Schwerpunkt aus den Sparten Schauspiel, Gesang, Musik, Tanz, bildnerisches Gestalten und mittlerweile auch aus dem Bereich Neue Medien verfolgen. Es unterrichten in einem Kurs jeweils zwei Lehrkräfte mit mindestens einer Künstlerin oder einem Künstler. Ein neues Format ist die "Kreative Mittagspause": Sie bietet die Möglichkeit, an unterschiedlichen Angeboten teilzunehmen, beispielsweise am offenen Chor mit Gesangscoaching. Auch der Netzwerk-Chor nutzt diese Gelegenheit.

In der Oberstufe steht projektbezogenes Lernen an. Es ist eingebunden in ein Netz von Kooperationen, sowohl mit den beiden anderen Netzwerkschulen als auch mit den Kulturpartnern in der Region. Dadurch ergeben sich spannende Synergieeffekte, die wieder zurück in die ganze Schule wirken. Die Projektkurse sind offen gestaltet und wechseln thematisch; die individuelle Schülerleistung spielt dabei eine große Rolle. So haben zum Beispiel Schülerinnen und Schüler bei der Extraschicht – der Nacht der Industriekultur im LVR-Industriemuseum Oberhausen – vor großem Publikum einzelne Texte vorgestellt und selbst geschriebene Gedichte oder Textpassagen frei vorgetragen. Es zählen auch Musik und Kunst als Grundkurse in der Oberstufe zu den wählbaren Abiturfächern. Durch das Kulturagentenprogramm hat sich das Interesse daran stark vergrößert; von anfangs knapp 20 Schülerinnen und Schülern im Fach Musik liegen mittlerweile Anmeldungen von 50 bis 60 Schülerinnen und Schülern vor.

Junge Menschen, die mit diesen Möglichkeiten und Erfahrungen groß geworden sind, die Schule ganz anders erlebt haben, identifizieren sich viel stärker mit ihr. Der Schulleiter: "Es kommt sogar vor, dass ehemalige Schüler zu uns kommen und unsere Schule als Ausstellungsraum für ihre Zeichnungen, Gemälde und sonst was nutzen wollen. Sie haben erfahren, dass unsere Schule ein Forum sein kann, um sich zu präsentieren."

Der Kraftakt Kulturfahrplan

Die Erstellung des Kulturfahrplans war für die Schule ein gewaltiger Kraftakt. Er wurde in der Steuergruppe mit Beteiligung der Schulleitung und der Abteilungsleitungen, der Kulturagentin und des Kulturbeauftragten, mehrerer Kollegen unterschiedlichster Fachrichtungen und auch der Eltern entwickelt. In den Fachkonferenzen mussten die Fachgruppen nichtmusischer Fächer – Sportler, Mathematiker – immer wieder mit ins Boot geholt werden. Vorgestellt und diskutiert wurde der Kulturfahrplan abschließend in der Gesamtkonferenz. Hermann Dietsch beschreibt die Auseinandersetzungen folgendermaßen: "Was für eine Schule wollen wir denn in Zukunft sein? Diese Frage hat uns fast zerrissen. Jeder einzelne, der bisher im Ergänzungsstundenband unterwegs war, hat natürlich gefragt: Wenn da ein weiteres Fach eingerichtet wird, muss etwas anderes dafür weichen? Werde ich mit Mathematik oder wird der Kollege mit Informatik davon betroffen sein? Das waren harte Auseinandersetzungen, die mit Detailfragen jedes Einzelnen genauso zu tun hatten wie mit der gesamten Schulentwicklung."

Die Kulturagentin erlebte die Diskussionsprozesse um den Kulturfahrplan als sehr konstruktiv und notwendig, um zu dem jetzigen Ergebnis zu kommen. Da sich die ganze Schule damit intensiv beschäftigte, wurde eine große Energie spürbar. Mehrheitlich hat die Schulkonferenz beschlossen, dass der Kulturfahrplan nun eindeutig in Richtung Kulturschule weist. Nach vier Jahren ist er inzwischen Konsens geworden, und es wird nur noch in Nuancen daran gearbeitet.

