Johanna Niedermüller
Motivationen für kulturelle Bildung an Schulen
Johanna Niedermüller

Motivationen für kulturelle Bildung an Schulen

Programme, die verändern?

Seit dem Pisa-Schock 2000 stehen Deutschlands Schulen unter einem hohen Anforderungsdruck. Die Schere zwischen sehr guten und schwachen Schülerinnen und Schülern tat sich hier deutlicher als in den anderen EU-Ländern auf. Auf drastische Weise zeigte sich ein Zusammenhang von Bildungshintergrund und Lernerfolgen. Kulturelle Bildung rückte nun als eine Möglichkeit der Umverteilung von kulturellem Kapital in den Fokus von Bildungsträgern und Stiftungen. Hierzu gehören die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (Kultur.Forscher!), das Landesschulamt und die Lehrkräfteakademie in Hessen (KulturSchule), die Gabriele Fink Stiftung gemeinsam mit der Kulturbehörde Hamburg und der Behörde für Schule und Berufsbildung (Kulturschule Hamburg 2011–2014) sowie die Kulturstiftung des Bundes und die Stiftung Mercator (Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen"). Diese ergriffen Maßnahmen und entwickelten Programme kultureller Bildung für Schulen mit dem Ziel, im Unterricht und in Kooperation mit Kulturpartnern Räume für die ästhetische Erfahrung künstlerischer Arbeit zu schaffen. Während einige Schulen eine Änderung der Situation mit Hilfe von kultureller Bildung ins Auge fassten, fand in anderen Schulen eine Gegenbewegung statt. Sie legten den Schwerpunkt auf sogenannte Kernfächer. Dies führte unter anderem zu einer Reduktion der Unterrichtsstunden in den Fächern Musik und Bildende Kunst in sämtlichen Schulformen. Einzelne Fachkräfte decken oft den gesamten Musik- und Kunstunterricht einer Schule ab. Zudem werden musische Fächer oft fachfremd unterrichtet. Ein für alle Klassenstufen kontinuierlich durchgeführter und qualitativ hochwertiger musischer Unterricht ist nicht an jeder Schule selbstverständlich.

Wünsche nach Veränderung im Bildungsbereich zeichneten sich auch in anderen europäischen Ländern ab. In England beispielsweise betonte der britische Premier Tony Blair bereits 1996: "Ask me my three main priorities for government and I tell you: education, education and education." Mit seinem Amtsantritt flossen vermehrt Gelder in Bildung und Kunst, "wobei die Kunstförderung sehr stark verpflichtet worden ist, einen engen Kontakt mit Schulen zu suchen".1 Von 2001 bis 2011 wurde dort das Programm "Creative Partnerships" (CP) durchgeführt. Bei der Konzipierung des Kulturagentenprogramms stand es Pate.

Paul Collard hat in dem von ihm geleiteten CP-Programm eine Vielzahl von Schulen auf die Wirkung kultureller Bildung bezüglich des Lernverhaltens von Schülerinnen und Schülern sowie auf die Veränderung von Schulstrukturen hin untersucht. Die Hauptziele des Programms waren:

  1. Verbesserung des Lernverhaltens der Schülerinnen und Schüler
  2. Veränderung des Unterrichts
  3. Förderung der schulischen Entwicklung, insbesondere die Verbesserung der Schulkultur


Auf diese drei Ziele, die laut Paul Collard innerhalb des CP-Programms als weitestgehend erreicht gelten, möchte ich kurz eingehen und sie im Folgenden zu meiner Praxis als Kulturagentin ins Verhältnis setzen. Zu fragen ist, welche Instrumente beide Programme einsetzten, worin der Nutzen kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche innerhalb der Programme besteht und wie die Ausführenden darin agieren (sollen).

Ziele und Nutzen kultureller Bildung

1. Verbesserung des Lernverhaltens oder Lernen kann Freude machen

Die meisten Lehrerinnen und Lehrer in meiner Praxis als Kulturagentin bemerkten, dass Jugendliche auf das freie Arbeiten mit Künstlerinnen und Künstlern, auch wenn es aus pädagogischer Sicht für sie chaotisch, ziellos und ungewohnt erschien, anders reagierten als auf die oft noch ausschließlich frontale Wissensvermittlung im Unterricht. Sie waren glücklich und erstaunt darüber, "ihre Kinder" konzentrierter, engagierter und interessierter als im Schulalltag zu erleben.

