Julia Münz
Ideenfänger – Probe und Problem
Julia Münz

Ideenfänger – Probe und Problem

Über den Weg einer Künstlerin und Kulturagentin, sich mit Schülerinnen und Schülern künstlerisch-forschend auf die Suche nach Themen zu machen, die sie selbst bewegen.

Voraussetzungen. Das erste Jahr

Ich lerne drei Hamburger Schulen kennen, drei Stadtteilschulen, an denen insgesamt über 3.800 Menschen beschäftigt sind und beschäftigt werden. Meine Mission ist es, mit diesen Menschen passgenaue und innovative Formate der kulturellen Bildung zu entwickeln und die Umsetzung der Projekte zu begleiten. Wie ich das im Einzelnen mache, ist mir überlassen.

3.867 Menschen in drei Systemen. Jede Schule tickt völlig anders, ist ein eigener Planet, ein eigener Kosmos. Laut meiner Mission sollen möglichst alle Akteurinnen und Akteure der "Schulfamilie" an der Entwicklung des Gesamtkonzepts, des Kulturfahrplans und der daraus abgeleiteten Projekte beteiligt sein. Was wünschen sich die Schülerinnen und Schüler, wonach steht den Eltern der Sinn, wofür sind Lehrkräfte bereit, sich über ihr gegebenes Arbeitspensum hinaus zu engagieren? Für welche künstlerischen Inhalte ist welche Lehrkraft willens, von ihrem – alle Unterrichtstunden ausfüllenden – Lehrplan zurückzutreten? Welche künstlerische Ausrichtung favorisiert die Schulleitung, ohne deren Unterstützung neue Formate in der Schule nicht umsetzbar sind? Gemeinsam ist allen Schulen, dass ich nirgends ein Gremium vorfinde, das alle genannten Gruppen an einem Tisch vereint. Man tagt, wenn überhaupt, getrennt voneinander.

Ich hatte bei den Auswahlworkshops für das Programm "Kulturagenten für kreative Schulen" bereits knifflige Aufgaben zu lösen, jetzt stellte die Praxis schwierige Aufgaben; die erste lautete:

Eine Kulturagentin ist in einem Netzwerk aus drei Schulen beschäftigt. Jede Schule verfügt über eine Schülervertretung, eine Elternvertretung, das Kollegium (mit je vier Fachkonferenzen der musischen Schulfächer) und eine Schulleitung. An der Schulkultur wirken zudem weitere Akteure aus dem Quartier und externe Kooperationspartner, wie beispielsweise die Planer des Ganztagbereichs, mit.
Frage: Wie viel Arbeitszeit benötigt eine Kulturagentin

A: zur Terminfindung der Antrittsbesuche?
B: für die Darlegung der Programmziele auf x den Antrittsbesuchen insgesamt? Und:
C: Ist der erste Kunstgeldantrag bis zum 1. November fertig?

Nach Rücksprache mit den Schulleitungen sehe ich von der Lösung dieser Aufgabe im Eigenversuch ab und konzentriere mich bei der Ideenfindung auf die Zusammenarbeit mit denen, die unmittelbar die Projekte mit den Künstlerinnen und Künstlern durchführen werden: Lehrkräfte und Schülerschaft. Da das neue Schuljahr eben erst begonnen hat, steht die Neuwahl der Schülervertretung noch bevor, also konzentriere ich mich zunächst auf die Zusammenarbeit mit dem Lehrerkollegium.