Artists in Residence

Nach der Verabschiedung des Kulturfahrplans stand das nächste große Thema auf der Agenda: die Suche nach geeigneten Kooperationspartnern, also Kulturinstitutionen und Kunstschaffenden in Oberhausen. Es ging darum, das Programm so zu gestalten, dass diese auch in den nichtmusischen Fächern eingesetzt werden konnten. So entstand ein "Artists in Residence"-Programm: Kunstschaffende, die an die Schule geholt wurden, standen den Lehrkräften modulweise als Ideengeber über vier, sechs oder acht Doppelstunden zur Seite, um beispielsweise im Religions- oder Mathematikunterricht mit kreativen Methoden Impulse zu geben. Anfangs war die Skepsis groß, wie die Lehrkräfte darauf reagieren würden. Mittlerweile sind es viele, die daran ein großes Interesse haben, sodass die Schule gar nicht so viele Künstlerinnen und Künstler zur Verfügung stellen kann, wie nachgefragt werden.

Dieses Prinzip ist auch in der Oberstufe angekommen. So fand in Jahrgang 11 eine Projektwoche statt, in der mit Hilfe eines externen Künstlers der gesamte neue Jahrgang durch kulturelle Projekte zusammengeführt wurde. Der Schulleiter freute sich, dass die Kollegen dieses Angebot nutzten, um sich völlig neu aufzustellen und sich nicht nur an die "Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe" zu klammern.

An der Schwelle zwischen Change-Management und kreativer Phase

Für die Schulleitung gilt: "Wir wollen keine Projekte, die nach sechs Wochen mit einer Aufführung enden und das Ganze beschließen." Ihr ist es wichtig, dass sich die Schülerinnen und Schüler durch die kreativen Prozesse verändern und sich dadurch der Unterricht auch insgesamt verändert, ohne dass dies mit Zielvorgaben gesteuert werden müsste.

Indem der Kulturfahrplan so angelegt wurde, in den Klassen 5 und 6 einzusteigen und dann kontinuierlich darauf aufzubauen, beobachtete man auch die Veränderungen der Schülerinnen und Schüler mit fortschreitendem Alter. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie diesen Weg gehen können, weil sie ihn kennengelernt haben. Und das spüren die Lehrerinnen und Lehrer bei den neuen Schülerinnen und Schülern, wenn sie in die höheren Klassen kommen: "Da ist eine ganz andere Herangehensweise vorhanden." Die Schülerinnen und Schüler sind nach Beobachtung des stellvertretenden Schulleiters auch anspruchsvoller geworden: "Sie fordern im Unterricht kooperative Methoden geradezu ein und lassen sich nicht mehr zwei Stunden Frontalunterricht gefallen".

Die Schule hat mit der Zeit zahlreiche neue Kulturpartner gewonnen, die auch durch die Vermittlung der Kulturagentin auf sie aufmerksam wurden. "Wir werden anders wahrgenommen; als Schule, die nicht nur etwas anzapfen will, sondern die auch was zurückgibt. Weg von einer Konsumhaltung hin zu etwas, das man gemeinsam entwickelt", so Hermann Dietsch. Mittlerweile ist die Schule zahlreiche feste Kooperationen eingegangen, die durch zahlreiche fächer- und jahrgangsübergreifende Projekte nicht nur dazu beitragen, dass sich der Unterricht weiterentwickelt, sondern dass sich die Schule auch nach außen hin öffnet. Zudem werden die Schülerinnen und Schüler häufig außerhalb der Schule bei Aufführungen und Festen wahrgenommen. Dies hat den besonderen Nebeneffekt, dass sie kaum Probleme haben, Praktikumsplätze zu finden. "Wenn sie sagen, wir kommen von der Weierheide öffnen sich die Türen. Das geht sogar bei der Suche nach Ausbildungsplätzen weiter." Diese breite räumliche Vernetzung hat zu vielen Synergieeffekten geführt, von der alle Seiten profitieren.

Auf die Personen kommt es an

Durch die Zusammenarbeit mit Externen sehen viele Lehrerinnen und Lehrer auch die Chance, ihren Unterricht neu zu gestalten. Sie erhalten neue Ideen, aber auch ein Feedback, wie er von außen wahrgenommen wird. Das schafft Momente der Selbstreflexion: "Wir können auf unseren eigenen Unterricht schauen und danebenstehen, während er gerade von einem Künstler übernommen wird. Dadurch gewinnen wir Lehrer sehr viel." Diese Offenheit ist keine Selbstverständlichkeit und ein besonderes Merkmal der Schule. Angst vor Konkurrenz oder vor den "Profis" gibt es nicht: "Besser kann"s doch gar nicht sein, wenn selbst der Lehrer noch lernt, wir lernen ja auch von den Schülern." Davon ist zumindest der Kulturbeauftragte Stefan Bernert überzeugt.