Zu den Irritationen, die Projekte kultureller Bildung auf Grund von ungewohnten Methoden und einer meist prozessorientierten Arbeitsweise von Künstlerinnen und Künstlern bei Lehrkräften hervorrufen können, kommen hin und wieder unrealistische Erwartungen an die Wirkungen hinzu. Eine Lehrerin zeigte sich beispielsweise enttäuscht über das Ergebnis eines Projekts. Obwohl es teuer gewesen sei, hätte sich im Nachhinein nur eine der beiden teilnehmenden Klassen zum Positiven entwickelt. Diese "Kritik" impliziert die Erwartung, dass kulturelle Angebote per se in der Lage sind, etwas am Verhalten der Schülerinnen und Schüler und im besten Falle auch an ihrer Leistung zu optimieren. Die Frage, warum eine Klasse von einem Projekt profitiert und die andere nicht, verlangt allerdings eine differenzierte Auseinandersetzung über die tatsächlichen Wirkungsweisen kultureller Bildung. Inwieweit die gegebene Schulstruktur, ihre Akteure und nicht zuletzt die Zusammenstellung der jeweiligen Klasse das Ergebnis bzw. die Wirkung eines Projekts beeinflussen, darf dabei sicher nicht außer Acht gelassen werden.

In vorbereitenden Gesprächen mit Lehrkräften und Kulturpartnern sollte im Modellprogramm durch die Kulturagentinnen und Kulturagenten der Bedarf der Schülerinnen und Schüler eruiert werden, um passgenaue Projekte in den entsprechenden Rahmenbedingungen entwickeln zu können. So der Idealfall. Viele Projektideen in meinem Schulnetzwerk gingen jedoch von den Interessen und Expertisen der Lehrkräfte aus, die einen größeren Stellenwert einnahmen als das Erarbeiten eines gemeinsamen Projektkonzepts mit den Schülerinnen und Schülern. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Vielleicht sind partizipative Methoden in Schulen nicht eingeübt? Vielleicht befürchten Pädagoginnen und Pädagogen auch, an ihre Grenzen zu stoßen? Die Chance, etwas Neues zu entdecken, wurde damit oft nicht genutzt. In den meisten von mir initiierten Projekten trugen die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer seitens der Schule die Verantwortung. Sie stellten für mich immer den Schlüssel zu den Kindern und Jugendlichen dar. Aber so wichtig eine engagierte und begeisterte Lehrkraft für ein erfolgreiches Projekt auch ist, entscheidend ist meines Erachtens, wie sich die Schülerinnen und Schüler am Projekt beteiligen. In meiner Praxis als Kulturagentin sah ich mich oft darin bestätigt, dass der Grad der Identifikation der Kinder und Jugendlichen mit ihrem kreativen Tun direkt auf die Qualität des Outputs, wie beispielsweise eine Präsentation, Einfluss hat. Das Maß der Schülerbeteiligung innerhalb der Projekte in meinem Schulnetzwerk variierte stark, worin sich auch die jeweilige Beziehung der projektverantwortlichen Lehrkraft zur Klasse spiegelte. Einzelne Projekte konnte ich auf der Basis der Visions-Arbeit, die ich sowohl mit den Lehrerinnen und Lehrern als auch mit den jeweiligen Klassensprecherinnen und Klassensprechern erarbeitet hatte, entwickeln. Auch hier war es immer wichtig, einen Fürsprecher und Verantwortlichen seitens der Lehrerschaft zu finden. Die gemeinsame Feedback-Kultur innerhalb der Projekte wurde vor allem von den Künstlerinnen und Künstlern gepflegt. Denn ihnen scheinen von ihrer Arbeitsweise her Feedback- und Reflexionsprozesse eher vertraut. Nur mit Hilfe der Selbstreflexion ist eine Weiterentwicklung möglich und daher auch für Lehrkräfte erforderlich.

Im britischen CP-Programm hingegen wurden Teilhabe und Reflexion von vornherein stärker implementiert. Die Art der Vermittlung von Projekten wurde, so Paul Collard, bereits von Anfang an zusammen von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und den Künstlerinnen und Künstlern geplant. Eine Voraussetzung dafür ist, denke ich, dass das gesamte Projektteam am Hinterfragen der (eigenen) Methodik auch interessiert ist. In einem fehlerfreundlichen Klima lässt sich, davon bin ich auch aus meiner Praxis als Kulturagentin überzeugt, grundsätzlich das im Rahmen eines solchen Projekts erfolgreich erprobte Feedback-Prinzip auf den Unterricht übertragen. Dies ist eine Grundlage, die auch auf das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler Einfluss nehmen kann.