In zwei der drei Schulen bilden sich Kultur-AG"s mit je drei bis acht Lehrerinnen und Lehrern, meist der musischen Fächer. Die Treffen finden vorwiegend nachmittags statt, in einem verwaisten Klassenraum, in einer Ecke des Musikmagazins oder im Lehrerarbeitsraum, in dem andere Kollegen parallel an den Rechnern ihren Unterricht vorbereiten. Nach einem bereits früh begonnenen Arbeitstag und wegen der Fülle unerledigter Aufgaben sind viele Lehrkräfte in den Sitzungen der Kultur-AG nur bedingt motiviert, Möglichkeiten zur Implementierung künstlerischer Methoden in das Schulleben zu finden. Um mir, meiner Mission und meinem Herzensthema der kulturellen Bildung ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit zu verschaffen, reiche ich zu jeder Sitzung eine Auswahl an herzhaften und zuckerhaltigen Energielieferanten. Doch auch die duftendste Keksmischung und eine Kulturagentin, die Clusterkärtchen motivierend wie ein Nummerngirl schwingt, verwandeln eine Gruppe überarbeiteter Lehrkräfte von 15.30 bis 17.00 Uhr nicht in einen kreativen Think Tank.

Zunächst wundere ich mich über die weitverbreitete Ratlosigkeit darüber, was mit einem Haufen Kunstgeld und der Aussicht auf die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden und Kultureinrichtungen im Unterricht sinnvoll anzustellen sei. Dann erinnere ich mich: Ideen für meine künstlerischen Arbeiten kommen mir ja auch nicht, wenn ich überarbeitet und gestresst zu einem Termin hetze, der seit sechs Wochen in meinem Kalender als "Heute habe ich eine Idee" markiert ist. Aus meiner eigenen künstlerischen Praxis weiß ich: Ideen kommen aus dem Tun und aus einem lustvollen Austausch in entspannter Atmosphäre.

Schon stehe ich vor der zweiten Aufgabe, einer Neuinterpretation:

Kunst und Kultur schlummern im Verborgenen der Schule den Dornröschenschlaf. Die Mehrzahl der Aktivisten ist desertiert und die Verbliebenen sind sich uneins, wie der große Plan erfüllt werden kann.

  1. Zeigen Sie Mittel und Wege auf, wie die Verbliebenen den großen Plan lustvoll reflektieren und mitbestimmen können!
  2. Wer könnte den verbleibenden Aktivisten helfen, Kunst und Kultur wiederzubeleben?
  3. Formulieren Sie eine positive Vision!

Das Projekt: Die Planung

Aus meiner eigenen künstlerischen Praxis habe ich eine starke Affinität zu Dingen mit Rädern und Rollen – mobile Objekte, die im Alltag für Irritation sorgen und Fragen aufwerfen. Auf einem digitalen Flohmarkt bleibe ich an dem Foto einer chinesischen Fahrradrikscha hängen. Das Gefährt hat hinten eine klappbare Bank mit Stauraum, darauf zwei Sitzplätze und ein bunt gestreiftes Dach, das von der offenen Fahrgastzelle bis zum Fahrer reicht.

Erzähle ich Schülerinnen und Schülern, dass ich als Kulturagentin an ihrer Schule arbeite, überhören sie meist das Wort "Kultur" und stürzen sich auf "Agent": "Hast du eine Waffe? Hast du ein Auto?" Ich sehe das Bild der Rikscha und stelle mir das Ding als Kulturagentenmobil vor.

Mit der Rikscha im Stadtviertel
Foto: Julia Münz

Der Fahrrad-Agentenschlitten würde vor der Schule parken, und jeder wüsste: Ah, heute ist die Kulturagentin da, da passiert etwas. Ich stelle mir vor, wie das Gefährt Neugierde wecken und für Gesprächsstoff sorgen könnte: Zunächst parkt die Fahrradrikscha verhüllt im Eingangsbereich der Schule. Dann die festliche Enthüllung der Rikscha und ihre Vorstellung als Projektmobil, als Ideenfänger. Ich sehe Künstlerinnen und Künstler mit der Rikscha als Ideen- und Blickfänger durch die endlosen Flure der Schule rollen und einzelne Klassen ansteuern, um mit ihnen Workshops zu machen. Ich sehe das Gefährt auch außerhalb der Schule vor mir: Schülerinnen und Schüler, die Fahrten durch das Viertel anbieten, Geschichten, die den Fahrgästen erzählt werden, oder die Anwohnerinnen und Anwohner durch das Viertel kutschieren und deren Anekdoten aufnehmen. Die Rikscha als Kulturmobil auf dem Stadtteilfest. Mit der Rikscha die Ideen der einen Schule zur anderen transportieren. Die Etablierung der Rikscha als Wiedererkennungszeichen für Projekte, sodass alle Schülerinnen und Schüler sofort erkennen könnten: Ach, heute sind die Künstler wieder da, was machen die wohl heute und warum nicht mit mir?

