Carina Herring, Lisa Rohwedder
Der Kooperationsprozessor
Carina Herring, Lisa Rohwedder

Der Kooperationsprozessor

Ein Gespräch mit gooeyTEAM (Catriona Shaw und Malve Lippmann)

Für mich war das Stärkste an Eurer Performance, dass sie gleichzeitig Energie, Zerbrechlichkeit und Ausgeklügeltheit transportierte: A sophisticated social engery transformer, um einen Arbeitstitel zur Verfügung zu stellen. Die gute Laune, die Ihr mit der Installation zudem verbreitet habt, hält noch an.

Hermann Abs in einer E-Mail an die Künstlerinnen

 

Lisa Rohwedder: Für die Halbzeittagung des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen" in Dortmund habt Ihr den "Kooperationsprozessor" entworfen, eine Installation zum Motto der Tagung: "Gemeinsam etwas bewegen: Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen". Wie lautete der Auftrag?

gooeyTEAM: Vor einigen Jahren habe ich (Catriona) Constanze Eckert (Qualifizierung/Akademieleitung) in Wolfenbüttel während einer Tagung zur Kunstvermittlung kennengelernt, bei der ich als Musikerin die Begleitmusik für den Beschwerdechor1 schrieb. Im Vorfeld der Kulturagententagung fragte sie uns dann mit der Idee an, ob wir ein partizipatives spielerisches Projekt entwickeln könnten, eine Performance oder eine Installation, bei der die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer über eine künstlerische Aktion miteinander ins Gespräch kommen. Der Austausch sollte nicht nur in den Workshops stattfinden, sondern auch in den informellen Räumen der Tagung. Gleichzeitig sollte sichtbar etwas mit dem Raum geschehen, sodass sich die performative Aktion auch räumlich niederschlägt.

Lisa Rohwedder: Und wie hat sich der "Prozessor" dann von Eurer ersten Idee zur Umsetzung entwickelt?

gooeyTEAM: Es ist bei uns ja immer so, dass wir mit nichts anfangen, außer dass wir einen Rahmen setzen und Material festlegen. Dann stellen in einem ersten Prozess die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Objekt, eine Performance oder eine Installation her, die dann wiederum vom Publikum bedienbar ist – wie z. B. auch bei unserem Hyperlinkgenerator2. Das ist unser Prinzip. Diesmal war es jedoch anders, das inhaltliche Thema "Kooperation" und der Rahmen "Tagung" waren von der Forum K&B gesetzt. Das bedingte einen gemeinsamen konzeptionellen Prozess: Constanze Eckert, Sybille Linke, die Programmleitende Geschäftsführerin, und das Team haben viele Ideen aus der Praxis eingebracht. Auch das war also eine Kooperation, die in unserem Kreativprozess ein wichtiger Faktor war. Trotzdem hatten wir viele Freiheiten.

Carina Herring: Ihr wart also ziemlich glücklich mit dem Auftrag, weil er Eurer Arbeitsweise entsprach und dennoch Neuland bot. War denn das Format Tagung – ein zweitägiges Event –, bei dem Ihr das Publikum letztlich nicht einschätzen konntet – ein Risiko? Ihr konntet ja nicht wissen, ob sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer leicht in die Partizipation involvieren lassen oder nicht. Oder vertraut Ihr auf das Wissen, dass immer etwas geschehen wird?

gooeyTEAM: Ja, das war schon eine Herausforderung und eine tolle Chance! Die Voraussetzung, dass ein Publikum mit einem anderen Ziel irgendwo hinkommt und von uns "still" aufgefordert wird, an etwas zu partizipieren und kreativ zu werden, hatten wir bisher noch nicht, das war unbekanntes Terrain. Normalerweise arbeiten wir in Workshopformen, bei denen wir drei Tage intensiv nutzen oder auch zwei Wochen Zeit haben, um die Teilnehmenden persönlich kennenzulernen. In Dortmund hatten wir zwei Tage lang mit rund 350 Leuten zu tun, also kaum Zeit, auf diese individuell einzugehen oder mit allen zu sprechen.

Wir haben deswegen auch noch mal anders über Partizipation nachgedacht. Die Frage war: Wie freilassend müssen Mittel und Aufgabe sein, damit die Leute sich nicht eingeengt fühlen und gleichzeitig Lust haben, mitzumachen? Je kleiner der Rahmen gesteckt ist und je begrenzter die Mittel sind, die wir zur Verfügung stellen, desto größer werden Freiheit und Kreativität, die entstehen. Auch wenn das paradox klingt, aber es ist eben nicht so, dass mehr Freiheit zu mehr Kreativität führt. Man ist da eher schnell überfordert. Ein enger Rahmen bietet immer die Möglichkeit, ihn zu sprengen. Er kann umgangen, boykottiert oder anarchistisch verlassen werden. Ein klar begrenzter Rahmen erzeugt die größere Freiheit. Wir geben manchmal Kindern nur einen schwarzen und einen weißen Bleistift und eine Papiersorte. Manche sagen dann: "Die armen Kinder, wo bleibt da die Kreativität?" Aber es ist gerade andersherum.