Für die Schulleitung ist die Kulturagentin " … der Motor des ganzen Prozesses. Mit ganz viel Einsatz und Engagement. Mit der Sachkenntnis, mit den Kontakten die sie hat, mit den vielen Bemühungen, Drittmittel einzuwerben. Mit tausend Gesprächen mit Partnern außerhalb der Schule." Wichtig ist der regelmäßige Austausch, der immer montags zusammen mit dem Kulturbeauftragten stattfindet. Dieser sieht sich in vielen Rollen – Multiplikator, Kommunikator, Vermittler –, die immer wieder wechseln. Er ist auf allen Veranstaltungen im Rahmen der Qualifizierungsangebote des Landesbüros NRW unterwegs und versucht die Erkenntnisse in die Breite der Schule weiterzutragen – über persönliche Gespräche, E-Mails, Schriftverkehr oder Beiträge in Schülerzeitungen.

Mittlerweile leistet sich die Schule eine zweite Kulturbeauftragte, Alischa Diana Leutner. Der Vorteil liegt zum einen darin, dass damit die zwei Standorte der Schule besser abgedeckt werden können, zum anderen hat sie als Kunstlehrerin und Künstlerin eine besondere fachliche Kompetenz, die der bisherige Kulturbeauftragte als Mathematik- und Techniklehrer nicht mitbrachte. Sein Vorteil wiederum ist, dass er künstlerisch-kreative Ansätze auch in den nichtmusischen Fächern verankern und dort Projekte umsetzen kann.

Auch bei der Nach- oder Neubesetzung von Stellen wird immer wieder darauf geachtet, ob die Bewerber künstlerische Fähigkeiten oder zumindest eine Affinität zur Kultur mitbringen, auch wenn das nicht das ausschließliche Einstellungskriterium ist beziehungsweise sein darf.

Mit Zuversicht in die Zukunft

Die Schule wird in Zukunft mit weniger Fördermitteln aus dem Programm auskommen müssen. Sie versucht daher, über die Einwerbung von Drittmitteln im Rahmen anderer Projekte ein dauerhaftes Fundament zu schaffen. Dabei erhofft sie sich positive Synergieeffekte aus der Tatsache, dass sie mittlerweile zum Kreis der "KulturSchulen" in Oberhausen zählt und auch im Programm "Zukunftsschulen NRW" vertreten ist. Sie möchte hier Referenzschule mit dem Schwerpunkt kulturelle Bildung werden und in der Kooperation mit anderen Schulen weiterlernen, aber auch etwas weitergeben können.

Die Lehrerinnen und Lehrer, die in den kulturellen Fächern – vor allem in den "KreSCH"-Kursen – unterrichten, haben aus Sicht des stellvertretenden Schulleiters mittlerweile so viel von den Kunstschaffenden gelernt, dass er von sich behaupten kann, "… das im nächsten Jahr dann auch ohne sie machen zu können. Zwar vielleicht nicht ganz so gut, aber mit Sicherheit auch erfolgreich."

Der Schulleiter sieht es ähnlich, wünscht sich jedoch, die Kulturagentin behalten zu können, damit das Niveau nicht absinkt. "Den Rest kriegen wir schon selber gestemmt." Und die Schülerinnen und Schüler? Auch sie möchten auf keinen Fall auf diese Art zu arbeiten verzichten. "Dieser offene Umgang mit Künstlern, die Mitbestimmung bei den Inhalten, die Steigerung des Selbstwertgefühls, das sich auch auf andere Bereiche überträgt. Die Steigerung der Kreativität und der Aufgeschlossenheit fremden Dingen gegenüber. Super!!!!", resümiert der Schülervertreter Pascal Jakuly.

Kultur im Stundenplan - Die Gemeinschaftsschule Rodeberg
Staatliche Gemeinschaftsschule Rodeberg
www.tgs-rodeberg.de
 