Rund um die Rikscha als Ideenfänger entwerfe ich eine Konzeptskizze, mit der ich das Projekt Künstlerkolleginnen und -kollegen sowie Lehrerinnen und Lehrern vorstelle. Da ich schnell merke, dass die meisten Lehrkräfte Inhalte und Abläufe gern möglichst konkret haben und Schulleiter gern wissen möchten, was ein Projekt kostet, arbeite ich das Konzept mit der Künstlerkollegin Annika Unterburg entsprechend aus.

Kern des Projektvorschlags sind Workshops, die ein interdisziplinär arbeitendes, bewährtes Künstlerteam durchführt: Die Bildende Künstlerin Annika Unterburg, die Schauspielerin und Clownin Karoline Behrendsohn, die Künstlerin und ich steuern mit der Projektmobil-Rikscha in der Schule verschiedene Gruppen an, um mit ihnen auf eine spielerische, künstlerische und lustvolle Art an abstrakten Fragen zu forschen: Was sind Ideen? Wofür brauche ich sie? Woran erkenne ich, ob eine Idee gut ist?

Der Workshop gliedert sich in drei Teile:

1. Theorie & Praxis

Die Künstlerinnen und Künstler stellen sich und ihre Arbeitsweise vor und präsentieren Ideen von anderen Kunstschaffenden. Es wird veranschaulicht, wie wichtig es ist, Ideen möglichst konkret zu visualisieren, sie in aller Deutlichkeit auszumalen und nach den besten eigenen Möglichkeiten zu formulieren und zu verfolgen, wobei zunächst völlig egal ist, ob sie realisierbar scheinen oder nicht. Im praktischen Teil des Workshops bauen alle Teilnehmenden einen eigenen Ideenfänger. Der Ideenfänger ist ein Ding, mit dem man Ideen einfangen oder auch klauen kann, je nachdem, wie der Erfinder das beschließt.

Ideenfänger
Foto: Julia Münz

Ideenfänger und Gebrauchsanweisung von Parwana
Foto: Julia Münz

2. Theorie & Praxis

Jeder zeichnet seinen eigenen Ideenfänger und formuliert eine Gebrauchsanweisung für das Gerät. Nach einleitenden Improvisationstheater-Übungen stellt jeder seinen Ideenfänger der Gruppe vor. Die Präsentationen sind an Verkaufssendungen angelehnt, in denen neue, alltagserleichternde Geräte angepriesen werden. Die Präsentationen werden auf Video aufgezeichnet. Die Ideenfänger sind gebaut, ihre Funktion geklärt. Was machen wir nun damit? In Kleingruppen werden die Fragen diskutiert: Wo suchen wir Ideen? Wo können wir sie finden? Wir wollen auf Ideenjagd gehen, um eine Ideensammlung anzulegen.

Ideenpokal
Foto: Julia Münz

Ideenpokal-Gebrauchsanweisung
Foto: Julia Münz

Das Thema der Ideenjagd ist bewusst offen gehalten und wird mit den Teilnehmenden nach und nach konkretisiert. Geht es um neue technische Erfindungen oder um eine Idee, wie der Familienfrieden zu verbessern sei? Vielleicht um eine Idee, wie man trotz mangelnden Talentes Fußballprofi werden könnte oder …? Es entsteht ein Gespräch über Bedürfnisse und Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Auch schulspezifische Themen können der Ideensuche eine gemeinsame Richtung geben: Was sollen wir lernen? Welche Ideen haben wir beispielsweise für den Pausenhof, für kulturelle Projekte oder für unser Miteinander?