Arbeiten Künstlerinnen und Künstler mit Schülerinnen und Schülern erstmals zusammen, treffen zwei Welten aufeinander. Häufig konnte ich beobachten, dass Jugendliche zu Beginn eines Projekts den Künstlerinnen und Künstlern nicht trauen. Die Tatsache, dass ihre Ideen für das Gelingen des Projekts wirklich gefragt sind und ihre Meinung zählt, ist für sie oft ungewohnt, da die Institution Schule ihnen zumeist suggeriert, dass sie Vorgegebenes effektiv lernen sollen, um etwas zu erreichen, und dass Umwege sie nur aufhalten. Ich konnte aber feststellen, dass der Großteil der Schülerinnen und Schüler während der Projektlaufzeit neugierig auf die Künstlerinnen und Künstler wurde und wissen wollte, wie es weitergeht. Der Wunsch, den begonnenen Prozess erfolgreich zu Ende zu führen, wurde immer wieder formuliert. Der Satz "Jede Minute zählt!" trat an die Stelle der sonst so oft gestellten Frage "Wann haben wir Pause?".

2. Veränderung des Unterrichts oder gefangen im Lehrplan

In meinem Schulnetzwerk fanden auf Wunsch der Rektoren Workshops für Lehrkräfte zur Methode "Learning through the Arts" statt. Angeboten wurden vier Workshops, in denen Künstlerinnen und Künstler kreative Tools für den Unterricht, die sich inhaltlich am Lehrplan orientierten, vermittelten. Im Workshop "Tanz als Medium für Biologie und Geschichte", den ich besuchte, fand man in der Gruppe unterschiedliche Bewegungen, die assoziativ mit dem menschlichen Skelett in Verbindung gebracht wurden. Aneinandergereiht ergab sich daraus ein Bewegungsablauf. Ziel war es, sich die Anatomie eines menschlichen Körpers auf diese Weise sukzessive anzueignen. Auf den ersten Blick entsteht in diesem Fall der Eindruck, sich kreativ und offen einem Thema zu nähern, tatsächlich werden die Künste dafür benutzt, sich ausgewähltes Wissen durch assoziative tänzerische Bewegungen anzueignen und dadurch nachhaltig abrufbar zu machen. Es wird ein Lernprinzip vermittelt, das lediglich der Faktenaneignung dienen soll. Ein kritisches Hinterfragen von vermittelten Inhalten seitens der Schülerinnen und Schüler hat hier ebenso wenig Platz wie ein individuell erstellter Lehrplan. Künstlerische Wege werden lediglich dazu benutzt, um Lernen im Gleichschritt unterhaltsamer zu gestalten.

Der Philosoph Jean Piaget stellt in "Meine Theorie der geistigen Entwicklung" fest, dass, "wenn man einen angemessenen Lernbegriff darlegen will, man zuerst erklären muss, wie es dem Subjekt gelingt, zu konstruieren und zu erfinden, nicht bloß, wie es wiederholt und abbildet". Und weiter schreibt er, dass sich Erkenntnis aus Interaktionen zwischen dem Subjekt und dem Objekt ergibt – aus Interaktionen, die reichhaltiger sind als alles, was die Objekte von sich aus liefern. 2 Peter Fauser, Professor für Schulpädagogik und Schulentwicklung und Beiratsmitglied des Kulturagentenprogramms drückt es wie folgt aus: "Zum Lernen gehört nicht nur die aneignende Nachbildung, sondern die schöpferische Neubildung kraft eigener Vorstellungen."2