Bundesland
Thüringen
 
Stadt
Rodeberg
 
Schulform
Gemeinschaftsschule
 
Anzahl Schülerinnen und Schüler
176
 
Anzahl Lehrerinnen und Lehrer
23

Die Gemeinschaftsschule Rodeberg befindet sich in einer kleinen Gemeinde im Unstrut-Hainich-Kreis an der westlichen Landesgrenze Thüringens. Mit Beginn des Schuljahres 2011/2012 wurde aus der Grund- und Regelschule des Ortes die heutige Gemeinschaftsschule Rodeberg. Sie bietet eine gemeinsame, wohnortnahe Beschulung von Klasse 1 bis 10 und in Kooperation mit einem Gymnasium auch bis Klasse 12. Die Schule gehört mit 180 Schülerinnen und Schülern sowie 22 Lehrerinnen und Lehrern zu den kleineren. Sie ist eine offene Ganztagsschule, die im Rahmen des Projekts "Eigenverantwortliche Schule" arbeitet. Ihre Größe, der ländliche Raum und die noch bestehende Umbruchsituation waren eine besondere Herausforderung bei der Umsetzung des Kulturagentenprogramms. Für dessen Entwicklung hatte sich die Schule daher ausreichend Zeit genommen.

Neben den Zielen, Kunst und Kultur für alle Bereiche des Schulalltags zu erschließen und den Schülerinnen und Schülern Erfahrungs- und Gestaltungsräume für das Entdecken und Stärken der eigenen Kreativität und Fantasie zu öffnen, war das Geld – so das ehrliche Eingeständnis der Schulleitung – ein wichtiger Anreiz zur Teilnahme am Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen".

Als Startgeldprojekt wählte man die Entwicklung eines Schullogos, um Identifikation mit der neu entstandenen Gemeinschaftsschule herzustellen und das "Wir-Gefühl" zu stärken. Auch sollte mit dem ersten Projekt herausgefunden werden, welche Arbeits- und Organisationsformen sich bewähren. Das Logo entstand in einem partizipativen Prozess, an dem möglichst alle und nicht nur die begabtesten Schüler beteiligt sein sollten: So gab es aus jeder Klassenstufe von 5 bis 10 drei Entwürfe. Unter Anleitung eines Bildenden Künstlers wurden sie ausgearbeitet und in einem mehrstufigen Abstimmungsprozess erst die Vorentwürfe und dann das endgültige Logo ausgewählt. Es wird seitdem durchgängig von der Schule verwendet.

Eine wichtige Erkenntnis des Startgeldprojektes war, dass in einer solch kleinen Schule das Kulturagentenprogramm auf vielen Schultern ruhen muss. So war schnell klar, dass es eine Aufgabe der gesamten Schule und nicht einzelner Lehrkräfte, Fächer oder Projekte sein sollte.

In kleinen Schritten zum "großen Wurf"

Im Mai 2012 fand eine erste Ideenfindungskonferenz statt, an der neben einigen Lehrkräften auch Schülerinnen und Schüler, Eltern und der Kulturagent teilnahmen. In Kleingruppen ging es zunächst um Wünsche und Träume, noch nicht um konkrete Aktionen und Projekte. Die Eingangsfrage lautete: "Woran kann man in Zukunft erkennen, dass an der Schule mehr Kunst und Kultur Einzug gehalten haben?"

Einen Monat später hat die neu eingerichtete "AG Kultur" in kleinem Kreis aus den Ergebnissen der Ideenfindungskonferenz erste praktische Schlussfolgerungen für wünschenswerte Strukturveränderungen an der Schule gezogen sowie Ansätze für die Weiterentwicklung der Vision diskutiert. Diese Schritte sind weitgehend in Eigeninitiative der Schule entstanden. Der Kulturagent Thomas Kümmel erlebte eine große Selbstständigkeit und war anfangs darüber verwundert, dass er gar nicht so gefragt und in das Kollegium eingebunden war, wie er das an anderen Schulen erlebt hatte.

Abgerundet wurde der Prozess der Ideenfindung durch eine von Thomas Kümmel zum Schuljahresende durchgeführte Befragung unter allen Schülerinnen und Schülern der 3. bis 8. Klasse. Sie lieferte erste Anhaltspunkte für mögliche Themenkomplexe zur kulturellen Profilierung der Schule. Nach diesen Treffen, vielen Gesprächen und Diskussionen in Konferenzen und auch mit der Elternvertretung war die Erkenntnis herangereift, das Programm fest im Unterricht und damit in der Stundentafel zu verankern. Dies wurde in einer Gesamtkonferenz auch einstimmig beschlossen.

Daraus ist ein zweites umfassendes Kunstgeldprojekt entstanden, dessen Vorbereitung und Umsetzung sich über zweieinhalb Jahre erstreckten sollte. Damit umfasste es die verbleibende Programmlaufzeit. In ihm ging es um die Implementierung von Kunst und Kultur im Schulalltag in einem neuen Format, das auch über das Ende des Kulturagentenprogramms hinaus Bestand hat. Herausgekommen sind die "Kulturstunden", die in dieser Form eine Besonderheit in der Schullandschaft darstellen. Auf dem 11. Thüringer Bildungssymposium im Mai 2013 in Erfurt wurde das Konzept der Öffentlichkeit präsentiert.

