Andreas Knoke, Anne Stienen
Es gibt kein fertiges Rezept – Bilanz der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung
Andreas Knoke, Anne Stienen

Es gibt kein fertiges Rezept – Bilanz der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

Anne Stienen im Gespräch mit Andreas Knoke, Abteilungsleiter Programme der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

Andreas Knoke, Abteilungsleiter Programme der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), über die Beweggründe der DKJS, sich als Kooperationspartner in den Ländern Berlin und Thüringen am Kulturagentenprogramm zu beteiligen, und darüber, was die Stiftung aus dem Programm für sich mitnimmt.

Die DKJS war bereits in der Konzeptionsphase des Kulturagentenprogramms dabei. Was hat die Stiftung dazu bewogen, an diesem Programm mitzuwirken?

Andreas Knoke: Das Kulturagentenprogramm fördert kulturelle Bildung – und zwar dort, wo alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden: in der Schule. Jedes Kind soll an Angeboten der kulturellen Bildung teilhaben können, seine Potenziale und Talente entdecken und entfalten. Letztendlich geht es also um Chancengerechtigkeit. Dafür setzen wir uns als Stiftung im Bildungsbereich ein und stoßen Veränderungen an. Somit passt das Kulturagentenprogramm sowohl zu unseren Zielen als auch zu unserer Expertise, die wir in das Programm einfließen lassen und durch das Programm erweitern wollten.

Die DKJS setzt bundesweit Programme im Bildungsbereich um. Welche Erfahrungen konnte die DKJS konkret in das Kulturagentenprogramm einbringen?

Seit über 20 Jahren arbeiten wir bundesweit mit Schulen zusammen. Daraus ist nicht nur ein großes Netzwerk, sondern auch ein reicher Wissensschatz entstanden – rund um Schulentwicklung, aber auch zum Thema kulturelle Bildung. So unterstützen wir beispielsweise im Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen." seit 2004 die Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen in allen Bundesländern. Wir beraten Einzelschulen ebenso wie Schulnetzwerke. Wir begleiten Veränderungsprozesse und den Austausch auf Peer-Ebene. Auch unser Programm "Kultur.Forscher!" dreht sich um Schulentwicklung und um eine neue Lernkultur. Dabei erproben Schulen und ihre Kulturpartner seit 2008, wie forschendes Lernen im Bereich Kunst und Kultur gelingen kann. Hier haben wir beispielsweise Erfahrungen zum fächerübergreifenden Lernen, zur Arbeit in multiprofessionellen Teams und zum Ansatz der ästhetischen Forschung gesammelt. Doch selbstverständlich haben wir nicht nur Wissen in das Kulturagentenprogramm eingebracht, sondern auch neues Wissen gewonnen. Zum Beispiel zur "Prozessbegleitung von Prozessbegleitern": Denn sowohl die Kulturagenten als auch die DKJS und die anderen Kooperationspartner sind Prozessbegleiter, die die Kulturagenten begleiten.

Unter dem Dach der DKJS sind das Landesbüro Berlin und das Landesbüro Thüringen zu Hause. Wie würden Sie die Rolle der DKJS beschreiben?

Die Länderbüros – ob nun in Thüringen oder Berlin – haben die Aufgabe, das Programm regional auszugestalten, zu koordinieren und umzusetzen. Wir betreuen die Kulturagenten sowohl individuell als auch als Gruppe und entwickeln Angebote, um ihre Arbeit in den Schulen zu unterstützen. Wir sind Ansprechpartner für die Programmakteure in den Ländern und beraten alle vom Programm geförderten Projekte im jeweiligen Land. Wir organisieren den Austausch über die Einzelnetzwerke hinaus und die Durchlässigkeit der Programmerfahrungen ins Land hinein. Als Kooperationspartner sind wir aber nicht nur mit den Länderbüros auf der konkreten Umsetzungsebene beteiligt, sondern bringen uns auch als Fachpartner in die überregionale Umsetzung ein, beispielsweise durch die Mitwirkung im Programmbeirat.

Als einziger Kooperationspartner ist die DKJS für die Umsetzung des Programms in zwei Bundesländern verantwortlich: Berlin und Thüringen. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten konnten Sie in den Ländern feststellen?

Berlin und Thüringen könnten unterschiedlicher kaum sein: die Hauptstadt und Kulturmetropole einerseits, das Flächenland mit seiner bedeutenden Kulturgeschichte andererseits. Die gleichen Ziele unter völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen umzusetzen – das war eine spannende Herausforderung. Zugespitzt formuliert: Berlin steht für kulturelle Experimentierfreude und Innovation; hier gibt es viele große Schulen, große Kulturpartner und kurze Wege. Thüringen hingegen steht für ein traditionsreiches Kulturgut; hier sind die Schulen in der Regel viel kleiner, und es gibt deutlich weniger Diversität und Infrastruktur im Bereich der kulturellen Bildung. Hinsichtlich der Bandbreite der entstandenen Projekte in beiden Ländern existiert jedoch ein gemeinsamer Nenner: Vielfalt! Es war in Berlin wie in Thüringen von Projektwochen bis hin zu Workshops jedes Format vorhanden. Und wichtig war bei allen die Vermittlung durch die Kulturagenten.