Idee von Ferdi: Mit dieser Fernbedienung können draußen Leute angehalten werden; sie erstarren einfach
Foto: Julia Münz

3. Theorie & Praxis

Die gesammelten Ideen werden dann in der Gruppe diskutiert. Alle wählen eine Idee, die sie oder er intensiver bearbeiten möchte. Die Teilnehmenden suchen sich ein Medium aus, das ihnen liegt. Sie können schreiben, zeichnen oder Szenen entwickeln. Die Künstlerinnen unterstützen die Schülerinnen und Schüler individuell. Es geht um die Frage: Was wäre, wenn es das XXX gäbe, was würde sich in unserer Welt ändern?

Krankheitswegschlucker
Foto: Julia Münz

Eine Ideensammlung entsteht. Wir sammeln, sortieren und diskutieren: Woran erkenne ich eine gute Idee? Bringt mich oder andere eine der Ideen vielleicht auf eine neue Idee?

Abschluss

Die Ideen aus allen Projektgruppen werden zusammengetragen und in einer gemeinsamen Ausstellung im Quartier, außerhalb der Schule, präsentiert. Das Projekt "Ideenfänger" eröffnet einen Denkraum und funktioniert wie ein Detektor, der mit künstlerischen Mitteln Gestaltungs- und Handlungsspielräume der Teilnehmenden sichtbar macht. Der Ideenfänger wird durch die Fahrradrikscha symbolisiert: ein Gefährt, das Ideen sammelt, transportiert und "weiterbringt".

Der Ausstellungsraum
Foto: Julia Münz

Nach der Planung stellt sich die dritte Aufgabe.

Für ein Projekt brauchen Sie einen Verantwortlichen, drei bis acht positive Zustimmungen in der Kultur-AG und 140 Personen, die davon erfahren.

Fragen:

A: Wie überzeugen Sie die Kultur-AG?
B: Wie finden Sie jemanden, die/der für das Projekt verantwortlich zeichnet?
C: Wie gewinnt man die übrigen Lehrkräfte?

Projektanbahnung

Ich stelle das ausgearbeitete Konzept in den Kultur-AGs der drei Schulen meines Netzwerks vor. Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus. Die Akteure in Schule eins finden das Projekt "Ideenfänger" grundsätzlich hübsch, haben aber selbst so viele Ideen, dass ihre zeitlichen und finanziellen Mittel bereits verplant sind. Hier sind die Prioritäten für Kunstgeldprojekte bereits gesetzt. Schule zwei ist überwiegend skeptisch; es herrscht die Meinung vor, dass es der Schülerschaft nicht zuzumuten sei, vermutlich unrealisierbare Ideen zu entwickeln. Schule drei ist dem Projektvorschlag gegenüber aufgeschlossen, allerdings hat keine an der Kultur-AG beteiligte Lehrkraft die nötige Kapazität, das Projekt mit einer Schülergruppe durchzuführen. Hier ist man weder wirklich für noch gegen das Projekt. Allerdings ist der Schulleiter von der Vorstellung einer Rikscha als rollendem Projektmobil mit hohem Wiedererkennungswert fast ebenso begeistert wie ich.

