Tom Braun
Kultur und Schule vom Subjektstandpunkt aus gestalten
Tom Braun

Kultur und Schule vom Subjektstandpunkt aus gestalten

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Das Subjekt im Mittelpunkt! Dieser Aufruf bringt den Auftrag und die zentrale Handlungsorientierung der Bundesvereinigung Kultureller Kinder und Jugendbildung (BKJ) zum Ausdruck.1 Ausgangslage für die Einschätzung von Möglichkeiten und Veränderungsbedarfen sind für das Handeln der BKJ die aktuellen Lebenslagen der Jugendlichen und Kinder. Im Zuge der Ganztagsschulentwicklung wird Schule für Jugendliche und Kinder zunehmend zum zentralen Aufenthalts- und Lebensort. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Qualität von Schulen auch und gerade aus Sicht einer subjektorientierten Kinder- und Jugendbildung neu. Kulturelle Bildung als ein unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung, der Kinder und Jugendliche vom Standpunkt der Subjektorientierung aus in ihren Stärken und Bedürfnissen anerkennt sowie ihnen Befähigungs- und Bildungsgelegenheiten systematisch zugänglich macht, kann dazu einen zentralen Beitrag leisten. 

Projekt "mapping museum//das lauschen der wände" des Schulnetzwerks Münster mit dem Performancekollektiv Fetter Fisch in Kooperation mit dem LWL-Museum für Kunst und Kultur
Foto: Yara Hackstein

Die BKJ hat sich in den letzten Jahren daher in verschiedenen Praxis- und Forschungsprojekten für eine stärkere Verankerung von ästhetisch-kultureller Praxis in der Schule eingesetzt.2 Neben der systematischen Feldentwicklung für Kooperationen außerschulischer Einrichtungen der kulturellen Bildung mit Schulen und der Beforschung dafür relevanter Qualitätsverständnisse sowie der Bereitstellung geeigneter Praxismodelle hat die BKJ in den letzten Jahren das Konzept einer "Kulturellen Schulentwicklung" in die nationale und internationale Fachdebatte eingebracht und weiter konturiert. Mit dem Modellprogramm "Kulturagenten für kreative Schulen", an dessen Entwicklung die BKJ im Vorfeld entscheidend beteiligt war, konnte die BKJ daher die Zielstellung verbinden, bisherige Konzepte für eine Verankerung von ästhetisch-kultureller Praxis in Schule zu überprüfen und dahingehend weiterzuentwickeln, besondere Struktur- und Prozessmerkmale in Bezug auf die Beratungs- und Moderationstätigkeit außerschulischer Kulturagentinnen und Kulturagenten gemeinsam mit den anderen Fachpartnern des Modellprogramms identifizieren und beschreiben zu können.3

Mit der Professionalisierung von Beratungsprozessen für Schulen auf dem Weg zu einem kulturellen Schulprofil verbindet die BKJ zum einen das Anliegen, Schulen in der Weiterentwicklung einer subjektorientierten Lern- und Lehrkultur mit und durch ästhetisch-kulturelle Praxis zu unterstützen. Dies allein reicht als Zieldimension jedoch nicht aus, um einen konsequent subjekt- und damit immer auch partizipationsorientierten Blick auf Kultur und Schule einzunehmen. Vielmehr gilt es darüber hinaus einzubeziehen, wie Kinder und Jugendliche ihr soziales Umfeld wahrnehmen und sich aneignen, in welchen Beziehungen sie zu Peers, Eltern und Freunden stehen, und dies als prägende und primäre Lebens- und Lernwelten anzuerkennen. Der 14. Kinder- und Jugendbericht4 der Bundesregierung stellte 2013 vor dem Hintergrund einer zunehmenden Institutionalisierung und Pädagogisierung des Aufwachsens von Jugendlichen und Kindern die Frage, inwiefern Schulen, Kitas und Eirichtungen der Jugendhilfe neben professionell konzipierten Bildungsangeboten auch informelle sozialräumliche, peer- und familienbezogene Prozesse berücksichtigten und einbezögen. Damit nehmen die Sachverständigen des Kinder- und Jugendberichts einen Blickwinkel ein, aus dem heraus Bildung von Kindern und Jugendlichen als ein umfassender Aneignungsprozess in einer sozial und kulturell verfassten Lebenswirklichkeit verstanden wird.

Indem das Kulturagentenprogramm durch die Moderationstätigkeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten konsequent auf eine Einbettung der kulturellen und künstlerischen Projekte der beteiligten Schulen in die lokalen und regionalen Kulturnetzwerke ausgerichtet war, bot es für eine weitere Zieldimension der BKJ eine wichtige weitere Voraussetzung: Die Frage, wie Kooperationen professionell organisierter Lern- und Bildungsorte einen sozialräumlichen Bezug herstellten können, der neben Fragen des strukturellen Passungsverhältnisses unterschiedlicher institutioneller Lernorte auch peer- und familienbezogene Lebensorte als zentrale Bausteine einer lokalen Bildungs- und Kulturlandschaft mit einbezieht.