Kulturstunden zum Budgetieren

Im zweiten Schulhalbjahr 2012/13 wurden die "Kulturstunden" für die Schüler der 3. bis 10. Klassen eingeführt. Diese sind klassen- und jahrgangsübergreifend konzipiert. Der Stundenumfang beträgt in den Klassenstufen 3 bis 6 je eine Wochenstunde und in den Klassenstufen 7 bis 10 je zwei Wochenstunden. Die "Kulturstunden" finden somit vom Grundsatz her wöchentlich statt, können aber auch von den jeweils verantwortlichen Lehrerinnen und Lehrern in Absprache mit den durchführenden Künstlerinnen und Künstlern oder den Kulturpartnern zu längeren Zeiträumen bis hin zu Projekttagen oder -wochenenden zusammengezogen werden.

Die "Kulturstunden" sind so in den Stundenplan integriert, dass reguläre Unterrichtsfächer nicht davon betroffen sind, wenn zum Beispiel ganztägige Maßnahmen daraus entstehen. Beispielsweise war die Schulband einen Tag lang im Tonstudio, oder die Theatergruppe fuhr zur Aufführung nach Erfurt; die jeweils acht Stunden wurden dann mit dem Budget verrechnet. Entsprechend der Vielzahl der Angebote gibt es Organisationsformen, die diesen Stundenpool unterschiedlich nutzen. "Für die Kleinen sind es meistens 45 Minuten; das ist bei Tanz ganz gut und reicht. Aber bei Gestalten lohnt es sich, am Block und über einen längeren Zeitraum, dann aber 14-tägig zu arbeiten." Beim Kulturfest – einer Veranstaltung der gesamten Schule – werden die Ergebnisse der "Kulturstunden" alljährlich präsentiert.

Der Kulturfahrplan der Gemeinschaftsschule Rodeberg sieht vor, dieses neue Format regelmäßig zu evaluieren. So gab es erst eine Testphase, gefolgt von einer zweiten und der abschließenden dritten Phase. Nach jeder Phase wurde nachjustiert, verändert, ergänzt und überarbeitet. Die künstlerischen Angebote haben von Jahr zu Jahr zugenommen; mittlerweile sind es insgesamt 15.

Das Spektrum ist breit gefächert und spiegelt sich auch in den Arbeitstiteln wider. Sie lauten in den Klassenstufen 3 bis 6: Geschichtenlabor, Bühnenbild(n)er, Kunterbunte Welten, Textiles Gestalten, Karibische Folklore, Lesebühne und Saitenspiel. In den Klassenstufen 7 bis 9 heißt es: Körper in Bewegung, Von Druck bis Schattenriss, Vom Papier zur (Buch-)Kunst, Mit Ecken und Kanten, 3D-Objekte, Fotografie, Mode, Quatsch-Comedy-Club, Rockband, Welttheater sowie Lesebühne.

Die Qual der Wahl

Am Ende des laufenden Schuljahrs überlegen sich die Lehrerinnen und Lehrer, welche Angebote sie – mit oder ohne Kulturpartner – durchführen beziehungsweise begleiten wollen. Es werden Aushänge erstellt, in denen sich die Schülerinnen und Schüler über die Angebote informieren und dann für ein ganzes Schuljahr einwählen können. Der wichtigste Grundsatz lautet: Jede/Jeder darf entscheiden, in welches Angebot sie/er geht. So entstand auch ein Wettbewerb unter den Fächern, und es kam durchaus vor, dass ein Angebot nicht stattfand, weil sich niemand dafür interessierte. Die Lehrkräfte und auch die Kunstschaffenden mussten lernen, damit umzugehen. Dazu gehörte auch, Impulse gegenüber den Schülerinnen und Schülern wie "Du bist jetzt vielleicht nicht der große Tänzer, das ist doch eher nicht dein Ding" zu unterdrücken. Die Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler wird mittlerweile respektiert und akzeptiert, stärkt sie doch deren Motivation.