Die an Schule drei herrschende Ratlosigkeit in Bezug auf Kunstgeldprojekte eröffnet den nötigen Freiraum, um das Projekt durchführen zu dürfen. Ich formuliere den Projektantrag, der Schulleiter stellt Eigenmittel für die Anschaffung der Rikscha zur Verfügung und der Kulturbeauftragte unterzeichnet den Antrag als formal projektverantwortlicher Lehrer. Als Nächstes müssen interessierte Gruppen gefunden werden, die sich mit Ideen beschäftigen möchten. Ich schlage vor, das Projekt auf einer Gesamtkonferenz allen circa 140 Kolleginnen und Kollegen vorzustellen. Der Schulleiter bevorzugt die persönliche Ansprache von potenziell Interessierten. Das Ergebnis dieses Werbungsverfahrens: zwei Lehrkräfte aus den Jahrgängen 6 und 7, die Lust haben, sich mit den Künstlerinnen, ihren Klassen und mir auf das Wagnis des ergebnisoffenen Projekts einzulassen. Wir haben es endlich geschafft. Der Antrag ist bewilligt, die Rikscha gekauft, die Projektgruppen und ein Parkplatz für das Gefährt sind gefunden. Es folgt – hurra! – die Umsetzung.

Umsetzung. Das zweite Jahr

Das Projekt selbst verläuft besser als seine Anbahnung. Die Künstlerinnen rücken mit der Rikscha an. Schnell ist klar, die Rikscha als Projektmobil, das ist ein fahrender Joker: "Können wir damit auch fahren?", wollen die Schülerinnen und Schüler sofort wissen. "Ja klar, aber heute noch nicht, wir lernen uns erst mal kennen. Wenn wir Vertrauen in euch haben, fahrt ihr selbst." Das nötige Vertrauen ist schnell gefasst, und noch schneller ist klar: Die meisten Schülerinnen und Schüler können viel besser mit dem Gerät fahren als die Künstlerinnen. Die Schule verfügt über hallenartige Flure, die als Innenschulhöfe genutzt werden und sich sehr gut als Teststrecke eignen. Die Rikscha als Aufmerksamkeitsmagnet funktioniert. Jeder, der an ihr vorbeikommt, will wissen, was das ist, was wir damit machen, und kommt ungefragt mit eigenen Ideen, was man damit noch alles anstellen könnte: zum Beispiel die Rikscha als Taxi, mit dem die Schülerinnen und Schüler Lehrkräfte in die Mensa fahren.

Im ersten Workshop stellen die Künstlerinnen ihre bisherigen Projekte vor. Obwohl die Lehrkräfte das vorab für völlig abwegig gehalten haben, lauschen die Schülerinnen und Schüler ausdauernd und aufmerksam einer langen Präsentation der Künstlerinnen. Wir erklären, wie wichtig Ideen für uns als Kunstschaffende sind. Wir sehen, lesen und besprechen Ideenbeispiele aus Literatur, Film und Kunst. Wir bestaunen gemeinsam Dinge wie iPads, die vor wenigen Jahren noch pure Fantasie waren, heute aber selbstverständlicher Bestandteil der Welt sind. Und Dinge, auf deren Realisation wir noch warten, wie der kleine praktische Babelfisch, den sich die Weltraumreisenden bei Douglas Adams, Autor der Romanreihe "Per Anhalter durch die Galaxis", ins Ohr stecken und der ihnen fortan freundlicherweise alle Sprachen des Universums simultan übersetzt.

Die anschließende Produktion der eigenen Ideenfänger ist ein Highlight des Projekts, ein absoluter Selbstläufer. Die begleitenden Lehrkräfte sind entspannt, beobachten entweder ihre Schülerschaft oder bauen mit. Die Künstlerinnen nehmen in dieser Phase die Rolle von Assistentinnen ein, die Anerkennung, Wertschätzung und Klebetipps geben. Den Hauptteil der Materialien bekommen wir von Remida.1 Wie selbstverständlich lassen sich die Schülerinnen und Schüler auf den Prozess ein, was in allen Altersstufen funktioniert. Eine großartige Erfahrung, etwas zu bauen, wovon der Macher behauptet: "Das funktioniert so, weil ich es so gebaut habe, weil ich es so will." Die Bauphase ermöglicht den Schülerinnen und Schülern, während des Prozesses über die Ideenpräsentation und -diskussion zu reflektieren.