Eine Aufgabe der nächsten Zeit wird es daher sein, die durch das Kulturagentenprogram vorliegenden Erfahrungen zu Prozessen und strukturellen Voraussetzungen für eine Verankerung kultureller Bildung in Schulen in eine übertragbare Methodologie zu übersetzen. Diese wird in der Anforderung stehen, Fachdebatten aus den künstlerischen Schulfächern, der außerschulischen kulturellen Bildung sowie Fragen lokaler Bildungslandschaften mit dem bestens ausgewiesenen Forschungsfeld der Schulentwicklung so zu verbinden, dass neben den institutionellen Logiken und Ressortzugehörigkeiten Fragen der Subjektorientierung als eine zentrale und unverzichtbare Kategorie der Gestaltung und Überprüfung konzeptionell berücksichtigt werden.5

Neben diesen die Einzelschule und ihre lokale beziehungsweise landesbezogene Verortung fokussierenden Fragen der Ausführung ergeben sich zudem übergreifende Anforderungen. Diese beziehen sich vor allem auf die von mittlerweile allen Ländern erstellten Qualitätsrahmen für Schulqualität. Diese gilt es nun, systematisch daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie die Anwendung ästhetisch-kultureller und subjektorientierter Dimensionen zulassen – und zwar so, dass der schulische Auftrag zur Qualifizierung erfüllt und zugleich für die Schülerinnen und Schüler wie auch für ihre Lehrerinnen und Lehrer als ein verstehbarer, sinnvoller und umsetzbarer Zusammenhang mit den schulischen Aufträgen zur Sozialisation und Enkulturation erfahrbar wird. Damit wäre zugleich eine Grundlage für eine systematische Qualitätsentwicklung von Schulen im Sinne einer subjektorientierten kulturellen Schulentwicklung geschaffen, die es Schulaufsicht und Einzelschulen gleichermaßen ermöglichen würde, entsprechend ausgerichtete Bestandsaufnahmen, Entwicklungspläne und Zielüberprüfungen umzusetzen. Denn dazu fordert der 14. Kinder- und Jugendbericht auf: verstärkt und gerade in Zeiten der Institutionalisierung des Aufwachsens den Subjektstandpunkt einzunehmen. Kulturelle Schulentwicklung bedeutet in diesem Sinne, für Einzelschulen aber eben auch für die steuernden Ebenen der Schulaufsicht Grundlagen der Qualitätsentwicklung zu schaffen, die den spezifischen Auftrag der Institution Schule mit dem Konzept einer subjektorientierten Bildung verbinden – mit und durch die besondere Berücksichtigung ästhetisch-kultureller Praxis. Diese auf den schulischen Kontext fokussierte Aufgabe impliziert zugleich die weitergehende Anforderung, Voraussetzungen und Gelingensbedingungen von Implementierungsprozessen zu identifizieren, den unterschiedlichen Steuerungsebenen zuzuweisen und kontextbezogen auszuformulieren.

Ein weiterer Bereich, der in Zukunft gründlicher untersucht werden kann, ist die Frage der Übertragbarkeit der durch das Kulturagentenprogramm in der Schule gewonnenen Erkenntnisse auf eine Entwicklung außerschulischer pädagogischer Institutionen. Denn bei allen Unterschieden zwischen der pädagogischen Arbeit in der allgemeinbildenden Schule mit ihren unterschiedlichen gesetzlich vorgegebenen Verpflichtungen und außerschulischen kulturpädagogischen Einrichtungen (die wesentlich auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen) gibt es auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die zumindest nahe legen, eine Übertragung von schulbezogenen Erkenntnissen zu überprüfen. Dies betrifft etwa den Aspekt einer systematischen Organisationsentwicklung, es betrifft Fragen der Partizipation sowohl der Kinder und Jugendlichen als auch der Fachkräfte, es betrifft Fragen der Gestaltung des Gebäudes, des pädagogischen Führungsstils und der Weiterqualifizierung des pädagogischen Fachpersonals.

1 Als Dachverband für kulturelle Bildung in Deutschland setzt sich die BKJ mit dem Netzwerk ihrer 57 Mitgliedsorganisationen bundesweit und international dafür ein, dass an allen gesellschaftlichen Orten Voraussetzungen geschaffen werden, die allen Kindern und Jugendlichen von Anfang an und unabhängig von individuellen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen eine aktive Teilhabe am kulturellen Leben sowie eigene künstlerische und kulturelle Betätigung ermöglichen.

2 Vgl. Braun, Tom; Fuchs, Max; Kelb, Viola; Schorn, Brigitte (Hg.): Auf dem Weg zur Kulturschule II. Weitere Bausteine zu Theorie und Praxis der kulturellen Schulentwicklung, München 2013; Fuchs, Max; Braun, Tom (Hg.): Die Kulturschule und kulturelle Schulentwicklung. Grundlagen, Analysen, Kritik. Bd. 1, Schultheorie und Schulentwicklung, Weinheim und Basel 2015; Kelb, Viola (Hg.): Kultur macht Schule. Innovative Bildungsallianzen – Neue Lernqualitäten, München 2007.

3 Die für die Tätigkeit der Kulturagentinnen und Kulturagenten wie auch die in der Werkzeugbox "Kulturelle Schulentwicklung" der BKJ abrufbaren Kompetenzprofile für Schulberaterinnen und Schulberater mit dem Schwerpunkt Kultur geben hierzu einen vertieften Einblick.Vgl. www.kultur-macht-schule.de [30.07.2015].

4 Deutscher Bundestag: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. 14. Kinder- und Jugendbericht. Drucksache 17/12200 vom 30.01.2013.

5 Vgl. Hübner, Kerstin; Kelb, Viola: "Kulturelle Bildung und Sozialraumorientierung: Kontexte, Entwicklungen und Herausforderungen", online: www.kubi-online.de [29.07.2015].