Vorkenntnisse für die Wahl eines Angebots sind nicht nötig, denn es sollten alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten, auch ganz Neues kennenzulernen: Die Schulleiterin Karola Stadermann begründet es so: "Wie kann jemand wissen, ob er fürs Töpfern oder fürs Tanzen geeignet ist, wenn er es noch nie ausprobiert hat? Das war einer der Gründe, die Angebote mit ins Stundensoll zu integrieren, weil andernfalls nicht alle Schülerinnen und Schüler erreicht werden können. Nicht weil sie das nicht wollen, sondern weil sie sich selber das gar nicht zutrauen oder nicht auf die Idee kommen würden, nachmittags zum Tanzen zu gehen …Wenn sie sich mit etwas auseinandersetzen, machen sie da Fortschritte. Hier sollten sie ermutigt werden, manchmal auch mit liebevollem Druck." Einige blieben über einen längeren Zeitraum bei dem gewählten Fach – teils aus Unsicherheit, teils aus Begeisterung –, andere schauten, in welche Richtung sie sich noch weiterentwickeln möchten und wechselten nach einem Jahr.

Am Anfang war es für viele nicht ganz einfach, sich für etwas zu entscheiden. "Denn künstlerisch tätig zu werden, ist damit verbunden, Persönliches von sich zu zeigen: Man muss sich was trauen. Auf einer Bühne zu stehen ist nicht nur Spaß, dahinter steckt vor allem sehr viel Arbeit und auch Selbstbewusstsein. Um das zu entwickeln, braucht es schon ein wenig Anstoß von außen", meint Stadermann. Natürlich sollten Schülerinnen und Schüler dabei an die Hand genommen und beraten werden.

Für die Schülerinnen und Schüler war dieses Format eine besondere Erfahrung, da durch den klassen- und jahrgangsübergreifenden Ansatz völlig neue Kontakte entstanden. Die Beobachtung der Schülersprecherin Sarah Oberthür: "Seitdem wir das Kulturagentenprojekt haben, hat sich ziemlich viel an der Schule verändert, auch unter den Schülerinnen und Schülern, denn sie sind überall gemischt. Dadurch entstand auch ein besseres Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Klassenstufen."

Das Format wirkte auch in das Kollegium hinein; die Kulturbeauftragte Christina Anhalt freut sich: "Ich habe selten ein so gutes Miteinander unter den Kollegen erlebt … Zwar gibt es immer noch viel zu tun, aber alles läuft schön Hand in Hand, und keiner klinkt sich aus. Alle machen mit und übernehmen Aufgaben, bisweilen auch von einem anderen Kollegen, sodass wirklich kaum jemand alleine dasteht."

Herausforderung Kooperation im ländlichen Raum

Am Anfang war es schwierig, im ländlichen Raum genügend Kulturpartner zu finden. Die Schule hat daher viele Projekte zunächst ohne Kooperationen gestartet. Sie hat bei der Planung auf die Kompetenzen und Interessen des Kollegiums gesetzt und gefragt, wer welche Projekte begleiten möchte. Diese Wahl war nicht an die Fächer gekoppelt, was es ermöglichte, dass beispielsweise die Geografielehrerin mit Affinität zum Kabarett mithilfe des Kulturagenten einen geeigneten Kulturpartner fand.

Die Auswahl der Kulturpartner orientierte sich daran, was die ländliche Region zu bieten hatte. In Zusammenarbeit mit einem Strickwarenhersteller konnte das Thema "Mode" angeboten werden und mit der Begleitung durch eine Töpferin auch das Thema "Keramik". Damit entstand zusätzlich ein positiver Effekt in Bezug auf die spätere Berufswahl der Jugendlichen. Die nächstgrößere Stadt mit einem breiten Angebot an Kulturpartnern ist Erfurt, allerdings 70 Kilometer von der Schule entfernt. So ist neben dem zeitlichen Aufwand die Zusammenarbeit auch mit zusätzlichen Reisekosten verbunden. Also konzentrierte man sich vorrangig auf Kulturpartner in der näheren Umgebung.

Der überwiegende Teil der Kooperationspartner sind Einzelkünstlerinnen und -künstler. Thomas Kümmel sieht einen Grund dafür darin, dass große, institutionell geförderte Kulturinstitutionen mit einem festen Programm ähnlich schwerfällige Systeme sind wie die Schulen. "Sie planen lange voraus und sind nicht so schnell vom Kurs abzubringen. Bis die eine gemeinsame Basis und auch eine zeitliche Schiene haben, braucht es seine Zeit, und da sind die vier Jahre Kulturagentenprogramm extrem kurz." Auch wenn mittlerweile ein Annäherungsprozess zu diesen Kulturinstitutionen stattgefunden hat, hängt dessen Entwicklung davon ab, ob das Programm weitergeführt wird.