Das heißt für uns auch, dass alles, was entsteht, in eine Gesamtkollaboration einfließt. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist das ein gegenseitiger Prozess, alle sind Kollaborateure – keine Einzelindividuen oder kleinere Gruppen, sondern alle sind Teil des Gesamtprozesses und des Gesamtergebnisses, ob Performance oder Installation. Die einzelnen werden dabei nicht namentlich genannt, und es wird nicht gekennzeichnet, wer was gemacht hat. Das heißt, die einzelnen Beiträge sind anonym, manche werden das mögen, manche nicht, und alle haben die gleichen Materialien zur Verfügung, diese Begrenzung der Mittel ist fair.

Lisa Rohwedder: Hat denn viel Kooperation unter den Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer stattgefunden?

gooeyTEAM: Ja, sie kamen oft in der Gruppe, um ihre Objekte abzugeben. Es kamen ganze Teams, die Nachschub gefordert haben. Den besonders Aktiven haben wir dann "Premiumbögen" verteilt. Es hat den Teilnehmern sichtbar Spaß gemacht zu kooperieren. Und uns natürlich auch. Wir fanden es besonders interessant zu sehen, wie Partizipation anders funktionieren kann und sogar der Kooperationsprozess dabei abgebildet wird. Man gibt ihnen einfache Mittel und die Chance etwas zu machen und letztlich eben auch die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie jetzt kreativ sein wollen oder nicht. Alle hatten die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu treten, man konnte leicht spielerisch einsteigen und etwas machen, das nicht bewertet wurde im Sinne einer Kreation oder einer Skulptur.

Carina Herring: Strategisch habt Ihr Elemente gewählt, die ein spielerisches Verlangen ansprechen, das jeder Mensch hat – insbesondere bei einer Tagung, bei der man still sitzen muss – endlich kann man an etwas "rumfummeln". Hat die Wahl des Rahmens und der Mittel das ästhetische Ergebnis auch mitbestimmt?

gooeyTEAM: Mit den Hinweisbögen, die alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Tagungsmappen vorfanden, und mit unserer Performance zu Beginn der Tagung haben wir einfache "Handlungsanweisungen" gegeben. Auch unsere Kostüme haben wohl zur Kreativität angeregt – plötzlich wollten die Leute auch Broschen und Hüte oder haben sich Bärte ins Gesicht gehängt und damit ganz neue Formen erdacht. Unsere vorgegebene Struktur wurde einfach geändert, und es wurden nicht nur Objekte in den "Prozessor" gehängt, sondern auch an die eigene Person. Dieser ganze Prozess hat sehr von Tina Gadow, der Moderatorin, profitiert, die nach der ersten Pause bereits ein Accessoire trug und ihr Outfit dann sukzessive erweitert hat.

Carina Herring: Der "Kooperationsprozessor" war ja auch ein Klangkörper, der die Bewegungsgeräusche der Objekte und Motoren übertragen hat. Wie hat das funktioniert?

gooeyTEAM: Die Grundstruktur des "Prozessors" bestand aus zwei Teilen: zum einen aus drehbaren Körpern, zum anderen aus Klangkörpern, die mit Saiten bespannt waren. An die von Motoren bewegten drehbaren Körper konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre gebauten Papierobjekte anbringen, die dann an den Saiten entlangstreiften oder -zupften und damit einen Klang erzeugten. Über ein Mischpult haben wir dann die einzelnen Geräusche zusammengeführt. Der Urklang war eigentlich nur ein ganz sanftes Summen. Und je nachdem, welche Objekte angebracht wurden oder auch runtergefallen sind, hat sich der Klang verändert, mal war er stärker und mal leiser – je mehr Objekte hingen, umso anschwellender war er natürlich. Es gab Momente, da war alles voll besetzt, und dann fielen wieder viele Objekte runter, das hat sich auch klanglich ausgewirkt. Insgesamt waren die Klänge eher wie Geister oder Gespenster im hinteren Raum. Erst am Schluss wurde das Gesamtbild inklusive Sound durch die rot-grüne Beleuchtung performativ erlebbar.

Carina Herring: Welche Überraschung habt Ihr erlebt?

gooeyTEAM: Ein Faktor, mit dem wir nicht gerechnet hatten, war die Selbstzerstörung des "Prozessors". Wir haben ihn am Schluss laufen lassen, bis er sich komplett zerstört hat. Dadurch, dass er sich immer weiter bewegt hat, unerbittlich, haben sich die Objekte teilweise gegenseitig so verhakt und verbissen, dass sie sich nicht mehr losließen, sich mitrissen und sich zum Abstürzen gebracht haben. Zwischendurch haben wir immer wieder eingegriffen, aber am Schluss haben wir die Maschine laufen lassen und nicht mehr beeinflusst. Es ist interessant, dass sich etwas selbst kaputt macht, was läuft und lebt – für die Kooperation ein gutes Bild. Sie läuft und funktioniert eine Zeit lang gut, doch irgendwann gibt es einen Punkt, an dem etwas verhakt, nicht weiterkommt oder sich blockiert. Dann braucht es eine/einen Mediatorin/Mediator, die/der dafür sorgt, dass es weitergeht, oder jede intensive Kooperation zerstört sich eben selbst irgendwann – ohne Feinjustierung funktioniert Kooperation wohl langfristig nicht.

Carina Herring, Lisa Rohwedder: Vielen Dank für das Gespräch.

1 Siehe www.youtube.com/watch?v=mmVvB8tgKPM [01.04.2014].

2 Siehe www.gooey.de/index.php?id=28 [11.7.2014].