Im zweiten Workshop zeichnen alle Schülerinnen und Schüler ihre Ideenfänger und fertigen eine Gebrauchsanweisung an. Die Produktpräsentationen werden wie geplant mit Unterstützung der Schauspielerin eingeübt und auf Video aufgezeichnet. Die Produktpalette der Ideenfänger lässt vermuten: Aus Sicht der Schülerschaft kommen Ideen meist aus dem Kopf, sie werden gern geklaut, "abgesaugt" oder anderweitig entwendet, weil sie irgendwo bereits existieren. In Kleingruppen beratschlagen wir mit den Schülerinnen und Schülern, wo man nun die besten Ideen einfangen könnte. Viele Schüler möchten dorthin, "wo viele Menschen sind": in die U-Bahn, auf den "Dom" (Hamburger Kirmes) oder ins Museum. Einzelne schlagen auch vor, in den Wald zu gehen. Wir sind überwältigt von der Vielfalt der Vorschläge und bekommen das erste Problem: Alles dauert länger als geplant. Die ausgedehnte Ideenjagd außerhalb der Schule in Kleingruppen sprengt das mit der Schule verhandelte Limit an Unterrichtsausfall. Das Künstlerteam ist begeistert von der Vorstellung, dass Schülerinnen und Schüler im Museum (oder sonst wo) Ideen fangen gehen, weil dort alles Mögliche passieren könnte. Die beteiligten Lehrkräfte fürchten jedoch genau das.

Die Ferien stehen bevor; aus organisatorischen Gründen kann die Anzahl der Projekttage nicht erhöht werden. Hier macht sich in der Praxis bemerkbar: Ergebnissoffenheit und Prozessorientierung gelten als wünschenswert, besser ist es jedoch, wenn alles läuft, wie geplant. Das Ideenfangen findet verkürzt innerhalb der Schule statt.

Ein weiterer Stolperstein macht sich bemerkbar: Um ganze Projekttage mit den Klassen gestalten zu können, werden verschiedene Stunden Regelunterricht zusammengefasst. Die Stunden der begleitenden Projektlehrkräfte wurden für diese Tage aber nicht analog umgebucht. So sind in einer Projektgruppe stundenweise wechselnde Lehrkräfte im Raum, die weder die Künstlerinnen noch das künstlerische Konzept kennen. Dafür kennen sie aber die herrschenden Disziplinierungsregeln, die die Künstlerinnen nicht kennen. Mangels einer anderen Rolle oder Aufgabe innerhalb des Projekts versuchen die Lehrkräfte im kreativen Projektchaos die Einhaltung der geltenden Schulregeln zu wahren. Aufgrund von Regelverstößen werden zwei laute – und sehr kreative – Schüler vom Projekt suspendiert und von den Künstlerinnen diplomatisch zurückkomplimentiert.

Trotz aller – äußerlichen, strukturell bedingten – Schwierigkeiten bleiben die Schülerinnen und Schüler am Projekt dran. Die Ideensammlung verläuft gut. Für den Bereich Schule haben sie einige verbessernde Ideen, wie einen "Schwebekasten", in dem der Schulranzen von alleine folgt, oder einen neuen Teppichboden, der Gefühle erkennt und dementsprechend die Farbe verändert. Auch ein Ding, mit dem Lehrkräfte zu allem "Ja" sagen, wird fantasiert. Eine Sonderpädagogin wünscht sich einen "unsichtbaren Strafenausteiler" – ein Gerät, mit dem man heimlich kleine Strafen, wie einen Nasenzwicker oder eine komische Frisur austeilen könnte. Von dieser Vorstellung sind auch die Schülerinnen und Schüler sofort infiziert.