Die Schule emanzipiert sich

Für die Schule war der Kulturagent in der Startphase absolut unverzichtbar, auch wenn er das anfangs anders wahrnahm. Das betraf vor allem die Bündelung und Strukturierung der zahlreichen Ideen und Ergebnisse, um daraus eine Vision für die Schule, den Kulturfahrplan und die Kunstgeldanträge zu entwickeln und zu formulieren. Mittlerweile ist die Schulleiterin der Meinung, dass sie sich ein Stück weit emanzipiert haben. "Es ist nach wie vor schön", sagt Karola Stadermann, "dass Thomas Kümmel gemeinsam mit uns reflektiert und seine Perspektive von außen anbietet. Das ist wichtig, damit wir nicht in unserem eigenen Saft schmoren – eine Gefahr, die bei kleinen Institutionen recht groß sein kann."

Ein großer Vorteil der Schule liegt darin, dass nicht von Projekt zu Projekt geplant wird, sondern kulturelle Bildung fest in die Stundentafel eingebunden ist. So glaubt Stadermann, " … dass das eine Schule ist, die auf ein Schuljahr bezogen sehr genaue Vorstellungen hat, die gut planbar sind".

Die "AG Kultur" sorgt dafür, dass im engen Austausch mit den Schülerinnen und Schülern immer wieder neue Ideen entstehen. Und auch wenn das gesamte Kollegium mittlerweile in der Lage ist, selbstständig künstlerisch-kreative Angebote zu gestalten und zu begleiten, möchte die Schule nicht auf externe Kunstschaffende und Kulturpartner verzichten. Ohne sie können das Niveau und die Qualität dauerhaft nicht gehalten werden; es braucht immer wieder professionellen Input von außen. Und die Kooperationen tragen auch zur stärkeren Vernetzung der Schule in der Region bei. Dafür benötigt sie aber weiterhin zusätzliche Mittel, deren Akquise paradoxerweise durch die Einbindung der kulturellen Bildung in den Unterricht – auch wenn es bildungspolitisch der sinnvolle Weg ist – erschwert wird, da viele Förderprogramme an außerunterrichtliche Maßnahmen gekoppelt sind.

Unterrichtsentwicklung ist aus Sicht der Schulleiterin ein sehr langer Prozess, der nicht durch kurzfristige Maßnahmen zu beschleunigen ist; insofern sieht sie sich eher am Anfang, was die langfristig messbaren Auswirkungen der "Kulturstunden" betrifft. Allerdings hatte das Kulturagentenprogramm starken Einfluss auf die Organisationsentwicklung der Schule, da es von Beginn an als fester Baustein im Stundenplan konzipiert war und dadurch entsprechende Strukturen, wie die "AG Kultur", entstanden sind. Bei der Personalentwicklung standen zwei Aspekte im Vordergrund: zum einen der Versuch, herauszufinden, welches Potenzial im Kollegium steckt und " … welches man noch herauskitzeln kann". Zum anderen die Hoffnung, durch das Programm – insofern es weitergeführt wird – für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer attraktiv zu sein.

Das Programm war von vornherein so angedacht, Nachhaltigkeit zu erreichen. Das ist an der Gemeinschaftsschule Rodeberg gelungen, weil die Schule die kulturelle Profilierung ­– vorausgesetzt, dass auch weiterhin Finanzmittel akquiriert werden können – mittlerweile auch allein fortsetzen könnte.

Viele Wege – ein Ziel

So unterschiedlich die Wege dieser fünf Schulen in Richtung kulturelle Profilierung anmuten, so kristallisieren sich bei diesen wie auch bei anderen am Kulturagentenprogramm beteiligten Schulen übereinstimmend sechs entscheidende Faktoren heraus, die die Entwicklung zur kreativen Schule nachhaltig unterstützen.