In komprimierten Lerneinheiten mit thematischer Schwerpunktsetzung, wie Projekte kultureller Bildung oft umgesetzt werden, kann meiner Meinung nach eine praxisorientierte Vertiefung eines Themas gewährleistet werden. Für die Entwicklung des Theaterprojekts "kopfüber", das im Rahmen des Kulturagentenprogramms an der Werkrealschule Ostheim entstanden ist, wurden beispielsweise für die darstellerische Arbeit wöchentlich drei Unterrichtseinheiten zusammengelegt. In der Woche vor der Premiere wurde ausschließlich musikalisch und darstellerisch gearbeitet. Die Schülerinnen und Schüler beider 6. Klassen konnten zudem zwischen einem darstellerischen und einem musikalischen Schwerpunkt eigenständig wählen. Die Ideen der Kinder hatten vor denen der Erwachsenen Priorität, vom Bühnenbild, über die Texte bis hin zur darstellerischen Umsetzung. Die eigenen Texte entstanden mündlich mit Hilfe von Improvisation und wurden erst im zweiten Schritt verschriftlicht. Eine Annäherung an die Poesie, die Musik und den körperlichen Ausdruck fand spielerisch und forschend statt. Die Schülerinnen und Schüler haben in diesem Projekt gelernt, im Team zu arbeiten, selbst Entscheidungen zu fällen und zu vertreten, sie konnten Selbstwirksamkeit erfahren und sich literarisch und tänzerisch in einem eigens für sie gestalteten Rahmen erstmalig ausprobieren. Dadurch, dass es während der Stückerarbeitung weder ein Richtig noch ein Falsch gab, eröffnete sich ein geschützter Raum für ihre Gedanken und Gefühle und deren Ausdrucksmöglichkeiten – ihre Persönlichkeit wurde gestärkt. Die Jugendlichen konnten sich am Ende des Prozesses in Form einer Aufführung bestmöglich der Öffentlichkeit zeigen. Die Koordinaten – komprimierte Unterrichtseinheiten, Wahlfreiheit und Beteiligung der Schülerinnen und Schüler –, die in diesem Projekt angewendet wurden, lassen sich meiner Meinung nach als Forderungen auf den Unterricht generell übertragen.

Welches Verständnis von "Lernen" liegt dem Kulturagentenprogramm zugrunde? Handelt es sich hierbei wiederum nur um die bloße Vermittlung von Wissen, oder zielt das Programm vielmehr auf die ästhetische Bildung des Menschen? Der Ansatz, Lehrkräften zu ermöglichen, die eigene Kreativität zu erforschen, ist ein wichtiger Aspekt innerhalb des britischen CP-Programms und könnte ein Indiz für die ästhetische Bildung sein. Auch im Kulturagentenprogramm gab es für die Pädagoginnen und Pädagogen immer wieder die Möglichkeit, vorbereitend an Workshops mit Künstlerinnen und Künstlern teilzunehmen. In meiner Praxis wurde dieses Angebot allerdings nur zögernd wahrgenommen. Dies hängt meines Erachtens einerseits mit den mangelnden Zeitressourcen, aber andererseits mit der Einstellung zusammen, dass der eigentliche Nutzen, durch eigene Erfahrung etwas tiefgreifend zu erleben, nicht erkannt wurde. Eine Verpflichtung zur Weiterbildung wie im CP-Programm wäre für Lehrkräfte hilfreich. So wurde beispielsweise innerhalb des CP-Programms während der Unterrichtszeit Raum geschaffen, damit Lehrkräfte, unterstützt von Kulturpartnern, ihre eigene Kreativität erforschen können. Im sogenannten Enquiry Schools Programme arbeitete das Lehrpersonal mit Künstlerinnen und Künstlern sogar ein Jahr lang zur Frage, wie kreatives Lehren und Lernen in der Praxis verbessert werden können.4

Die beschriebenen Künstlerworkshops innerhalb des Kulturagentenprogramms fanden zwar in kleinerem Rahmen statt, aber die Lehrkräfte wurden dafür in den von mir betreuten Schulen leider nicht freigestellt. Sie besuchten die künstlerischen Workshops in ihrer Freizeit. Da Lehrerinnen und Lehrer das weitergeben, was sie selbst erfahren haben, wäre es sinnvoll, ihnen stärker den Mehrwert kultureller Bildung zu vermitteln. Die Angebote, die die Lehrkräfte in Anspruch nahmen, stellten mit jeweils zweimal drei Unterrichtseinheiten eher eine Anregung zum Thema als eine wirkliche Auseinandersetzung mit einem künstlerischen Medium oder mit dem Transfer von künstlerischen Methoden in den Unterricht dar. Unter diesem Aspekt erscheint mir das CP-Programm sehr konsequent, da es die Lehrkräfte auf das Programm einstimmt und die Entwicklung geeigneter Unterrichtsmethoden in den Vordergrund stellt.