Welche Themen und Fragen nimmt die DKJS aus dem Kulturagentenprogramm mit?

Wie Kinder und Jugendliche in ländlichen Räumen leben und lernen – darüber konnten wir in Thüringen viel erfahren, und es ist dieses Thema, das wir für unsere weitere Arbeit mitnehmen. Es geht uns um die Frage, wie junge Menschen auch in Regionen, die vom demografischen Wandel stark betroffen sind, ihr Lebensumfeld aktiv mitgestalten können. In Thüringen haben wir gesehen, wie das über die Künste möglich ist: zum Beispiel im Projekt "Von der Leine gelassen". In diesem Projekt haben Schülerinnen und Schüler der Regelschule Uder zum 925-jährigen Jubiläum der Gemeinde nicht nur die Auswahl der 25 beteiligten Künstler organisiert. Sie haben sich über ihre Vorhaben auch mit dem Bürgermeister abgestimmt und sich auf diese Weise sehr stark in die örtliche Gemeinschaft eingebracht. Die Schulen haben hier das besondere Potenzial, zu einem Kulturort für die jeweilige Region zu werden und junge Menschen zu mobilisieren. Wir haben auch erkannt, dass Kulturagenten und auch andere Vermittler in ländlichen Räumen besonders wichtig sind, denn räumliche Entfernungen verhindern häufig das Zustandekommen einer Zusammenarbeit von Schule und Kulturpartnern.

Ein weiteres Thema ist für uns die kulturelle Bildung an Ganztagsschulen: Die Erfahrungen aus dem Kulturagentenprogramm zeigen, dass kulturelle Bildung positiv auf eine neue Schulkultur einwirkt, die für das gemeinsame Lernen und Leben an Ganztagsschulen immens wichtig ist. So hat die künstlerische Gestaltung des Schulhofs der Berliner Heinz-Brandt-Schule – um nur ein Beispiel zu nennen – nicht nur räumliche, sondern auch soziale Veränderungen in Gang gesetzt. Über den Dialog "Was ist Kunst?" und die aktive Beteiligung der Schüler wuchs die Schulgemeinschaft zusammen. Diese Verknüpfung von Kultur und Schulkultur möchten wir stärker herausarbeiten und in unsere Schulnetzwerke einbringen.

Gab es auch Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?

Der Gestaltungsspielraum im Kulturagentenprogramm hat zugelassen, dass eine unglaubliche Vielfalt entstehen konnte. Es wurde von der Schule aus gedacht, und hier wurden viel Mühe und Zeit investiert, etwas Passendes für die jeweilige Schule zu identifizieren – ohne normative Vorgaben, wie ein künstlerisches Projekt oder Profil aussehen soll und muss. Das zeugt von einer guten Prozessbegleitung durch die Agenten. Das heißt konkret: mit Abstand, aber genau hinschauen, nicht mit der Tür ins Haus fallen und die Möglichkeiten und Ressourcen gut ausloten. In diese Aufgaben beziehungsweise in dieses neue Berufsfeld sind die Kulturagenten – als Intermediär zwischen den "Systemen" Schule und Kultur – überraschend schnell hineingewachsen. Sie wurden von Machern zu professionellen Begleitern. Unverändert und unerschöpflich ist hingegen ihre Kreativität: Die Kulturagenten stecken auch nach vier Jahren noch voller Ideen.

Angesichts all dieser Erlebnisse und Erfahrungen: Haben Sie so etwas wie ein Patentrezept für gute kulturelle Bildung gefunden?

Es gibt kein fertiges Rezept – das war auch nie das Ziel. Entscheidend ist, dass alle Beteiligten gemeinsam klare Ziele festlegen, die für sie wichtig sind. Diese können von Schule zu Schule nur unterschiedlich ausfallen. Fest steht allerdings, dass Veränderungsprozesse komplex sind und Zeit brauchen. Das ist gut so, und es ist wichtig, sich und den Partnern dafür Zeit zu geben. Fest steht auch, dass kulturelle Bildung Leidenschaft erfordert – und diese braucht Raum in der Schule. Kulturagenten, Künstler und Kulturbeauftragte sind Schlüssel, um solche Räume zu öffnen.

Die Fragen stellte Anne Stienen von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.