  1. Ein gemeinsamer Verständigungsprozess mit der Erkenntnis, dass kulturelle Bildung die gesamte Schule betrifft und damit alle Bereiche sichtbar nach innen und außen durchdringt.
  2. Eine entschlossene Schulleitung, die sich diese Erkenntnis zu eigen macht, die sich daraus ergebenden Anforderungen anerkennt und für entsprechende Rahmenbedingungen sorgt.
  3. Eine über das Kulturagentenprogramm hinaus angelegte wirkungsmächtige Struktur, beispielsweise Kultur- oder Steuergruppen, mit einer klaren Auftragsformulierung und Aufgabenbeschreibung sowie verbindlichen, regelmäßigen Treffen.
  4. Die Etablierung dauerhafter Vermittlungs- und Präsentationsformate durch eine feste Verankerung der Angebote kultureller Bildung in der Stundentafel und Jahresplanung.
  5. Die Implementierung der Ergebnisse in die schulischen Steuerungsinstrumente, wie in die Curricula und Ziel- und Leistungsvereinbarungen, oder durch die Entwicklung eines verbindlichen neuen Steuerungsinstruments in Form eines fortschreibungsfähigen Kulturfahrplans.
  6. Der Aufbau nachhaltiger Kooperationen mit Kulturinstitutionen und/oder Künstlerinnen und Künstlern jenseits einzelner Projekte und Maßnahmen mit dem Ziel einer dauerhaften und gleichberechtigten Partnerschaft auf Augenhöhe.

Das Kulturagentenprogramm hat im Sinne des Phasenmodells von Paul Collard (siehe Einleitung) an den Schulen die "Erkundungsphase" und die "Veränderungsphase" mit angestoßen und engmaschig begleitet. Mit seinen unterstützenden Angeboten der Schul- und Kulturbehörden der Länder wurde die Entwicklung dauerhafter Strukturen ermöglicht, auf denen die "Phase der kreativen Schule" aufbauen kann. Entscheidend ist letztendlich der Wille der Schulen, diesen Weg konsequent weitergehen zu wollen.

Die positiven Effekte sind jetzt schon vielfältig sichtbar. Die Schülerinnen und Schüler erlebten eine Veränderung der Atmosphäre; ihre Schule wurde lebendiger und bunter, der Kontakt zu anderen hat sich auf Grund von klassen- und jahrgangsübergreifenden Projekten intensiviert, sie haben Talente und Fähigkeiten an sich entdeckt, die bisher nicht gefragt waren, und erfahren, dass auch ihre Kulturen – Hip-Hop, Breakdance, Graffiti, Computerspiele, Handyfilme oder Comics – einen künstlerischen Wert besitzen können. Sie lernten neue Arbeitsformen mit Freiräumen zum Experimentieren, Forschen und Sich-Erproben kennen, die ihre Lernmotivation steigerten. Und die vielfältigen Möglichkeiten der Präsentation ihres Könnens haben ihr Selbstbewusstsein gestärkt. Das Kollegium ist durch den intensiven Entwicklungsprozess und durch fächerübergreifende Projekte enger zusammengerückt. Die Kultur des Austauschs und des Miteinanders wurden gestärkt und die Offenheit für Neues sowie die Experimentierfreude durch die künstlerisch-kreativen Impulse von außen gefördert.

Kulturfeste, Aufführungen, Ausstellungen und andere Präsentationsformate sowie die zunehmende Berichterstattung in den Medien haben die Schulen mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Dort, wo Schulen um Eltern konkurrieren, ist diese Profilierung mittlerweile ein wichtiges Kriterium bei der Wahl der Schule für ihre Kinder geworden und hat zu wachsenden Schülerzahlen beigetragen.

Durch die Kooperation mit Kultureinrichtungen, aber auch anderen Akteuren und Institutionen vor Ort wurden Schulen mit kultureller Profilbildung Teil eines regionalen Netzwerkes. Manche Schulen – vor allem im ländlichen Raum oder in Stadtteilen mit wenig Kulturangeboten – haben gar die Aufgabe eines lokalen Kulturzentrums übernommen.

Letztendlich hat all dies zu einer starken Identifizierung der Schülerschaft, des Kollegiums und der Eltern mit "ihrer" Schule beigetragen. Für die porträtierten Schulen hat sich der Weg gelohnt; sie möchten damit anderen Schulen Mut machen, diesen Weg ebenfalls zu gehen.

1 Vgl. www.creative-partnerships.com/ [10.05.2015].

2 Vgl. Fuchs, Max: "Schulen kooperieren mit Kulturinstitutionen: leichter gesagt als getan", in: Kooperationsprozessor – Gemeinsam etwas bewegen. Onlinepublikation der Halbzeittagung des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen 2011–2015", Berlin 2014. 

3 Vgl. www.lisum.berlin-brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.307077.de [11.05.2015].

4 Ausführliche Beschreibungen sind unter folgendem Link zu finden: www.kulturagenten-programm.de/laender/schule/5/67 [29.05.2015].