Im abschließenden Projektteil drei wählen alle eine aus den gefundenen Ideen und ein Medium, in dem diese ausformuliert werden soll. Die Aufteilung der Gruppe in solche, die Geschichten schreiben, die Ideen zeichnerisch eine Form geben oder zu Ideen Szenen entwickeln und diese darstellen wollen, wird von den Schülerinnen und Schülern sehr gut angenommen. Die Auswahl bewirkt, dass sich alle mit ihrem Ausdrucksmittel wohlfühlen und ihre ganze Kraft in die Ausarbeitung der Ideen stecken. Abschließend wird die Rikscha mit den Titeln aller Teilnehmenden dekoriert, mit Ideenfängern und Arbeitsergebnissen beladen und der Transport der Ideen in den Ausstellungsraum inszeniert.

Die Künstlerinnen bauen in einer großen, von außen gut einsehbaren, leer stehenden Bürofläche die Ausstellung auf. Der Plan ist, dass sich zur Eröffnung beide Projektgruppen, die am Projekt teilnahmen, treffen und in einen Austausch treten. Die Erfahrung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler oft kaum glauben können, dass ihre Arbeit von anderen anerkannt wird. Ein wertschätzender Austausch über die Projektergebnisse muss eingeübt und organisiert werden. Da wir vermuten, dass die Lehrkräfte anregende Methoden zur Gesprächsführung besser als die Künstlerinnen beherrschen und vermitteln können, bitten wir sie, diesen Austausch zu organisieren. Obwohl die Klassenräume im Schulgebäude direkt nebeneinanderliegen, kommt es zu keinem Austausch. So verläuft die Eröffnung eher lebendig und aktionsreich statt reflexiv.

Die Künstlerinnen wollen aber auf eine angeleitete Reflexion nicht verzichten. Um mit Schülerinnen und Schülern, die dazu Lust haben, in einen Austausch zu treten, laden sie Dr. Kristina Calvert, Philosophin und Mitbegründerin des Vereins "Philosophieren mit Kindern" aus Hamburg ein. Das Gespräch mit ihrzur Frage: "Was ist eine Idee" wird für alle Beteiligen eine spannende Rückschau. Die Ausstellung bleibt nach Absprache eines Besuchstermins noch drei Wochen geöffnet, wird jedoch leider nicht von weiteren Klassen besucht.

Fazit

Im Nachhinein bin ich unschlüssig, ob "Ideenfänger" ein gelungenes Projekt war. Meine Thesen – Ideen sind gut. Von Ideen kommen mehr Ideen. Ideen regen an, eine Position zu beziehen und diese wiederum regen zum Gespräch an – haben sich im Prozess mit der Schülerschaft bestätigt gefunden. Meine Wunschvorstellung hingegen, auf den eingefangenen Ideen Folgeprojekte aufzubauen, konnte nicht realisiert werden. Die Rikscha parkt im Séparée. Unser künstlerischer Impuls wurde von der Schule als willkommene temporäre kreative "Störung" aufgenommen. Die oftmals engen Schulstrukturen lassen es hier offenbar nicht zu, das Potenzial über einen einmaligen Spaß hinaus fruchtbar werden zu lassen. Das Projekt wurde zwar von mir als Kulturagentin in die Schule hineingetragen, die Lehrerinnen und Lehrer hätten es aber durchaus "stehlen" und sich aneignen können.

Von dem Konzept bin ich nach wie vor überzeugt – Prädikat: Unbedingt zur Nachahmung empfohlen! Aber Ideen jagen, fangen, sammeln und pflegen, das braucht viel Zeit und Vertrauen. Es eignet sich eher zum Jahresprojekt oder besser noch als Schulfach, das gemeinsam mit professionellen Ideenarbeitern durchgeführt wird.

1 Remida e.V. ist ein Zentrum für Reggiopädagogik, das Reststoffe, die in Industrie und Gewerbe abfallen, als Ressource zum Spielen, Bauen, Konstruieren, Forschen und Gestalten an soziale- und Kultureinrichtungen abgibt, online: http://www.remida.de [27.01.2015].