Der Mehrwert kultureller Bildung wird durch eine einmalige Erfahrung oft nicht nachhaltig erkennbar. Seitens der Lehrkräfte wird dabei der zusätzliche Aufwand oft intensiver wahrgenommen als die ersten eigenen Lernfortschritte. Um solche Fortschritte ausbauen zu können, muss künstlerische Projektarbeit auch mit Lehrkräften kontinuierlich umgesetzt werden. Mir begegnete in meiner Praxis als Kulturagentin mehrmals das Argument, lieber wieder auf bereits erarbeitete, handhabbare Unterrichtseinheiten zurückgreifen zu wollen, da man sich ihrer gut bedienen könne und methodisch nichts Neues brauche. Dies scheint mir ein Indiz dafür zu sein, dass manche Lehrkräfte hoffen, mit gut vorbereitetem Material den hohen Anforderungen im Beruf Herr zu werden. Gleichzeitig gab es in meinem Schulnetzwerk auch Lehrkräfte, die die Künstler-Workshops dankbar und interessiert annahmen. Meist waren dies Personen, die ein musisches Fach unterrichten oder bereits Erfahrungen in diversen Projekten kultureller Bildung besitzen, Personen also, bei denen es keiner Überzeugungsarbeit mehr bedurfte.

 

3. Förderung der schulischen Entwicklung oder Schule durch Kultur verändern

Eine Veränderung an den Schulen anzustoßen und einzuleiten, wurde innerhalb des Modellprogramms zunehmend stärker unterstützt. Konnten jedoch die Schulen die Instrumente des Programms für eine Veränderung ihrer Schulkultur nutzen? Hier drei Beispiele.

  • Der Kulturfahrplan, der zu Beginn des Programms von jeder teilnehmenden Schule entwickelte wurde, gewährleistete eine gezielte Umsetzung kultureller Projekte. Er führte zur Implementierung einer kulturellen Praxis an einer der von mir betreuten Schulen in der Sekundarstufe eins. Pro Schuljahr und Klasse wird nun dort, auch nach Beendigung des Kulturagentenprogramms, in Zusammenarbeit mit einem Kulturpartner jeweils ein Projekt kultureller Bildung realisiert.
  • Dadurch, dass für die Ideen von Schülerinnen und Schülern mit Hilfe einer professionellen Künstlerin oder eines professionellen Künstlers interessante ästhetische Formen entwickelt werden, sind sie einem Publikum sehr gut zugänglich und ermöglichen es Lehrkräften, Eltern und Schülerschaft, eine neue Sicht auf einzelne Personen zu gewinnen und das Verhältnis zueinander neu zu definieren. Für besondere, die Schulkultur verändernde Projekte, wie beispielsweise das Konzept eines Schülercafés, gab es seitens des Programms sehr positives Feedback an uns Kulturagentinnen und Kulturagenten. Um nachhaltig Veränderungen im Schüler-Lehrer-Verhältnis zu etablieren und einen Transfer von in Projekten gewonnenen Erkenntnissen auf den Unterricht zu ermöglichen, bedarf es der Selbstreflexion, der gemeinsamen Reflexion im Kollegium und einer Hilfestellung bei der kreativen Unterrichtsgestaltung, insbesondere für Lehrkräfte, die neu auf dem Gebiet der kulturellen Bildung an Schulen sind.
  • Die verlässliche Einführung einer Kulturgruppe gelang lediglich an einer der Schulen aus meinem Schulnetzwerk. Die Sitzungen, in denen über laufende Projekte berichtet, Organisatorisches geregelt, Probleme in der Umsetzung besprochen und Visionen erarbeitet werden, können einen kontinuierlichen und konzentrierten Rahmen für Reflexion bieten, sofern dies gewünscht wird. Im Idealfall wird das eigene Tun im kulturellen Kontext mit Hilfe einer interessierten und wohlgesonnenen Gruppe selbstreflexiv betrachtet.

 

Konnte das Modellprogramm nun Schulen wirklich verändern? Ich erlebte in meiner Praxis, dass Schulleiterinnen und Schulleiter kulturelle Bildung zunächst als Überforderung empfanden und dann als Möglichkeit zur Profilgewinnung nutzten. So wurde mir von einem Schulleiter bestätigt, dass die Schülerzahl seiner Schule während der Programmlaufzeit gestiegen ist und dass das neu hinzugewonnene Profil zu diesem Erfolg beigetragen hat. Der Schulstandort gewann durch das Modellprogramm für Eltern an Attraktivität. Ein Veränderungsprozess bezüglich der Schulkultur begann langsam zu greifen.

Worum geht es jetzt und in Zukunft?

Andreas Stoch, Minister für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, erwartet von kultureller Bildung an Schulen das Heranbilden kreativer und selbstverantwortlicher Menschen, die als Erwachsene ihren Platz innerhalb des gesellschaftlichen Systems finden.5 Aber geht es nicht vielmehr darum, durch kulturelle Angebote Möglichkeiten aufzuzeigen, um sich im noch Unbekannten zu verorten? So wichtig die Implementierung kultureller Bildung an Schulen auch ist, um wirklich Veränderung zu bewirken, so sehr sehe ich auch ihre vorrangige Nutzbarmachung als kritisch an. Es besteht die Gefahr, dass ihre Potenziale, wie Ergebnisoffenheit und Suche nach ungewohnten Lösungen, durch Vereinnahmung aufgelöst werden. Künstlerisches Arbeiten an Schulen sollte meiner Ansicht nach auch zu einer Erweiterung und Anreicherung zweckfreier ästhetischer Bildung führen können und keinesfalls zu einer Unterrichtsmethode unter vielen reduziert werden. Kindern und Jugendlichen muss meines Erachtens auch die Chance geboten werden, ergebnisoffen und ohne Leistungsdruck von außen die eigenen Fähigkeiten ausfindig zu machen und die Identifikation über selbstwirksames Handeln herstellen zu können.

Welche Entwicklungen konnte ich nun während der Programmlaufzeit in meinem Schulnetzwerk beobachten? Als Kulturagentin habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, das Infragestellen von tradierten Verhaltensmustern bereits als Erfolg zu werten. Denn eine schulische Neuorientierung erfordert Zeit und verläuft nicht kontinuierlich. Um Selbstreflexion als Teil der Schulkultur zu etablieren, ist die Mitwirkung aller Beteiligten erforderlich. Dafür müssten Schulen die Möglichkeit haben, ihr Profil deutlich ausweisen zu können, wie es die Kulturschulen in Hessen und Hamburg bereits tun. Lehrkräfte sollten die Wahl haben, sich bewusst für eine Schule mit dem Schwerpunkt "kulturelle Bildung" entscheiden zu können. Im Rahmen der ersten Phase des Modellprogramms blieb es den Schulen überlassen, das Merkmal, Schule mit dem Schwerpunkt "kulturelle Bildung" zu sein, zu kommunizieren. Die geplante Verlängerung des Programms um weitere drei bis vier Jahre seitens der Stiftungen und der beteiligten Länder bietet den Schulen, die bereits im Programm sind, die Möglichkeit, den eingeschlagenen Weg konstruktiv weiterzugehen.

Der Pisa-Schock hat also Bewegung in die Schulen gebracht. In Baden-Württemberg konnten an einzelnen Schulen durch das Kulturagentenprogramm durchaus Impulse hinsichtlich der Schulentwicklung gesetzt werden. Zu wünschen ist, dass sie weiter und verstärkt wirken können, dass die entstandenen Kulturgruppen an den Schulen erhalten bleiben, dass Teamarbeit und Transparenz weiterhin einen wichtigen Stellenwert haben und dass der bewährte Pool von Künstlerinnen und Künstlern bestehen bleibt. Zu hoffen ist außerdem, dass die Schulen, die in der zweiten Phase nicht mehr Teil des Kulturagentenprogramms sind, eigenständig finanzielle Mittel akquirieren können, respektive genug Unterstützung seitens der städtischen Kulturbüros erhalten werden. Denn nur dann werden sie die gewonnenen Erfahrungen in Form von Projekten kultureller Bildung weiterhin umsetzen können.

1 Fuchs, Max: "Vom Nutzen kultureller Bildung in Unterricht und Schulalltag", S. 5f, online: www.kultur-macht-schule.de/fileadmin/user_upload/kultur_macht_schule/documents/KMS_Fachstelle/PDF/Fuchs_Vom_Nutzen_k_B_in_Unterricht_und_Schulalltag.pdf [19.04.2015].

2 Piaget, Jean: Meine Theorie der geistigen Entwicklung. Weinheim und Basel 2003. © der deutschen Übersetzung München 1981: Kindler, Seite 74.

3 Fauser, Peter: "Lernen als Kunst. Schule als Kultur". Vortrag im Rahmen der überregionalen Akademie des Modellprogramms "Kulturagenten für kreative Schulen" in Erfurt am 07.11.2012.

4 Vgl. www.creative-partnerships.com/enquiry-schools/ [19.02.2015].

6 Minister Andreas Stoch (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg) anlässlich der Begrüßungsrede zur Werkschau des Kulturagentenprogramms in Baden-Württemberg am 25. 03 2015 im JES Stuttgart.